Hallo Euro
600.000 Menschen feierten in Berlin am Brandenburger Tor den Eintritt ins Euro-Zeitalter. In Frankfurt am Main begrüssten Tausende vor der Europäischen Zentralbank den Euro zu den Klängen von «Freude, schöner Götterfunken». Schon vor Mitternacht tanzten die Menschen zu Musik, die von Künstlern aus den zwölf Euro-Staaten auf dem Rohbau des Galileo-Turms der Dresdner Bank präsentiert wurde.
Der französische Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete die Einheitswährung in seiner Neujahrsansprache als einen Sieg Europas. In Wien sprachen EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von einem denkwürdigen Tag.
«Mit dem Euro werden wir zu einem stärkeren Europa», sagte Prodi.
In Helsinki zahlte Finanzminister Sauli Niinisto als einer der ersten mit dem neuen Geld: Er gönnte sich für eine Euro-Münze eine Tasse Kaffee. Ein Einkaufszentrum öffnete seine Pforten für die ersten Einkäufer mit Euro-Scheinen. In Athen, wo sich Tausende um das leuchtende Euro-Zeichen in der Innenstadt versammelten, zog Ministerpräsident Konstantinos Simitis die neuen Scheine aus einem Automaten und steckte sie in eine Sammelbüchse des Kinderhilfswerks UNICEF.
Überall in Europa wurden am Montag Geldautomaten tagsüber abgeschaltet, um ab Mitternacht die Menschen mit dem neuen Geld zu versorgen. Im Frankfurter Bankenviertel funktionierte dies kurz nach 0 Uhr bei zahlreichen Automaten. Kleine Schlangen bildeten sich und viele freuten sich über ihre ersten Euro-Scheine.
Mehr als 15 Milliarden Banknoten und 52 Milliarden Münzen zusammen rund 646 Milliarden Euro wert wurden für den grössten Geldwechsel aller Zeiten produziert. Auch wenn der Euro in allen zwölf Teilnehmerstaaten zeitgleich eingeführt wurde alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel ist das Geld zunächst nur in Deutschland geworden. Dennoch kann die Mark im Handel und bei Geschäftsbanken noch bis 28. Februar getauscht werden, danach ist der Tausch bei den Zentralbanken unbefristet möglich. Die anderen elf Euro-Länder haben andere Fristen gewählt.
ZÜRICH Punkt 0.00 Uhr in der Nacht zum neuen
Jahr haben die SBB in ihrer Wechselstube am Zürcher Hauptbahnhof
die Ausgabe des Euro gestartet. Er war für 1.54 Franken zu
haben.
Rund 30 Personen wollten es sich nicht nehmen lasen, zu den allerersten
Bezügern der neuen europäischen Währung zu gehören
- sie standen teils eine Stunde vor der Stichzeit schon an den
Schaltern an. Einige kamen gar aus anderen Städten angereist.
Das Euro-Zeitalter begann mit einer Falschmeldung: Mehr als eine Million Deutsche, berichteten die Nachrichtenagenturen am Neujahrsmorgen, feierten den Abschied von der D-Mark am Brandenburger Tor in Berlin mit einem gewaltigen Feuerwerk. Tatsächlich findet in der deutschen Hauptstadt am Jahresende immer ein Feuerwerk statt. Anders als in den Vorjahren mischte sich dieses Jahr allerdings auch der deutsche Finanzminister unters Volk, der das Silvester-Spektakel nutzte, um Punkt Mitternacht in einer Filiale der Dresdner Bank beim Brandenburger Tor medienwirksam 200 Mark in 102 Euro umzutauschen.
Der Auftritt Hans Eichels war der Höhepunkt einer wochenlangen medialen Dauerpräsenz. Kurz vor dem Ende der D-Mark versuchte der Finanzminister das zweifelnde Volk noch einmal von der Stabilität und vom Sinn der neuen Währung zu überzeugen. Selbst Kanzler Schröder, der als Ministerpräsident Niedersachsens den Euro noch vor drei Jahren als «kränkelnde Frühgeburt» beschimpft hatte, schwang sich in seiner Neujahrsansprache zu rhetorischen Höhenflügen auf und schwärmte vom «Anbruch einer neuen Zeit, von der die Menschen in Europa jahrhundertelang geträumt haben».
Das PR-Trommelfeuer ihrer Politiker beeindruckte die Deutschen wenig. «Sieht aus wie Spielgeld», war der häufigste Kommentar der Menschen, nachdem sie die ersten neuen Noten in der Hand hatten. Die Hälfte der Deutschen lehnt das neue Geld nach wie vor ab, nach einer Umfrage glauben 48 Prozent, dass der Euro nicht so stabil sein wird wie die Mark. Befürworter und Gegner des neuen Geldes eint in Deutschland die Überzeugung, dass der Einzelhandel die Währungsumstellung für Preiserhöhungen nutzen wird. Denn die Schwellenpreise, die auf 99 Pfennig enden, ergeben nach der Umrechnung krumme Euro-Beträge, die zu neuen Schwellenpreisen aufgerundet werden könnten.
Während in Deutschland der E-Day problemlos über die Bühne ging, kam es in den andern elf Ländern der Euro-Zone zu vereinzelten technischen Pannen. In Paris, wo auf den Champs-Élysées wie jedes Jahr Hunderttausende Silvester feierten, fiel die Software der meisten Bancomaten nach Mitternacht aus, während andere Maschinen schon vor dem Jahreswechsel Euros statt Francs ausspuckten. «Mehr Bugs als Euros» spotteten die Euro-Gegner, die allerdings mittlerweile in der Minderheit sind. Aber auch in Frankreich blieb der von Apokalyptikern vorausgesagte «Zusammenbruch der Bargeld-Ökonomie» aus, wer keine Euros hat, kann in den meisten Ländern der Euro-Zone bis Ende Februar weiter in der alten Währung bezahlen.
Obwohl die Briten ihr Pfund behalten wollen, ist der Euro auch in Grossbritannien seit Weihnachten Gesprächsthema Nummer eins. Grosse Kaufhäuser, Laden- und Restaurant-Ketten akzeptieren seit Neujahr den Euro als Parallelwährung, was den Euro-Gegnern beinahe als Landesverrat gilt. Doch genau auf diese Alltagserfahrungen mit dem neuen Geld setzt die Blair-Regierung, die bis zum Ende der Legislatur den Euro per Volksabstimmung einführen will: Je mehr Menschen nicht nur in den Ferien, sondern auch im eigenen Land mit dem Euro konfrontiert werden, desto schneller soll die Liebe zum Pfund schwinden. Diese Rechnung scheint aufzugehen, nach einer neuen Umfrage des «Guardian» glauben 62 Prozent der Briten, dass sie in spätestens zehn Jahren zur Euro-Zone gehören werden.
Mit der gleichzeitigen Abschaffung zwölf nationaler Währungen stand die EU-Kommission nach eigenem Bekunden vor der «grössten logistischen Herausforderung der Geschichte». In den Euro-Ländern mussten 15 Milliarden Banknoten und 52 Milliarden Münzen im Wert von einer Billion Franken hergestellt und innert Wochen unters Volk gebracht werden. Das befürchtete Chaos blieb aus, der E-Day verlief ebenso unspektakulär wie vor zwei Jahren der im Voraus zum Katastrophen-Tag hochstilisierte Millenniumbug.
Doch die perfekte logistische Leistung sagt noch nichts aus über den wirtschaftlichen Ausgang des historisch einmaligen Experiments, das in der Euro-Zone an diesem 1. Januar begonnen hat. Zwar ist die öffentliche Grundsatzkritik in den letzten Monaten verstummt, dennoch bleiben viele Experten skeptisch: Ob der Euro zum Erfolg wird, hängt nicht vom Wohlwollen der 300 Millionen Euro-Bürger ab, sondern vom ungewissen Fortschritt der europäischen Integration. Denn ohne die Verwirklichung einer gemeinsamen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU-Länder ist auch die gemeinsame Währung zum Scheitern verurteilt.
Bis Anfang der Neunzigerjahre sahen das auch die führenden Politiker in Deutschland so. Selbst Exkanzler Helmut Kohl vertrat damals die so genannte Krönungstheorie, nach der die Einheitswährung am Ende und nicht am Anfang des europäischen Einigungsprozesses stehen sollte. Das änderte sich erst mit der deutschen Einheit, mit der die Politik wichtiger wurde als die Ökonomie: Aus Furcht vor einem starken Deutschland bestand Frankreich auf der schnellen Abschaffung der D-Mark. «Hinter der Euro-Euphorie», erklärt der Historiker und Präsidentenberater Emmanuel Todd die Ziele Frankreichs, «steckt der Wille, Deutschland als Geldgrossmacht zum Verschwinden zu bringen und die deutsche Frage ein für alle Mal zu lösen.»
Doch seit vorgestern sind Spekulationen über den Ausgang des Euro-Experiments müssig. «Ihr Europäer», spottet der US-amerikanische Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman, «habt mit der Euro-Einführung die Tür zugemacht und den Schlüssel weggeworfen.»
Hans Tietmeyer, ehemaliger
Bundesbank-Präsident, freut sich auf einen starken, stabilen
Euro.
FACTS: Herr Tietmeyer, wo steht der Euro-Kurs in
einem Jahr?
Hans Tietmeyer: Ich kann keine Prognose geben, das hängt
von der weltwirtschaftlichen Entwicklung ab. Ich bin aber sicher,
dass der Euro auf dem Weg zu einer stabilen Währung fortschreiten
und sich das auch in seinem Aussenwert spiegeln wird.
FACTS: EZB-Präsident Wim Duisenberg sieht den Euro
bald als wichtigste Währung der Welt.
Tietmeyer: Der Euro hat am Welthandel zwar den grösseren
Anteil als der Dollar, dennoch wird der Dollar auf absehbare Zeit
die dominierende Währung bleiben. Für den Aufbau einer
internationalen Rolle braucht eine neue Währung längere
Zeiträume.
FACTS: Europa steht am Rande einer Rezession. Ist da
die Versuchung einzelner Länder nicht gross, aus der gemeinsamen
Geldpolitik auszusteigen?
Tietmeyer: Diese Gefahr halte ich nicht für realistisch.
Ich gehe davon aus, dass sich die verantwortlichen Politiker aller
Euro-Länder darüber im Klaren sind, dass wir in einem
gemeinsamen Boot sitzen und dass keine differenzierte monetäre
Politik betrieben werden kann.
FACTS: Können sich einzelne Länder vom Euro
wieder verabschieden, wenn ihnen das enge Korsett der strengen
Stabilitätskriterien lästig wird?
Tietmeyer: Nein. Der Vertrag von Maastricht sieht keine
Austrittsszenarien vor, beim Euro-Beitritt handelte es sich um
einen irreversiblen Schritt.
Interview: Fred Müller