Handy
Das Mobiltelefon wird 50, das moderne Handy 10. Arbeit, Freizeit, Beziehungen: Kein anderes Produkt hat unsere Gesellschaft so verändert.
Von Gion Stecher und Roland Harisberger - FACTS 29/2002, 18.7.02
Remo Fricker lebt für den ZSC. Als letzten März der Play-off-Halbfinal gegen Lugano auf dem Programm stand, war die Nervosität beim 15-jährigen Küsnachter entsprechend hoch. Er wusste nur noch einen Weg - den zu Gott. Remo wandte sich an seinen Dorfpfarrer Andrea Bianca. «Herr Pfarrer, können Sie mir den Segen für den ZSC spenden? per SMS?»
Bianca griff zum Handy und tippte die göttliche Botschaft ein: «Ich bete für dich, dass die bessere Mannschaft gewinnt - hoffentlich dein ZSC.» Es funktionierte. Der ZSC gewann das besagte Spiel mit 4 : 3. Für mehr reichte der SMS-Segen dann doch nicht. Späterer Meister wurde der HC Davos.
Der Pfarrer hat den SMS-Segen bereits weiterentwickelt. Demnächst veranstaltet Bianca einen SMS-Gottesdienst. Lobe den Herrn, preise das Handy.
Kein anderes Produkt hat die Gesellschaft so geprägt und verändert wie das Mobiltelefon piep, piep piep, ich hab dich lieb. Der ständige Begleiter feiert dieses Jahr das 50-Jahre-Jubiläum. 1952 wurde das erste vollautomatische Autotelefonnetz der PTT in Betrieb genommen. Es beschränkte sich auf die Region Zürich und bot eine mässige Qualität.
In Punkto Mobilität waren die Urhandys alles andere als handlich die Technik füllte einen Kofferraum. Der inzwischen verstorbene «Tages-Anzeiger»-Fotograf Karl Schweizer besass einen dieser Apparate. 1999 hiess es in einem Tagi-Artikel rückblickend: «Gebraucht wurde das Gerät damals selten man wusste eigentlich gar nicht so recht, wozu jemand im Auto telefonieren oder angerufen werden sollte.»
Es herrschte denn auch lange Funkstille um das mobile Telefon. Erst 1978, als das nationale Autotelefonnetz (Natel) verwirklicht wurde, kam so etwas wie Euphorie auf. Das PTT-Netz hatte eine Kapazität, die für 10 000 Abonnenten reichte. Die Nachfrage überstieg das Angebot deutlich.
Bei den Voraussagen irrten sich nahezu alle. 1997, fünf Jahre nachdem die GSM-Technologie eingeführt worden war, hiess es in einer Prognose des Bundesamts für Kommunikation: «Im Jahr 2010 werden zwei Millionen Einwohner der Schweiz im Besitz eines Handys sein.» Eine massive Unterschätzung. Bereits dieses Jahr sind es 5,4 Millionen Geräte, 75 Prozent der Bevölkerung haben einen mobilen Anschluss. Und täglich schwirren bei uns zwei Millionen SMS-Botschaften über die Displays.
Das Handy beeinflusst unser Verhalten in Beruf, Freizeit und Beziehung massgeblich. So kann sich die Unternehmerin und SP-Nationalrätin Anita Fetz ein Leben ohne Handy nur sehr schwer vorstellen. Primarlehrerin Bettina Witzig ist vernarrt in SMS-Textbotschaften, genauso wie Matthias, Baris und Manuela. Die Jugendlichen treffen sich fast jeden Samstagabend auf dem Basler Barfüsserplatz. Dann geht das Piepsen und Eintippen los. Baris: «Mit dem Handy ist man selbstständiger. Ich kann telefonieren, wo und mit wem ich will. Beim Festnetz ist das anders. Dort können meine Eltern zuhören.» Manuela braucht ihr Handy eher, um SMS zu schreiben: «Vor allem zum Abmachen. Für Blind Dates ist es ideal. Anrufe mache ich nur im Notfall.»
Das Handy ist schon lange nicht mehr das Statussymbol des erfolgreichen Börsenspekulanten. Auch als Hassobjekt hat es praktisch ausgedient. Wer heute keines besitzt, gilt als unverbesserlicher Nostalgiker. Ein Sonderling, der sich der Umwelt, sprich der ständigen Erreichbarkeit, entzieht. «Festnetz-Telefonierer» heisst ein beliebtes Synonym für die Bezeichnung eines Weicheis.
Auch Bauer Pius Gasser aus dem Luzerner Bergdorf Lungern ist mobil erreichbar, wenn er seine 30 Muttersäue füttert oder eine Kuh in Not gerät. «Am Anfang wurde ich belächelt. Ein Bauer mit einem Handy? Das haben doch nur solche Bänklertypen!» Gasser ist sogar ein «Handy-Hero». Ein Preis, den das Kommunikations-Unternehmen Orange jedes Jahr für die heldenhafteste Handy-Tat stiftet. Vor zwei Jahren stürzte ein Arbeiter in Lungern einen Felsen hinunter. Schwer verletzt wählte er Gassers mobile Nummer. Der Bauer konnte den Verschütteten bergen. Die Belohnung: ein Gratis-Abo für drei Jahre. Gassers Fazit: «Ohne Handy wars früher schon weniger hektisch.»
«Das Mobiltelefon schuf die so genannte 24/7-Gesellschaft, Business und Privatleben verschmolzen zu einer Einheit», sagt Stefan Kaiser vom Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon. Das Handeln ist ortsunabhängig. Wer jemanden auf dem Handy erreicht, fragt deshalb nicht zuerst «Wie gehts?», sondern «Wo steckst du?».
«Ständiges Rollen-Switching» zwischen Beruf und Freizeit nennt der Zürcher Soziologieprofessor Hans Geser das Verhalten des Homo Handy. «Ich arbeite, wo ich will, lautet die Devise.» In der Vermischung zwischen funktioneller Arbeit und sozialer Funktion sieht Geser «einen Gewinn an Lebensqualität».
Das Freizeitverhalten wurde flexibler und sprunghafter, urteilt Stefan Kaiser. «Das fixe Date, den festen Termin gibts fast nicht mehr. Man kann ja ständig mobil umorganisieren.» Diese neue Unverbindlichkeit löst beim Handy-Menschen oftmals Stresssituationen aus. Kaiser nennt es den «Terror der Erreichbarkeit». Pfarrer Andrea Bianca sieht nur dann eine Gefahr, wenn aus der Erreichbarkeit eine Verfügbarkeit abgeleitet wird: «Und der Angestellte traut sich dann nicht mehr, das Gerät spät nachts oder im Urlaub abzuschalten. Es könnte ja der Chef sein, der ihn dringend sucht.»
Um den Handy-Benützer näher zu erforschen, plant Soziologe Hans Geser eine grossangelegte Erhebung an Zürcher Schulen. 2000 Jugendliche im Alter zwischen 17 und 18 werden zu ihrem Handy-Verhalten befragt. Die Untersuchung basiert auf der 40-seitigen Schrift «Soziologie des Mobiltelefons», die Geser vor einem Monat veröffentlichte. Dabei kam der Autor unter anderem zu folgenden Erkenntnissen:
- Das Handy fördert den sozialen Ausgleich, da es fast allen Schichten zugänglich ist.
- Das Handy vermischt Öffentlichkeit mit der Privatsphäre. Der Zuhörer nimmt am privaten Leben des Telefonierers teil.
- Das Handy lockert familiäre Strukturen. Die soziale Kontrolle der Eltern über die Kinder schwindet. Beim Festnetz wussten die Eltern eher, mit wem ihr Kind telefoniert. Mit dem Handy kultiviert der Nachwuchs schon früh sein eigenes kommunikatives Netzwerk.
- Das Handy wird von beiden Geschlechtern ähnlich oft genutzt. Anders als beim Festnetz. Dieses ist eine klassische Domäne der Frau.
- Das Handy lindert Ablösungsprozesse. So kann die Mutter ihr Kind in der Schule anrufen. Die Formen der Abschiede sind weniger dramatisch.
Vor allem auf Beziehungsebene hat das Mobiltelefon einen hohen Stellenwert erlangt. Dies zeigt auch eine aktuelle Untersuchung des Netzbetreibers Orange UK. In der Studie mit dem Titel «Roman-cing the Phone» wurden 18- bis 34-jährige Paare gefragt, zu welchem Zeitpunkt sie den Partner nach dem morgendlichen Abschied anrufen. Satte 81 Prozent telefonieren, schon kurz nachdem sie das Auto gestartet oder den Zug bestiegen haben. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass das Handy die allgemeine Furcht bei Beziehungen mildert, ein Partner könnte den anderen glatt vergessen. Fünf Prozent greifen deshalb sogar dann zum Handy, wenn sie beim Heimkommen die Türe aufschliessen obwohl es nur noch Sekunden dauert, bis sie den Liebsten wiedersehen.
Doch manchmal hat das Mobiltelefon auch eine trennende Wirkung. Peter M. * ist eines der Handy-Beziehungsopfer. Seine letzte Freundin musste auch bei intimen Momenten ihre SMS-Nachrichten verschicken. Irgendwann hatte Peter die Nase voll. Der neuen Bekanntschaft gab er deshalb von Anfang an den Tarif durch: «Sind wir zusammen, werden keine SMS verfasst oder beantwortet entweder das Handy oder ich!»
«SMS ich liebe dich» 700 Millionen Kurzbotschaften wurden letztes Jahr in der Schweiz hin und her gesandt. In Europa beträgt die Zahl 168 Milliarden. Bettina Witzig ist eine dieser SMS-Süchtigen. Täglich tippt sie bis zu 30 Texte ein. «Jedesmal, wenn ich eine Botschaft verschickt habe, beginnt das erwartungsfrohe Warten. Wenn es dann piepst, kribbelts in mir was steht wohl drin?»
Am meisten fasziniert Bettina die SMS-Sprache: «Sie lebt von den Verkürzungen, da 160 Zeichen Text das Maximum sind. Das erfordert Fantasie beim Schreiben.»
Auch Stefan Kaiser vom GDI anerkennt den kreativen Faktor der SMS-Sprache. Doch wie viele Lehrer sieht er Probleme für die Zukunft anbrechen. «Kann die Schule den Lehrplan des traditionellen Deutsch noch aufrechterhalten, oder muss man diesen der SMS-Sprache anpassen?» Kaiser sieht die Gefahr einer kleinen Schreibelite, die einer grossen SMS-Masse gegenübersteht. Eine junge Generation, nahezu unfähig, längere Aufsätze zu verfassen.
Die Pädagogen werden sich wohl an ihre neue Schreibklientel gewöhnen müssen. In Dänemark gibt es schon Spezialkliniken für SMS-Junkies. Die japanischen Kinder können Botschaften an so genannte virtuelle SMS-Geishas schicken Antworten sind damit garantiert. Und britische Forscher haben die ersten körperlichen Mutationen bei der Jugend entdeckt. Durch das ständige Tippen auf die kleinen Tasten entwickelten die Finger muskulöse Ausmasse. Man spricht vom SMS-Daumen.
Für die Kommunikations-Unternehmen sind die Kurztexte ein Riesengeschäft. Und sie werben schon mit einer weiteren «Killer-Applikation»: MMS. Jeder Handy-Besitzer kann Bilder an seine Freunde und Bekannten verschicken. Spätestens nach Einführung des UMTS-Standards Anfang nächsten Jahres soll sich MMS zur lukrativen Geldquelle entwickelt haben.
Stefan Kaiser ist eher skeptisch, was die UMTS-Zukunft anbelangt:
«Ich sehe eine gigantische Missentwicklung. Der Markt ist
gesättigt. Für die Netzbetreiber wird
es immer schwieriger, all die vielen Zusatzangebote an die Handy-Kundschaft
zu bringen.» Das sieht Orange-Chef Andreas Wetter anders:
«Das Potenzial für neue Handy-Verwendungen ist riesig.
In Zukunft werden Produktionsmaschinen per Mobiltelefon gesteuert.
Oder Firmen wie BMW und Mercedes bauen SIM-Karten in ihre Autos
per Handy wird der Wagen dann permanent von der Zentrale
kontrolliert.»
Für Pfarrer Andrea Bianca hat die Entwicklung des Homo Handy auch der Kirche eine neue Bedeutung verschafft. «In Gottesdiensten sind Kerzenlicht und Besinnung statt langer Pfarrersreden wichtiger geworden. Die Menschen brauchen diese Ruhe zwischen all dem mobilen Gepiepse.»
Und: Es gibt sie noch, die handy-freien Zonen. Eine davon heisst Ebersecken im Amt Willisau. 427 Einwohner zählt die Gemeinde. Ebersecken liegt zwischen zwei Hügelzügen mitten in einem Funkloch. Ein Dorf ohne Mobiltelefone. Gemeindeammann Roland Bühler sieht im zwangsbedingten Handy-Verzicht nur Vorteile: «Bei uns gibt es keine Einbrüche. Denn Kriminelle verständigen sich immer per Handy.» Jetzt überlegt Bühler, sein handyfreies Ebersecken touristisch zu vermarkten.
Erst unhandliches Gerät,
dann Statussymbol und heute Gebrauchsgegenstand.
1952
Die ersten Autotelefone mit vollautomatischer Wahl zwischen Fahrzeug
und stationärem Telefonteilnehmer kommen auf den Markt. Angeschlossen
werden Fahrzeuge der Zürcher Industriebetriebe sowie das
Motorschiff «Linth». Die Reichweite beträgt 25
Kilometer. Ende der 50er Jahre werden die ersten portablen Mobiltelefone
verkauft.
1970
Die PTT planen ein Nationales Autotelefonnetz (Natel). Die Kosten
werden auf fünf Millionen Franken veranschlagt. Das Projekt
wird auf 10 000 Teilnehmer konzipiert.
1975
sind noch 62 unabhängige Netze mit 1300 Teilnehmern in Betrieb.
Die Gebühren betragen 371.25 Franken im Monat.
1978
Im April wird im Grossraum Zürich das erste von fünf
Teilnetzen des Natels A mit der Vorwahl 050 in Betrieb genommen.
1979
Es folgen die Teilnetze für die Waadt, Genf und das Wallis
sowie für Bern, Basel und den Jura. Ein Jahr später
werden die Ostschweiz und das Tessin versorgt. Die Geräte
finden in einem Alukoffer Platz und wiegen über 15 Kilo.
Die Kosten für das Urhandy liegen zwischen 8000 und 12 000
Franken. Die Monatsgebühren liegen bei 130 Franken, die Gesprächstaxen
betragen 10 Rappen für eine Einheit von 12,6 Sekunden. Die
Gesprächsdauer ist auf drei Minuten beschränkt.
1982
Natel B wird in Betrieb genommen. Es basiert auf der gleichen
Technik wie das A-Netz und wird ebenfalls in fünf Teilnetzen
eingeführt. Damit wird die Kapazität um 8000 Anschlüsse
erweitert. Die Nachfrage konnte damit allerdings nicht gestillt
werden. Als technisch überholt wurden Natel A und B 1995
vom Netz genommen.
1987
In der Region Zürich wird das Natel-C-Netz aufgeschaltet.
Das in Skandinavien erfolgreiche zellulare System im 900-Megahertz-Bereich
ermöglicht die massenhafte Verbreitung der mobilen Telefonie.
Die Geräte sind zwischen 500 und 800 Gramm leicht. Die Preise
sind anfangs noch stabil (5000 Franken), fallen zu Beginn der
Neunzigerjahre aber dramatisch. Die Zahl der Abonnenten steigt
rasch: 5500 (1987), 30 800 (1988), 125 000 (1990), 200 000 (1992).
Die PTT schätzen die Zahl der Mobiltelefon-Benutzer im Jahr
2000 auf 235 000.
1992
In Deutschland setzt Mannesmann erstmals kommerziell den GSM-Standard
(Groupe Special Mobile) ein, der die globale Nutzung der Mobiltelefonie
erlaubt. Da die Sprachinformation vor der Übertragung digitalisiert
wird, verbessert sich auch die Sprechqualität.
1993
Die PTT setzen auf den GSM-Standard und lancieren im März
Natel D.
1995
Im September können die ersten SMS (Short Message Service)
versendet werden.
1996
Am 7. Mai begrüssen die PTT den 500 000. Natel-Abonnenten.
1998
Der Telekommunikations-Markt wird liberalisiert. Als erster privater
Anbieter drängt Diax (heute Sunrise) auf den Markt. Die Handy-Preise
purzeln weiter, teilweise werden sie gratis angeboten. Die Swisscom
zählt 1,6 Millionen Handy-Kunden. Monatlich kommen 40 000
Abonnenten dazu.
1999
Mit Orange nimmt im Juni das dritte Telekommunikations-Unternehmen
seine Tätigkeit in der Schweiz auf.
2000
60 von 100 Schweizern besitzen ein Handy. WAP (Wireless Application
Protocol) soll das Handy internettauglich machen. Doch die Technologie
ist zu kompliziert und erweist sich als Flop. In Europa werden
UMTS-Lizenzen (Universal Mobile Telecommunications System) zu
teilweise horrenden Milliardenbeträgen versteigert. In der
Schweiz kommen die vier Lizenznehmer Swisscom, Orange, Sunrise
und die Telefonica-Tochter 3G Mobile mit je 50 Millionen Franken
glimpflich davon. Das Natel-C-Netz wird Ende Jahr stillgelegt.
2001
Mit der GPRS-Standard (General Packed Radio Service) können
Handy-Daten schneller und günstiger ausgetauscht werden.
2002
Der Handy-Markt hat eine Marktsättigung erreicht. Die Branche
befindet sich in einer vitalen Krise und sucht nach neuen Killerapplikationen.
MMS (Mulitmedia Messaging System), eine Art Foto-SMS, wird lanciert.
Drei Leute, die beruflich wie privat das Handy oft benutzen, verzichteten für FACTS einen ganzen Tag lang darauf - eine qualvolle Zeit.
Anita Fetz, 45, SP-Nationalrätin und Unternehmerin,
Basel
«Ein Tag ohne James Bond. An diesen ungeheuerlichen Gedanken musste ich mich erst gewöhnen. Zwischen dreissig- und fünfzigmal klingelt auf meinem Handy die James-Bond-Melodie an einem normalen Tag. Das Natel ist mein wichtigstes Kommunikationsmittel. Privates, Berufliches und Politisches wickle ich im Wesentlichen über das mobile Telefon ab. Die handylose Zeit hat mir gezeigt, dass ich ohne Natel zwar nicht verloren, aber mit Sicherheit behindert bin. Das Schlimmste war, dass ich keinen Zugriff auf meine Telefonnummern im Handy-Verzeichnis hatte. Schmerzlich vermisst habe ich auch die SMS. Ich liebe es, meinen Bekannten Meldungen mit Anmerkungen zu bestimmten Ereignissen zu schicken. Beim Verfassen bin ich fast so flink wie die Kids. Ausser-dem machen ein paar SMS an meine Freunde langweilige Sitzungen um vieles erträglicher.»
Benjamin Styger, 24, Journalist, Zürich
«Die 24 handylosen Stunden waren eine Qual. Ein Zettel, den ich mir am Vorabend auf das Handy gelegt hatte, erinnerte mich morgens an das Tagesmotto: Heute kein Handy!
Etwas später sass ich nervös im Auto: Was tue ich bloss,
wenn ich eine Panne habe? Wie war das eigentlich früher?
Gab es überhaupt ein Leben vor dem Handy?
Dann kams knüppeldick: Unvorhergesehene Änderung im
Tagesprogramm. Ich musste dringend telefonieren. Doch womit? «Weiss
jemand, ob es hier eine Telefonzelle gibt?», fragte ich
Passanten und kam mir ziemlich bescheuert vor. Niemand konnte
helfen, dafür wurden mir etwa zehn Handys angeboten.
Endlich fündig geworden, stellte ich erstaunt fest, das der
Kasten kein Kleingeld akzeptiert. Doch wo zum Geier bekommt man
eine Taxcard her? Nachdem ich auch dieses Problem gelöst
hatte, kündigte sich die nächste Misere an. Wie lautet
Martins Nummer? Steht alles im Handy-Verzeichnis. Erste Gedanken
zum Übungsabbruch machten sich breit.
Abends, wieder zu Hause, stehe ich vor meinem Handy. Vermutlich
ist der Speicher randvoll mit spannenden Meldungen. Soll ich
Der Abend verlief ungewohnt ruhig. Über das Festnetz ruft
heute ja niemand mehr an. Wahrscheinlich galt ich als verschollen.»
Michael Schmidlin, 25, Metallbauschlosser, Nunningen SO
«Wenn ich nicht Single wäre, hätte ich beim handylosen Tag nicht mitgemacht. Wenn geschäftlich nichts läuft, ist das ja in Ordnung. Aber für meine Kollegen bin ich ohne Handy weg vom Fenster. Schon wenige Stunden nach Beginn des handylosen Tags hing ein Zettel eines Freundes an meinem Auto. Er meinte, mein Handy würde nicht funktionieren, und er mache sich grosse Sorgen. Ohne Phone würde ich vereinsamen. Ich wohne auf dem Land, und damit man in unserem Dorf unabhängig sein kann, braucht es zwei Dinge: ein Handy und ein Auto. In meiner Wohnung habe ich noch nicht mal einen Festnetzanschluss. Macht aber nichts, ich bin meistens unterwegs.
Zehn Meldungen hatte ich nach dem Test auf meiner Combox. Alle
Anrufer waren erstaunt, dass ich nicht zu erreichen war, denn
normalerweise habe ich mein Telefon während 24 Stunden eingeschaltet.
Am Schluss war ich richtig gierig auf mein Handy. Endlich gehörte
ich wieder dazu.»