Klonen
Interview: Odette Frey
FACTS: Die ersten Klon-Babys seien geboren, behauptet
eine Sekte, und der römische Arzt Antinori hat ebenfalls
eine Klon-Geburt angekündet. Glauben Sie das?
Robert Edwards: Warum nicht? Ich bin sehr erstaunt, dass
so viele von vornherein sagen, das könne nicht sein. Sag
niemals nie in der Wissenschaft. Klar, es müssen natürlich
Beweise vorgelegt werden, dass es sich bei den Kindern wirklich
um Klone handelt.
FACTS: Die ganze Heimlichtuerei macht Sie nicht misstrauisch?
Edwards: Hätte ich das erste Klon-Kind hergestellt,
würde ich es auch zuerst verstecken. Damals, als wir den
Durchbruch schafften und Louise Brown, das erste Retortenkind,
geboren wurde, belagerten 2000 Journalisten das Krankenhaus. Einer
versuchte sogar, uns mit einer Bombenwarnung aus dem Krankenhaus
zu jagen. Ein solcher Stress kann für Mutter und Kind sehr
schädlich sein.
FACTS: Was wäre der erste Klon für Sie: ein
Tabubruch oder ein medizinischer Durchbruch?
Edwards: Sicher kein Tabubruch. Solange ein Klon-Baby gesund
ist und es von seinen Eltern geliebt wird, hätte ich keine
Probleme damit.
FACTS: Gerade das bezweifeln die meisten Experten. Tierversuche
zeigen, dass viele Klone gesundheitliche Schäden haben. Jetzt
zu versuchen, Menschen zu klonen, laufe auf ein unethisches Menschenexperiment
hinaus.
Edwards: Die genau gleichen Ängste wurden damals bei
den Anfängen der Reagenzglas-Befruchtung geäussert.
Doch es ist gar nicht so unmöglich, dass das Klonen wirklich
geklappt hat und ein gesundes Kind geboren wurde. Einer französischen
Forschungsgruppe gelang es kürzlich, absolut gesunde Klone
von Kaninchen herzustellen. Der Trick war, dass sie den Klon-Embryonen
genügend Zeit liessen, allfällige durchs Klonen entstandene
Schäden selbst zu reparieren, bevor sie sie in die Gebärmutter
einsetzten.
FACTS: Auf Grund eines Experiments mit einer Hand voll
Kaninchen soll man also Menschen klonen?
Edwards: Nein. Die Beweislage ist natürlich noch dürftig.
Doch die Wissenschaft schreitet schnell voran. Bis jetzt zeigen
zwar die meisten Tierversuche, dass Klonen ein risikoreicher Prozess
ist. Doch man muss sehr vorsichtig sein bei der Interpretation
von solchen Versuchen. Dazu ein Beispiel aus eigener Erfahrung.
In einer unserer ersten Studien wurde ein Kaninchen mit missgebildetem
Kopf geboren. Wir fürchteten, dass es mit der Reagenzglas-Behandlung
zu tun hatte. Doch das war nicht der Fall. Die Kaninchen-Linie,
die wir verwendeten, hatte einfach ein genetisches Problem. Mit
der Retortenbefruchtung hatte es rein gar nichts zu tun. Beim
Klonen muss man herausfinden, ob das Klonen an sich die Schäden
verursacht oder ob es die speziellen Methoden sind, die heute
verwendet werden.
FACTS: Wird es klappen?
Edwards: Wahnsinnig optimistisch bin ich zwar nicht, aber
ich lasse mich überraschen. Bisher war es meist so, dass
die, die vor den Risiken einer neuen Technik in der Fortpflanzungsmedizin
gewarnt hatten, sich täuschten. Zum Beispiel bei der Präimplantationsdiagnostik
(PID). Da dachten viele, es würden alle möglichen furchtbaren
Schäden auftreten, wenn man dem Embryo vor dem Einpflanzen
in die Gebärmutter eine Zelle für die Gen-Analyse entnimmt.
Die Sorge war unbegründet, und heute wollen immer mehr Eltern
PID, weil sie realisieren, dass sie durch die Auslese der Embryonen
ihre Familie von schädlichen Genen befreien können.
Dasselbe gilt für die ICSI-Technik, bei der ein einzelnes
Spermium in eine Eizelle gespritzt wird und die so unfruchtbaren
Männern zu Kindern verhilft. Da gab es kein Tierexperiment,
man versuchte es direkt beim Menschen, und es ging gut.
FACTS: Die ganze Diskussion um die Risiken muss Ihnen
sehr bekannt vorkommen. Sie wurden auch kritisiert, dass Sie die
In-vitro-Befruchtung (IVF) nach Mäusen und Kaninchen direkt
am Menschen probierten. Warum haben Sie eigentlich keine Versuche
mit Affen gemacht?
Edwards: Die einzigen Affen, die man kriegen kann, sind
Rhesusaffen. Aber die sind für IVF-Forschung total nutzlos.
Die Implantation der Embryonen in die Gebärmutter spielt
sich bei ihnen viel später ab als beim Menschen. Die Resultate
von Rhesusaffen wären deshalb auf den Menschen nicht übertragbar.
FACTS: Könnte man die Fruchtbarkeits-Forschung
und auch die Klon-Forschung nicht mit Schimpansen machen, bevor
man es am Menschen ausprobiert?
Edwards: Oh, ich würde sehr gerne mit Schimpansen
Experimente machen, und viele meiner Kollegen sicherlich auch.
Aber an die kommt man ja nicht ran, für Tierschützer
sind Menschenaffen wichtiger als Menschen.
FACTS: Hatten Sie nie Angst, dass etwas schief geht
und missgebildete Retortenbabys geboren werden?
Edwards: Nein, überhaupt nicht. Wenn wir Frauen über
35 Jahren behandelt haben, mussten sie jeweils einer Pränataldiagnose
zustimmen. Das Risiko für Chromosomenschäden in diesem
Alter ist sehr gross, und die Kritiker hätten jede Fehlbildung
sicherlich auf die Retortenzeugung abgeschoben, auch wenn in Wirklichkeit
das Alter der Mutter der Grund gewesen wäre. Wir haben übrigens
kaum Missbildungen gefunden bei den etwa 500 Schwangerschaften,
die wir in den Achtzigerjahren untersucht hatten. Viele Kollegen
waren darüber sehr erstaunt.
FACTS: Kritiker werfen den Fortpflanzungsärzten
vor, bis jetzt vor allem Glück gehabt zu haben. Nützen
risikobereite Mediziner hier nicht leichtfertig die Verzweiflung
von Paaren aus, die um alles in der Welt ein Kind wollen?
Edwards: Die Fortpflanzungsmedizin ist ein Feld mit grosser
Dringlichkeit. Unsere Patientinnen, die sich der Menopause nähern,
wollen behandelt werden, bevor es zu spät ist. Da geht es
uns nicht anders als dem Chirurgen, der einen Bauch öffnet.
Oft weiss er nicht, was er finden wird. Manchmal muss er dann
sehr rasch Entscheidungen treffen, auch ethisch schwierige Entscheidungen,
zum Beispiel, ob er eine experimentelle Behandlung anwenden soll
oder nicht. Solche Dinge sind aber viel weniger reglementiert
als die Fortpflanzungsmedizin. Kein anderes Gebiet in der Medizin
wird von Regierungen und Ethikkomitees derart überkontrolliert
wie die Fortpflanzungsmedizin.
FACTS: Immerhin geht es um die menschliche Fortpflanzung,
wo die Angst vor Missbrauch gross ist.
Edwards: Ja, und jetzt wollen alle das Klonen verbieten,
weil angeblich die Menschenwürde dabei verloren geht. Der
Papst, Jacques Chirac, die Uno, alle sagen, Klonen sei das Furchtbarste
überhaupt. Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Ich
verstehe unter verlorener Menschenwürde ein verzweifeltes
Paar, das keine Kinder bekommen kann. Als Mediziner muss man alles
tun, um solchen Menschen zu helfen.
FACTS: Klonen läuft der Menschenwürde zuwider,
weil nicht der Zufall, sondern ein Mensch die Gene und damit den
Körper, aber auch einen guten Teil der Persönlichkeit
festgelegt hat.
Edwards: Für mich ist das wichtigste ethische Argument,
dass der Embryo verzweckt wird. Der Embryo wird nicht um seiner
selbst willen hergestellt, sondern wegen der Eltern. Aber dieses
Problem stellt sich nicht nur beim Klonen, sondern auch bei der
Pränataldiagnostik. Indem wir beispielsweise Kinder mit Downsyndrom
abtreiben oder solche Embryonen erst gar nicht einpflanzen, handeln
wir nicht im Interesse des Kindes, sondern im Interesse der Eltern.
Ein Kind, das mit dem Downsyndrom geboren wird, kann durchaus
ein sehr gutes Leben haben. Aber es braucht viel Pflege, und nur
sehr wenige Eltern sind bereit, das zu leisten.
FACTS: Muss man den Interessen der Eltern nicht auch
Grenzen setzen? Klonen würde einem Paar zwar vielleicht zum
ersehnten Kind verhelfen, aber der Klon wäre zum Leben als
Kopie verdammt.
Edwards: Psychologisch könnte das Leben für einen
Klon möglicherweise wirklich nicht ganz einfach sein. Er
ist nicht nur ein beinahe identischer Zwilling von dem Elternteil,
der sein Erbgut gespendet hat, sondern er muss sich auch damit
abfinden, dass seine Grosseltern im Prinzip seine eigentlichen
biologischen Eltern sind. Sein Erbgut ist eine Mischung aus dem
Erbgut seiner Grosseltern, genauso wie das Erbgut des Elternteils,
aus dem er geklont wurde. Das ist natürlich sehr bizarr,
um es gelinde auszudrücken, spricht aber nicht gegen das
Klonen.
FACTS: Manche Leute fürchten, dass mit dem Klon
die «brave new world» von Aldous Huxley begonnen hat.
Vom Klon zum genetisch verbesserten Menschen sei es nicht mehr
weit.
Edwards: Klonen hat damit eigentlich nichts zu tun. Im
Prinzip ist Klonen nichts Neues, denn es geht nur um Selektion,
und das machen wir mit der Pränataldiagnostik auch schon.
Beim Klonen wählt man das Erbgut aus, das man klonen möchte,
also zum Beispiel das des Vaters oder das der Mutter. Die neue
Genetik, die kommen wird, wird die Gene der Menschen aber nicht
nur auswählen, sondern auch verändern. Das hat schon
begonnen mit der Gentherapie, wie sie heute experimentell angewendet
wird bei Kindern, die mit der schweren Immunkrankheit SCID geboren
werden.
FACTS: Gene verändern, um Krankheiten zu heilen,
ist das eine. Was ist, wenn Eltern eines Tages per Gentechnik
schönere, intelligentere Kinder wollen?
Edwards: Solche Eigenschaften zu verändern, übersteigt
die heutigen Möglichkeiten der Gentherapie. Doch in 20 Jahren
sind wir vielleicht weiter. Einige mögliche Anwendungen,
beispielsweise ein Fussballteam zu klonen, scheinen heute frivol
und nicht zu rechtfertigen. Doch Einstellungen können sich
mit der Zeit ändern.
Der Interviewpartner
Robert Edwards, 77, ist der geistige Vater der Retortenbefruchtung. Zusammen mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe gelang Edwards die erste menschliche Zeugung im Reagenzglas. Das Baby Louise Brown erblickte am 25. Juli 1978 in einem kleinen Bezirkskrankenhaus in Nordengland das Licht der Welt. Das «Wunderbaby» sorgte weltweit für Schlagzeilen, rief jedoch auch Kritiker auf den Plan, die die Zeugung ausserhalb des Mutterleibs als unnatürlich betrachteten. 2001 wurde Edwards mit einem der wichtigsten Medizinpreise, dem Lasker-Preis, ausgezeichnet.
Bis anhin hat die Rael-Sekte keine Beweise für die angeblichen
Klon-Babys vorgelegt. Die angekündigten DNS-Tests sind abgeblasen
worden. Eve, das erste Klon-Kind, sei am 26. Dezember auf die
Welt gekommen, behauptet die Sekten-Wissenschaftlerin Brigitte
Boisellier. Die meisten Forscher sind aber sehr skeptisch, denn
bei Tieren verlief das Klonen mehr schlecht als recht: Dutzende
oder noch mehr Versuche sind nötig, um einen Klon herzustellen.
Neben der Rael-Sekte behaupten zwei weitere Parteien, sich im
Klonen zu versuchen: der US-Mediziner Panos Zavos und der römische
Arzt Severino Antinori. Das erste Klon-Baby hat Antinori auf Januar
angekündigt, zwei weitere würden in Kürze folgen.
Ob Antinori Beweise liefern wird, ist noch unklar. Sollte das
Klonen gelingen und nicht weltweit verboten werden, würde
es wohl auch angeboten: Drei Viertel der in der Organisation A-part
zusammengeschlossenen privaten Fortpflanzungskliniken sagten in
einer Umfrage, sie würden auf diese Art unfruchtbaren Paaren
helfen wollen.
Fruchtbare Bemühungen
Schon im 19. Jahrhundert wurde eine Frau erstmals künstlich befruchtet. Bis die Forscher das erste Retortenbaby zeugten, vergingen nochmal fast 100 Jahre.
1677
Der niederländische Naturforscher Antoni van Leeuwenhoek
macht Spermien unter dem Mikroskop sichtbar.
1820
Der Biologe Karl Ernst Baer entdeckt die Bedeutung des Eisprungs
für die Fortpflanzung der Säugetiere.
1884
Der Arzt William Pancoast befruchtet eine Frau mit Sperma eines
anonymen Spenders.
1944
US-Forscher befruchten vier menschliche Eizellen im Labor.
1949
Das Tiefgefrieren und Auftauen von Spermien macht grosse Fortschritte.
1971
Robert Edwards und Patrick Steptoe verpflanzen eine befruchtete
Eizelle in die Gebärmutter einer Frau. Der Versuch, ein Retortenbaby
herzustellen, bleibt ohne Erfolg.
1978
Das erste Retortenbaby, Louise Brown, wird geboren.
1992
In Brüssel wird zum ersten Mal ein Kind nach ICSI (Intra-zytoplasmatische
Spermien-Injektion) geboren. ICSI verhilft Männern mit schlechter
Samenqualität zu eigenem Nachwuchs. Vermutlich bewirkt ICSI
ein leicht erhöhtes Risiko für Missbildungen.
1994
Die schon 63-jährige Rosanna Della Corte, Patientin des italienischen
Arzts Severino Antinori, gebärt ein Kind.
2002
Die Rael-Sekte behauptet, das erste Klon-Kind sei geboren. Beweise
fehlen.
Von Odette Frey
Severino Antinori ist empört. «Alles falsch»,
schimpft der römische Mediziner über die Behauptung
der Rael-Sekte, die ersten Klon-Babys seien geboren. Seinen eigenen
ersten Klonling hat er auf Januar angekündet. Der Aufruhr
um die Sekte sei, poltert er in die Mikrofone, «deprimierend
für Leute, die ernsthafte Forschung in Sachen therapeutisches
Klonen betreiben».
Mit dieser Bemerkung sorgt Antinori gleich selbst für ordentliche Depressionen nämlich bei den Forschern, die mit Stammzellen arbeiten. Die Alleskönnerzellen, die eines Tages Parkinson, Herzinfarkt und weitere Krankheiten heilen sollen, werden teilweise aus geklonten Embryonen hergestellt. Der Prozess nennt sich therapeutisches Klonen und hat mit dem Kopieren von Menschen, dem reproduktiven Klonen, gemeinsam, dass aus einer Körperzelle eines Erwachsenen ein Embryo hergestellt wird.
Doch das Schicksal des Embryos bei den beiden Klon-Arten ist völlig verschieden: Für die Stammzellforscher ist der Embryo nur Mittel zum Zweck, er wird zerstört, um an die begehrten Stammzellen zu gelangen. Antinori und die unbekannten Forscher, die im Namen der Rael-Sekte angeblich Menschen klonen, setzen den Klon-Embryo jedoch in die Gebärmutter einer Frau ein. Das Resultat ist neun Monate später ein Baby, das das gleiche Erbgut trägt wie der Erwachsene, der zuvor die Körperzelle gespendet hatte.
Antinori hat sich den Begriff «therapeutisches Klonen» kurzerhand von den Stammzellforschern ausgeliehen. Den linguistischen Piratenakt begründet er damit, dass seine Art des Klonens «Millionen von unfruchtbaren Männern auf der Welt helfen wird, Vater zu werden». Sein Klonen sei also Therapie für die Unfruchtbarkeit.
Schon ohne Antinoris Trick würden einige Stammzellforscher den Begriff Klonen am liebsten aus ihrem Wortschatz tilgen. Sie fürchten, die negativen Schlagzeilen über das Menschen-Klonen könnten sie in Verruf bringen. Die Universität im kalifornischen Stanford, die in Kürze ein neues Stammzell-Forschungsinstitut eröffnen will, spricht denn auch konsequent von «Kern-Transfer-Studien». Andere Neuschöpfungen, die den Begriff «therapeutisches Klonen» ins Jenseits befördern sollen, sind «Kerntransplantation» und «regenerative DNS-Therapie».
Andere sehen in den Wortkreationen einen gefährlichen Trend. «Man muss aufpassen, dass es nicht aussieht, als wolle man etwas vertuschen», sagt Karl-Heinz Krause von der Uni Genf, dessen Team als erstes in der Schweiz mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeitet. Doch auch Krause fürchtet am Ende um seine eigene Arbeit: «Ein präziserer Begriff als Klonen wäre sinnvoll. Sonst könnte das Menschen-Klonen tatsächlich einen Backlash gegen die Stammzellforschung bewirken.»
In der Schweiz ist das Klonen verboten seis um Stammzellen oder um Menschen herzustellen. Auch das neue Embryonenschutzgesetz soll daran nichts ändern. Das Kopieren von Menschen will niemand zulassen, doch Wissenschaftler wie Krause würden es begrüssen, wenn das neue Gesetz das Klonen zur Stammzellproduktion weniger strikt regeln würde: «Man sollte es nicht völlig verbieten. Gut wäre ein Moratorium, so dass wir in zwei, drei Jahren die Lage neu beurteilen können», sagt er.
Sind die Klon-Meldungen der letzten Tage wahr, werden sich dann eine Hand voll Klon-Kinder auf der Erde tummeln. Und ist auch nur eines von ihnen behindert, braucht es wohl mehr als einen neuen Begriff, um den Ruf der Methode zu retten.