Schweiz im zeiten Weltkrieg

Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Ein Oral-History-Projekt von vier Abschlussklassen des Maturjahrganges 1997

 

«Offiziere legten grosen Wert auf Kragenknöpfe oder auf das richtige Grüssen. Meiner Meinung nach hätten wir keine Chance gehabt...»

Zeitzeuge: Johann Lehmann, Jahrgang 1920 - verantwortlicher Bearbeiter: Pascal Kaufmann, Klasse 7a-

Stichworte zum Inhalt:

* selbstverständliche, unentgeltliche Mitarbeit in der Landwirtschaft

* "Achtung, Feind hört mit!"
* seriöse Information durch J. R. Von Salis
* desillusionierendes Bild der Schweizer Armee

Im Zuge der momentan laufenden internationalen Diskussion um die Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg soll nun die 'Aktivdienstgeneration' zu Worte kommen. Johann Lehmann, heute 77 Jahre alte, war Berufssoldat während des Zweiten Weltkrieges. Er erklärte sich zu diesem Interview bereit, welches Aspekte erhellen und weitere Denkanstösse liefern soll.

 

Herr Lehmann, als was für eine Zeit ist Ihnen persönlich die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Erinnerung geblieben?

Lehmann: Sicherlich als eine sehr harte. Bedenken Sie, dass zu Beginn des Krieges etwa 400'000 Soldaten von insgesamt 4 Millionen Einwohnern Militärdienst leisten mussten - fast nur Männer. In den meisten Haushalten fehlte also der Mann. Mit 18 Jahren musste ich damals unentgeltlich den Frauen und Daheimgebliebenen auf dem Bauernhofe mithelfen und dies unter Bedingungen, welche aus heutiger Sicht unzumutbar und für mich heute fast unbegreiflich sind. Ebenso lernte ich damals das Handwerk des Konditors, wobei Zucker nur noch auf dem Schwarzmarkt zu übertriebenen Preisen zu bekommen war. Also musste man auf Ersatzstoffe und seinen Einfallsreichtum zurückgreifen. Die Schweiz war ja regelrecht abgekapselt, so dass der Import äusserst mühsam war.

Litt die Bevölkerung zeitweise an Unterernhrung?

Lehmann: Nicht im Sinne des Wortes. Doch war die Armee die Bevölkerungsgruppe, welche am besten mit Lebensmitteln versorgt war. Da zu jener Zeit die Armee durch Feldküchen versorgt wurde, bezogen vor allem ärmere Leute ihre Nahrung von den Resten der Feldküchen.

Welches war für Sie das prägendste Erlebnis während den Kriegsjahren?

Lehmann: Nun, da gäbe es wohl vieles zu erzählen: Von den Schwierigkeiten in meinem Konditorberuf zu jener Zeit oder von den Erlebnissen als Berufssoldat in Dübendorf. Zum Beispiel vibrierten infolge der Druckwellen von Bombenangriffen in Deutschland jeweils die grossen Hangartore auf unserem Militärflugplatz, was etwas Unheimliches an sich hatte. Oder ich denke an die Offiziere, deren grösste Sorge die Sauberkeit ihrer Uniformen war...

Erzählen Sie von Ihrer Zeit als Berufssoldat.

Lehmann: Als ich vernahm, dass das Militär noch Dienststellen offen hatte, bewarb ich mich um einen Posten, um als Berufssoldat Geld1 zu verdienen. Anfänglich arbeitete ich in Hergiswil, dem damaligen Sitz der DMP2, schon bald darauf wurde ich dann aber nach Dübendorf versetzt. Ich kam zu einer 20-köpfigen Spezialtruppe, deren Aufgabe es war, sich um die Besatzungen notlandender Flugzeuge rund um Dübendorf zu kümmern, diesen notfalls erste Hilfe zu leisten oder sie einfach zu registrieren. Wochenlang waren wir stets in voller Ausrüstung und warteten, immer mit derselben Uniform für Sommer und Winter, während deutsche Soldaten bekannterweise wesentlich moderner ausgerüstet waren. Ich erinnere mich, wie an einem Samstag ein amerikanisches Transportflugzeug in der Nähe des Flugplatzes in den Dietliker Wald abgestürzt war. Offenbar transportierte dieses Flugzeug Zucker und andere Nahrungsmittel, welche in Säcke verpackt waren. Als wir dann am Absturzort ankamen - wir waren ja für solche Fälle ausgebildet worden - sahen wir, wie einige mit den Fingern den Zucker der veplatzten Säcke zusammenkratzten, während die Besatzung blutüberströmt daneben lag. Dieses Bild konnte ich nicht mehr vergessen.

Wie empfanden Sie die deutsche Bedrohung?

Lehmann: Eine Bedrohung war ja nur indirekt zu spüren. Es war vor allem die Ungewissheit, die Angst machte. Man konnte keinen Tag davor sicher sein, durch einen Angriff Hitlers in den Krieg hineingezogen zu werden. Es war allgemein sehr schwierig, an Informationen zu kommen. Ausserdem hingen überall die Plakate 'Achtung, Feind hört mit !'. Zu jener Zeit wurden auch durch verschiedenste Leute, die ich zum Teil persönlich kannte, selbst Fichen angelegt. Es kam soweit, dass man komplett verunsichert war. Praktisch musste man sich vor jedem in acht nehmen, niemand wusste, ob er bewacht wurde oder nicht. So kam es, dass über gewisse Dinge gar nicht mehr gesprochen wurde, über die man eigentlich hätte sprechen sollen. Probleme aber bereitete auch die Lebensmittelknappheit. Eigentlich war die Angst stets vorhanden, dass sich die Nahrungsmittel noch mehr verknappen könnten. Dies machte sich im Plan Wahlen3 ja bemerkbar, als fast jede verfügbare Fläche Boden f¸r die Nahrungsmittelproduktion bebaut wurde. Dazu kommt noch, dass der Krieg in unmittelbarer Nähe war, dass Kampfhandlungen und Kanonendonner zu vernehmen, ja sogar die Druckwellen von Detonationen zu spüren waren. Dies alles machte die Angst nicht primär vor Deutschland, sondern allgemein die Angst vor dem Kriege nur noch grösser.

Wie gut glauben Sie von den Medien informiert gewesen zu sein?

Lehmann: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Es war am 29. April 1944, als das einzige deutsche Flugzeug in D¸bendorf landete. Es handelte sich um einen Prototypen, das damals modernste Flugzeug des Krieges, eine Me 1104. Dieses wurde wie alle in die Schweiz einfliegenden Flugzeuge vom FBMD5 gemeldet. Ich sah, wie von weitem gerade eine Schweizer Fliegerstaffel zur Landung ansetzen wollte. Ich stand auf dem Dache des Hangars, das deutsche Flugzeug näherte sich etwa doppelt so schnell von hinten dieser Staffel, musste ausweichen und landete schliesslich irrtümlich in Dübendorf. Nach der Landung rollte der Pilot des deutschen Flugzeuges zum Startpavillon, ffnete das Cockpit und streckte die Hnde zum Hitlergruss und schrie ëHeil Hitler !í. Diese Maschine wurde von den Schweizer Behörden sofort beschlagnahmt, während die Deutschen sie verständlicherweise zurückforderten. In den Nachrichten am Nachmittag hiess es dann aber, dass die Schweizer Luftwaffe ein deutsches Flugzeug zur Landung gezwungen habe - was natürlich nicht stimmte. Wie schon gesagt, erfuhr man durch Gerüchte eher wenig. Man darf nicht vergessen, dass es zu jener Zeit noch kein Fernsehen gab. Das Schweizer Volk wurde eigentlich nur durch die Radioberichte des 'Von Salis'6 informiert. Dieser, ein anerkannter Historiker und damals für jedermann ein Begriff, informierte mit seinen Radioberichten sehr gut. Über die Politik eines Pilet-Golaz oder auch Weltpolitisches erfuhr man am Radio. Aber sonst war es beinahe unmöglich, irgendwelche Informationen zu bekommen.

Wurden nebst 'Radio Schweiz' auch deutsche Sender empfangen?

Lehmann: Deutsche Sender wurden hufig gehrt. Ich erinnere mich gut an die deutsche Musik oder auch an die Reden Hitlers.

Beeinflussten deutsche Sender die Schweizer Bevölkerung?

Lehmann: Dies ist schwer zu definieren. Auf der einen Seite war da die Bewunderung oder einfach das Staunen, was Hitler, was die Deutschen alles fertigbrachten. Beeindruckend waren die Erfolge, welche das deutsche Militär weltweit hatte. Man fand es geradezu unglaublich, war wie gebannt von den Erfolgen der deutschen Wehrmacht. Dazu kam auch ein wenig Neid auf ¸ber die wesentlich modernere Ausrüstung der deutschen Armee. Das Schweizer Militär war ja veraltet, und modernes Kriegsgerät wurde ausschliesslich aus Deutschland importiert. Aber andererseits sickerten schon früh Meldungen über Vernichtungslager und über noch ganz anderes, was geschah, durch. Es war also nicht so, wie später vielfach behauptet wurde, dass man in der Schweiz nichts über Vernichtungslager wusste.

Was wussten Sie über die Taten des Naziregimes?

Lehmann: Es gab immer Leute in der Schweiz, die darüber Bescheid wussten. Teilweise ahnten wir, dass Fehler begangen wurden. Ebenso hatten wir manchmal Kontakt mit anderen Grenzsoldaten. Über Umwege erfuhr ich schon ziemlich früh über Deportationen von Juden, aber über das Ausmass dessen, was tatsächlich abgelaufen war, wurden wir uns erst nach Ende des Krieges bewusst. Ich selbst leistete vor meiner Zeit in Dübendorf Militärdienst an der Grenze zu Mumpf, in der Nähe von Basel. Sie können sich vorstellen, wie schwierig diese Zeit war. Dass die Abweisung an der Grenze zur Deportation oder zur Erschiessung führte, ahnten wir, aber was hätte ein Grenzsoldat tun sollen? Ihm blieb keine grosse Wahl. Er war vereidigt und musste seinen Befehl ausführen. Ausserdem herrschte das Kriegsrecht: Während des Krieges wurden in der Schweiz Todesstrafen vollstreckt. Ich erlebte dies und weiss, wie es ist.

Abschliessend möchte ich Sie fragen: Was war Ihrer Meinung nach der Grund, dass die Schweiz von Hitler nicht angegriffen wurde?

Lehmann: Dies ist sehr schwer zu sagen, denn heute weiss ich Dinge, die ich früher nicht wusste. Wir hatten alle Angst, dass Hitler die Schweiz angreifen könnte. Damals hoffte ich, dass ein Angriff auf die Schweiz für Hitler mit zu grossen Verlusten verbunden wäre. Sicherlich haben aber politisch-ökonomische Faktoren eine grösserer Rolle gespielt.

Die Armee war damals nicht ausschlaggebend?

Lehmann: Mit Taktschritten? Mit Kupferknöpfe Putzen oder mit Karabinern ? Nein, niemals. Die Ausrüstung war völlig veraltet. Auch die Festungen des sog. ëRÈduitsí waren allesamt mit alten Kanonen des 1. Weltkrieges ausgerüstet. Offiziere legten grossen Wert auf Kragenknöpfe oder auf das richtige Grüssen. Meiner Meinung nach hätten wir keine Chance gehabt. Wären wir total abgekapselt worden, hätten wir ausserdem grosse Probleme mit unserer Lebensmittelversorgung bekommen. Rückblickend muss ich sagen, dass ich während meiner Zeit als Berufssoldat sehr vieles erlebt habe, das meine Meinung über die angeblich glorreiche Armee negativ beeinflusste. Als Hitler im Begriffe war, die halbe Welt zu erobern, war der Hauptmann der Jagdflieger in Dübendorf ein Deutscher, welcher entsprechend auch kein Schweizerdeutsch sprach. Gegen Ende des Krieges, als die Alliierten bedeutende Erfolge verbuchten und das Nazireich zusammenzustürzen begann, wurde der Hauptmann versetzt und an dessen Stelle kamen ganz andere Leute. Je nach Lage passte sich die Haltung oder auch die Gesinnung dem sich abzeichnenden Verlaufe an. Manchmal wurde für, dann wieder gegen die Deutschen gearbeitet. Doch ist dies alles menschlich, denn wer handelt schon so, dass ihm daraus ein Nachteil erwchst, wenn er anders noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen könnte?

Auswertung

Zur Person Johann Lehmanns

Johann Lehmann wurde 1920 in Bern geboren, wo er nach der Sekundarschule seine Lehre als Konditor begann. 1940 schloss er die Rekrutenschule in Payerne ab. 1941 begann er seine Arbeit als Berufssoldat. Nachdem er bei der Dienststelle für Militärflugplätze gearbeitet hatte, kam er nach Mumpf bei Basel, wo er als Grenzsoldat diente. Von 1943 bis Kriegsende leistete er Dienst auf dem Militrflugplatz bei Dübendorf. Nach dem Krieg bewarb sich J. Lehmann bei der Meteorologischen Anstalt in Dübendorf, wo er sich schliesslich in der Klimatologie ausbilden liess. Er heiratete und wurde Vater von zwei Kindern. J. Lehmann zog nach Kloten, um dort in der SMA zu arbeiten. Mit 65 Jahren liess J. Lehmann sich pensionieren und lebt seitdem in Kloten.

Geschichtliche Erläuterungen

Die Erläuterungen beziehen sich auf die von J. Lehmann erwhnten Fakten (in derselben Reihenfolge).

* Die Mobilmachung erfolgte am 2. Sept. 1939, wobei die Stärke der Kampftruppen 430'000, die der Hilfstruppen 200'000 betrug. Am 6. Juli 1940 erfolgte die Teildemobilisierung auf 400'000 und 180'000 Mann. Dieser hohe Anteil der Bevölkerung wirkte sich empfindlich auf die bisherigen Arbeitsstrukturen, insbesondere in der Landwirtschaft, aus.
* J. Lehmann nennt keine Jahreszahl, doch war auf Zucker anfangs 1939 und Ende 1940 eine Bezugssperre verhngt worden. Ebenso auf Teigwaren, Reis u.a. Beispielsweise wurde am 17. Mai 1943 als Ersatzstoff für Mehl die Beimischung von Kartoffeln für Brote beschlossen.
* Obwohl die Schweiz um 1939 betreffend Lebensmittelversorgung nur zu 50% autark war, war die Nahrungsmittellage relativ konstant. Dies wurde durch Lebensmittelrationierung, Punktemarken und z.B. Importe aus Argentinien, Kanada und den USA erreicht. Ebenso wurden aus Deutschland grosse Mengen Düngers und Sämereien für die vermehrte Eigenproduktion importiert.
* Die neutrale Schweiz, insbesondere der Flugplatz Dübendorf, diente vor allem beschädigten amerikanischen und englischen Flugzeugen als Notlandeplatz. Bis Kriegsende waren ca. 160 Maschinen (grösstenteils B 17, B 19) gelandet, welche schließlich nach München zur Verschrottung überflogen wurden.
* Zur Verunsicherung trug z. B. die Radioansprache des Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940 bei, deren Aufnahme in der Bevölkerung polarisierend wirkte. Sollte die Politik der Schweiz nun Anpassung oder Widerstand sein? Es kam zur Gr¸ndung des Gotthardbundes (Widerstand) und zu jener der NBS, d.h. der Nationalen Bewegung Schweiz (Anpassung).
* Es ist zu vermerken, dass J. Lehmann Zeitungen unerwähnt lässt, was vielleicht auf deren geringe Bedeutung infolge der Zensur schliessen lässt.
* Zu den unerwarteten Erfolgen Hitlers zählte das Jahr 1940, als Norwegen, Dänemark und vor allem Frankreich fielen. Der Fall Frankreichs bestätigte die militärische Überlegenheit Deutschlands.
* Ab 1942 häuften sich vor allem Radioberichte ¸ber Deportationen und Hinrichtungen von Juden.
* Die Ausschaffungspflicht oblag den Grenzsoldaten für alle rechtswidrig in die Schweiz einreisenden Flüchtlinge. Davon ausgenommen waren Deserteure und politische Flüchtlinge, wobei ab 1942 durch Beschluss des EJPD auch 'Flüchtlinge aus Rassegründen' (Juden) nicht als politische Flüchtlinge betrachtet wurden.
* Die Diskussion über die Gründe, weshalb die Schweiz militärisch verschont geblieben sei, ist heute im Zuge der Diskussionen um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg (Raubgold, Judengelder) neu aufgeflammt. Wirtschaftliche und ökonomische Beziehungen der Schweiz sind neu Gegenstand von Untersuchungen.
* Kontrovers ist ebenso der Nutzen des sog. 'Réduits': Sollte die Aufgabe des Mittellandes hinsichtlich eines günstigeren Verteidigungswalles in den Alpen akzeptiert werden (Zeit gegen Land), oder aber sollten die strategisch-psychologischen Nachteile eines aufgegebenen Mittellandes stärker beurteilt werden?

 

 

Kommentar

Infolge der 1940 verhängten Zensur über die Zeitungen knnen diese uns nur unter Vorbehalten ein g¸ltiges Bild der damals herrschenden Stimmung vermitteln. Begreiflicherweise aber sind heute vor allem von der sog. 'Aktivdienst-Generation' mündliche Auskünfte zu erhalten, welche eine widerstandsbetonte Haltung stützen, während jene Haltung der Anpassung an das damals siegreich erscheinende Nazideutschland weniger geäussert wird. Zwar sind Rechenschaftsberichte des Generals heute allen verfügbar, doch sagen diese wenig über die Betrachtungsweise der Bevlkerung aus. Somit bleibt es an uns, eine Auswahl an Informationen und Berichten zu treffen, m¸ndliche Berichte zu werten, so dass die Rekonstruktion der Kriegsjahre bis zu einem gewissen Grade Ermessensfrage bleibt.

J. Lehmann, der während der Zeit des Krieges Berufssoldat war, um so seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, vermittelt uns einen Eindruck der Stimmung, wie sie in einigen Teilen der Armee herrschte. Sicherlich mochte angesichts der horrenden Erfolge der deutschen Wehrmacht die Hoffnung auf eine erfolgversprechende Verteidigung des eigenen Landes fortwährend geschwächt werden, so dass allfälligen Formalitäten (Grüssen, Kragenknöpfe) mit Unverständnis begegnet wurde. Obwohl ich während meines Interviews mit J. Lehmann diesen Eindruck erhielt, glaube ich, dass der Verteidigungswille der Armee gross gewesen ist, wenn auch die Möglichkeiten gering waren.

Eindrücklich war sodann die Schilderung der kriegswirtschaftlichen Massnahmen. Durch Plakate und andere propagandistische Mittel wurde vor allem die Zivilbevlkerung zu Mehrleistungen angespornt. Allgemein kam den Medien, insbesondere dem Radio, eine grosse Bedeutung zu. Wie das Beispiel des irrtümlich gelandeten deutschen Jägers zeigte, scheute sich die Presse nicht, Geschehnisse derart umzuformen, dass diese sich auf die Zivilbevölkerung positiv auswirkten. Nachweislich wurden in Deutschland gar Falschmeldungen verbreitet oder Dinge verschwiegen und beschönigt, so dass der Kampfeswille und die Moral der Bevölkerung bestärkt wurden, wofür Anstze auch in der Schweiz zu finden waren. Über den Deutschen Rundfunk konnte auch in der Schweiz Nazi-Propaganda empfangen werden, was deutschfreundliche Kreise in der Schweiz eher bestärken mochte.

Die Judenpolitik der Schweiz, deren Beurteilung insbesondere heute schwierig ist, wird von J. Lehmann ebenfalls erwähnt. Fest steht, dass die Schweiz unter dem wirtschaftlichen und politischen Drucke Deutschlands stand. J. Lehmann erzählte mir ausserdem die Anekdote, wonach er um 1930 in der Primarschule antisemitische Texte habe lesen müssen. Es habe der Spruch die Runde gemacht, 'dass, um einen Juden zu betrügen, sieben Christen notwendig seien'. So dürfte denn auch der damals nicht zu unterschätzende Antisemitismus in der Schweiz die Haltung einzelner Schweizer beeinflusst haben.

Letztendlich vertrat J. Lehmann eine eher opportunistische Betrachtungsweise der Schweizer Politik, welche aber doch die Haltung eines Teiles der Schweizer Bevölkerung widerspiegelt. Diese Art von Politik wird heute öfters kritisiert; dennoch war gerade dieses Verhalten möglicherweise überlebensnotwendig.

Anmerkungen

1. Gemäss Angaben Lehmanns sollen während der Rekrutenschule nach Abzügen lediglich 50 Rappen Sold pro Tag übrig geblieben sein.
2. DMP: Eigens eingerichtete 'Dienststelle für Militärflugplätze'.
3. 'Plan Wahlen': Initiative des F.T. Wahlen über die Ankurbelung der eigenen Landesversorgung durch intensivierten Anbau und Neugewinnung von Anbauland.
4. Die Me 110 war der erste Nachtjäger. Er war mit neuartiger Elektronik und einem Leitstrahlsystem ausgerüstet.
5. FBMD: Fernübermittlungs-Meldesystem. Spähposten übermittelten per Telephon gesichtete Flugzeuge.
6. Gemeint ist hier der Bündner Historiker J. Rudolf von Salis.

Literaturverzeichnis

Folgende Materialien wurden verwendet:

- Philipp Wanner: "Oberst Oscar Frey und der Schweizer Widerstandswille"

- Peter Maurer: "Anbauschlacht"

- Schulausgabe: "Das Werden der modernen Schweiz"

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