Warnung: Rauchen gefährdet die Gesundheitspolitik
Interview mit dem Suchtexperte Peter Schertenleib
"Es gibt viele Dinge, die nicht gesund sind"
Der Bundesrat will keine spürbar höheren Zigarettenpreise im Dienste der Gesundheit. Warum eigentlich nicht?
Von Jean-Martin Büttner, Bern
In Warschau diskutieren Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation derzeit über eine Utopie: ein Europa ohne Tabak. Genauso gut könnte sie über eine Welt ohne Auto oder eine Schweiz ohne Armee debattieren. Dabei ist das politische Ziel der WHO - es soll im nächsten Jahr mit einer Rahmenkonvention fixiert werden - durchaus konkret: Die Gesundheitsorganisation will verhindern, dass die Zahl vor allem junger Raucherinnen und Raucher in Europa weiter zunimmt. Auch beobachtet sie mit Sorge, wie die Tabakindustrie mit ihren enormen Mitteln gerade in osteuropäischen Ländern immer neue Konsumenten anfixt - vor allem Frauen, Junge und Arme.
Kleinste Schritte
Dafür sieht sich die WHO von jenen westeuropäischen Ländern ermutigt, die mit einer strengeren Politik die Zahl der Tabaktoten in den letzten Jahren reduzieren konnten, darunter vor allem die skandinavischen Länder. Dass die Schweiz im europäischen Vergleich eine sehr hohe Todesrate aufweist, kann nicht überraschen: Sie tut sich mit Einschränkungen des Tabakgeschäfts besonders schwer. Zu diesen Einschränkungen zählt die WHO neben Werbebeschränkungen und gezielten Rauchverboten an öffentlichen Orten explizit die Erhöhung der Tabaksteuer.
Warnung vor den Schmugglern
Diese wird morgen Mittwoch auch vom Bundesrat beraten. Dabei zeichnet sich ab, dass er routinemässig die Kompetenz für eine 50-prozentige Erhöhung der spezifischen Tabaksteuer beantragen wird, was ein Zigarettenpäckchen theoretisch von 4.90 auf 5.80 Franken verteuern würde. Zugleich besteht die Regierungsmehrheit aber darauf, diese Steuer - wenn überhaupt - nur in sehr kleinen Schritten zu erhöhen. So will es auch die Oberzolldirektion und mit ihr das Finanzdepartement, dessen Vorsteher Kaspar Villiger schliesslich einer Familie von Tabakunternehmen entstammt.
Vergeblich haben Ärzte, Konsumentenschützer und Gesundheitspolitiker beiderlei Geschlechts vor zwei Wochen verlangt, die Schweizer Zigarettenpreise möglichst rasch von heute 4.90 auf 5.60 Franken anzuheben und damit dem europäischen Niveau anzupassen. Sie berufen sich dabei auf verschiedene internationale Studien, wonach zehn Prozent höhere Zigarettenpreise langfristig vier Prozent weniger Raucherinnen und Raucher produzieren. Der anvisierte Preis, sagt Thomas Zeltner vom Bundesamt für Gesundheit, sei "für die Schweiz ideal"; seine Wirkung sei am grössten, wenn man ihn "möglichst rasch", konkret in zwei Schritten und Jahren an den EU-Richtpreis anpasse.
Das sieht die Oberzolldirektion entschieden anders: Sie hält schon die Massnahme für falsch. Eine stark erhöhte Tabaksteuer, glaubt Fritz Weber von der Sektion Tabak, könne vielleicht die Verkäufe beeinflussen, "aber nicht den Konsum". Folge: Die Kundschaft weiche auf billigere, schädlichere Marken aus, versorge sich mit Schmuggelgut oder besorge sich die Zigaretten im nahen Ausland; alleine in Grossbritannien mit seinen sehr hohen Tabakpreisen sei jede vierte Zigarette illegal importiert. Schliesslich verdiene die Schweiz jährlich 100 Millionen Franken an den Grenzgängern und Touristen, die ihren Tabak hier kauften; sollten die Preise über Gebühren steigen, gingen die Schweizer einfach über die Grenze.
Geld und Gesundheit
Von allen Argumenten irritiert das letzte die Gesundheitspolitiker am meisten. Die finanziellen Folgeschäden der Nikotinsucht seien derart gross, sagt Michael Jordi von der kantonalen Sanitätsdirektorenkonferenz, dass sich gerade aus finanziellen Motiven "jede Massnahme rechtfertigt, den Tabakkonsum zu verringern und den Einstieg zu verhindern." In diesem Zusammenhang ist BAG-Direktor Zeltner aufgefallen, wie sehr sich der Bundesrat darum bemühe, Finanzen und Gesundheit auseinander zu halten - als befürchte er einen Tabubruch, wenn er höhere Steuern mit gesundheitlichen Gründen rechtfertigte.
Von Jean-Martin Büttner, Bern
Ernste Mienen an der Pressekonferenz des Bundesrats, warnende Interviews in den Zeitungen und eine Hotline für Betroffene, ganzseitige Inserate vierfarbig und landesweit, grosser Aufwand im Internet, kurz: Der Bundesrat hat schnell reagiert. Wenn die Gesundheit in Gefahr ist, kann man nicht vorsichtig genug sein. Die Folgen der BSE-Krise scheinen heute überschaubar. Zum Glück. Ausserdem sind Vorsicht und Vorsorge immer gut. Aber sie werden unterschiedlich angewendet.
Täglich sterben zwei Dutzend Menschen in der Schweiz an Krankheiten, deren Ursachen weit besser bekannt sind als beim BSE: Es sind Raucherinnen und Raucher; bis zu 8000 verenden jedes Jahr.
Und was tut der Bundesrat? Er überlässt der Tabakindustrie eine der höchsten Gewinnmargen in Europa. Er erlaubt ihr weiterhin, im grossen Stil Werbung zu machen und selbst ihre angeblichen Light-Produkte anzupreisen. Er akzeptiert fast ohne Gegenwehr, dass sie mit ihrer Werbung Jugendliche anfixt. Er investiert lächerliche Beträge in die Tabakprävention und subventioniert dazu noch den Tabakanbau in der Schweiz. Schliesslich erhöht er die Tabaksteuer in dermassen kleinen Schritten, dass der Abschreckungseffekt gegen null tendiert für alle, die aufhören oder gar nicht erst anfangen wollen.
Also an Hysterie grenzende Vorsichtsmassnahmen im einen Fall und ein schon fahrlässiges Desinteresse im anderen. Der Grund liegt im Widerwillen bürgerlicher Bundesräte, in den freien Markt einzugreifen - sogar dann, wenn eine Industrie ihre Konsumentinnen und Konsumenten gezielt abhängig macht und viele von ihnen langsam umbringt.
Selbstverständlich soll das Rauchen, überhaupt der Konsum von Drogen, dem Einzelnen überlassen werden. Wer nur sich selber schädigt, soll das in eigener Verantwortung tun dürfen. Ob man ihn zur Sucht noch animieren soll, wie es die Tabakindustrie im Weltformat betreibt: Diese Frage müsste der Bundesrat gelegentlich beantworten. Immer mehr Jugendliche beginnen jetzt in der Schweiz zu rauchen; viele von ihnen werden den fünfzigsten Geburtstag nicht erleben.
FACTS 14/2002, 4.4.02 - Von Daniel Röthlisberger
Wenn sich die Probleme wie Berge vor ihr auftürmen, greift Corinne zur Zigarette. «Rauchen hilft mir», sagt sie. «Es macht mich happy.» Wenn Corinne viel raucht, wird ihr leicht schwindlig. «Dann verschwinden die Probleme meist wenn auch nur für einen Tag.» Corinne ist 14, Schülerin.
Kinder rauchen. Immer öfter, immer mehr, immer jünger. Die letzte Befragung zum Gesundheitsverhalten unter 9000 Schülerinnen und Schülern im Alter zwischen 12 und 15 Jahren gibt Einblick in eine erschreckende Wirklichkeit: Jeder vierte 15-Jährige gab schon 1998 an, er rauche regelmässig. Bei den 12-jährigen Mädchen und Knaben beträgt der Anteil der Raucher bereits gut 2 Prozent, bei den 13-Jährigen knapp 7 Prozent, und bei den 14-Jährigen sind es gar 14 Prozent. Der Anteil der regelmässig Rauchenden ist bei den 15-Jährigen von 15 Prozent im Jahr 1986 auf über 25 Prozent im Jahr 1998 gestiegen.
Neuere Zahlen fehlen zwar. Doch der Trend ist ungebrochen. «Ich rechne mit einem weiteren Anstieg der Zahl rauchender Kinder», sagt Holger Schmid, Koleiter der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) in Lausanne. «Wir haben den Wendepunkt noch nicht erreicht. Das Einstiegsalter der jugendlichen Raucherinnen und Raucher ist in den letzten Jahren ständig gesunken.»
Bei Erwachsenen stagniert der Zigarettenkonsum, bei Kindern steigt er an. Sie ziehen an ihren Glimmstängeln und kämpfen damit gegen Übergewicht, Stress und Alltagssorgen, gegen Langeweile. Sie rauchen, weil sie dazugehören wollen und weil es cool ist. «Die Jugendlichen lassen sich vom Bild verführen, das die Tabakindustrie über die Werbung vermittelt», sagt Suchtforscher Holger Schmid. «Sie verbinden mit dem Rauchen ein Lebensgefühl, einen Lebensstil. Sie sehen sich als Helden, die eine schwierige Situation meistern und die Pferde eintreiben.» Der Zugang zum Produkt findet in der Gruppe statt. «Dort werden die Jugendlichen ins Rauchen eingeführt», sagt Schmid.
Corinne hat genau so angefangen. Zuerst rauchte ihre Freundin. An einem Fest haben ihr dann ältere Kollegen einen Glimmstängel angeboten. Sie wollte bloss mal probieren. «Ich musste zwar husten. Doch es war gut», sagt die 14-Jährige, die Zigarette gekonnt lässig eingeklemmt zwischen Zeige- und Mittelfinger. Das war vor anderthalb Jahren. Seither raucht Corinne regelmässig. Wie das in ihrer Clique übrigens alle tun. Am Anfang war es bloss alle zwei Tage eine Zigarette. Heute sind es drei pro Tag. «An Partys rauche ich mehr. Da wird es rasch ein Päckli.»
Im Bundesamt für Gesundheit (BAG) betrachtet man die Entwicklung mit Sorge. «Das Kinderrauchen ist äusserst bedenklich», sagt Amtsdirektor Thomas Zeltner. Der oberste Gesundheitsschützer will mit einem Massnahmenpaket gegen das Problem vorgehen. In mehreren Schritten soll das Päckli Zigaretten von heute 4 Franken 80 auf 5.60 verteuert werden. Die Tabakwerbung soll auf die Verkaufsstellen beschränkt und in Kinos, Zeitungen und auf Plakaten verboten werden. Schliesslich wird ein Abgabeverbot an Jugendliche und der Automatenzugang mit Chips geprüft. «Wir diskutieren gegenwärtig, ob die Alterslimite auf 16 oder 18 Jahre gesetzt werden soll», sagt Thomas Zeltner. Handeln tut Not. Denn die Gesetze sind large. Abgabe und Konsum von Zigaretten unterliegen keinen Altersbeschränkungen. Suchtforscher Holger Schmid spricht von einer Laisser-faire-Politik. Ein simpler Zahlenvergleich spiegelt die Kräfteverhältnisse: Die Tabakfabrikanten geben jedes Jahr 120 Millionen Franken für Werbung aus, das BAG wendet für die gesamte Prävention von Alkohol bis Tabak lediglich sechs Millionen auf. Gegenwärtig übt sich die Tabakindustrie zur Imagepolitur in Selbstbeschränkung. Im Oktober 2000 hat sie die Verkaufsstellen aufgerufen, keine Zigaretten mehr an unter 16-Jährige abzugeben. Im Februar dieses Jahres verkündete die Vereinigung der Tabakindustrie stolz, bei einem Viertel des befragten Verkaufspersonals habe die Kampagne bereits «eine Verhaltensänderung bewirkt».
Das klingt gut. Doch die Jugend kommt auch so zu ihren Zigaretten. Denn ausgerechnet die Vorbilder haben kapituliert. Viele Eltern mögen mit ihren Halbwüchsigen nicht mehr streiten. Sie bezahlen ihnen das Rauchen übers Sackgeld und lassen sie auch zu Hause freimütig paffen. «Wir sind in dieser Beziehung liberal», sagt Thomas Jost aus Kriens LU, Vater der 14-jährigen Simone. «Unsere Tochter darf zu Hause rauchen, wenn sie will.» Jost appelliert an die Ehrlichkeit und möchte, dass seine Tochter «mit allem nach Hause kommen kann. Wenn wir ihr das Rauchen verbieten, tut sie das bloss heimlich.» «Wir Eltern rauchen beide», erklärt Madeleine Rothenbühler aus Kirchberg BE. Ihr Sohn, 15, ist in einer Raucherclique und darf auch daheim qualmen. «Wir können ihm das nicht verbieten», sagt die Mutter. Man habe den Sohn zwar aufgeklärt, dass Rauchen seiner Gesundheit schade. «Doch er muss selber wissen, was er tut.»
Dass Corinne raucht, hat ihre Mutter zufällig erfahren. Die Tochter ist ihr im Dorf paffend in die Arme gelaufen. «Am Anfang war meine Mutter hässig, dass ich rauche», sagt die 14-jährige Corinne. Inzwischen hat sies akzeptiert. Und resigniert. «Sie findet, das sei meine Gesundheit.» Ihr Rauchzeug bezahlt die Schülerin vom Sackgeld, das sie mit Ferienjobs aufbessert.
BAG-Direktor Zeltner will mit Kampagnen «das Bild in den Köpfen der Jugendlichen ändern, dass Rauchen mega-cool ist». Er fordert zudem ein stärkeres Engagement der Erziehenden. «Wir sind gegenüber dem Kinderrauchen zu large geworden», sagt er. Die Eltern dürften nicht aufgeben. «Sie müssen sich bewusst sein, dass ihre Kinder süchtig werden, wenn sie ihnen das Rauchen erlauben.» Lehrer und Schulen müssten wieder schärfer gegen das Rauchen vorgehen. «Es darf nicht sein, dass man das Rauchen in den Schulhäusern toleriert.» Fromme Wünsche. Denn solange die Eltern das Rauchen ihrer Kinder tolerieren, stehen die Schulmeister auf verlorenem Posten. Das strikte Rauchverbot, das die meisten Schulen auf ihrem Areal aussprechen, wird zunehmend aufgeweicht. Geraucht wird auf dem Pausenplatz, im WC, auf der Kellertreppe, hinter Bäumen. Heimlich. «Wenn wir Lust auf Zigaretten haben, stehen wir hinter der Arena zusammen und feuern eins an», erzählt Marc, 14, aus Bern. «Einer schiebt Wache und warnt uns, wenn ein Lehrer näher kommt», berichtet Moritz aus Olten SO. «Heute werden in fast allen Schulen Regeln für das Rauchen aufgestellt», stellt Karin Steinmann, Tabakfachfrau der Stiftung Berner Gesundheit, fest. «Doch diese Regeln werden oft nicht genügend überwacht und durchgesetzt.»
Einige Schulen haben das ständige Räuber-und-Polizei-Spiel satt und gestatten offiziell trotz Verbot das Rauchen in der Schule. Im Morillon-Schulhaus in Wabern BE etwa können süchtige Schülerinnen und Schüler eine «Ausnahme-Raucherbewilligung» erhalten. Sie müssen die Erklärung unterschreiben, dass sie «nicht in der Lage sind, auf den Zigarettenkonsum während des Schulbesuchs zu verzichten».
Die Eltern setzen ihre Unterschrift unter den Passus, dass ihr Kind «durch die Lehrerschaft nicht gehindert wird, am dafür bestimmten Ort im Schulareal während der Pause zu rauchen». Dieser Ort heisst in Wabern «Raucherinsel», war früher ein lauschiges Plätzchen unter einer Linde und ist heute aus baulichen Gründen eine Nische am Maschendrahtzaun des Schulareals. Dort treffen sich in der Zehn-Uhr-Pause die drei Mädchen mit Raucherlaubnis. Am Boden liegen Zigarettenkippen, am Zaun steht ein Abfalleimer.
«Früher haben wir in der Pause ausserhalb des Schulareals eingekauft und dabei geraucht», erzählt Laila, 15, die ein Päckli Zigaretten pro Tag konsumiert. «Wir haben uns hinter Büschen versteckt und gepafft.» Die Raucherbewilligung ihrer Schule findet Laila praktisch: «Ich muss keine Angst mehr haben, dass man mich verfolgt.»
Im Bericht vom 18. Oktober 2001 begründet die Schulleitung ihre Kapitulation gegenüber dem Kinderrauchen: «Fast in jedem möglichen Versteck rund ums Schulhaus wurde geraucht. Es war für die Lehrerschaft unmöglich, die Angelegenheit unter Kontrolle zu behalten, zumal leider die Unterstützung von verschiedenen Eltern fehlte. Es musste sofort etwas geschehen.» Heute lobt der stellvertretende Schulleiter Urs Schläfli die Raucherinsel als «klare Regelung». Nur wenige Schüler hätten eine solche Bewilligung. Und: «Wir müssen nicht mehr als Polizisten tätig sein.»
In Kirchberg BE heisst die Raucherbewilligung Raucherpass. Wer einen solchen Ausweis mit Foto und Unterschrift der Eltern besitzt, darf in der grossen Pause beim Abwart einen Aschenbecher holen und in einer Raucherecke hinter der Turnhalle am Glimmstängel ziehen. Im letzten Jahr wurden zwei Pässe ausgestellt. «Wir haben ein ÐGhettoð für die Raucher eingerichtet», sagt Herbert Kämpfer, Präsident der Schulkommission. «Wir wollen aber die Eltern in die Verantwortung einbinden. Die Schule kann für etwas derart Wichtiges nicht allein die Verantwortung übernehmen.» Etliche Schüler seien von zu Hause aus gebremst worden, sagt Kämpfer. «Die Eltern wollen nicht wahrhaben, dass ihre Kinder rauchen.»
In Kriens LU verwirft man über so viel Toleranz die Hände. Raucherpässe findet Noldi Huber, Schulleiter der Sekundarstufe I, «jenseits». «Sie sind mit der Grundhaltung der Schule unvereinbar, die Gesundheit unserer Kinder zu schützen.» Im Luzerner Vorort fährt man eine repressive Linie. Unter Hubers Federführung wurden erweiterte Schulzonen (Eschuzo) geschaffen. In diesen Gebieten im Umkreis der Schulhäuser gilt zwischen 7 und 18 Uhr für Schüler ein striktes Tabak-, Alkohol- und Drogenverbot. Lehrer, die ein Kind erwischen, sind zur Meldung an die Klassenlehrer verpflichtet. Sündern drohen drastische Strafen: vom Nachsitzen über Verhaltensnoten im Zeugnis bis hin zu Schulausschluss. «Die Schule muss klar gegen das Rauchen Stellung beziehen», findet Huber.
Juristisch steht die Massnahme auf wackligem Fundament. Man interpretiere das Gesetz zugunsten der Schüler, wehrt sich der Schulleiter. Doch trotz Repression hat man auch in Kriens das Kinderrauchen nicht stoppen können. «Aber es ist uns gelungen, das Rauchen zu verdrängen.»
Kriens ist ein Ausnahmefall, der die Regel bestätigt. Und die heisst: Geraucht wird überall, wo sich Kinder treffen. An Bahnhöfen, auf Kirchentreppen, in Hinterhöfen, am Fluss, im Wald, zu Hause, auf dem Schulhof und vor allem: im Jugendtreff. Die Jugendarbeiter haben im Kampf gegen das Rauchen die Segel gestrichen. Sie müssen zufrieden sein, wenn sie das Kiffen der Jugend einigermassen aus ihren Räumlichkeiten verbannen können. Die Nichtraucherzonen, die sie verteidigen, werden ständig kleiner.
Im Jugendtreff «Graffiti» im Stadtberner Nordquartier ist bloss noch das mittlere Geschoss als rauchfreie Zone deklariert. Allein die Verteidigung dieser rauchfreien Zone sei «ein ewiger Kampf», sagt Jugendarbeiter Michael Lutz. Im Jugendtreff in Wohlen AG wird das Rauchverbot, das vor zwei Jahren verhängt wurde, wieder aufgehoben. «Wir haben mit den Jugendlichen einen Deal abgeschlossen», sagt Franziska Meier, Leiterin der Jugendarbeit. «Sie dürfen auf der gedeckten Terrasse rauchen.»
Rauchen ist in. Immer mehr Kinder fangen damit an. Nur wenige steigen aus. Denn der Ausstieg ist schwer. Jeder zweite jugendliche Raucher im Alter von 14 bis 16 Jahren möchte aufhören und versuche das auch, weiss Tabakfachfrau Karin Steinmann. «Die meisten schaffen das für ein bis zwei Wochen.» Doch dann begännen sie wieder zu rauchen. «Sie unterschätzen ihre Nikotinabhängigkeit.» Eine Langzeitstudie unter 800 Jugendlichen belegt, «dass die grosse Mehrzahl der täglich rauchenden Jugendlichen auch im jungen Erwachsenenalter der Zigarette treu bleiben». Bloss zehn Prozent schafften es, ihren Konsum zu reduzieren, nur sechs Prozent hörten ganz auf.
Laila, 15, aus Wabern hat mehrere gescheiterte Anläufe hinter sich. «Wenn ich drei Tage lang nicht rauche, werde ich nervös und hässig», sagt sie. «Ich werde zapplig und beginne mich zu kratzen. Spätestens dann fange ich wieder an zu rauchen.»
Auch Corinne kommt «nicht mehr vom Rauchen weg». Nach den Frühlingsferien will die 14-Jährige einen neuen Anlauf nehmen. Sie will mehr Sport treiben, möchte Volleyball spielen. Die Folgen des Rauchens spürt sie längst. Vor allem im Turnen. «Die Kondition lässt nach», sagt sie. «Wenn ich zehn Minuten renne, bin ich kaputt.»
Das Experiment Nichtrauchen lockt Schulklassen mit Reisen
zur Nikotin-Enthaltsamkeit.
Kriens LU, Schulhaus Kirchbühl, Montagmorgen. Felix Simmen,
Geschäftsführer im Labor Diagnostica in Zürich,
zieht sich auf dem Pausenplatz eine weisse Schürze über.
«Das macht Eindruck», sagt er. Seine Begleiter packen
eine dunkle Tasche mit Plastikröhrchen und Sugus-Beuteln
aus dem Wagen. Im Schulzimmer der 1d wird getuschelt und gekichert.
Eine Viertelstunde später sitzt eine kleine Auswahl in der
Aula und kaut auf einem Stück Watte. Drei Minuten, dann gibts
ein Sugus.
Diese Schüler werden auf Nikotinrückstände getestet. Sie müssen nachweisen, dass sie nicht geraucht haben. Die Watte mit dem Speichel wird im Labor analysiert. Die 1d hat sich mit 2133 anderen Klassen verpflichtet, acht Monate lang nicht zu rauchen. Sie macht am Wettbewerb «Experiment Nichtrauchen» mit, den die «Gesundheit SprechStunde» zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit durchführt. Klassen, die durchhalten, können in der Verlosung im Juni Schulreisen im Wert von insgesamt 75'000 Franken gewinnen. «Wir wollen Jugendliche belohnen, wenn sie gar nicht erst mit Rauchen beginnen », sagt Projektleiter Emil Mahnig.
Doch Nichtrauchen ist gar nicht so einfach. Von den 2133 Klassen
sind bereits 456 ausgeschieden freiwillig oder nach einem
positiven Testergebnis. In Kriens hats ausgerechnet die Sportklasse
erwischt. Auch die Wettbewerbsbedingungen machen Konzessionen
an die Kinderraucher. Heuer wurde neu eine Kategorie B geschaffen,
in der Klassen mit einer beschränkten Anzahl Raucher mitmachen
dürfen. Zudem wurde die Alterslimite von 13 auf 12 Jahre
gesenkt.
Der Suchtexperte Peter Schertenleib fordert von Politik
und Schule mehr Mut im Kampf gegen Zigis.
FACTS: Herr Schertenleib, die Statistik zeigt, dass Kinder
immer früher nikotinabhängig werden. Wie erklären
Sie sich diesen Trend?
Peter Schertenleib: Die Jugendlichen finden Rauchen cool.
Die Zunahme hat aber auch mit der Politik eines Landes zu tun.
In der Schweiz wird stark Rücksicht genommen auf die Industrie
und die Dienstleistungsbetriebe. Zudem wird das Rauchen nach wie
vor verniedlicht und beschönigt. Auch bei den Jungen.
FACTS: Wie wichtig ist der Einfluss der Erwachsenen?
Schertenleib: Das Vorbild der Eltern ist entscheidend.
Sie sollten nicht rauchen, und sie sollten dazu stehen, dass ihnen
das Nichtrauchen ein Anliegen ist. Rauchende Eltern haben ein
Problem. Ausser sie können den Kindern vermitteln, wie schlimm
das aussieht, wenn sie täglich husten und ihre Haut rasch
verwelkt. Ebenso wichtig ist die Haltung der Institutionen. Denen
fehlt oft der Mut. Mir ist schleierhaft, dass man es nicht schafft,
Schulareale rauchfrei zu halten auch für Lehrer.
FACTS: Welche Folgen hat das Rauchen für die Gesundheit
der Jugendlichen?
Schertenleib: Man kann sagen, dass von den 14- und 15-Jährigen,
die zu rauchen beginnen, 50 Prozent an den Folgen des Rauchens
sterben werden: an Lungenkrebs, Lungenversagen oder an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Spätfolgen sind dramatisch. Für die Jugendlichen
ist das aber weit weg. Wenn wir von einem Herzinfarkt mit 55 sprechen,
fragen sie sich: Mein Gott, will ich so alt werden? Ihre Gesundheitsreserven
sind noch so gross, dass sie neben dem Rauchen sogar Spitzensport
treiben können. Erst mit 30 bis 40 Jahren geht es ans Lebendige.
Das macht es schwierig, die Jungen zum Ausstieg zu motivieren.
FACTS: Welche Auswirkungen hat das Rauchen auf die Entwicklung?
Schertenleib: Das kann grossen Einfluss auf die Hirnentwicklung
haben. Jugendliche Raucher laufen Gefahr, dass sie später
Substanzen brauchen, um eine Depression zu verhindern oder auszugleichen:
das kann Nikotin, aber auch ein Antidepressivum oder ein Neuroleptikum
sein.
FACTS: Viele Jugendliche hören nicht auf zu rauchen,
obwohl sie die negativen Folgen spüren.
Schertenleib: Sie fühlen sich nicht süchtig.
Sie können das Rauchen ja auch mal eine Woche sein lassen.
Sie überschätzen sich jahrelang, wenn sie glauben, sie
könnten später einfach aufhören. Sie unterschätzen
ihre Sucht.
FACTS: Seit Jahren wird mit aufwändigen Aufklärungskampagnen
operiert. Trotzdem steigt die Zahl der Kinderraucher an. Hat die
Prävention versagt?
Schertenleib: Die Präventionskampagnen sind zwar besser
geworden. Aber sie sind noch zu wenig peppig, zu wenig provokativ.
Im Unterschied etwa zur Aids-Kampagne. Das ist vor allem eine
Frage der Finanzen. Man müsste die Mittel verzehnfachen,
dann würde etwas herausschauen.
FACTS: Landläufig gilt die Meinung: Wer raucht,
konsumiert auch eher Hasch. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang?
Schertenleib: Viele Jugendliche rauchen Joints, aber keine
Zigaretten und umgekehrt. Mit dem Rauchen kann man jedoch das
Inhalieren und damit das Kiffen trainieren. Zudem wird durch den
Haschischkonsum der Ausstieg aus dem Rauchen schwieriger.
Peter Schertenleib ist Arzt und Leiter des Care Point in Bern.
Care Point ist ein medizinisches Ambulatorium für Raucherentwöhnung
und Gewichtsreduktion.
Die Zigaretten verteuern, den Tabakbauern die Subventionen streichen: Gesundheitspolitiker und Konsumentenschützer verlangen mindestens 5.60 Franken pro Packung.
Von Jean-Martin Büttner, Bern
Es handle sich, sagt er in seiner dramatischen Art, um das einzige frei erhältliche, intensiv beworbene Produkt, das jeden zweiten Konsumenten umbringe. Es sei, als stürben jeden Tag zwei Schulklassen, als stürzten jeden Montag zwei Grossflugzeuge ab. Eine übertriebene Subtilität kann man Richard Müller nicht vorwerfen, wenn er die gesundheitlichen und gesundheitspolitischen Folgen der Tabaksucht beschwört: die 8000 Toten pro Jahr, die "ungeheuerliche Zunahme" von jungen Raucherinnen und Rauchern und die hochgerechneten Folgeschäden für die Gesellschaft von bis zu zehn Milliarden Franken jährlich.
Mächtige, reiche Tabaklobby
Aber erstens weiss der Direktor der Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme, wovon er spricht. Und zweitens muss er mit seiner Warnung vor einer gesundheitspolitischen Katastrophe gegen eine Tabakindustrie antreten, die für ihre Kampagnen und für ihr Lobbying dermassen viel Mittel zur Verfügung hat, dass sich die Klagen und Forderungen der Gesundheitsexperten im Vergleich dazu ausnehmen wie eine Präventionskampagne des Bundes: gut gemeint, aber wirkungslos.
Exakt auf dieses Missverhältnis zielen die Forderungen einer neu gegründeten Fachstelle für Gesundheitspolitik, die von neun Organisationen getragen wird und sich in die laufende Revision der Tabakbesteuerung einschaltet. Während nämlich die Oberzolldirektion dem Bundesrat eine sehr bescheidene Erhöhung der Steuer von 10 Rappen pro Zigarettenpackung empfiehlt, verlangt die Fachstelle eine Erhöhung von 80 Rappen nach europäischem Vorbild; sie verdächtigt die Zolldirektion, sich der Tabakindustrie anzudienen, die in der Schweiz von besonders hohen Margen profitiert.
Die Steuererhöhung für Raucher soll natürlich zu deren Reduktion führen. Eine Preiserhöhung von zehn Prozent, sagt Alberto Holly, Professor für Gesundheitsökonomie in Lausanne, senke den Konsum auch langfristig um rund vier Prozent. Jugendliche würden deswegen nicht auf das Rauchen verzichten, ergänzt die Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga, aber sie rauchten weniger; und Erwachsenen würde das Aufhören damit leichter gemacht.
Keine Subvention der Tabakbauern
Anlass für den gemeinsamen Vorstoss ist die laufende Revision der Tabakbesteuerung; die Votanten argwöhnen, dass auch der Bundesrat dem Druck der Tabaklobby nachgeben wird und die Erhöhung allenfalls in kleinen Schritten verordnet. Zwar kann er den Preis laut Vorentwurf eigenmächtig an das EU-Niveau anpassen; aber die Fachstelle zweifelt, ob er sich auf Grund der herrschenden Machtverhältnisse dazu durchringen wird.
Die Gelder dieser Tabaksteuern sollen in die Gesundheitskosten, aber auch gezielt in Präventionsprojekte investiert werden. Wie diese konkret aussehen werden und was sie bewirken können, bleibt allerdings vage. Man denkt unter anderem an grössere Aufklärungskampagnen, mit denen man zum Beispiel auch an Openair-Festivals auftreten könne. Gleichzeitig will sich die Fachstelle dafür einsetzen, das Rauchen an öffentlichen Orten einzuschränken und auch Werbeverbote für Tabak durchzusetzen.
Auch will die Fachstelle die Subvention von jährlich zwanzig Millionen Franken für den Schweizer Tabakanbau gestrichen haben. Auch dieser Betrag soll einer Prävention zugute kommen, die sich vornehmlich an die Meistgefährdeten richtet: Schüler, Jugendliche und weniger gut Ausgebildete.
Zigaretten müssen teuer sein. Aber nicht zu teuer, sagt Bruno Frey, Ökonom an der Uni Zürich.
Mit Bruno Frey* sprach Reto Kohler
Herr Frey, sind Sie Raucher?
Nein.
Seit Jahrzehnten versucht der Staat, den Rauchern ihre Sucht durch höhere Preise auszutreiben. Weshalb funktioniert das nicht?
Wie kommen Sie darauf, dass das nicht funktioniert? Diese Massnahme bringt sehr wohl etwas. Studien, die in den USA und in Europa gemacht wurden, haben gezeigt, dass der Zigarettenkonsum nach Preiserhöhungen sinkt. Natürlich passiert das nicht sofort. Die Leute müssen ihre Gewohnheiten ändern. Aber mittelfristig tragen Preiserhöhungen eindeutig dazu bei, den Gesamtkonsum zu senken.
Nicht alle lassen sich davon abschrecken. Viele Leute rauchen munter weiter.
Die Schwere der Sucht spielt da sicher auch eine Rolle. Sie werden nie alle Süchtigen durch Preiserhöhungen heilen können. Es kann nur darum gehen, den Gesamtkonsum zu drosseln. Und dafür sind Preissteigerungen ein gutes Mittel.
Der Preis pro Paket soll künftig 5.60 Franken betragen. Warum verlangt man nicht einfach zwölf oder hundert Franken?
Es ist gesellschaftlich sinnvoll, dass der Staat das Rauchen besteuert. Denn Raucher verursachen Kosten. Sie werden krank und fehlen am Arbeitsplatz, und sie zwingen andere zum Passivrauchen. Neue Berechnungen zeigen aber, dass die Raucher die Kosten, die sie verursachen, schon durch die aktuelle Steuerbelastung selber tragen. Die Bilanz stimmt. Eine weitere Erhöhung wäre nicht sinnvoll.
Aber der Staat gibt vor, die Preise aus Gründen der Prävention zu erhöhen. Ein Preis von hundert Franken pro Schachtel wäre also sinnvoller. So viel bezahlt niemand.
Wenn man die Preise zu schnell anhebt, kann das fatale Folgen haben. Das Schmuggelgeschäft beginnt schon nach wenigen Tagen zu florieren. Deshalb muss man die Preise mindestens mit den Nachbarländern koordinieren. Durch zu hohe Preise wird das Problem zudem in den Untergrund abgedrängt. Die Leute werden erfinderisch. Rauchen und trinken alles, was sie kriegen können. Die Qualität wird unkontrollierbar. Wie gefährlich das sein kann, kennen wir aus der illegalen Drogenszene.
Der Preis von 5.60 Franken ist also ein Kompromiss zwischen den Gefahren eines zu hohen und denen eines zu tiefen Preises.
Genau. Man will verhindern, dass die Leute Substanzen einkaufen, die in irgendeiner Form dem Tabak ähnlich, aber viel gefährlicher sind.
Die Situation ist also ausweglos. Der Staat ist machtlos und hat vor dem Phänomen Sucht kapituliert.
Das sehe ich ganz anders. Der Begriff der Kapitulation gefällt mir nicht. Ich bin der Meinung, der Staat soll mit den Gewohnheiten der Menschen grosszügig umgehen. Eine liberale Haltung kann sehr erfolgreich sein, wie Beispiele auch aus der Schweiz zeigen. Auf den Rauchern rumzuhacken, bringt nichts.
Der Staat will Süchtige heilen und füllt gleichzeitig mit deren Geld seine Kassen. Ist eine moralisch ausgewogene Lösung dieses Dilemmas möglich?
Ja, indem wir einsehen, dass wir keine perfekten Menschen sind. Wir müssen versuchen, unsere Laster - so gut es geht - gesellschaftlich einzubetten.
Tatsache bleibt aber, dass jeder zweite Raucher an seiner Sucht stirbt.
Sehen Sie, es gibt viele Dinge, die nicht gesund sind. Auch das Skifahren birgt ein grosses Verletzungspotenzial in sich. Sicher muss man die Leute vor den Gefahren warnen.
Warum gehen die Leute diese Risiken trotzdem ein?
Sie fahren Ski und rauchen, weil es ihnen Spass macht. Den Kosten steht auch ein Nutzen gegenüber. Die Gleichungen der Ökonomen berücksichtigen, dass der Mensch ein Mängelwesen ist.
* Bruno Frey ist Professor für Empirische Wirtschaftsforschung an der Uni Zürich.