Ein Verfahren gegen die »Verbrechen der Medizin«
(AFP) - Vor dem Berliner Landgericht hat am Mittwoch der erste Strafprozeß um Dopingvergehen an jugendlichen Sportlern in der DDR begonnen.
Vier Trainer, darunter ein Coach von Schwimmstar Franziska van
Almsick, und zwei Sportärzte müssen sich wegen Körperverletzung
in 19 Fällen verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen
vor, minderjährigen Schwimmerinnen zwischen 1974 und 1989
zur Leistungssteigerung Hormonpräparate wie Anabolika verabreicht
zu haben. Dadurch soll es bei den jungen Frauen unter anderem
zu erheblichen körperlichen Störungen gekommen sein.
Die Trainer handelten nach Erkenntnissen der Anklage nach Vorgaben
der DDR-Sportführung und mit der Zustimmung der Sportärzte.
Für den Pilotprozeß sind zunächst 21 Verhandlungstage
vorgesehen; ein Urteil wird frühestens im Juli erwartet.
Zum Auftakt des Prozesses kritisierte die Verteidigung die Zusammensetzung
des Gerichtes. So sei ein Schöffe nicht ordnungsgemäß
gewählt worden. Das Gericht wollte nach weiteren Anträgen
der Verteidigung über diese Frage entscheiden. Die Staatsanwaltschaft
will nach Angaben eines Justizsprechers in dem Verfahren mehr
als 30 Zeugen vernehmen lassen und zahlreiche Dokumente, darunter
Stasi-Unterlagen, als Beweismittel einführen.
Der Prozeß gilt als Pilotverfahren für weitere Anklagen
in anderen Sportbereichen wie Rudern, Kanufahren oder Leichtathletik
in den kommenden Monaten. Unter den Besuchern im Gerichtssaal
war auch der frühere DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz.
Der Heidelberger Dopingexperte Werner Franke sagte vor Beginn
des Prozesses, das Verfahren sei »kein Skandal des Sportes«.
Es habe vielmehr ein »Verbrechen der Medizin«
stattgefunden. Juristisch werde nun auf der unteren Ebene begonnen;
Ziel müsse jedoch eine Strafverfolgung auf höherer Ebene
sein, also auch bei DDR-Funktionären. Er betonte, die Ermittlungen
bei den Dopingfällen seien schwierig gewesen; so hätten
die Sportverbände die Nachforschungen der Ermittler blockiert.
Franke hatte nach der Wende eine der ersten Anzeigen wegen Dopings
im DDR-Sport gestellt.
Schon der künstliche Eingriff in den Hormonhaushalt der Mädchen zur Leistungssteigerung sei auch nach DDR-Recht strafbar gewesen. "Die Angeklagten haben dies gewußt und gewollt, damit die angestrebten Leistungen erzielt werden."
Die verurteilte Sportmedizinerin Dorit Rösler ging nach dem
Urteil zu der früheren TSC-Spitzenschwimmerin Karen König,
um ihr die Hände zu reichen und "um sich wieder in
die Augen sehen zu können". Die als Nebenklägerin
aufgetretene Europameisterin von 1985 gab zwar ihrer früheren
Ärztin die Hand, blieb aber zurückhaltend. "Ich
sehe das Händeschütteln nicht so euphorisch. Es ist
eine Geste, die so dasteht", sagte die 29jährige.
Sie sei mit dem Schuldspruch zufrieden, hoffe aber, daß
nun auch höhere DDR-Funktionäre angeklagt werden.
Geständnisse und Bedauern
Im Einzelnen verurteilte die 12. Große Strafkammer den Sportarzt Ulrich Sünder mit 90 Tagessätzen zu je 300 Mark zur höchsten Strafe. Sünder war einst auch stellvertretender Chefarzt der Sportärztlichen Hauptberatungsstelle Berlin. Der 58jährige ist heute Chefarzt einer Reha-Klinik im sächsischen Bad Lausick. Seine Kollegin Dorit Rösler (50) wurde ebenso wie Sünder wegen Beihilfe zur Körperverletzung zu 80 Tagessätzen zu je 90 Mark verurteilt. Sie betreibt jetzt eine Praxis in Berlin. Der einstige TSC-Trainer und heutige Kaufmann Peter Mattonet (48) muß.70 Tagessätze zu je 100 Mark wegen vorsätzlicher Körperverletzung zahlen. Die Angeklagten wurden in sieben bis elf einzelnen Fällen verurteilt.
Für die Angeklagten hätten ihre Geständnisse und
ihr Bedauern gesprochen. Auch lägen die Taten lange zurück.
Alle hätten sich der DDR-Praxis aber auch entziehen können,
sagte Richter Warnatsch. Sie hätten aus Eigennutz gehandelt
und "das Vertrauen der ihnen anvertrauten jungen Menschen
mißbraucht".
"Fairer Prozeß"
Vor der Urteilsverkündung hatte das Gericht das Verfahren gegen zwei weitere angeklagte Trainer - Berndt Christochowitz (40) und Klaus Klemenz (55) - gegen eine Geldbuße von 3.000 beziehungsweise 7.500 Mark wegen geringer Schuld eingestellt.
Während Ex-Trainer Mattonet, von dem sich der Richter ebenso
wie von den Mitangeklagten noch ein persönliches Wort der
Entschuldigung gewünscht hätte, nach dem Urteilsspruch
das Gericht wortlos verließ, zeigten sich Sünder und
Rösler erleichtert. Rösler sagte: "Ich bin froh,
daß unser Problem aufgearbeitet ist und ein neuer Lebensabschnitt
beginnt. Es war ein sehr fairer Prozeß." Sünder
sagte vor Dutzenden Reportern und Kamera-Teams aus aller Welt:
"Meine Schuld gegenüber den Sportlern habe ich zu
tragen." Nebenkläger- Anwalt Christian Paschen sprach
von einem Signal, das von dem Urteil ausgehe: "Doping
ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Fall für den Staatsanwalt."
Richtung weiterer DDR-Doping-Prozesse aufgezeigt
Die Anklageschrift hatte zunächst 17 TSC-Schwimmerinnen als Opfer aufgeführt, bei denen teils heute noch Schäden übrig geblieben seien. Die Kammer betonte jedoch, es habe derartige heute sichbare Folgen wie Unfruchtbarkeit oder Leberschäden in keinem Fall festgestellt. Auch das Setzen von Hormon-Spritzen sei im Gegensatz zur Vergabe von Oral-Turinabol-Tabletten nicht nachgewiesen worden. Heutige Folgeschäden wären aber für einen Schuldspruch auch nicht relevant gewesen, erklärte Warnatsch.
Mit dem ersten Urteil zum DDR-Doping zeigte das Landgericht die
Richtung weiterer DDR-Doping-Prozesse auf. In Berlin wurden sieben
Jahre nach der ersten Strafanzeige durch den Heidelberger Doping-
Experten und Molekularbiologen Werner Franke mehr als 90 Ermittlungsverfahren
gegen mehrere Hundert Beschuldigte eingeleitet. Der TSC-Prozeß
hat mit seinem raschen Urteil jetzt das seit März laufende
sogenannte Pilotverfahren gegen Trainer und Ärzte des SC
Dynamo Berlin überholt, das am Montag fortgesetzt werden
soll. Hier haben bislang alle Angeklagten bis auf den Sportarzt
Dieter Binus zu den Vorwürfen geschwiegen, was eine umfangreiche
Beweiserhebung erfordert.
Berlin (dpa) - Der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Friedhelm Julius Beucher, hat die geplante Anhörung der Nebenkläger im Prozess gegen den früheren DDR-Sportchef Manfred Ewald als «ersten kleinen Erfolg für die Opfer» bewertet.
«Jetzt besteht die Chance auf eine weniger oberflächliche Aufarbeitung der Vergangenheit», meinte der SPD-Politiker am Mittwoch. Er empfinde ein Gefühl von Befriedigung, dass der Prozess gegen den mächtigsten Mann des DDR-Sports nicht an einem Vormittag abgehalten worden sei. Beucher hatte sich im Vorfeld des Prozesses vehement gegen angebliche Absprachen zwischen der Justiz und den Angeklagten zur Wehr gesetzt.
Der Verlauf des ersten Prozesstages sei aber noch kein Grund zum Jubel. «Nur die Ergebnisse zählen, nicht der Weg dahin», so Beucher, der davon ausgeht, dass sich das Verfahren viele Wochen ausdehnen könnte, wenn Manfred Ewald nicht redet. Insofern warnt Beucher vor «Verzögerungstricks» der Angeklagten zu denen er beispielsweise neue ärztliche Atteste oder mögliche Wechsel in der Verteidigung zählt. «Der Rechtsstaat schützt mit seiner Unschuldsvermutung auch potenzielle Rechtsbrecher. Aber die Öffentlichkeit wird ein wachsames Auge darauf haben», sagte der Sportausschuss-Vorsitzende.
Heftige Kritik äußerte Beucher am Vorgehen der Berliner Justiz, für einen so wichtigen Prozess einen solch kleinen Saal auszuwählen und die Zahl der Journalisten zu beschränken. «Das ist typisch für das unendlich zähe Gebahren der Berliner Justizverwaltung. Da hat vielleicht irgendein Depp gesagt, beim letzten Dopingprozess kamen doch auch nicht so viele Journalisten, und da hat man bürokratisch so entschieden», ärgerte sich Beucher.
Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft hat auch der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, der mit seiner Anzeige 1991 die Doping-Prozesse in Gang gesetzt hatte, geäußert. Er kritisierte, dass bei den Ewald und dem Sportmediziner Manfred Höppner vorgeworfenen 142 Fällen der Beihilfe zur Körperverletzung nicht die unbedingt gravierendsten erfasst worden seien. Als Beispiel brachte Franke den Namen der Jenaer Kugelstoßerin Margitta Pufe ins Spiel, die auf Grund der Einnahme von Oral-Turinabol-Präparaten schwere Leberschäden erlitten habe. Später habe sie eine halbseitig gelähmte Tochter zur Welt gebracht.
«Das Verschwinden der härtesten Fälle verwundert
mich. Es ist absurd, dass Höppner dafür nicht angeklagt
wird», schimpfte Franke. «Mich ärgern die handwerklichen
Fehler der Staatsanwaltschaft. Ich hoffe auf Korrekturen»,
fügte er hinzu.
Berlin (dpa) - Prominente aus der Welt des Sports haben nach dem Auftakt zum wichtigsten Doping-Prozess zum DDR-Sport vor einer Verschleppung des Verfahrens gewarnt. Der Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, plädierte am Mittwoch für eine «möglichst zügige» Fortführung des Prozesses gegen den früheren DDR- Sportchef Manfred Ewald.
Auch der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Friedhelm Julius Beucher, geht davon aus, dass sich das Verfahren nun über viele Wochen ausdehnen könnte, wenn Ewald nicht redet.
Insofern befürchtet Beucher «Verzögerungstricks» der Angeklagten, zu denen er beispielsweise neue ärztliche Atteste oder mögliche Wechsel in der Verteidigung zählt. «Der Rechtsstaat schützt mit seiner Unschuldsvermutung auch potenzielle Rechtsbrecher. Aber die Öffentlichkeit wird ein wachsames Auge darauf haben», sagte der Ausschuss-Vorsitzende.
Er sei dennoch zufrieden, dass mit Manfred Ewald der mächtigste Mann im DDR-Sport nicht in einem «Schnellverfahren» abgeurteilt wurde, sagte von Richthofen. «Ein Urteil nach nur einem Prozess-Tag hätte zu einem Aufschrei der Entrüstung nicht nur bei den Opfern, sondern auch bei jenen geführt, die in den langwierigen, ersten Doping-Prozessen verurteilt wurden», erklärte von Richthofen. Er geht davon aus, dass ein «Schnellschuss» der Justiz einen misslichen Beigeschmack bei den früher Verurteilten hinterlassen hätte, die in vorangegangenen Prozessen immer wieder darauf verwiesen, sie hätten nur auf Weisung von «oben» gehandelt. «Dann hätte es auch in der Öffentlichkeit wieder geheißen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen», fügte der DSB-Chef hinzu.
Auch Beucher wertete die geplante Anhörung der Nebenkläger im Ewald-Prozess als «ersten kleinen Erfolg für die Opfer». Jetzt bestehe die Chance auf eine weniger oberflächliche Aufarbeitung der Vergangenheit, meinte der SPD-Politiker. Er empfinde ein Gefühl von Befriedigung, dass der Prozess gegen den mächtigsten Mann des DDR- Sports nicht an einem Vormittag abgehalten worden sei. Beucher hatte sich im Vorfeld des Prozesses vehement gegen angebliche Absprachen zwischen der Justiz und den Angeklagten zur Wehr gesetzt. Der Verlauf des ersten Prozesstages sei aber noch kein Grund zum Jubel. «Nur die Ergebnisse zählen, nicht der Weg dahin», so Beucher.
Heftige Kritik äußerte Beucher am Vorgehen der Berliner Justiz, für einen so wichtigen Prozess einen solch kleinen Saal auszuwählen und die Zahl der Journalisten zu beschränken. «Das ist typisch für das unendlich zähe Gebahren der Berliner Justizverwaltung. Da hat vielleicht irgendein Depp gesagt, beim letzten Dopingprozess kamen doch auch nicht so viele Journalisten, und da hat man bürokratisch so entschieden», ärgerte sich Beucher.
Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft hat auch der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke, der mit seiner Anzeige 1991 die Doping-Prozesse in Gang gesetzt hatte, geäußert. Er kritisierte, dass bei den Ewald und dem Sportmediziner Manfred Höppner vorgeworfenen 142 Fällen der Beihilfe zur Körperverletzung nicht die unbedingt gravierendsten erfasst worden seien. Als Beispiel brachte Franke gegenüber der «Berliner Zeitung» den Namen der Jenaer Kugelstoßerin Margitta Pufe ins Spiel, die auf Grund der Einnahme von Oral-Turinabol-Präparaten schwere Leberschäden erlitten habe. Später habe sie eine halbseitig gelähmte Tochter zur Welt gebracht.
«Das Verschwinden der härtesten Fälle verwundert
mich. Es ist absurd, dass Höppner dafür nicht angeklagt
wird», schimpfte Franke. «Mich ärgern die handwerklichen
Fehler der Staatsanwaltschaft. Ich hoffe auf Korrekturen»,
fügte er hinzu.