STASI
Von Werner Bosshardt, Berlin
Alt-Kanzler Helmut Kohl hat sich in einem langen Rechtsstreit mit der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, durchgesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin entschied, die so genannte Gauck-Behörde dürfe keine Akten an Journalisten oder Wissenschafter herausgeben, die von der ehemaligen Staatssicherheit der DDR über Helmut Kohl angehäuft worden waren. Auch unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte hatte die Behörde rund 2500 der 7000 Stasi-Blätter über Kohl für veröffentlichungswürdig gehalten. Ob dieser Streitfrage hatte sich auch ein heftiger Konflikt zwischen Marianne Birthler und ihrem "Dienstherrn", Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), entwickelt, der nachdrücklich die Rechtsauffassung Kohls vertrat.
Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichtes annulliert die zehn Jahre lang klaglos geübte Praxis der Behörde. Seit In-Kraft-Treten der gesetzlichen Grundlage sind 13000 Anträge von Historikern und Journalisten bearbeitet worden, die zwecks Aufarbeitung der Zeitgeschichte Einsicht in Stasi-Akten begehrt hatten, 2600 Anträge sind noch hängig. Das Gesetz erlaubt eine Herausgabe solcher Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte, "soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind". Hier setzte Kohl mit seiner Klage ein und erhielt von den Richtern Recht: Er sei nicht in erster Linie eine Person der Zeitgeschichte, sondern ein "Betroffener". Als von der Stasi bespitzeltes Opfer dürfe er nun nicht ein zweites Mal Opfer werden, indem die unrechtmässig angelegten Akten veröffentlicht würden.
Die Behördenleiterin Marianne Birthler sagte, ein absoluter Opferschutz, wie er nun vom Bundesverwaltungsgericht verfügt worden ist, sperre auch sämtliche Unterlagen über SED-Funktionäre, Richter, Bürgermeister oder Schulleiter, die von der Stasi ausgehorcht wurden. Die Historiker befürchten, dass zentrale Bereiche des DDR-Regimes - Unterwanderung der Kirchen, Machenschaften der Staatswirtschaft, "Horchposten" im Westen, Dopingmissbrauch im Sport - nun nicht mehr ausreichend erforscht werden können. Auch die von der DDR-Staatssicherheit angelegten Akten über Nazi- und Kriegsverbrechen blieben nun weitestgehend unter Verschluss.
Änderung des Gesetzes?
Nun lag es allerdings gerade nicht in der Absicht des Gesetzgebers, einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Diktatur den Weg zu bereiten. Deshalb gibt es nun Bestrebungen, den fraglichen Gesetzesparagrafen über die Behandlung von Akten von Personen der Zeitgeschichte zu präzisieren. Am 25. April wird zu diesem Thema eine Anhörung im Bundestag stattfinden. Im Kern sind sich die Parteien - mit Ausnahme der PDS - darin einig, dass Amtsträger des DDR-Regimes nicht vor unliebsamen Publikationen geschützt werden sollten.
Berlin - Stasi-Akten über Prominente dürfen nur noch mit deren ausdrücklicher Genehmigung zu Forschungszwecken verwendet werden. Das geht aus einem Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgericht zum Fall von Altkanzler Helmut Kohl hervor, mit dem am Freitag eine zehnjährige Praxis der Stasi-Akten-Behörde für rechtswidrig erklärt wurde. Damit räumten die Richter dem Opferschutz eindeutig Vorrang vor dem Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit ein.
Die Stasi-Akten-Beauftragte Marianne Birthler sprach von einem
"empfindlichen Rückschlag" für die Aufarbeitung
des DDR-Unrechts. Sie kündigte an, dass nicht nur die Kohl-Akten,
sondern alle weiteren Unterlagen über Prominente ab nächsten
Montag unter Verschluss bleiben. Der Behörde liegen derzeit
noch 2.600 Rechercheaufträge von Historikern und Journalisten
vor, die nun nicht mehr bearbeitet werden können.
Rechtsauffassung Kohls "voll bestätigt"
Kohls Anwalt, Stephan Holthoff-Pförtner, sah die Rechtsauffassung
seines Mandanten "voll bestätigt." "Es kann
nicht sein, dass jemand rechtsstaatswidrig Opfer wird und dann
rechtmäßig nochmal", sagte er. Kohl hatte Ende
2000 gegen die Herausgabe der Akten über ihn an Wissenschaftler
und Journalisten geklagt und im vergangenen Juli vom Berliner
Verwaltungsgericht Recht erhalten.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die von Birthler beantragte
Revision nun in letzter Instanz zurück. In der Urteilsbegründung
machten die Richter auch klar, dass die von Birthler angestrebte
Gesetzesänderung zur Wiederherstellung der bisherigen Praxis
verfassungsrechtlich bedenklich wäre "und zumindest
einer sorgfältigen Prüfung bedarf".
"Unmissverständlich deutlich geworden"
Das Gericht bestätigte "eindeutig" die Position
Kohls in dem Rechtsstreit. Im Gesetzgebungsverfahren sei "unmissverständlich
deutlich geworden", dass der Opferschutz Vorrang vor der
Aufklärung habe. Die Stasi-Akten-Behörde habe in den
vergangenen zehn Jahren im "offenkundigen Widerspruch"
zum Gesetzestext gehandelt.
Bei dem Rechtsstreit ging es um die Interpretation zweier Begriffe
aus dem Gesetzestext. Danach dürfen Akten über Prominente
herausgegeben werden, soweit es sich nicht um "Betroffene
oder Dritte" handelt. Nach Auffassung Kohls, die vom Bundesverwaltungsgericht
bestätigt wurde, werden Stasi-Opfer durch die Formulierung
grundsätzlich geschützt.
Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt
Birthler meint dagegen, die Ausnahmeregelung dürfe nur dann
greifen, wenn in den Akten die Privatsphäre der Betroffenen
berührt wird. Nach diesem Prinzip war ihre Behörde zehn
Jahre lang seit In-Kraft-Treten der gesetzlichen Grundlage
- mit den Prominenten-Akten umgegangen. Mehr als 13.000 Anträge
auf Akteneinsicht von Historikern und Journalisten wurden nach
diesem Verfahren bearbeitet.
Der Rechtsstreit wurde in Ostdeutschland mit großer Aufmerksamkeit
verfolgt. Dort mussten viele Bürger große Nachteile
hinnehmen, weil sie auf Grund der Stasi-Akten als Spitzel enttarnt
wurden. Ehemalige DDR-Bürgerrechtler äußerten
die Vermutung, der Umgang mit den Akten solle geändert werden,
weil es jetzt um West-Politiker gehe.