Euro
Alt-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer sieht im schleppenden politischen Integrationsprozess der EU einen wesentlichen Grund für die Schwäche des Euro.
Mit Hans Tietmeyer sprachen Robert Mayer und Luciano Ferrari, Frankfurt
Herr Tietmeyer, als 17-Jähriger haben Sie Anfang 1948 erstmals die D-Mark in Händen gehalten. Ab dem 1. Januar 2002 werden nun erstmals über 300 Millionen Europäer mit einer gemeinsamen Währung, dem Euro, bezahlen können. Wird dieser Tag für Sie ebenso entscheidend sein?
Die beiden Ereignisse kann man nicht miteinander vergleichen. Die D-Mark löste eine zerrüttete Währung ab. Sie markierte einen Neubeginn mit einer stabilen Währung. Auch der Euro stellt einen Neubeginn dar - aber hier haben sich stabile Währungen nach einem längeren Annäherungsprozess miteinander verbunden.
Die Einführung des Euro-Bargelds ist für Sie keine historische Zäsur?
Das historische Datum war für mich der 1. Januar 1999. Elf Länder, heute sind es zwölf, haben damals ihre eigene Währung aufgegeben und eingebracht als Bestandteil der Gemeinschaftswährung. Sie haben damit die Souveränität für die Geldpolitik unwiderruflich auf die europäische Ebene, nämlich an die Europäische Zentralbank, übertragen. Am 1. Januar 2002 wird dieser grosse Schritt nun für alle sichtbar.
Besondere Freude hat der Euro bislang nicht bereitet: Seit seiner Geburt neigt er zur Schwäche gegenüber dem Dollar.
Nach innen hat der Euro die Erwartungen hinsichtlich Preisstabilität in einem hohen Masse erfüllt. Die Frage ist, warum er an den Weltmärkten noch nicht so bewertet wird, wie es seinem Potenzial entspricht. Das hängt einerseits damit zusammen, dass der Dollar eine Zeit lang übertrieben hoch bewertet worden ist. Anderseits wird dem Euro an den Finanzmärkten offenkundig noch nicht eine dem Dollar vergleichbare Rolle zugetraut. Obgleich er das entsprechende Gewicht von der Wirtschaftskraft, vom Anteil am Aussenhandel und von der Bevölkerungszahl her durchaus mitbringt. Das mag daran liegen, dass der Euro als neue Währung noch nicht etabliert ist.
Nach beinahe drei Jahren?
Das dauert. Auch die Etablierung der D-Mark oder die Wiederetablierung des Dollars und des Pfundes nach ihren Schwächephasen in den 60er-, 70er-Jahren haben ihre Zeit gedauert.
Wie lange wird es denn gehen, bis die Finanzmärkte den Euro richtig schätzen?
Das hängt von einem dritten Punkt ab, nämlich den ökonomischen Schwächen im Euro-Gebiet. Vor allem die grossen Euro-Länder haben ihre Strukturprobleme noch nicht überzeugend gelöst. Das sehen Sie an den hohen Arbeitslosenraten und an der relativen Wachstumsschwäche in diesen Kernländern. Es sind zwar Ansätze gemacht worden, aber wir können noch nicht sagen, dass diese Länder - ich nenne mal Deutschland - die Probleme bereits gelöst haben. Daneben stellt sich - viertens - die Frage, wie weit der Integrationsprozess im Währungsbereich ergänzt werden muss durch einen politischen Integrationsprozess.
Wem hat der Euro bisher etwas gebracht? George Soros sagt, Länder wie Italien und Frankreich hätten vom Stabilitätstransfer von der DM auf den Euro profitiert, etwa durch tiefere Zinsen. Deutschland hingegen habe eher Nachteile gehabt.
Das ist mir zu kurzsichtig gedacht. Zweifellos hat Deutschland einige seiner Privilegien - dank seiner eigenen starken Währung - im Euro-Verbund verloren. Richtig ist auch, dass jene Länder, die zuvor nicht die vergleichbare Glaubwürdigkeit für ihre Währungspolitik hatten, vom Euro profitiert haben. Wenn man aber nach den Vorteilen für die Deutschen fragt, muss man die Dinge längerfristig betrachten. Für die deutsche Volkswirtschaft ist mit dem Euro das Wechselkursrisiko innerhalb des gemeinsamen Währungsraums entfallen. Ausserdem sind die Finanzmärkte im Euro-Gebiet heute viel grösser, der Wettbewerb ist intensiver, und das bedeutet ein tendenziell niedrigeres Zinsniveau für alle.
Zu den Strukturproblemen in der Euro-Zone kommt jetzt noch die schwache Konjunktur. Etliche Länder werden in diesem und wohl auch im nächsten Jahr ihre Defizitziele verfehlen, und bereits hat eine Diskussion über den Stabilitäts- und Wachstumspakt eingesetzt. Was sagen Sie dazu?
Bei dieser Diskussion rate ich sehr zur Vorsicht. Sie kann die Glaubwürdigkeit der Stabilitätspolitik beeinträchtigen. Man würde den Stabilitätspakt aber falsch interpretieren, wenn man sich einzig und allein am Haushaltsdefizit ausrichtet. Entscheidend ist doch, was hinter dem Defizit steckt. Wenn die Aussichten für eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf mittlere Frist günstig sind, dann hat das mit Sicherheit einen positiven Einfluss auf die Investitionstätigkeit.
Kritiker sehen im Stabilitätspakt eine Zwangsjacke, die es in der jetzigen Konjunkturlage verunmöglicht, eine antizyklische Politik zu betreiben?
Als einer derjenigen, der den Stabilitätspakt seinerzeit mit entwickelt hat, kann ich Ihnen versichern: Antizyklik war nun gewiss nicht unsere Grundorientierung. Uns ging es um eine klare längerfristige Stabilitäts- und damit auch Wachstumsentwicklung für die gesamte Volkswirtschaft. Und das heisst: die Staatsquote tendenziell senken - insbesondere im konsumtiven Bereich -, den Schuldenstand auf ein vernünftiges Mass zurückführen und Spielräume schaffen für Steuersenkungsmassnahmen.
Wie beurteilen Sie - gemessen an diesen Kriterien - die Finanzpolitik in den Euro-Ländern?
Entscheidend ist, eine längerfristige Abgabenbremse in Gang zu setzen. Da ist einiges geschehen - aber es reicht noch nicht, wenn man den Schuldenstand vieler Länder ansieht. Deshalb sollte man jetzt nicht einfach die Konjunktur als Entschuldigung nehmen, um vom Konsolidierungsweg abzurücken. Es wird dann immer behauptet, dieser Kurs bremse die Wirtschaft. Kurzfristig mag das sogar zutreffen. Aber die entscheidende Frage ist doch: Schaffe ich mit einer soliden Finanzpolitik Vertrauen, um auf diese Weise die Investitionsmultiplikatoren in Gang zu setzen? Ohne eine glaubwürdige und nachhaltig solide Finanzpolitik wird es kaum ein nachhaltiges Wachstum geben.
Im nächsten Jahr stehen in Deutschland und Frankreich Wahlen an. Nach allen Erfahrungen sind das nicht die besten Voraussetzungen für eine in Ihrem Sinne Vertrauen fördernde Finanzpolitik. Sehen Sie da auch Gefahren für den Euro?
Ich bin nicht so skeptisch. Man muss allerdings den politisch Verantwortlichen ihre Verantwortung aufzeigen: dass sich letztlich alles Verhalten der Politik auch im Wert der Währung reflektiert. Bei der Geldpolitik ist klar, wer die Verantwortung trägt: die Europäische Zentralbank. Für die übrigen Bereiche wird sich zeigen, ob es eine hinreichende Gemeinsamkeit in der Grundorientierung gibt.
Sie plädieren schon lange für eine stärkere politische Integration der EU-Länder.
Mit der Währungsunion haben wir einen wichtigen Bereich, die Geldpolitik, von der nationalen auf die europäische oder supranationale Ebene verlagert. Jetzt gilt es zu klären, wie es mit der gesamten politischen Integration weitergehen soll: Welche Politikbereiche sollen künftig auf supranationaler Ebene entschieden werden, welche will man auf nationaler Ebene belassen? Hier besteht ein hohes Mass an Unklarheit. Ferner brauchen wir in Europa eine Entscheidungsstruktur, die demokratisch kontrolliert und legitimiert, aber auch effizient ist.
Wie sehen Sie die Chancen, dass die Euro-Länder da zu einer gemeinsamen Linie finden?
Die Währungsunion war ein grosser Schritt nach vorne. Mit den Konvergenzkriterien, dem Überwachungsverfahren und dem Stabilitätspakt haben wir bereits wichtige supranationale Elemente eingebaut. Aber ich nenne die Währungsunion bisweilen "die Unvollendete". Sie bedarf der Flankierung in anderen Bereichen. Wir brauchen ein Stück mehr politische Identität für den Euro.
Und Sie meinen, die Bereitschaft dazu sei in Euroland vorhanden?
Das wird sich zeigen. Wichtig ist vor allem, diese Diskussion jetzt in Gang zu setzen. Es liegen ja inzwischen einige Vorschläge auf dem Tisch. Wir dürfen nicht so lange zuwarten, bis es zu einer Konfliktsituation kommt. Das ist auch für die internationale Rolle des Euro von Bedeutung. Es kann durchaus sein, dass am Ende nicht alle EU-Staaten bereit sind, diesen gemeinsamen Weg zu gehen. Aber eines scheint mir klar: Zumindest die Euro-Länder müssen ihn gehen.
Sie sprechen einem europäischen Bundesstaat und einer EU-Regierung das Wort?
Beim Begriff "europäischer Bundesstaat" zögere ich. Ich bin nicht sicher, ob wir diesen einfach zum Massstab nehmen können. Möglicherweise brauchen wir eine ganz neue Form, die sich nicht an den Kategorien Staatenbund oder Bundesstaat festmachen lässt.
Das klingt etwas nebulös?
Ich will damit nur sagen, dass die Diskussion nicht auf die Frage der institutionellen Strukturen verkürzt werden darf. Vorab muss geklärt werden, wie viel die Euro-Länder an gemeinschaftlicher Politikkompetenz brauchen und wie diese wahrgenommen werden soll. Diese Diskussion ist vorrangig.
Sind denn die Regierungen Ihrer Meinung nach bereit, über die Geldpolitik hinaus noch mehr Souveränität abzutreten?
Mit dem Euro haben die zwölf Staaten ihre Souveränität nicht nur in der Währungspolitik aufgegeben. Auch in der Fiskalpolitik - Stichwort Stabilitätspakt - haben sie sich gebunden. Ferner besteht in der EU-Wettbewerbspolitik weit gehende Supranationalität. Was wir jetzt brauchen, ist zum Beispiel eine Klärung im Steuerbereich: Was soll gemeinschaftlich festgelegt werden?, wo soll es nationale Souveränitäten geben? In gleicher Weise müssen wir dann einen Bereich nach dem anderen durchleuchten.
Laufen weitere Kompetenzübertragungen nach Brüssel nicht auf verstärkten Zentralismus, auf noch mehr Staat hinaus?
Wenn ich von Klärung spreche, meine ich nicht einen einseitigen Kompetenztransfer in Richtung Brüssel. Es muss auch klar abgetrennt werden, was in nationaler Souveränität verbleibt. Eines der Probleme in der EU besteht darin, dass viele nationale Souveränitäten untergraben werden durch unklare Kompetenzregelungen und vielfältige Formen der Mischfinanzierung. Zudem wissen wir heute, dass der Staat der Wirtschaft am meisten dient, wenn er die Rahmenbedingungen möglichst stabil hält und auf kurzfristige antizyklische Aktivitäten verzichtet. Die Frage der Kompetenzabgrenzung in der EU sollten wir im Lichte dieser Funktion des Staates klären. Supranational muss das geregelt werden, was Verzerrungen im gemeinsamen Markt verhindert. Aber ein Wettbewerb der Systeme und der Politiken muss fortbestehen, so dass zum Beispiel die einzelnen Länder weiterhin unterschiedlich hohe Steuern erheben können.
Ist eine Währung ohne Staat wie der Euro letztlich nicht weniger wert als zwölf Währungen unter jeweils gut geführten Regierungen?
Es gibt einen synergetischen Effekt, wenn sich zwölf Währungen vereinen. Das Potenzial ist grösser als die Summe der einzelnen Währungen. Aber dazu bedarf es eben, nach der Übertragung der Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank, weiterer klärender Schritte in weiteren Politikfeldern. Bisher ist die Geldpolitik der EZB von allen Euro-Ländern ohne grösseres Murren akzeptiert worden, was alles andere als selbstverständlich ist. Ob das so bleiben wird, wage ich aber nicht vorauszusagen. Erst im Konflikt wird sich zeigen, ob die Geldpolitik wirklich entnationalisiert worden ist.
Kann sich eine kleine Währung wie der Schweizerfranken inmitten dieses grossen Währungsraumes auf Dauer autonom halten?
Frankfurt. - Über mehr als 30 Jahre zog sich die Wegstrecke dahin, bis Anfang 1999 die europäische Gemeinschaftswährung aus der Taufe gehoben wurde. Hans Tietmeyer gehört zu den Persönlichkeiten, die dieses historische Projekt von Anfang an mitprägte. Die Erarbeitung des Werner-Plans, benannt nach dem damaligen luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner, begleitete Tietmeyer in den Jahren 1970/71 als stellvertretendes deutsches Kommissionsmitglied. In dieser Zeit war der gebürtige Westfale im Wirtschaftsministerium für Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung tätig (1962 bis 1982).
Danach amtierte Tietmeyer als Staatssekretär im Finanzministerium (1982 bis 1989). Im Jahr darauf folgte der Wechsel ins Direktorium der Deutschen Bundesbank, deren Präsident er von 1993 bis 1999 war. Tietmeyer, der im August seinen 70. Geburtstag feierte, war damit der letzte Chef einer unabhängigen deutschen Notenbank. (rm.)
APA/jos]