Umwelt
Von Martin Läubli, Bern
Was Ende der 80er-Jahre die Bevölkerung bewegte, ist seit den 90er-Jahren in den Hintergrund gerückt: Die Furcht vor Arbeitslosigkeit und der ungewisse Ausgang der Globalisierung beschäftigen heute mehr als Luftverschmutzung, kranke Wälder oder das Ozonloch. Zu dem Ergebnis kommt das GfS-Forschungsinstitut im neuen Univox-Umweltbericht. Nur noch etwa ein Fünftel der Befragten ordnen heute Umweltthemen zu den fünf wichtigsten Problemen der Schweiz: Vor zehn Jahren war es noch die Hälfte.
Skeptische Grundhaltung
Das GfS-Forschungsinstitut verfolgt seit 1986 mit repräsentativen Befragungen, wie sich die Wahrnehmung von Umweltproblemen bei Stimmberechtigten verändert. Trotz des nachlassenden Interesses für die Umweltproblematik sei aber die "skeptische Grundhaltung gegenüber dem Verhältnis zwischen Umwelt, Technik und Gesellschaft" in der Öffentlichkeit nach wie vor hoch, halten die Autoren des Berichts fest.
Besonders bedrohlich wird die Luftverschmutzung empfunden, welche die Industrie verursacht. Das ergab eine Befragung von knapp 700 Personen vor einem Jahr. Auf der Skala der grössten Umweltbedrohungen folgen: in der Landwirtschaft eingesetzte Pflanzenschutzmittel und Chemikalien; Kernkraftwerke; die Freisetzung von genveränderten Organismen sowie der Treibhauseffekt. Die Umwelt wird allerdings unterschiedlich wahrgenommen: So schätzen Befragte auf dem Land die Verschmutzung der Natur als gefährlicher ein als jene in den Agglomerationen. Wer der CVP nahe steht, hat ähnliche Vorstellungen über die Umweltverschmutzung wie die SP. Wer für keine Partei sympathisiert, nimmt die Umweltbedrohung durch die Industrie ernster als Befragte, die einer der vier Bundesratsparteien nahe stehen.
Eines zeigen alle Erhebungen seit Mitte der 80er-Jahre: Umweltpolitik wird zwar weiterhin ernst genommen. Die Mehrheit ist aber für eine Umlagerung von öffentlichen Mitteln zu Gunsten des Umweltschutzes. Dafür soll in der Landesverteidigung und im Strassenbau gespart werden. Allerdings befürwortet seit Mitte der 90er-Jahre nur noch eine Minderheit der Befragten neue Umweltabgaben und die Einführung neuer Umweltmassnahmen.
Von Martin Läubli
Der Elan im Umweltschutz der späten Achtzigerjahre ist erlahmt. Tschernobyl und Schweizerhalle sind nur noch Erinnerung. Ozonloch und kranke Wälder überlässt man den Umweltforschern. Die Univox-Studie bestätigt: Arbeitslosigkeit und Altersvorsorge, Globalisierung und Überfremdung - das sind heute die Themen, mit denen Parteien in den Wahlkampf ziehen. Aber doch nicht mit Umweltschutz! Die Schweiz ist eine vorbildliche Nation, glauben wir. Wozu also Mehrausgaben und Lenkungsmassnahmen?
Für die kommenden Generationen, sagen Umweltforscher. Also für eine nachhaltige Entwicklung. Nach zehn Jahren Umweltforschung des Nationalfonds wird der Schweiz kein gutes Zeugnis ausgestellt: Sie ist nicht auf Nachhaltigkeitskurs. Das Aussterben einheimischer Pflanzen- und Tierarten geht weiter, Ozon und Russpartikel verbreiten Bronchitis und Allergien, die Klimaverpflichtung von Kyoto wird kaum erfüllt. Was für eine Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Realität im Schweizer Umweltschutz.
Zwar ist der Befund nicht neu. Bereits vor vier Jahren wurde in einem OECD-Bericht auf die Schwachstellen getippt: Der Natur- und Landschaftsschutz sei im Ländervergleich dürftig. So richtig ernst wollten die Parlamentarier die Studie nicht nehmen. Schliesslich, so sagen sie, schützen wir Auen und Hochmoore, haben Bestimmungen für die Restwassermenge in Bächen und Flüssen, Grenzwerte für Schadstoffe. Hehre Absichten auf dem Papier, im Vollzug hapert es gewaltig. Das ist nun wissenschaftlich im Forschungsbericht des Nationalfonds verbrieft - mit konkreten, von Forschern geprüften Vorschlägen, wie wir den Lebensraum für kommende Generationen wahren können.
Diese Empfehlungen müssen wir ernst nehmen - auch wenn Arbeit und Wohlstand derzeit mehr Sorgen machen. Schliesslich ist die Vorsorge für die Nachkommen in der Bundesverfassung verankert. Das müsste Konsequenzen haben: Unternehmer sollten nicht mehr von Umweltkosten, sondern von Investitionen in nachhaltige Produkte reden; Politiker müssten ökologische Steuerreformen vorantreiben und Konsumenten auf Ökolabels für Produkte pochen.
Von Martin Läubli
Schön wäre es, die Delegierten könnten Ende August am Umweltgipfel in Johannesburg verkünden: Die Schweiz ist auf dem besten Weg, kommenden Generationen die ökologische Lebensgrundlage zu sichern. Gestern wurde an einer Pressekonferenz in Bern aber eine andere Botschaft verkündet: "Wir sind nicht auf Nachhaltigkeitskurs", sagt Rahel Gessler.
Die Umweltnaturwissenschaftlerin ist Mitautorin des Berichts "Vision Lebensqualität". Darin sind Resultate, Analysen und Empfehlungen zehnjähriger Umweltforschung zusammengefasst. Am Schwerpunktprogramm Umwelt des Nationalfonds waren seit 1992 mehr als 1000 Forscherinnen und Forscher beteiligt; das Grossprojekt verschlang knapp 100 Millionen Franken. Aus den Forschungsarbeiten sind rund 3000 Publikationen zu einer breiten Themenpalette entstanden: Klima, biochemische Prozesse und Kreisläufe, Artenvielfalt, Gesellschaft und Wirtschaft, Boden und Abfall, Entwicklung und Umwelt.
Weit weg vom Ziel
Das Fazit ist ernüchternd - und bestätigt vielfach das Resultat des OECD-Berichts vor vier Jahren: So geht die Zahl einheimischer Pflanzen- und Tierarten stark zurück. "Stärker als in allen anderen Industrieländern", sagt Rahel Gessler. Die Ursache: Zersiedelung und Übernutzung des knappen Raumes. Jede Sekunde wird ein Quadratmeter Land verbaut, die Erosion gefährdet ein Drittel der fruchtbaren Böden. Beim Klima ist die Schweiz noch weit entfernt, ihre in Kyoto vereinbarte Verpflichtung einzuhalten, den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren. Weiterhin belastet Smog die Atemwege vieler Menschen in Ballungszentren und dicht besiedelten Alpentälern.
Trotz modernen Umweltgesetzen, Verordnungen und gross angelegten Inventaren - die Ziele des Umweltschutzes sind in der Schweiz bei weitem nicht erreicht. Die Gründe sind nicht neu, doch mit dem Schlussbericht des Umweltforschungsprogrammes nun wissenschaftlich verbrieft. "Umweltschutz hinkt immer noch der Wirtschaft hintennach", sagt Programmleiter Rudolf Häberli. Und Rahel Gessler ergänzt: "Viele Massnahmen kennen wir, doch mit deren Umsetzung hapert es."
Für einmal lassen es die Wissenschaftler denn auch nicht beim Befund bleiben. "Wir müssen Werte und Denkmuster verändern", sagt Rudolf Häberli. Was an die abstrakte Botschaft aus der Zeit der 80er- und 90er-Jahre erinnert, wird in konkreten Empfehlungen deutlich. So wurde zusammen mit Betroffenen und Akteuren aus der Praxis formuliert, wie eine nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt werden könnte:
Die Wirtschaftspolitik gehört zu den wirksamsten Massnahmen. "Der Ressourcen- und Energieverbrauch wird nach wie vor durch die Wirtschaft bestimmt", sagt Rahel Gessler. Deshalb müsse das CO2-Gesetz konsequent vollzogen und eine ökologische Steuerreform eingeleitet werden. Studien zeigen, dass die negativen Folgen solcher Instrumente für die Wirtschaft überschätzt werden. Weiter sollen die Energieagenturen ausgebaut werden, um die Reduktion des CO2-Ausstosses auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen mit der Wirtschaft zu fördern.
Der Dialog zwischen Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft ist ungenügend. "Es fehlen die gemeinsamen Spielregeln", sagt Ernst A. Brugger, Direktor des Sustainability Forums in Zürich. Das schwierigste Problem bei der nachhaltigen Entwicklung, so der Vertreter aus der Praxis, sei die Aushandlung der Ziele. Dazu brauche es Plattformen wie das Sustainability Forum, um wissenschaftliche Befunde praktisch umzusetzen. "Wir müssen an Fallbeispielen aus dem In- und Ausland lernen, sie bringen uns weiter", sagt Brugger. Und es braucht Transparenz: Die Autoren des Forschungsberichts sehen dafür unter anderem eine obligatorische Umweltberichterstattung für Bund und Kantone vor, eine Förderung von Bürgerforen und Ökolabels auf Produkten. Neutrale Nichtregierungsorganisationen (NGO) sollen zudem bei politischen Entscheiden stärker als Berater beigezogen werden.
Starker Bericht
Das sind nur einige Empfehlungen aus einer langen Liste im mehr als 300 Seiten starken Bericht "Vision Lebensqualität". Das Werk bietet eine umfassende und verständlich geschriebene Darstellung der Umweltforschung und der Entwicklung des Umweltschutzes in den vergangenen zehn Jahren. Ihre Botschaft bringen die Autoren mit dem griechischen Philosophen Aristoteles auf den Punkt: "Dinge, die wir lernen müssen, bevor wir sie tun können, lernen wir, indem wir sie tun."