Ein Anwalt der ungewöhnlichen Seelen
Der Sänger und Lieder- macher Fabrizio De André ist in der Nacht auf Montag im Alter von 58 Jahren einem Tumorleiden erlegen. De André galt als einer der einflussreichsten unter Italiens Cantautori.
Von Benedetto Vigne
Fabrizio De André: Bei seinem einzigen Zürcher Auftritt, im April 1982 im Kongresshaus, sass er das ganze Konzert hindurch auf einem Stuhl, die qualmende Zigarette und das Weinglas in Reichweite. Seine Stimme war aber, bei aller alabasternen Brüchigkeit, stark und klar, seine Lieder klangen präzis und präsent. Es war nicht die Geste eines kränkelnden Bonvivants, es war vielmehr der Ausdruck eines Sängers und Dichters, der die Bühne scheute, die er selbst geschaffen hatte. Der den Rückzug liebte und lebte, in nachempfundener Anlehnung an die Ausgegrenzten, die er in seinen Liedern immer wieder besang. Der in seinem Werk wie kaum ein anderer Anarchie und Lebenslust, Belesenheit und Solidarität zu vereinen wusste und deshalb auch zum Übervater des italienischen Autorenliedes heranwuchs. Der aber auch, den oft zitierten Widerspruch vorlebend, eine gewisse aristokratische Überheblichkeit an den Tag legen konnte. "Ich hasse das Hässliche und das Unnütze" sagte er noch unlängst in einem Interview.
Musiziert statt studiert
Aus gutbürgerlicher, wohlhabender Genueser Familie stammend, hätte der junge Fabrizio De André eigentlich Anwalt werden sollen. Statt die Universitätskurse zu besuchen, sass er jedoch lieber mit gleichgesinnten Musikern wie Luigi Tenco und Gino Paoli zusammen - die drei gelten als Begründer der so genannten "scuola genovese". Mit 18 Jahren spielte er die erste Platte ein, und als die Sängerin Mina im Jahre 1965 mit seinem Lied "La canzone di Marinella" einen Grosserfolg verbuchte, entschied sich De André ganz für die Musik. Ein Jahr später veröffentlichte er sein erstes Album, das bei Studenten, Intellektuellen und Künstlern gleich auf ein grosses Echo stiess. Von den französischen Chansonniers angetan, führte er eine ganz neue Schreibart in das italienische Lied ein; er übersetzte Lieder von Georges Brassens, aber auch von Bob Dylan und Leonard Cohen.
Sein 68er-Album "Tutti morimmo a stento" (Wir alle starben mit Mühe und Not) war von der Lektüre François Villons beeinflusst; es ging erstmals deutlich um Randständige und Aussenseiter, um Gestrandete und Verzweifelte. "Bocca di rosa" hiess später einer seiner grössten Erfolge, die Ballade einer Dorfedelhure. Im Konzeptalbum "Storie di un impiegato" besang er einen kleinbürgerlichen Rebellen. "Andrea", seine wohl berühmteste Melodie, Ende der Siebzigerjahre ein Dauerbrenner auch in Zürcher Musikboxen, ist ein Lied gegen die Sinnlosigkeit des Krieges. Ein Grundton, der in vielen anderen Stücken zum Ausdruck kommt: "La guerra di Piero", "Ballata dell'eroe".
Im Jahre 1978 übersiedelte Fabrizio De André zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Sängerin Dori Ghezzi, nach Sardinien und zog sich dort auf einen Bauernhof zurück. Ein Jahr später wurden die beiden von sardischen Gangstern entführt und monatelang in Fesseln versteckt gehalten. Auf dem Album "Indiani" verarbeitete der Sänger im Lied "Hotel Supramonte" die Erfahrungen als Entführter, stellte aber auch, quasi in einem Akt der Versöhnung, die untergehende Hirtenkultur der Insel dem Schicksal der amerikanischen Indianer gleich.
Lange die Bühne gescheut
Bei allem Erfolg, den der Cantautore bereits mit seinen frühen Platten erleben durfte, konnte er dennoch erst Mitte der Siebzigerjahre dazu bewogen werden, auf die Bühne zu gehen - seine Angst vor Auftritten war notorisch. Die Konzerte zusammen mit der einfühlsamen lombardischen Rockgruppe PFM gerieten allerdings zu einem Meilenstein der italienischen Musikgeschichte; sie sind auf mehreren Live-Alben dokumentiert. Aus dieser Zusammenarbeit erwuchsen denn auch die letzten drei Studiowerke De Andrés, die, mit grossen Zeitabständen produziert, alle zu Meisterwerken erkoren wurden. Auf "Creuza de mä" von 1984 rekonstruierte De André, mit Hilfe des Genueser Dialektes und mediterranen Klängen, farbenstarke Bilder einer inzwischen verblühten Hafenstadt - das Album gilt als ein Vorreiter der Ethno-Pop-Musik. In "Le nuvole" spürte er sechs Jahre später all jene politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen "Wolkenwesen" auf, die sich zwischen die Sonne und den Menschen schieben. Vor zwei Jahren widmete er das zurückhaltende, leise Album "Anime salve" allen jenen Menschen, die sich in der Einsamkeit, in der inneren Emigration zu retten wissen. "Mi innamoravo di tutto", eine Anthologie ältester Titel, darunter auch eine Wiederaufnahme der "Marinella", brachte schliesslich den grossen Eremiten doch noch dazu, im Winter 97/98 eine ausgedehnte triumphale Tournee durch die Kleintheater Italiens anzutreten. Es sollte seine letzte sein.
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