Addio, amico fragile!
«Heutzutage lässt sich doch jede Krankheit heilen», sagte noch vor Weihnachten ein Freund am Telefon zu Fabrizio De Andrè. «Ja, sogar die Krankheit namens Leben», gab der unverbesserliche Sarkastiker zurück - und jetzt, keinen Monat später, ist er schon tot. Nach Lucio Battisti (im September) ein zweiter Riesenverlust für die italienische Musikwelt: Ministerpräsident D'Alema hat ihn als «Maler der Erfahrungen
von ganzen Generationen» bezeichnet, Nobelpreisträger Dario Fò spricht von «Arbeiten auf höchstem Niveau», Komponist Luciano Berio wollte eine neue Nationalhymne mit ihm schreiben, die Schriftstellerin Dacia Maraini vergleicht seine Texte mit Dante und Leopardi, und sogar Radio Vatikan lobt ihn als «Kritiker der bürgerlichen Heuchelei» und «Sänger der dunklen Seite des Lebens». Ja, das war er auch, dieser verlorene Sohn des genuesischen Grossbürgertums, dieser Säufer, Sünder und Anarchist; in der grossen Tradition von Brel und Brassens sang er über (und für) die Unangepassten, Schwachen und Ausgestossenen der Gesellschaft, von Prostituierten («Bocca di rosa», 1967) und missbrauchten Kindern («Princesa», 1996), aber alles Moralisieren war ihm fremd.
Die Widersprüche
«Man weiss, dass die Leute gute Ratschläge verteilen / Wenn sie kein schlechtes Beispiel mehr geben können» - mit so frechen Versen war Fabrizio De Andrè auch für die etablierte Linke ein mehr als unbequemer Weggefährte, und noch bei einem seiner letzten Konzerte im «Mezzogiorno» hat er schockiert mit der Bemerkung, ohne Mafia und Camorra gäbe es wohl da unten noch viel mehr Arbeitslose... Dies von einem, der im übrigen eine enge Beziehung zum Süden hatte: Mit den späteren mediterran gefärbten «Ethno»-Platten von «Creuza de mä» bis «Anime salve» hat er sich quasi als «ligurischer Araber» zu erkennen gegeben, und seiner Wahlheimat Sardinien war er nicht einmal abtrünnig geworden, als ihn einheimische Banditen hundert Tage lang entführt hatten. Damals (1978) hatte nochmals der reiche Vater mit einem massiven Lösegeld einspringen müssen; aber Widerspruchsfreiheit war nie Fabrizios oberstes Ziel gewesen; nicht als er das Jus-Studium abbrach zugunsten einer prekären Sängerzukunft, nicht als er (zusammen mit Freunden wie Gino Paoli und Luigi Tenco) seine eigenen Lieder zu schreiben begann in einem Schlagergeschäft, das vom Wort «Cantautore» noch nie gehört hatte - und auch nicht, als er sich im Showbusiness durchsetzte, indem er dessen sämtliche Regeln verletzte.
Der Triumph
Seine unzähligen LPs und CDs reduzieren sich genau besehen auf 15 oder 16 längere Werke in vierzig Jahren Karriere - das ist nach gängigen Massstäben nicht eben viel, aber es ist sehr viel, wenn wir die Qualität und immer wieder radikal neudefinierte Musikalität bedenken, die da zum Ausdruck gekommen ist. Zuerst die von den grossen Franzosen geprägten Lieder der Frühzeit, «La Guerra di Piero» oder jene «Canzone di Marinella», die von der National-Diva Mina zum Hit gemacht wurde; dann die klassischen «Cantautori»-Platten vom 68er-«Volume 1» (mit «Via del Campo» und «Bocca di rosa») bis «Rimini» (1978); und dann der definitive Triumph des bühnenscheuen Fabrizio in den 79er-Konzerten mit «PFM», den Helden des «Rock progressivo».
Das ganz Erstaunliche und Untypische aber: dass auf diese veritable Apotheose nicht ein diskreter Niedergang folgte, sondern die erwähnte Serie von zunehmend ethnomusikalisch gefärbten Meisterwerken, angefangen mit der sogenannten «Indianerplatte» von 1981 und ergänzt durch die «Concerti» von 1991. Dass einer mit 58 Jahren viel zu früh gestorben ist, mag wie eine Floskel klingen; aber im Fall von Fabrizio De Andrè ist es buchstäblich wahr, denn mit jedem neuen Album hat er sein Gesamtwerk um neue Dimensionen erweitert... und was uns jetzt durch seinen Tod entgeht, ist für einmal wirklich unersetzlich.
Martin Schäfer
«Fabrizio De Andrè e PFM in Concerto» (Fonit Cetra CDM 2043).
Fabrizio De Andrè: «Creuza de mä» (Ricordi CDMRL 6308).
Fabrizio De Andrè: «Anime salve» (BMG/Ricordi 392'252).