Somalia



Seit 1988 wird im ostafrikanischen Somalia Krieg geführt. Die 2001 ausgetragenen Kampfhandlungen können jedoch kaum mehr auf die ursächliche Konfliktkonstellation Ende der 1980er Jahre zurückgeführt werden. Anhand des langjährigen Kriegsverlaufs in Somalia kann geradezu beispielhaft die Gewaltprozessen eigene Desintegrationsdynamik nachvollzogen werden. Die vollständige Auflösung der staatlichen Zentralgewalt in Somalia und die Herausbildung neuer Akteure sowie die Etablierung gewaltbestimmter Ordnungsformen jenseits des Staates sind zugleich eine Folge des Krieges als auch die Bedingung seiner Fortsetzung. Die im Jahr 2000 mit der Bildung einer Übergangsregierung geweckte Hoffnung auf eine baldige Beendigung des Krieges wurde bis Ende 2001 nicht erfüllt. Während sich die Regierung um den Aufbau staatlicher Strukturen und die Bekämpfung des Milizen- und Bandenwesens bemühte, begannen die Regierungsgegner mit der Koordination ihrer politischen und militärischen Aktionen. Im Berichtsjahr brachen außerdem in der selbsternannten autonomen Region Puntland, die seit der Erklärung ihrer regionalen Unabhängigkeit 1998 als weitgehend befriedet galt, wieder bewaffnete Auseinandersetzungen aus. Bereits Anfang der 1980er Jahre hatten sich mit der Somali Salvation Democratic Front (SSDF) und der Somalia National Movement (SNM) erste Aufstandsbewegungen formiert, die mit der Unterstützung von Äthiopien gegen die repressive Herrschaft Siad Barres vorgingen. Barre hatte sich 1969 durch einen unblutigen Militärputsch an die Spitze des somalischen Staates gestellt und bis 1977 mit finanzieller und technischer Hilfe der Sowjetunion, danach der USA, einen umfassenden Verwaltungs- und Gewaltapparat in Somalia etabliert. Da alle wirtschaftlichen Reform- und Modernisierungsanstrengungen scheiterten, bildete der stetig wachsende und streng hierarchisch organisierte Staatsapparat das ökonomische und politische Zentrum Somalias. Im Interesse der Absicherung seiner Herrschaft sorgte Barre dafür, dass Mitglieder aller Clanfamilien in der Regierung und den bedeutenden staatlichen Positionen vertreten waren und baute über den Staat ein Netzwerk personaler Bindungen auf. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde durch das Mittel der Bezahlung direkt an den Staat, und das bedeutete an Siad Barre, gebunden und mit der Verteilung der staatlichen Renten über verwandtschaftliche Kanäle wurde die Herrschaft Barres auf eine breite soziale Basis gestellt. Durch die Umwandlung des Staates in ein privates Versorgungssystem und Netzwerk der Patronage wurde jedoch auch die Bedeutung der Clanzugehörigkeit, über die die staatlichen Ressourcen verteilt wurden, gestärkt und die Herausbildung einer dem Clan übergeordneten, nationalen Identität verhindert. Gleichzeitig wurde das traditionale Muster der Vergesellschaftung jedoch radikal verändert. Die Möglichkeit der Personalisierung und Zentralisierung von Macht war in der traditionellen Gesellschaft ebenso fremd, wie die Tatsache, dass jetzt zumeist junge Männer über die Möglichkeit zur Akkumulation von materiellem und sozialem Kapital verfügten, wodurch ihre Macht gestärkt und die der traditionell bedeutenden Clanältesten geschwächt wurde. Erste Legitimitätsverluste erlitt Barre durch die Niederlage im Ogaden-Krieg (1977/1978) gegen Äthiopien. Dieser Krieg und der Ausbau des Militärs hatte große Teile des Staatshaushaltes verschlungen und der anhaltende Flüchtlingsstrom von Somali aus Äthiopien verschärfte die ökonomische Krise. Als Barre zusätzlich von den westlichen Geberstaaten zu Privatisierungsmaßnahmen gezwungen wurde und den Staatsapparat verschlanken musste, verwandelte sich sein ursprüngliches Klientel in potentielle Konkurrenz. Barre suchte seine Herrschaft abzusichern, indem er sich einen engen Kreis von Unterstützern aufbaute. Dafür griff er auf die traditionelle Sprache der verwandtschaftlichen Zugehörigkeit zurück und verwandelte den Staat in ein reines Familienunternehmen, in dem alle relevanten Posten an Mitglieder seiner eigenen Marehan-Clanfamilie vergeben wurden. Ein 1979 gescheiterter Putsch von Offizieren, die vorwiegend dem im Nordwesten Somalias ansässigen Majerteen-Clan angehörten und erste Antiregimedemonstrationen in der vorwiegend von Mitgliedern des Isaaq-Clans bewohnten Stadt Hargeisa führten dazu, dass Barre die Majerteen und Isaaq als Feinde einstufte. Unter dem Oberbefehl seines Schwiegersohnes, General Siad Morgan, setzte er seine Armee gegen die Isaaq-Zivilbevölkerung im Norden ein und so verwundert es nicht, dass sich auch der Widerstand gegen Barre im Norden und auf der Basis von Clanzugehörigkeiten artikulierte. Der SSDF wurde vorwiegend von Angehörigen des Majerteen- und die SNM von Mitgliedern des Isaaq-Clans unterstützt. Als Äthiopien den Aufstandsbewegungen die Unterstützung und Rückzugsmöglichkeit entzog, wurden diese zu einer offenen Angriffsstrategie gezwungen und die gelegentlichen Angriffe verdichteten sich bis Mai 1988 zum offenen Krieg. In allen Teilen des Landes formten sich schließlich Aufstandsorganisationen, die während ihres Vormarsches auf die Hauptstadt Mogadischu Mitglieder der eigenen Clanfamilien rekrutierten. Clans und Subclans wurden mit Waffen ausgestattet und kämpften in kleinen Gruppen gegen die somalische Armee. Da Barre mit dem Ende des Ost-West-Konflikts seine finanzielle Unterstützung durch die USA verloren hatte, konnte er im Verlauf des Krieges seine Armee nicht mehr unterhalten. Viele Soldaten der regulären Armee schlossen sich entweder den Widerstandsbewegungen an oder organisierten sich in marodierenden Banden, die ihr Kriegsgerät für raubkriminelle Aktivitäten privatisierten und die Zivilbevölkerung terrorisierten. Der in Zentralsomalia aktiven Aufstandsbewegung United Somali Congress (USC) gelang im Januar 1991 der Einmarsch in die Hauptstadt Mogadischu und am 21. Januar 1991 endete die erste Phase des Krieges mit der Niederlage des Barre-Regimes. Militär und Polizei hatten sich im Verlauf des Krieges aufgelöst, die Ökonomie war zusammengebrochen, eine Verwaltung existierte faktisch nicht mehr. Nach der Vertreibung Barres zeigte sich, dass die Aufstandsorganisationen außer dem gemeinsamen Ziel, die Diktatur Barres zu beenden, allenfalls über vage politische Zielsetzungen verfügten. Zum Scheitern mehrerer Versöhnungsverhandlungen trug auch bei, dass innerhalb des USC ein Konkurrenzkampf um die Nachfolge Barres entbrannte. Anspruch auf das Präsidentenamt erhoben sowohl dessen militärischer Oberbefehlshaber, General Farah Aideed als auch Ali Mahdi, ein Geschäftsmann, der den USC finanziell unterstützt hatte. In dieser Situation entschloss sich die Führung der SNM zum Rückzug und rief im Mai 1991 im Norden, in den Grenzen des ehemals unter britischer Kolonialherrschaft stehenden Teils Somalias, die unabhängige "Republik Somaliland" aus. Unter Rückgriff auf traditionale Mechanismen der Konfliktschlichtung durch Clanälteste und auf die traditionalen Versammlungen von Clanrepräsentanten (dem so genannten shir) konnte die Macht der Clanmilizen geschwächt werden. Auf einem 1993 abgehaltenen shir wurde Ibrahim Egal zum Präsidenten gewählt und nicht zuletzt unter seiner geschickten Führung wurde ein Großteil der Milizen demobilisiert und eine Armee- und Polizeieinheit aufgebaut. Obwohl der Nordosten heute als befriedet gelten kann und staatliche Strukturen aufgebaut wurden, wird die Republik Somaliland international nicht anerkannt. Im Juli 1998 folgte die SSDF dem Beispiel Somalilands und rief im Nordosten die autonome Region "Puntland" aus. Seither wurde eine Verwaltung aufgebaut, ein Parlament gebildet und der militärische Befehlshabers der SSDF, Abdullahi Yussuf Ahmed, zum Präsidenten ernannt. Eine Verfassung sollte ausgearbeitet und bis 2001 Parlamentswahlen vorbereitet werden. Im Süden Somalias brach dagegen bereits im November 1991 der offene Krieg zwischen den Kontrahenten Aidid und Ali Mahdi um die Kontrolle Mogadischus aus. Die beiden selbsternannten Präsidenten mobilisierten ihre Anhänger auf (Sub-)Clanbasis und bald wurden erneut Kämpfe von Clanmilizen ausgetragen, die sich mit einem der beiden Kontrahenten verbündeten und um die Sicherung und Ausdehnung ihrer Herrschaftsbereiche kämpften. Durch kriegsbedingte Missernten wurde eine Hungersnot ausgelöst, die 1992 fast 300.000 Menschen das Leben kostete und zum ersten Fall einer "humanitären Intervention" führte. Zwischen Dezember 1992 und März 1995 versuchten zeitweise mehr als 30.000 Soldaten aus über 20 Ländern unter dem Oberbefehl zuerst der USA, dann der UN ein sicheres Umfeld zur Verteilung der in Somalia dringend benötigten Hilfsgüter zu schaffen, die Kriegsparteien zu entwaffnen und eine politische Einigung zu vermitteln. Keines dieser Ziele wurde verwirklicht und nach dem Abzug der UN-Truppen im März 1995 wurden die Kämpfe unvermindert weitergeführt.

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