Eine Reise nach Ligurien
--------------------------------Ich hatte eine Sprachreise nach Italien gebucht und mir nach längerer Überlegung einen kleinen Ort an der ligurischen Küste ausgesucht. San Bartolomeo al Mare hieß er und lag irgendwo an der ligurischen Küste zwischen San Remo und Genua.
San Remo kannte ich nur von den dort jährlich stattfindenden Schlagerwettbewerben und außerdem war es bekannt durch sein offensichtlich sehr gern besuchtes Spielcasino.
Da mir diese Angaben nicht genug waren, schlug ich nach und las:„Wenige Personen außerhalb Italiens scheinen zu wissen, so sich Ligurien befindet. Es wird von der italienischen Riviera gesprochen, aber nicht von Ligurien. Ligurien ist der Name einer Region, die zwischen der Toskana und der Provence liegt, und Riviera bezieht sich auf einen schmalen sichelförmigen Küstenstrich auf der Nordseite des Mittelmeeres. Zahlreiche Fischerdörfer, weltbekannte mondäne Orte wie Sanremo, Alassio, Portofino, die Cinque Terre und noch andere wie Cervo, Noli, Tellaro und Portovenere, vielleicht weniger bekannt, aber menschlicher, die nur zu Fuß oder mit dem Boot erreichen werden können, identifizieren Ligurien als ein Land, das Schritt und Tritt entdeckt werden muß, um kein scheinbar verborgenes Detail zu vermissen.
Die Riviera Ligure ist in zwei Teile getrennt: im Osten liegt die Riviera di Levante, die sich im Zickzack von der Toskana bis Genova hinzieht, im Westen zeichnete die Riviera di Ponente einen Bogen westlich von Genova bis nach Frankreich.
Das authentische Ligurien, das wahre, ist noch heute sicherlich das Hinterland, in dem Dörfer und außerordentliche Wege als Zeugnis einer antiken regionalen Kultur zu finden sind, sowie Handwerk und önogastronomische Spezialitäten, die entlang der Küste seit langer Zeit vergessen sind. Das ist der Grund, weshalb Ligurien nicht nur aus den zwei Rivieren besteht. Und, nur von diesen zu erzählen, würde die wichtige Stadt Genova ausschließen, die Hauptstadt der Region, einstmals wegen der prächtigen Paläste mit vergoldeten Zimmerdecken und wertvollen Einrichtungen die Stolze genannt. Ligurien war die Heimat von Cristoforo Colombo, dem Entdecker Amerikas, von Andrea Doria, der die Seerepublik Genova zu Ruhme führte, so daß sie zu den stärksten Mächten des Mittelmeeres gezählt wurde; von Niccolo Paganini, dessen Musik von den größten Meistern der Welt gespielt wurde.
Wer einmal in Ligurien war, wird immer wieder dorthin gerne zurückkehren, um die Fülle von Kunstschätzen zu entdecken, die jahrhundertealte Traditionen, die antiken Erzählungen, die kulinarischen Spezialitäten, die wunderbaren Weine, die außergewöhnlichen Museen.“Das war also der Landstrich, den ich am 2. September ansteuerte, per Flug via Zürich und Nizza, dann per Zug entlang der wunderschönen Küste, vorbei an magischen Orten wie Monte Carlo, Menton, Bordighera, San Remo, San Lorenzo al Mare, Porto Maurizio, Imperia Diano Marina und letztendlich San Bartolomeo al Mare.
Ich landete in Nizza, und dort wartete die erste, unangenehme Überraschung auf mich und viele andere Passagiere: ein Container mit unserem Gepäck war nicht angekommen und offenbar in einem anderen Flughafen gelandet. Da standen wir also alle, nur mit unserem Handgepäck und waren ratlos.
Einer der Passagiere, ein junger sportlicher Mann, erzählte mit, daß er einen Kletterkurs in den französischen Alpen gebucht hätte und sich sein Zelt und seine sehr kostspielige Kletterausrüstung in seinem Reisegepäck befände. Er könne gleich wieder zurückfliegen, weil all seine Pläne damit hinfällig geworden seien. Ein Mann mit schwarzen langen öligen Haaren und dickem Bierbauch geriet mit seiner ebenfalls recht korpulenten Frau in Streit und ihren Mienen nach zu schließen, war Eiszeit in ihre Beziehung eingekehrt. Und das bei 30 Grad Celsius in Nizza, der wundervollen Stadt an der französischen Riviera.
Nachdem wir dann alle unsere Personalien angegeben und eine Referenznummer für unser verlorenes Gepäck ausgehändigt bekommen hatten, konnten wir dann unserer Wege ziehen. Ich erwischte gerade noch den Zug in Richtung italienische Grenze und reiste also ohne meine schwere Tasche weiter. Das konnte ja heiter werden: ich war Berlin-mässig gekleidet, mit schwarzen langen Hosen, festen Schuhen und einem warmen Pullover. Dies sollte in den ersten Tagen im sonnenwarmen Italien meine Kleidung sein. Ein Alptraum! Ganz abgesehen davon, daß sich mein ganzes Waschzeug in dem verlorenen Gepäck befand und ich mir noch nicht mal die Zähne putzen konnte.
Die herrliche Gegend – das blaue Meer und die wunderschönen blumengeschmückten Orte, die ich dann auf meiner Zugfahrt zu sehen bekam, entschädigten mich aber, und ich dachte mir, daß sich für alles eine Lösung finden werde.
Auf der letzten Strecke nach der Grenze in Ventimiglia, also schon in Italien, ließ sich kein Schaffner sehen, so daß ich niemanden fragen konnte, wo denn dieser Zug halten würde. Auch die Leute im Zug, die ich mit meinem spärlichen Italienisch fragte, hatten keine Ahnung. Der Zug hielt in San Lorenzo al Mare, einem sehr kleinen Ort, und ich dachte mir, wenn er hier hält, wird er auch in Diano Marina halten, einem Ort, der mindestens genau so groß war wie San Lorenzo. Falsch gedacht: Der Zug fuhr weiter, hielt in Imperia und nachdem er schon wieder angefahren war, tauchte erst die vorher lang ersehnte Schaffnerin auf: Sie teilte mir bedauernd mit, daß dieser Zug nicht in Diano Marina halten würde und die nächste Station, wo der Zug hielte, Alassio sei. Ich war fassungslos. Ohne meine Tasche saß ich jetzt auch noch in einem Zug, der viel zu weit fuhr. Es schien unmöglich, meinen Termin um 19.00 h an der Schule in San Bartolomeo zu halten, da ich ja die ganze zu weit gefahrene Strecke wieder zurück mußte.
Dann hielt der Zug auf einmal – wahrscheinlich an einem Haltesignal auf der Strecke - Ich schnappte mein leichtes Gepäck und stieg aus, offensichtlich mitten auf der Strecke, in einem kleinen Ort namens Andora (wie sich später herausstellte ein Nachbarort von San Barto.) Die Schaffnerin tauchte auf und sagte:
„Non c’è una stazione, ma va, Signora...“ Es sei keine Station, ich solle aber ruhig gehen. Das tat ich dann auch und hatte einige Kilometer Taxe gespart. Andora erwies sich als ein Ort ohne Menschen, wahrscheinlich weil Sonntag war. Ich trieb einen Taxifahrer auf, und der fuhr mich dann für teures Geld in den Nachbarort, San Bartolomeo al Mare. Endlich war ich da gelandet, wohin ich gewollt hatte.Ich war da, verschwitzt, müde und ohne meine Reisetasche. Diese kam dann nach 2 ½ Tagen an, in einem bedauernswerten Zustand. Die eine Seite war wie mit einem Messer aufgeschlitzt und demzufolge fehlten auch einige meiner Sachen.
3. September 2001:
Aufnahmeprüfung und erster Unterricht: Es sind außer mir noch vier andere Personen in der Klasse, drei Niederländer und ein junger Deutscher.
Die Holländer tun sich schwer mit der italienischen Aussprache und der Grammatik. Da ich sehr große Ähnlichkeiten mit der französischen Grammatik feststelle, habe ich fast keine Schwierigkeiten, mit der Aussprache auch nicht.Abends, in meinem Appartement, das ich mit einer jungen Deutschen teile, überdenke ich meinen ersten Tag und auch meinen kurzen Besuch am Strand (in voller, warmer Berlinmontur und dies bei einer sommerlichen Temperatur von mindestens 30 Grad C.)
und beschließe, mir am nächsten Tag gleich einen Badeanzug auf dem Markt zu kaufen.
Außerdem will ich, auch ohne Auto, so viel wie möglich von der Gegend zu sehen.
Dienstag, den 4. September 2001:
Nach dem morgendlichen Unterricht mache ich einen Abstecher zu Fuß in das nahe gelegene Cervo. Gott sei Dank habe ich meinen Fotoapparat dabei und mache wie verrückt Aufnahmen von der wunderschönen mittelalterlichen Stadt hoch über dem blauen Meer. Ich kann mich nicht satt sehen an dem Ausblick über das weite azurblaue Meer und die Silhouette der fernen Küstenorte.
Cervo, diese uralte Stadt, liegt auf einem weich zum Meer hin verlaufenden Hügel und wird dominiert von einer malerischen Kirche, San Giovanni Battista. Diese Barockkirche wurde von Bewohner der Stadt, die durch Fischfang und Korallenhandel zu Reichtum gekommen waren, erbaut. Hoch auf dem Hügel von Cervo thront auf nacktem Fels die Clavesana-Burg, die in den vergangenen Jahrhunderten verschiedene Umbauten erfuhr, aber noch heute die ursprünglich zu Verteidigungszwecken gedachten Bastionen und Schießscharten aufweist. Im Dorfzentrum von Cervo reihen sich in kurvigen und schattigen Gassen zwei bis dreistöckige mittelalterliche Häuser eng aneinander. Im Laufe der Jahrhunderte fast unverändert geblieben, haben die Bauten fast alle antike Bogengänge im Erdgeschoß. Vom Burgplatz führt ein schöner Spaziergang durch Olivenhaine und dichten Fichtenwald zum Ciappà-Park, einen Spaziergang, den ich an meinem letzten Tag in dieser Gegend machen sollte.
Mittwoch, den 5. September 2001
Mit der Sprachgruppe machte ich noch einmal einen Ausflug nach Cervo, das ich ja schon am Vortag bewundert hatte. Mein Spaziergang hatte mir besser gefallen, weil ich an diesem Tag da verweilen konnte, wo ich es besonders schön fand. In einer Gruppe fühle ich mich immer wie in einer Herde, die über die Weide getrieben wird.
Freitag, den 7. September 2001
Gestern machte ich mit meiner Mitbewohnerin, einer jungen Archäologin, einen Abstecher nach Imperia, die Stadt, die eigentlich aus zwei Städten besteht: aus Oneglia und Porto Maurizio, über die ich schon viel gelesen hatte und die ganz oben auf meiner Liste stand.
Imperia Oneglia ist die Stadt zum Einkaufen, mit schönen Geschäften und Cafés in malerischen Arkaden. Imperia ist die Geburtsstätte des berühmten genuesischen Admirals Andrea Doria. Von der mit afrikanischen Palmen gesäumten Uferpromenade hat man einen herrlichen Blick auf den Golf von Imperia und die Seealpen.Heute hatte ich mir vorgenommen, nach dem Unterricht die aus der Ferne herüberwinkende Burg bei Diano Marina zu besuchen, Diano Castello. Nach einem kurzen Besuch der Mole und einem erfrischenden Bad im herrlich frischen Meer, machte ich mich mit entsprechendem Schuhwerk ausgerüstet, auf den Weg zu meiner Burgbesteigung. Der Bus brachte mich bis nach Diano Marino, von dort aus ging ich los, immer in Richtung auf die in ca. 6 km liegenden weißen Burg.
Ich wandere in heißer Sommersonne und genieße die Einsamkeit.
Die letzte Strecke ist eine Geröllpassage, die wie sich dann herausstellt, ein trockener Abwasserlauf ist, durch den ich aber einige Meter Autostrasse einsparen kann. Oben angelangt, mache ich erst einmal Rast vor einer wunderschönen Kirche, der Pfarrkirche San Nicola, deren Fassade ich schon vor ein paar Tagen von Imperia kommend in weiter Ferne gesehen und bewunderte hatte. Ich schaue, auf einer kleinen Mauer sitzend hinunter auf die Ebene und die Stadt Diano Marina. Ich bin ganz alleine hier, diesen Eindruck habe ich jedenfalls.
Dann streife ich durch die mittelalterlichen Gassen und finde viele schöne Motive für meine Kamera.
Diano Castello war die antike Residenz des Markgrafen Clavesana und ist sicherlich eins der geschichtsträchtigsten und architektonisch reichsten Zentren der Riviera di Fiori. In strategischer Position angelegt und mit Kirchen und Palazzi bereichert, herrscht hier eine antik-magische Atmosphäre.
Den Rückweg mache ich durch die umliegenden Olivenhaine und Weinhänge. Es ist still, und ich treffe keine Menschenseele. Das Licht ist wunderbar um diese Stunde. Eine kleine Glocke klingt durch die nachmittägliche Ruhe.
Es war ein wunderbarer einsamer Spaziergang, den ich an diesem Tag gemacht habe. Es war so schön, daß ich keine Lust hatte, in mein steriles Appartement mit der tropfenden Heizung zu gehen. So kehrte ich also noch ein, in einem bezaubernden kleinen Lokal in meinem Ort, San Bartolomeo, direkt hinter dem Campanile, den ich jeden Tag von meinem Appartement aus sehen kann. Neben der alten Kirche, aus der frommer Gesang der alten Frauen tönte, und einer kleinen Piazza und einer Reihe von sehr alten Palazzi steht ein kleines rotes Haus, in dem sich das rebenumrankte Lokal befindet. Der Wirt begrüßte mich freundlich und brachte mir einen Krug herrlich frischen Weißwein, den ich zum Abschluß meines schönen Tages genieße.
Samstag, den 8. September 2001
Ich habe eine Busreise nach Monaco und Monte Carlo gebucht und treffe kurz vor meiner Abfahrt eine Frau, die auch an dem Sprachkurs teilnimmt. Es ist schön, daß ich in ihr eine nette Gesprächspartnerin gefunden habe. Ich knipse die prächtigen Jugendstilbauten rund um das Spielcasino. Am Yachthafen suchen wir uns beide eine schöne Yacht aus, die uns gefallen würde. Schön wäre es....
Trotzdem sind wir beide von dem zur Schau gestellten Reichtum Monacos etwas irritiert....
Schade, daß wir nicht Gelegenheit hatten, uns Nizza anzuschauen.. Aber vielleicht gibt es ja noch ein anderes Mal.Sonntag, den 9. September 2001
Heute steht der andere Stadtteil Imperias, Porto Maurizio, auf dem Plan. Zusammen mit meiner Monaco-Begleiterin fahre ich mit dem Bus bis Imperia Porto Maurizio. Wir besteigen die auf einem Hügel gelegene Stadt und sind hin und weg von der Schönheit dieses mittelalterlichen Ortes. Ich fotografiere wie immer alle Motive, die mich dazu einladen.
Von der eindrucksvollen Santa Chiara-Loggia (einem Säulengang) hoch über dem Meer an der Grenze der alten Stadtmauer haben wir einen atemberaubenden Blick über das weite Meer und den Golf von Imperia.Später, unten am dem spiaggio d’oro, dem Goldstand, sitzen wir auf einer kleinen Mauer unter dem Leuchttum und genießen den Blick über das bewegte Meer, die herrliche Uferpromenade und hoch zu der alten mittelalterlichen Stadt, die verträumt und einsam in der Sonne liegt.
Der kleine Yachthafen beherbergt lange nicht so exklusive Schiffe wie Monaco, aber er ist mir viel sympathischer. Schön muß es hier sein, wenn alle zwei Jahre die internationale Regatta antiker Seeschiffe stattfindet, vor der mittelalterlichen Kulisse sicher eine Augenweide. Vielleicht schaffe ich es einmal, zu diesem Anlaß hierherzukommen.
In einem malerischen kleinen Ristorante in der Nähe des Hafens, neben einer weißen, filigranen Kirche essen und trinken wir nach Herzenslust, und ich flirte ein bißchen mit dem Ober, der von Statur und Kleidung her – er trägt über einem blütenweißen Hemd mit bauschigen Ärmeln eine schwarze Schärpe - in jeder Verdi-Oper auftreten könnte. Er winkt mir zu, als wir endlich unseren Heimweg antreten.
Welch ein schöner Tag.....
Montag, den 10. September 2001
Unterricht und Strand. Gegen Abend besuche ich wieder das kleine rote Restaurant an der kleinen Kirche und dem Palazzo. Der Wirt ist erfreut mich zu sehen und flirtet mit mir. Er ist ein sehr gut aussehender Mann, sehr freundlich und ihm gehört, wie er mir erzählt, der kleine Palazzo und einige alte Häuser hier oben. Wir sprechen italienisch und französisch miteinander. Er sei hier aufgewachsen und nach seinem Studium in Rom zurückgekommen, um sich um diesen schönen Besitz zu kümmern. Seine (dicke) Frau bereitet die Speisen vor, und er hat den Part des freundlichen Gastgebers übernommen. Ich habe den Eindruck, daß er unter dem Pantoffel von „seiner Mama“ und seiner offensichtlich recht eifersüchtigen Frau steht.
Dienstag, den 11.September 2001
Zusammen mit meiner Begleiterin fahre ich wieder nach Diano Marino. Wir wollen ein paar Geschenke für unsere Leute zuhause einkaufen. In einem wunderbaren Gartencafé unter Palmen und neben einem plätschernden Brunnen sitzen wir, plaudern und genießen den herrlichen sonnigen Nachmittag.....
Beim Rausgehen aus dem Café sehen wir auf einem großen Fernsehschirm, was in diesen Momenten (es ist hier gerade kurz nach 15.00 h) in Amerika passiert........ eine Welt wird in Schutt und Asche geworfen......
Der junge Mann an der Kasse ist ganz außer sich und sagt immer wieder:„Ich dachte zuerst, die Bilder seien aus einem Science-fiction Film!“
Leider war es nicht so.
In den Straßen von Diano Marina stehen die Menschen beieinander und diskutieren und in einem Café, das offensichtlich fast nur von Deutschen besucht wird, läuft die „Deutsche Welle“ und bringt Situationsberichte.
Uns ist die Lust auf Geschenkekaufen vergangen und fahren wieder zurück in unseren Ort.Die restlichen Tage sind von dem grausamen Geschehen in US überschattet.
Ich besuche den Unterricht, gehe zum Strand und diskutiere mit den Leuten über das ungeheuerliche Geschehen.
Ich schreibe meinen Gedichtezyklus fertig. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß über allem, was ich mache, dieses traurige Geschehen liegt. In der Nacht wache ich auf und stelle mir, wie es ist, in einem Flugzeug zu sitzen, das frontal gegen ein Hochhaus fliegt.... einfach so....In den letzten Tagen hat sich das Wetter etwas verschlechtert. Ich habe das Gefühl, es ist herbstlicher geworden.
Am letzten Tag ist richtiger Sturm. Auch das Wetter hat sich der momentanen Stimmungslage angepaßt, es ist schon komisch.
Ich mache mich trotzdem nach dem Unterricht auf zum Meer, das gepeitscht vom starken Wind, in hellem Aufruhr ist. Ein kleiner, älterer Italiener, den ich auf der Strandpromenade treffe, sammelt Pinoli, wie er mir erzählt, die Früchte der Pinien, die durch den starken Wind auf den Boden fallen. Er wird zudringlich, versucht mich festzuhalten, und ich mache, daß ich davon komme.
Trotz des starken Windes will ich noch einmal nach Cervo, der Stadt, die ich als erste während meines Aufenthaltes hier besucht hatte. Etwas weiter weg vom Strand ist der Wind etwas schwächer und als ich wieder oben auf dem Kirchplatz stehe und auf das blaue, aufgewühlte Meer schaue, vorbei an den blumenumränkten Häusern, genieße ich den Moment in vollen Zügen.
Ich wandere zum letzten Mal durch die alten Gäßchen der uralten Stadt, hoch zum Burgplatz. Noch immer will ich nicht nach Hause und so schlage ich den Weg zum dem Parco Naturale ein, dem Ciappà-Park, der so schön sein soll.
Ich bin mal wieder ganz allein unterwegs und ein bißchen Angst habe ich schon nach meinem Erlebnis mit dem alten Kerl unten am Strand. Aber irgendwie will ich ein Stück durch diesen schönen Park gehen, bis hinauf zu dem Punkt, wo ich das Meer sehen kann.
Ich wandere los durch den silbrigen Olivenhain, sehe einen alten harmlosen Mann mit seinen zwei Hunden, der sich an den Weinreben zu schaffen macht. Ich gehe weiter und sehe die alte Stadt Cervo von der anderen Seite. Leider habe ich meinen Fotoapparat nicht dabei, da ich diesen Spaziergang ja nicht geplant habe. So muß ich mir alle meine Eindrücke in meinem Kopf speichern.
Ich gehe weiter durch den Hain, durchquere einen dichten Fichtenwald und sehe auf einmal tief unter mir das Meer: tief blau mit weißen Schaumkronen vom Wind gepeitscht und darüber ein Himmel wie eine graublauweiße Skulptur. Ich weiß nicht, wo der Himmel aufhört und das Meer beginnt. Weit und breit keine menschliche Seele, außer mir, die da steht und staunt und sich nicht satt sehen kann.......Und hier ist der Gedichtezyklus..............
Italienische Nacht
Wie ein großer
leise schwingender Fächer
weht ein kühler Wind
durch das schlafende Land,
läßt die Spitzen der üppigen Palmen
leicht erzittern.
Der Mond,
weiß und leuchtend
wie ein edler Stein
halb verdeckt
unter einem Schleier bläulich-grauer Wolken
wirft sein fahles Licht
hinunter auf die kleine Stadt,
erhellt sie wie ein Bühnenbild,
läßt die Häuser leuchten
ockergelb, sandelholzfarben
wie in einem Märchen
aus Tausendundeiner Nacht.
Aus weiter Ferne
erklingt eine kleine Glocke
verhallt leise im geheimnisvollen Gewisper
der südlichen Nacht.
Ich schmecke das Salz
des rauschenden Meeres
auf meinen Lippen,
bin ein Teil dieser Nacht,
des unendlichen Universums über mir.
Bewahren möchte ich jeden Augenblick
– für später –
mich erinnern können
an die Magie dieser lauen Nacht.San Bartolomeo al Mare, am 9. September 2001/Gis
Im Olivenhain
In flimmernder Sommerhitze
durchwandere ich
den silbrig-grünen Olivenhain,
lasse meine Augen
schweifen übers weite, friedliche Land,
sauge mich voll
mit heiterer Schönheit,
wie eine Biene mit süßem Nektar.
Ich höre der Zikaden zirpendes Lied,
wie sie’s sangen
vor ewigen Zeiten schon,
von Sonne, Meer
und heißen Sommertagen.
Vom Campanile
in zartblauer Ferne
erklingt der leise Klang von Glocken
ein kleines Lied vom Frieden,
lobpreisend die Schönheit des
späten Sommertages
im weiten, einsamen Hain.San Bartolomeo al Mare, am 10. September 2001/Gis
Ein Abend auf der kleinen Piazza
Die letzten Sonnenstrahlen
eines gloriosen Tages gießen
verschwenderisch
goldenes Licht
über den Campanile
der kleinen alten Kirche
auf der Piazza,
hüllen alles in sanftes
Sandelholz und Ocker
Der kleine Palazzo gegenüber
elegant in strahlend Weiß und Grün
erzählt eine Mär
aus längst vergangnen Tagen,
deren Glanz noch heut mein Herz erfreut.
Alles fügt sich zusammen
zu einem wundervollen Ganzen,
prägt das Bild des Landes, das,
angefüllt mit Schönheit allerorten
meine Sinne jauchzen läßt.San Bartolomeo al Mare, am 10. September 2001/Gis
Warum nur......?
Der Abendhimmel Italiens
mit blitzenden Sterne und
Silbermond
steht wieder in perfekter Schönheit
über der friedlichen Stadt.Vor wenigen Stunden nur
wurde Amerika
von feigen Terroristen
mit nicht zu fassender Grausamkeit
bis aufs tiefste Mark verletzt.
Das Symbol Amerikas
versank in Schutt und Asche
und mit ihm viele Tausend Menschen,
die nur eines wollten:
in Frieden leben.Das Läuten des Campanile
klingt wieder durch die klare Nacht,
singt sein helles Lied
zu Ehren Gottes.Wo nur war Gott
gestern morgen
in dieser schweren Stunde
drüben in Amerika?
Warum nur
ließ er die Welt
zu einer Hölle werden?
San Bartolomeo al Mare, am 12. September 2001/Gis
Diese Zeilen schrieb ich während eines Aufenthaltes in Italien letzte Woche.
Von einem Moment zum anderen wurde ich wie alle anderen friedliebenden Menschen
in eine brutale Realität zurückgestoßen.....
Meine Gedanken sind bei allen, die trauern........Gisela Bradshaw, Berlin
16. September 2001
Copyright © 2001 by Gisela Bradshaw
Berlin, im September 2001/Gis