Ausflug nach Hong Kong
Oktober/November  2003



Ich weiß eigentlich gar nicht, wie oft ich schon die Strecke nach Hong Kong geflogen bin. Jedenfalls sitze ich wieder einmal im Flieger mit dem Ziel Hong Kong. Dieses Mal ist es die Airline BA. Leider muss ich feststellen, dass die Sitze offensichtlich immer enger gestellt werden und eigentlich nur normalgewichtige Leute unbeschadet solch einen langen Flug (12 Stunden ca. ) überstehen können. Meine Nachbarn dieses Mal waren offensichtlich Engländer (sie murmelten nur miteinander, so dass ich ihre Sprache erst nach längerem Lauschen identifizieren konnte. Ein Ehepaar, beide tätowiert. Der Mann grüßte noch recht freundlich zurück, aber seine etwas übergewichtige Angetraute würdigte mich keines Blickes. Im Laufe des Fluges bekam ich dann einige Male auf rechte unsanfte Art und Weise ihren spitzen Ellbogen zu spüren und das, wenn ich gerade einmal sanft entschlummert war. Das ist auf einem solchen kleinen Platz gar nicht so einfach, weil man überhaupt keine Möglichkeit hat, seine Glieder auszustrecken und zu entspannen. Irgendwann aber landeten wir endlich in Hong Kong, wo es im Gegensatz zu Deutschland  Nachmittag war. Verkatert und total verspannt wankte ich aus dem Flugzeug und konnte dann auch im Spiegel auf der Damentoilette feststellen, dass diese 12 Stunden in den Wolken ganze Arbeit geleistet hatten: ich fühlte mich nicht nur grau in grau, sondern ich war es auch.
Ich schulterte mein Gepäck und machte mich auf nach Hong Kong Island. Der Airportbus, in dem fast nur schlafende Chinesen saßen,  brachte mich ohne Stopp zu der Macau-Anlegestelle von wo aus ich eine Taxe nahm, um den Rest des Weges nach Pok fu Lam zurückzulegen.
 
 

Pok fu Lam







Meine Gastgeber waren umgezogen und wohnten nunmehr gegenüber ihrem vorherigen Haus, das noch immer wegen Rekonstruktionsarbeiten in eine grüne Abdeckplane gehüllt war. Zwei Jahre haben meine Freunde abgewartet und auf eine schnelle Beendigung der Arbeiten gewartet. Letzten Endes aber, als noch immer keine Ende der Bautätigkeiten in Sicht war und sie den Blick durch eine grüne Plastikplane leid waren, zogen sie aus. Sie wohnen jetzt ganz in der Nähe der alten Wohnung in einem der Wohntürme im 14. Stock mit Sicht auf das Meer in einer sehr großen, schön geschnittenen Wohnung, von der der spektakuläre Blick auf die Wasserfront fast das Schönste ist. Die Sonne war gerade am Untergehen und tauchte schon bald alles in ein warmes rotgoldenes Licht,  und ich konnte wieder einmal die großen Frachter und besonders die kleinen Dschunken bewundern, die unter mir, geschmückt wie kleine Christbäume, ihren Weg durch das goldene Meer bahnten.

Ich habe in den nachfolgenden Tagen die schönsten Sonnenauf- und –untergänge meines Lebens gesehen – und fotografiert.

Sunset am Südchinesischen Meer







Zunächst aber kam ich erst einmal mit einer dicken Migräne an, die sich im Laufe meines beschwerlichen Fluges aufgebaut hatte. Nach einer gebührenden Bewunderung der wunderschönen Wohnung verzog ich mich dann erst einmal in mein Bett, wo ich mit kalten Kompressen und Aspirin versuchte, meine Schmerzen loszuwerden.

Jetzt sitze ich wieder – ohne Kopfschmerz – auf dem großen, mit üppigen Pflanzen geschmückten Balkon und lasse die Sonne auf meine bleiche Haut scheinen. Ich sehe den Schiffen nach, die in langen Reihen auf dem Meer hin- und herkreuzen. Unten auf dem großen Sportplatz spielen rot behemdete Jungs Fußball, unbeirrt von der großen Hitze, die noch immer Anfang November hier herrscht (26-28 Grad C). Der Himmel ist leider diesig, wie so oft, so dass Himmel und Meer in einem silbrigen Hellgrau fast ineinander übergehen. Es sieht aus wie geschmolzenes Blei. Die Luft ist lau und angenehm.

Bleierner Tag am Meer






Ich habe übrigens einen mir bisher nicht bekannten Schriftsteller entdeckt: Nick Hornby: „About a boy“. Sehr lesenswert: über einen kleinen Jungen  und einen Mann, der nach dem Sinn seines Lebens sucht und die per Zufall aufeinander treffen und Freunde werden.
In meinem Sessel mache ich es mir gemütlich und lese.
 

Mein erster Ausflug in den Moloch von Hong Kong führte mich zu unserem „alten“ Markt in der Fa Yuen Street. An der Station „Prince Edwards“ stieg ich aus  und verlief mich sofort. Alles sieht irgendwie gleich aus. Ich irrte ein bissen herum und fragte dann einen Chinesen nach dem Weg: „Ah, you are looking for the  Fa Market…. You have got to go this way…“ und er deutete in die entgegengesetzte Richtung. Der Markt war überfüllt wie immer und außer einer hübschen Handtasche konnte ich nichts finden, für das ich Geld ausgegeben hätte. In China ist Winter (bei 26 Grad C.)und entsprechend warm und ziemlich scheußliche Klamotten in kleinsten Größen waren zum Verkauf angeboten. Sogar Pelze habe ich gesehen.
Ich stellte fest, dass ich fast die einzige Europäerin in dem Menschengewühl war.
Ich war weitergeschlendert  hinein in die Seitenstraßen, wo es, wie ich von vorigen Jahren wusste, alles für rund ums Aquarium gab und viele kleine Zoohandlungen mit Kleintieren.

Vorbei an den Geschäften mit riesigen Aquarien voll mit buntschillernden Fischen lief ich, als mein Auge auf einen Käfig fiel, vor dem eine Chinesin stand und wie gebannt hineinblickt. Ich sah eine Maus, eine Rennmaus, die wie verrückt mit unglaublicher Geschwindigkeit immer im Kreise herumlief. Witzig. Nach ein paar Minuten hatte sich eine Menschenschar um diesen Käfig gebildet.
Ich schaute mir dann die anderen Insassen des Käfigs an und sah zu meinem Entsetzen, dass einige Tierchen leblos mit den Pfötchen nach oben lagen. Die anderen lebendigen Mäuschen scherten sich nicht um ihre verendeten Zeitgenossen und turnten munter über sie hinweg, hin und her. Tierschutz wird in China klein geschrieben. Jedes Lebewesen ist für sie ein potentieller Leckerbissen.

In einem anderen Geschäft sah ich wunderschöne Graupapageie, die am Fuß  angekettet in(geräumigen) Käfigen saßen und gemächlich aus ihren Futternäpfen fraßen. Sehr schöne Tiere, von denen ich am liebsten einen mitgenommen hätte.

Jacko






Meine drei Wellensittiche hätten sicher gestaunt, einen solch großen Gefährten zu bekommen.

Heute abend ist ein Konzert oder Kabarett angesagt: „Schall und Rauch“: Vier Männer singen a-cappella Lieder (wie die Comedian Harmonists) aus den 70er Jahren. Es war eine nostalgische Revue und viele Lieder oder Werbesprüche hat man schlagartig wieder erkannt.

Sonntag, 2.11.03
Gestern, am Samstag,  gab meine Gastgeberin eine Party. Es war eine internationale Party mit Leuten aus Italien, England, Schweiz, die alle wegen ihres Jobs entweder in der Uni oder Industrie in Hong Kong leben. Es war ein lustiger Abend, der sich bis in den frühen Morgen erstreckte. Der Wein und  Sekt floss in Strömen. Der harte Kern hatte sich auf dem Balkon etabliert und bei  mehr oder weniger tief schürfenden Gesprächen  fleißig dazu beigetragen, den Weinbestand unserer Gastgeber zu dezimieren. Leider litt ich ein bisschen unter jet lag und war dementsprechend froh, am frühen Morgen in mein Bett fallen zu können.

Heute morgen, Sonntag, war der Himmel von einem  bleiernen Grau. Offensichtlich herrschte hochgradiger Smog. Die vorüberziehenden Schiffe waren kaum noch zu erkennen.  Auf einmal sah ich durch das diffuse Grau zu meiner Verwunderung mindestens 30 wunderschöne Segelboote mit bunten Segeln, die wie Gespensterschiffe vorbei glitten. Es war, wie es sich später herausstellte, eine Segelregatta!!, die dann  später aber wegen der katastrophalen Sicht abgebrochen wurde.

An diesem Sonntag war auch der erste chinesische Astronaut in Hong Kong zu Besuch. Er wurde von den Honoratioren herumgeführt, nur konnte leider nicht zu viel gezeigt werden. Der Astronaut hatte offensichtlich Humor, denn er meinte  bei einer kleinen  Ansprache, die tagsdrauf in der South China Morning Post abgedruckt war, er würde bei seinem nächsten Besuch in Hong Kong seinen Raumanzug mitbringen. Hier unten seien ja ganz ähnliche Verhältnisse wie im All.

Am Montagabend machten wir unseren inzwischen schon traditionellen Inselausflug und fuhren nach Lamma Island, zu dem „Genuine Hilton Sea Food“-Restaurant, dem Fischlokal meiner Freunde.
 In  Aberdeen haben wir unser Schiff bestiegen und sind eine halbe Stunde übers Meer zur Insel gefahren. Ich stand am Bug des Schiffes und blickte auf die herrliche Silhouette von Aberdeen und seine tausenden Lichter, der Wind sauste um meine Ohren und die hoch fliegende  Gicht der durchpflügten Wellen benetzte mein Gesicht. Ja, eine Seereise ist schön, auch wenn sie noch so klein ist.

Wir waren fast die einzigen Touristen auf der Insel, und alle Restaurantbesitzer stürzten sich wie wild auf uns. Alle wollten mit uns ein Geschäft machen. Wir aber steuerten geradewegs auf unser Restaurant zu und ließen uns dort herrlich frischen Fisch und dazu einen kühlen trockenen Chablis servieren. Als wundervolle Kulisse lag das nächtliche Meer vor uns mit all den großen und kleinen Schiffen, deren Lichter die Dunkelheit durchbrachen.

Heute, Dienstag, machte ich einen Ausflug nach Sheung Wan, einem Stadtteil von  Hong Kong Island. Ich fand den toll sortierten Plattenladen wieder, den ich vor ein paar Jahren hier entdeckt hatte.  Er liegt am Ende einer kleinen Lane (Straßenmarkt) der von  wunderschönen kleinen, hauptsächlich Schmuck- und Uhrengeschäften gesäumt wird. Hier kann man sehr hübschen  in  Silber gefassten Schmuck aus Rosenquarz, Turmaline, Achate kaufen und dies zu sehr guten Preisen.
Ich kaufte aber keinen Schmuck, sondern zwei CDs von Otmar Liebert, der gottbegnadet Flamenco spielt. Es ist schon drollig,  dass man als Tourist in China Flamencomusik kaufen kann und dabei auch noch eine sehr große Auswahl hat. Vielleicht lieben die Chinesen Flamenco, wer weiß?

Heute abend wollen wir zum Night Market an der Temple Street gehen, einem sehr großen, schönen Nachtmarkt, auf dem man buchstäblich alles kaufen kann. Auch die Zukunft kann man sich hier voraussagen lassen, von Handlesern, die in Scharen an einer Mauer ihre Zelte aufgeschlagen haben. Auf ihren Service kann  ich aber verzichten. Man muss doch alles so kommen lassen, wie es kommt. Alles andere belastet einen nur.
Tausende von Menschen schoben sich über den großen, nächtlichen Markt, nicht nur Touristen wie wir, sondern auch viele Chinesen.

Am Mittwoch stand Shenzen auf meinem Programm. Mit zwei deutschen Damen, die es seit Jahren wegen der Berufe ihrer Männer nach Hong Kong verschlagen hat, fuhr ich in diese Sonderhandelszone, die man mit einem Visum besuchen kann. Von Hong Kong aus nimmt man die  Eisenbahn (KCR) bis zu der Grenzstation LOWU. Es ist übrigens ratsam, sich auf solchen Fahrten eine warme Jacke oder einen Schal mitzunehmen, weil die Temperaturen in diesen Wagen ausgesprochen frisch sind. Dazu kommt, dass die Sitze, wenn man einen ergattert, aus Edelstahl sind, was auch nicht zu einem wohlig warmen Sitzen beiträgt.

Shenzen






Auch an  diesem Tag waren Himmel und Menschen unterwegs, in erster Linie natürlich Chinesen, die alle mit schwerem Gepäck beladen waren. Offensichtlich findet ein reger Handel zwischen der Sonderzone Shenzen und Hong Kong statt.

Wenn man als Tourist  alle Visums- und Zollformalitäten mit teilweise sehr grimmig schauenden Grenzlern erledigt hat, wird man direkt  in den hinter der Grenze liegenden riesigen, 5 Stockwerk hohen Department Store, geleitetet.
Die einzelnen Etagen sind galerieartig angelegt und mit Rolltreppen zugänglich.
Hier kann man alles bekommen, zum Teil zu unglaublich günstigen Preisen.

Wir wollten zu einem Schneider, der zu unglaublich günstigen Preisen  jedwede Garderobe anfertigt, das heißt von einer Reihe von Schneidern schneidern  lässt
Auf dem kleinen Stand (es gibt davon dutzende)  „unseres Schneiders“ herrschte lebhaftes Treiben. Eine Gruppe von mindestens 6 chinesischen alten  Frauen wurde gerade bedient. Alle sechs Damen wollten offensichtlich alle den gleichen Kittel geschneidert haben, nur die Farben waren verschieden. Der Kittel sah in meinen Augen aus wie ein Nachthemd im chinesischen Stil. Jede Dame wurde eigens vermessen, was natürlich Zeit in Anspruch nahm und von  einem heftigen kantonesischen Geschnatter begleitet war. Ab und zu lachten sie uns aus teilweise zahnlosen Mündern verschmitzt zu. Sie waren wirklich sehr lieb und freundlich.

Endlich waren wir dann dran. Ich fragte den Schneider zunächst, aus welchem Grund sich diese chinesischen Damen alle die gleichen „night gowns“ schneidern ließen. Er schüttelte lachend den Kopf und deutete per Handzeichen an,  dass diese Gewänder für einen Bühnenauftritt bestimmt seien. Jetzt guckte ich erst recht ratlos.

Wie gesagt, jetzt waren wir endlich an der Reihe. Fertige Klamotten wurden anprobiert und in den Koffer geladen, Maße wurden genommen, auch von mir. Geld wechselte den Besitzer. Nach dieser Prozedur waren wir endlich frei und hatten Zeit, uns in dem riesigen Department Store umzusehen. Es gab alles: Schmuck aus Perlen, Edelsteinen, Gold und Silber, Taschen in allen Ausführungen, Kleider, Pelze, herrliche Stoffe (für einen Appel und ein Ei), Telefone, DVDs.
Wir machten (leider)  einen regelrechten Spiesrutenlauf durch die langen Gänge und wurden von allen Seiten regelrecht mit Verkaufsangeboten attackiert.
„Missu, manicure, missu pedicure….“
„You want handbag – Gucci?“
„You want Rolex? Good watch?“

 Ganz klar, dass wir nach einer Weile genug davon hatten und froh waren, diesem Konsumtempel zu entkommen.

Nach diesem Ausflug in dieses Einkaufsmekka hatte ich plötzlich die Nase voll vom Shoppen.
Ich nahm bei meinen Ausflügen, die ich im Übrigen meist alleine machte, einfach kein Geld mehr mit, nur meine Digitalkamera und machte lange Spaziergänge durch die Strassen von Hong Kong, das als Stadt doch viele interessante Fotomotive bietet. Ich knipste also nach Herzenslust und freute mich, dass endlich auch mal ein blauer Himmel über allem schwebte.
Auf einer meiner Wanderungen, die mich in Hong Kong Island vom Kowloon-Park herunter zur Anlegestelle der Star Ferry führte, entdeckte ich inmitten der Steinwüste eine kleine grüne Oase, ein Bächlein, das sich seinen Weg durch eine kleine künstlich angelegte Felslandschaft bahnt, gesäumt durch eine üppige grüne Vegetation von Schilfe, Gräsern und Bambus. Beeindruckt war ich auch von einem riesigen perforierten Rauchquarzkristall, aus dem kristallklares Wasser sprudelte. Sehr schön!
 
 

Oase in der City









An dieser Stelle hatte einmal das berühmte Hong Kong Hilton gestanden, an das ich mich noch gut erinnern kann. Das Hotel hatte damals als Attraktion vor seinem Eingang großgewachsene bildschöne Gurkas stehen, die all ankommenden Gäste auf das höflichste begrüßten. Das Hotel wurde damals einem einem Hong Konger Tycoon gekauft, abgerissen und durch einen großen Bürogebäudekomplex ersetzt. Hier befand ich mich also. Gott sei Dank musste dieser Tycoon aber noch Sinn für die Natur gehabt haben, sonst hätte er nicht diese herrliche kleine Oase angelegt, die sicher alle in der Nähe arbeitenden  Menschen ergötzt.
 
 







Ganz Hong Kong Island hat übrigens viele kleine, sehr gut gepflegte grüne Oasen, in den sich die Menschen von der lärmenden Stadt erholen können. Auch die Station „Admirality“ ist umgeben von einem riesigen gut gehegten Parkarenal, und auch um das „Government Building“ findet man herrliche Motive in wunderschönen Grünanlagen für die Kamera.

Ich nahm die Star Ferry (ein Muß für jeden Hong Kong Reisenden), knipste die herrliche Silhouette von Hong Kong Island.

Hongkong vom Peak aus gesehen







Auf Kowloon schlenderte ich durch die Strassen, immer wieder fasziniert von den seltsamen Symbiosen zwischen den bizarren Hochhäusern und attraktiven überdimensionalen Reklamebildern mitten drin. Diese Stadt ist wie keine andere eine Stadt des Konsums und des schönen Scheins. Hier haben sich die edelsten Marken etabliert, Armani, Prada, Gucci, und wie sie alle heißen. In echt oder fake, letzteres allerdings nicht direkt über den Ladentisch.* Überall schauen einem die hübschen Gesichter der Reklamemodels entgegen, teilweise auch einen schockierenden Kontrast zu den alten schwarzen, alles andere als modernen Fassaden bildend.
 
 







*. (In Shenzen zum Beispiel äußerte ich Interesse an einer Gucci Handtasche. Die junge hübsche Verkäuferin geleitete mich weg aus ihrem offiziellen Verkaufsstand zu einer Ecke, wo sie ein Regal einfach zur Seite schob. Dahinter befand sich ein großer Raum mit hohen Regalen voll mit „nachgemachten“ Taschen. Hier konnte man sehr günstig jedes Fabrikat erstehen. Als die Verkäuferin hinter uns die Tür verriegelte, bekam ich Panik und dachte, jetzt würde ich überfallen und meiner Habseligkeiten beraubt werden. Als aber weitere Kunden in diese geheimnisvolle Verkaufsstelle geführt wurden, atmete ich erleichtert auf).
Wie man mir allerdings erzählte, ist es nicht ratsam, in Shenzen-City auf eigene Faust loszuziehen. Es ist ein äußerst unsicheres Pflaster und Geschäftsleute aus aller Herren Länder werden sehr oft  brutal überfallen und ausgeraubt. Trotzdem ist Shenzen eine der Städte in Südchina, wo Firmen fast alles zu fast Spottpreisen einkaufen  und auf diese Weise beim Wiederverkauf der Waren in ihren Ländern große Profite erwirtschaften können.

Zwei Konzerte besuchten wir noch: Neil Young und die Rolling Stones auf dem Harbour Fest, das zurzeit in Hong Kong lief. Mit diesen Open-Air Konzerten direkt am Hafen und vor der Kulisse gigantischer Wolkenkratzer wollte man ein Zeichen für die Welt setzen, dass Hong Kong die SARS Katastrophe überstanden hatte und Touristen wieder sicher hierher kommen konnten und hoch willkommen waren. Die Organisation dieses Spektakels war allerdings umstritten und die beteiligten Stellen, die die Organisation bewerkstelligt hatte, beschuldigten sich gegenseitig, Gelder „eingeheimst“ und veruntreut zu haben. Ich blickte bei dieser Sache nicht ganz durch und glaube, dass die Wahrheit oder Unwahrheit gleichmäßig verteilt lag.

Neil Young, 57, „The Godfather of Grunge“, wie er genannt wird,  trat offensichtlich in seinen ältesten Klamotten auf und machte, nach einer sehr rockigen Einleitung,  ein teilweise sehr nostalgisches Konzert, das besonders schön wurde,  als er seine  alten Lieder sang und sie  allein mit  Gitarre und Mundharmonika begleitete. Die Jahre haben sich wahrlich in sein Gesicht eingegraben, das von tiefen Furchen durchzogen ist. Alkohol und Drogen haben sicher auch zu seinem Aussehen beigetragen.

Mick Jagger und seine Truppe machten dann ein Konzert ganz im alten Stil der Rolling Stones. Mick war im Gegensatz zu Neil Young, bunt und schillernd wie ein Pfau gekleidet und wechselte alle Viertelstunde seinen Outfit. Die Menge (das Stadion war fast ausverkauft) war nicht mehr zu halten und verbrachte das Konzert im Stehen, Trampeln, Tanzen und Klatschen. Wahrscheinlich, so sagt man, war dieses Konzert historisch, denn es könnte das letzte gewesen sein. Aber das weiß man ja nie so recht bei diesen Leuten. Irgendwann kommen sie wieder mal aus ihrer Versenkung.

Mein letzter Tag in Hong Kong war angebrochen. Meine Gastgeberin überzeugte mich, dass eine Wanderung zum Peak einfach zu einem Hong Kong Besuch gehört. Das Wetter war wundervoll: blauer Himmel durchzogen mit flockigen weißen Wölkchen. Genau das richtige Wetter zum Wandern und Fotografieren.
Nachdem ich mich wandergerecht angezogen hatte – bequeme gefederte Sportschuhe, Jeans usw. – zog  ich los: ich musste eine ganze Strecke entlang der viel befahrenen Straße laufen, bis ich in den Wanderweg am Waterreservoir (das übrigens Mitte des 19. Jh von einem Engländer zur Wasserversorgung von Hong Kong Island angelegt wurde)  einbiegen konnte und mich in Natur pur befand.
 
 

Pok Fu Lam Stausee








Vorbei an dem Stausee führte mich ein steiler Weg den Berg hoch, durch Bambushaine, vorbei an riesigen Bäumen mit tief herabhängenden Luftwurzeln, leise plätschernden zu Tale eilenden Quellen. Kurzum; es war einfach herrlich nach all den Tagen in der heißen schmutzigen Stadt. Ich war ins Schwitzen gekommen und hatte einfach meinen Pulli durch ein leichtes Tuch ersetzt, das ich mir wie ein Oberteil umband. Anschließend ließ es sich schon viel angenehmer laufen. Oben am Peak lag dann diese außergewöhnliche Stadt in voller Schönheit unter mir. Es war wie immer leicht diesig und alles war wie unter einem bläulichgrauen Schleier verhüllt. Trotzdem war die Aussicht spektakulär und einfach umwerfend. Ich schaute und schaute und konnte kaum genug bekommen.
 
 

Blick vom Peak







Ich lief dann noch den Lugard-Weg, der rund um den Peak führt und von dem man Hong Kong aus allen Perspektiven sehen und bestaunen kann. Auf einer Bank im Sonnenschein ruhte ich mich ein bisschen aus und war einfach glücklich über diese schönen Stunden, die ich mir selbst geschenkt hatte.
Noch immer nicht müde geworden, beschloss ich dann, den gleichen Weg zurückzugehen, den ich gekommen war. Jetzt ging es bergab, wieder durch diese grünen Wälder, vorbei an wundersamen Pflanzen und blühenden Hängen.
Um Mitternacht sollte mein Flug gehen und ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass ich bald wieder in meiner alten Welt sein würde, in meiner Wohnung, meinem Job, meiner Stadt, die sie anders war als dieses heiße, staubige, pulsierende Hong Kong am südchinesischen Meer.
 
 



Blick vom Peak





Copyright©2003 by Gisela Bradshaw

im Dezember 2003
 

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