Gedichte

von Johann Wolfgang Goethe
 

Gesang der Geister über den Wassern
 

Des Menschen Seele
gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
zum Himmel steigt es,
und wieder nieder
zur Erde muß es,
ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
steilen Felswand
der reine Strahl,
dann stäubt er lieblich
in Wolkenwellen
zum glatten Felse,
und leicht empfangend
wallt er verschleiernd,
leisrauschend, zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
dem Sturze entgegen,
schäumt er unmutig
stufenweise zum Abgrund.

Im flachen Bette
schleicht er das Wiesental hin,
und in dem glatten See
weiden ihr Antlitz
alle Gestirne.

Wind ist der Welle
lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
schäumende Wogen.

Seele des Menschen
wie gleichst Du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
wie gleichst Du dem Wind.


Prometheus
 
 
 
 
 

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