Angefangen zu schreiben hat Brecht das Stück 1938, als die Welt für einen guten Kommunisten noch in Ordnung war: Im Reich saßen seit fünf Jahren die bösen Nazis (Brecht war noch 1933 aus Deutschland geflohen, erst in die Schweiz, dann nach Dänemark, wo er "Furcht und Elend des Dritten Reiches" schrieb - das freilich erstmal niemand aufführen wollte). Die hatten gerade das arme Deutsch-Österreich gegen den erklärten Willen von fast 1% der Bevölkerung heim ins Reich geholt, als erstes
Opfer
ihrer kriegerischen Aggressionen. (Darauf kommen wir gleich noch einmal zurück.) In Rußland, pardon in der Sowjet-Union, saßen dagegen die friedliebenden Kommunisten und Antifaschisten. Brecht hatte 1935 Moskau besucht und dabei - neben Kollegen wie
Tretjakow und
Eisenstein
- auch den chinesischen Schauspieler und Draamaturgen Mei Lan-fan getroffen, der ihn auf die Idee brachte, eines seiner nächsten Stücke in China spielen zu lassen (dort kämpfte gerade ein gewisser
Mao Tse-tung
gegen die "nationalistische" Regierung von
Tschang Kai-shek).
Gewiß, in der SU war auch nicht alles Gold, was glänzte, aber darüber sah man damals hinweg oder sprach es
wenigstens nicht aus, geschweige denn daß man es nieder geschrieben hätte.
(Ausnahmen
bestätigen die Regel.) Auch wenn man nur das Beste wollte vom Volk, pardon für das Volk, wie Shen Te, mußte man es manchmal hart anpacken, wie ihr Vetter und alter ego Shui Ta, um sein Überleben zu sichern. (Der große Kulturfilosof und Menschenkenner
Sigmund Freud
schrieb damals, daß die meisten Menschen und Völker ohne Zwang nicht einmal bereit wären, so viel zu arbeiten, daß es ausreichte, um sich selber vor dem Verhungern zu bewahren. [Für alle, die es nicht glauben wollen: "Die Zukunft einer Illusion", Kapitel 1, Seite 3.] Auf die Russen traf das unzweifelhaft zu.) Also wohnten zwei Seelen, ach, in einer Brust, und es ist ganz offensichtlich, daß diese Doppelrolle ursprünglich als "Parabel" auf den guten Onkel
Joe Stalin
gedacht war. Dann, 1939, geschah das Unfaßbare: Joe der Gute schloß ein
Bündnis mit
Adolf dem Bösen von Nazi-Deutschland!

Damals war Brecht längst auf Reisen gegangen: Ende Januar 1933 war Hitler Reichskanzler geworden, Ende Februar 1933 brannte der Reichstag, und Brecht ging ins Exil: Erst nach Prag, dann nach Wien, dann nach Zürich, dann nach Kopenhagen, dann, im Mai 1939 - also noch vor dem
Hitler-Stalin-Pakt
- nach Stockholm. Später hat Brecht behaupteet, daß er "Der gute Mensche von Sezuan" noch dort zuende geschrieben habe, aber das glaubt ihm Dikigoros nicht: Erstens hat er das Stück gar nicht richtig zuende geschrieben - wenn Ihr es Euch mal genau anschaut, ist es nicht nur formell, durch den Schlußabsatz, sondern auch inhaltlich eigentlich ein Fragment; Brecht wußte nicht mehr weiter, wie er es zu einem braven, linientreuen Abschluß bringen sollte und ließ es einfach im Nichts enden. Und das spricht wiederum dafür, daß sich Brecht, als er das Stück so ohne echten Schluß "abschloß", d.h. die Arbeit daran beendete, bereits in Helsinki befand, wohin er erst 1940 weiter reiste, also nachdem Hitler und Stalin sich Polen geteilt hatten. (Angeblich tat er das, weil er sich wegen des Norwegen-Feldzugs in Schweden nicht mehr sicher fühlte. Er zeigte sich den Schweden gegenüber ziemlich undankbar, indem er den hetzerischen Einakter "Was kostet das Eisen?" schrieb, in dem er ihnen Kollaboration und Kriegsgewinnler-Mentalität unterstellt. Und dem schwedisch-stämmigen
Charles Lindbergh
unterstellte er in "Der Ozeanflug", ein Nazi zu sein: "Der Unselige zeigte den Hitlerschlächtern das Fliegen mit tödlichen Bombern. Darum sei sein Name ausgemerzt." Ob Brecht diesen Unsinn wirklich glaubte? (Für alle, die es nicht wissen sollten: Der Erfinder sowohl des Jagdflugzeugs als auch des Bombers war der französische Fliegerheld
Roland Garros.)
Bitte beachtet, daß er sich selber am Ende eines Verbs bedient, das heute als
"Nazi-Vokabular"
ausgemerzt, pardon, verpönt ist.) Im Mai 1941 - also zu einer Zeit, als Hitler und Stalin nach außen hin noch beste Freude und Verbündete waren - reiste Brecht, wie so viele deutsche Emigranten, mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok, und von dort weiter mit dem Schiff nach Kalifornien, ins piekfeine Santa Monica, wie das einem "Proletarier" wohl anstand. Dort konnte er dann in aller Ruhe abwarten, bis der gute Onkel Joe Stalin wieder auf den rechten, pardon auf den linken Weg zurück fand.
(...)
Wie war das mit dem Schlußabsatz: "Das ist kein rechter Schluß", schrieb Brecht, und fragte, wie man dieses Dilemma lösen könnte: "Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt? Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?" Die Kommunisten haben ihre Antwort gegeben, und die war falsch (was aber einige Politiker, auch im Westen, noch immer nicht begriffen haben - die sollten sich beizeiten ein anderes Völk wählen): Sie haben andere Götter gesetzt - die keine waren, wie Ignazio Silone einmal geschrieben hat - und versucht, andere Menschen zu schaffen und eine andere Welt, freilich mit völlig untauglichen Mitteln: Sie haben versucht, den neuen Menschen, den "homo communisticus" durch Umerziehung hinzubekommen (was noch naiver ist als der Versuch, das durch Umzüchtung zu bewerkstelligen, aber das ist
eine andere Geschichte).
Gleichwohl ist das die Antwort, für die sich auch Brecht persönlich entschieden hat, wie wir gleich sehen werden, wenn wir auf "Der Kaukasische Kreidekreis" zu sprechen kommen.



Adolf Hitler alias "Arturo Ui"* - Szenenbild von "Arturo Ui" - Cover der englischen Ausgabe von "Arturo Ui"
*(Titelbild der Taschenbuchausgabe von "Monologe im Führer-Hauptquartier 1941-1944" von 1982. Es handelt
sich um eine Fälschung. Das Original
entstand im August 1939, bei der Rückkehr der Ribbentrop-Delegation,
die in Moskau den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichnet hatte. Die rechte Hälfte des Bildes
wurde abgeschnitten, weil darauf der Vater des ehemaligen Bundespräsidenten
v. Weizsäcker zu sehen ist.)
Doch nachdem der Hitler-Stalin-Pakt gebrochen war, machte sich Brecht erstmal daran, ein Propagandastück gegen Hitler zu schreiben, um den Amerikanern zu zeigen, wie es zu dessen Aufstieg gekommen war und wie man ihn hätte verhindern können. (Angeblich hatte Brecht es bereits in Finnland abgeschlossen, aber auch das glaubt ihm Dikigoros nicht.) Er nannte es: "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" und versetzte es in die Unterwelt von Chicago, frei nach
Al Capone,
mit Adolf Hitler als "Arturo Ui",
Hindenburg
als "Dogsborough [Hundeburg]",
Dollfuß
als "Dullfeet [eingeschlafene Füße]",
Josef Goebbels
als "Giuseppe Givola",
Ernst Röhm als "Ernesto Roma",
Hermann Goering
als "Emanuele Giri" und der Parteien-Mafia, pardon, den Vertretern der bürgerlich-kapitalistischen Parteien als "Karfiol-Trust". (Für des
ostmärkischen Dialekts
nicht mächtige Leser: Das ist Blumenkohl, so wie "Erdäpfel" Kartoffeln und "Paradeiser" Tomaten sind :-) Gewöhnlich skizziert Dikigoros in den Kapiteln dieser seiner Reise durch die Vergangenheit des Theaters erst kurz den Inhalt der vorgestellten Stücke, um dann zu fragen: "Und wie war es wirklich?" Aber hier will er es ausnahmsweise einmal umgekehrt machen. Nein, er will keine "wissenschaftliche" Erklärung für den Aufstieg Hitlers geben, geschweige denn darüber spekulieren, wer ihn wie, wo und wann hätte aufhalten können, sollen oder müssen; er will nur ein paar Kleinigkeiten aus der Geschichte seiner eigenen Familie zum besten geben, weil er meint, daß sie der Nachwelt überliefert werden sollten. Nicht weil sie so einmalig wären - ganz im Gegenteil: so dürfte es Millionen anderen damals auch gegangen sein -, sondern weil die Wahrheit heute tot geschwiegen wird: Die Großeltern sind gestorben (und "die Toten reden nicht" [Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Szene 18]), die Eltern erzählen ihren Kindern nichts mehr, weil sie Angst haben müssen, als "alte Nazis" denunziert zu werden, und bald werden auch sie gestorben sein, und die Kinder und Enkel werden diese Geschichte nur noch von den staatlich besoldeten Berufs-Historikern erfahren, die, wenn man Brecht glauben darf (und in diesem Fall tut Dikigoros es einmal, nicht ohne anzumerken, daß sich Brecht auch bei diesem Zitat ein Bild aus der Boxersprache nicht verkneifen konnte :-) alles mögliche schreiben werden - nur nicht die Wahrheit:
"Immer doch schreibt der Sieger die Geschichte der Besiegten.
Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge.
Aus der Welt geht der Schwächere,
und zurück bleibt die Lüge."
Dikigoros' Eltern waren zu jung, um im "Dritten Reich" selber zu wählen (während des Krieges wurde nicht gewählt - auch nicht in den so genannten "Demokratien" der Alliierten), aber wenn sie alt genug gewesen wären, hätten sie wahrscheinlich dasselbe gewählt wie (fast) alle anderen auch, nämlich NSDAP. Warum? Weil ihre Eltern es auch taten? Nein - die taten es nämlich gar nicht. Warum taten es dann die anderen? Weil sie die Juden vergasen wollten? Weil sie etwas gegen die Demokratie hatten? Welchen vernünftigen Grund sollten sie sonst gehabt haben, so eine böse Partei zu wählen? Dikigoros' Großvater Urs wählte - natürlich - SPD, denn er war Arbeiter. Gewiß, es ging ihm dreckig, finanziell und vor allem gesundheitlich, denn die Arbeit in der Fabrik war schlecht bezahlt (für die besser bezahlte, etwa im Hamburger Hafen, nahm man keine kränklichen Schwächlinge mit verschleppter Tbc) und anstrengend, aber was sollte er machen - er hatte halt nichts gelernt außer Soldat. (Als seine Militärdienstzeit zuende ging, brach der "Große Krieg" aus, wie man den Ersten Weltkrieg damals noch nannte, und danach gehörte der kleine Bauernhof der Eltern - der aber eh nicht ausgereicht hätte, alle Söhne zu ernähren - mit einem Male zu Polen; und für Flötenspielen - er war Pfeifer im Musikzug seines Regiments gewesen - gab niemand mehr etwas.) Egal, für Kommißbrot und Buttermilch reichte es, auch um einen winzigen Schrebergarten hinter dem Vogelhüttendeich zu pachten, auf dem man Kartoffeln, Bohnen und Gurken anbauen konnte - davon wurde man zwar nicht fett, aber man hungerte auch nicht. Was versprachen die Nazis? "Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an." Na ja, aber Brot hatte man doch wieder; und für "die Freiheit" womöglich noch einmal in den Krieg ziehen? Wessen Freiheit denn? Die der "Volksdeutschen" jenseits der Reichsgrenzen? Seine Brüder waren im Kreis
Bromberg
geblieben, polnische Staatsbüger geworden - selber schuld, die sollten sich gefälligst selber helfen, er hatte genug eigene Sorgen. In Deutschland wollte man sich erstmal von der eigenen Misere befreien. Seine Schwägerinnen und Schwäger - Dikigoros' Großtanten und -onkel - waren allesamt arbeitslos bzw. mit Männern verheiratet, die arbeitslos waren, obwohl sie fast alle einen ordentlichen Beruf erlernt hatten (zumeist Maurer - einer hatte es sogar zum Polier gebracht und war damit für seinen Neffen, Dikigoros' Vater, eine absolute Respektsperson -, aber wer baute schon noch?). Das war ein bitteres Los, weit bitterer, als es sich die Arbeitslosen von heute bei allem Gejammere vorstellen können. (Damals sind in Deutschland noch Menschen verhungert und erfroren!) Brecht hat es ja beschrieben, in "Furcht und Elend des Dritten Reiches": Wer stempeln ging bekam 26,80 Mark im Monat. Und wenngleich die Kaufkraft der Mark damals erheblich höher war als die Kaufschwäche des Teuro heute (Ihr dürft in etwa ein Null dran hängen, liebe Leser), war das noch immer erbärmlich wenig. Da Brecht seit 1933 nicht mehr in Deutschland lebte wußte er nicht, daß er da nur die Zustände in den ach-so-goldenen Jahren der "Weimarer Republik" schilderte; im Dritten Reich herrschte, als er das 1936 schrieb, schon längst Vollbeschäftigung; es kam also alles ganz anders als auf den Wahlplakaten der SPD und der KPD dargestellt.
![[Wie im Mittelalter... so im Dritten Reich - KPD-Wahlplakat]](heartfield1934hitlerma.jpg)
Habt Ihr auch mal den Vorwurf gehört, "die" Deutschen hätten ja, bevor sie Hitler wählten, "Mein Kampf" lesen können? Aber das Buch zu kaufen hätte einen Wochenlohn gekostet - das war es Dikigoros' Großvater nicht wert -, und in der Leihbücherei stand es nicht. (In Wilhelmsburg-Veddel gab es eine "Bücherhalle", in der die Ausleihe "nur" 5 Pf kostete, was freilich für die Bewohner jenes ärmsten aller armen Stadtteile Harburgs - die Eingemeindung nach Hamburg erfolgte erst 1937 - so billig auch nicht war, aber das hätte Urs vielleicht noch investiert.) Es steht da auch heute noch nicht; und die Frage muß erlaubt sein, ob das nicht vielleicht ein Fehler war - und ist. Oder ist etwa vieles von dem, was darin steht, heute immer noch - oder wieder - so aktuell, daß es für die Herrschenden gefährlich sein könnte, wenn ihre Untertanen es lesen und darüber nachdenken dürften, was da über den Parlamentarismus im allgemeinen und über die
Parteien-Demokratie
im besonderen steht? Dikigoros maßt sich nicht an, diese Frage abschließend zu beantworten; aber er hat Euch mal verlinkt, was Leser aus Staaten, in denen das Buch (noch) nicht verboten ist, darüber geschrieben haben - wohlgemerkt keine bösen deutschen Neonazis, sondern ganz harmlose Rezensenten auf der Webseite von
Amazon, z.B.
aus England oder
aus den USA
- ohne Kommentar.
![[Politiker und Wähler]](vorderwahl.jpg)
[Exkurs. André François-Poncet, 1931-38 französischer Botschafter in Berlin, schrieb nach dem Krieg in seinen Memoiren selbstgerecht - und "die" Deutschen anklagend -, die hätten auch dann wissen müssen, was Hitler vorhatte, wenn sie seine Bücher nicht gelesen hätten, denn das sei ja auch das Programm seiner Wahlkämpfe gewesen. Ach ja? Hand aufs Herz, liebe Leser: Habt Ihr das Programm der Partei, für die Ihr bei der letzten Wahl Euer Kreuzchen gemacht habt oder bei der nächsten Wahl Euer Kreuzchen zu machen gedenkt, gelesen? Oder trifft auf Euch der Spruch zu: "Wenn die Deutschen sich vor dem Kauf einer Waschmaschine so gut informieren würden, wie sie es vor Wahlen tun, dann würden sie mit eine Mikrowelle nach Hause kommen!"? Und wenn Ihr denn zu den positiven Ausnahmen gehört, die das Programm doch gelesen haben - haben sich die Damen und Herren Politiker, nachdem Ihr sie gewählt hattet, daran gehalten? Oder habt Ihr hinterher feststellen müssen, daß sie Euch verkohlt, verschrödert oder vermerkelt haben? Oder, wenn Ihr Amerikaner sein solltet, seid Ihr nach dem Rausch einer Wahlnacht auch schon vercartert, verclintont oder verbusht aufgewacht? Und wenn Ihr Franzosen seid, wie Monsieur F.-P., dann darf Dikigoros das gar nicht in eine Frage kleiden, ohne rot zu werden, sondern muß es vielmehr als Aussagesatz formulieren: Noch nie hat ein französischer Politiker nach seinem Wahlsieg seine Wahlversprechen gehalten. Im besten Fall hat er sie vergessen, im schlimmsten Fall das genaue Gegenteil von dem getan, was er vorher versprochen hatte.
De Gaulle
ließ sich mit dem Versprechen, Algerien zu verteidigen, wählen; dann fiel er den französischen Siedlern in den Rücken und setzte sogar sein Militär gegen sie ein - anderthalb Millionen wurden mit seiner Beihilfe von den muslimischen Terroristen ermordet oder vertrieben. Sarkozy versprach im Wahlkampf, mit der muslimischen "racaille [Pack]", welche die Vororte der französischen Vorstädte terrorisierte, aufzuräumen - was tat er, nachdem er gewählt war? Er stellte die Muslime in Frankreich unter seinen ausdrücklichen Schutz vor "Diskriminierungen" und "Beleidigungen" und fuhr gleich nach Amtsantritt zum libyschen Diktator
Gaddafi,
um ihm französische Kernkrafttechnologie zu verkaufen, damit dieser endlich sein erklärtes Ziel, Israel mit Atombomben von der Landkarte zu tilgen, verwirklichen konnte. (Und verlaßt Euch darauf: Der hält seine Versprechen!) Der Jude Sarkozy wird also am Holocaust - dem wahren Holocaust, der zur vollständigen Vernichtung der Juden in Israel führen wird - schuld sein. Und? Haben "die" Franzosen das gewußt oder hätten sie es wissen müssen? Woher denn? Und wie war das mit "den" Deutschen? Mußten sie damit rechnen, daß Hitler seine Wahlversprechen halten würde? Hatte er nicht auch seine "braune" Revolution verraten und
Röhm
an die Wand stellen lassen? Und war nicht eine seiner ersten Amtshandlungen - noch vor Abschluß des Konkordats mit der katholischen Kirche in Rom - der Abschluß des Ha'avara-Abkommens mit den deutschen Zionisten gewesen, die er unter seinen ausdrücklichen Schutz stellte (und deren Auswanderern nach Palästina er massive finanzielle Förderung angedeihen ließ)? Papier war offenbar geduldig - auch das, auf dem "Mein Kampf" gedruckt worden war! Wie gesagt, Dikigoros' Großeltern hatten es ohnehin nicht gelesen, aber der Witz ist ja: Selbst wenn sie es getan hätten - stand denn da etwas von Judenvergasungen? Eben nicht, wenngleich reichlich böse Sätze gegen "die" Juden darin vorkamen; aber der Anti-Semitismus war nun wahrlich keine Erfindung Hitlers und kein auf Deutschland beschränktes Fänomen. Was hätten "die" Deutschen jener Zeit trotzdem wissen können oder gar müssen? Dikigoros' Vater wußte definitiv nichts. Als der "Holocaust" begann, war er 17 und schon an der Front, und dort blieb er bis Kriegsende, nur unterbrochen von zwei Lazarett-Aufenthalten, zwei Lehrgängen und je zwei Genesungs- und Heimaturlauben von wenigen Tagen. Beim letzten, im Dezember 1944 im völlig zerbombten Hamburg, lebte sein Schulfreund Siegfried - Volljude und Offiziersanwärter der Waffen-SS - noch, ebenso dessen Schwester und Eltern; sie wurden erst 1945 von den alliierten Besatzern ermordet. (Nein, nicht im Kampf getötet oder "hingerichtet", sondern schlicht ermordet, wohlgemerkt von den sonst so korrekten Briten: der Sohn, weil er SS-Offizier war, die Tochter, weil sie sich gegen die - damals übliche - Vergewaltigung zur Wehr setzte, und die Eltern, weil sie sich gegen die Beschlagnahme ihres Häuschens - eines der wenigen in Hamburg, die noch halbwegs bewohnbar waren - zur Wehr setzten.) Sie sind alle vier mit in die berühmt-berüchtigte 6-Millionen-Statistik eingegangen, die Ihr ja zur Genüge kennt. Und Dikigoros' Mutter? Sie hatte nichts gesehen, aber gehört, denn sie diente in einem Stab, wo viel getratscht wurde, vor allem von den Reservisten; und sie glaubte sogar das meiste, was sie hörte. Aber glauben ist nun mal nicht wissen - und was hätte sie denn tun können, als kleine Wehrmachtshelferin? Etwa so viel wie der französische Sarkozy-Wähler des Jahres 2007, der wutentbrannt mit ansehen muß, wie der Präsident der Republik sein Volk verrät und verkauft. Leider hat Frankreich keinen Brecht, der das in seinen Theaterstücken geißeln würde - und wenn es einen hätte, würden Sarkozy und seine Schergen wohl wissen, ihn (mund)tot zu machen, denn Kritik am islamischen Terror ist strafbar - das hat bekanntlich schon Brigitte Bardot erfahren müssen. Exkurs Ende.]
Überhaupt war der Trend zum Zweitbuch, zumal in Arbeiter-Kreisen, in den 1920er und 1930er Jahren noch längst nicht so stark ausgeprägt wie später, im Zeitalter von Simmel, Konsalik und Harry Potter: Die meisten Arbeiter hatten allenfalls eine Familienbibel (wenn sie Katholiken waren nicht einmal das); Dikigoros' Großeltern hatten darüber hinaus noch die "Germanischen Götter- und Heldensagen" - ein Erbstück -, und lagen damit schon 100% über dem Durchschnitt. [Auf Nachfragen schockierter Leser: Nein, etwas mehr gab es schon, aber nicht viel. Vor 1945 - d.h. bevor die billigen Ro-Ro-Ro-Taschenbücher auf den Markt kamen - besaß Urs neben den beiden erwähnten nur eine Handvoll Bücher: "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque - das hatte ihm ein ehemaliger Regimentskamerad zum Geburtstag geschenkt -, zwei historische Romane von Mirko Jelusich (über die Dikigoros
an anderer Stelle
mehr schreibt), ein Sachbuch von Anton Zischka, "Mümmelmann" und "Was da kreucht und fleucht" von Hermann Löns, ein Lehrbuch der französischen Sprache zum Selbststudium und ein paar zerfledderte Notenhefte. Alles andere kam aus der und ging zurück an die Leihbücherei.] Die Zeitung bekam man von einem Nachbarn, mit einem Tag Verspätung - na wenn schon. Es war zufällig der "Völkische Beobachter" - na wenn schon, einem geschenkten Gaul... außerdem fing man eh hinten zu lesen an, und über den Sportteil kam man nur selten hinaus. (Was lest Ihr denn bevorzugt, liebe Leser, wenn Ihr mal eine Zeitung kauft? Eben.) Irgendwann hatten Dikigoros' Großonkeln und -tanten alle Regierungs-Parteien einmal durch gewählt, ohne daß sich irgend etwas zum Besseren gewendet hätte - im Gegenteil: Der
Scheiß-Brüning
von der katholischen Zentrums-Partei (für Leser, denen das nichts mehr sagt: das war die Vorläuferin der CDU), seines Zeichens Reichskanzler, gab sich immer so "christlich-sozial" und "demokratisch"; dabei regierte er quasi-diktatorisch mit Notstands-Verordnungen von Hindenburgs Gnaden (nicht anders, als es nach ihm die Barone
v. Papen und
v. Schleicher
tun sollten), aber nicht wie er Politik machte regte die Leute auf (Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung erlaubte das nun mal), sondern was er für Politik machte: Er sparte, von den Beamtengehältern, die er pauschal um 20% senkte, bis zur ohnehin knappen Sozialhilfe, die er nochmal kräftig kürzte. (Nicht daß Ihr glaubt, liebe Leser, daß die Beamten das doch wohl leicht verknusen konnten angesichts der schnell einsetzenden Deflation: Damals war noch nicht jeder zweite im gehobenen oder höheren Dienst, sondern die meisten waren im mittleren oder einfachen Dienst - den es ja heute kaum noch gibt -, und da waren die Gehälter alles andere als üppig: "Des Königs Rock ist eng, aber warm", pflegte man zu sagen, aber oft war er mehr eng als warm, und als Beamter konnte man auch nicht einfach in den Wald gehen und dort Brennholz klauen, pardon klauben, wie es Dikigoros' Großeltern zu tun pflegten, wenn sie im Winter nichts zum Heizen hatten - Kohlen wären für sie unerschwinglich gewesen.) Symbolisch ließ Brüning neue 4-Pfennig-Stücke anstelle der alten 5-Pfennig-Stücke prägen, damit den Hausfrauen beim Einkaufen das Sparen leichter fiel. Für alle, die sehen, rechnen und denken konnten, war es ein bezeichnendes Symbol: Die Material- und Prägekosten der 4-Pfennig-Stücke lagen um 40% höher als die der 5-Pfennig-Stücke - und an Nennwert heraus kam 20% weniger. Brüning sparte den Staat kaputt und würgte die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft vollens ab, statt sie anzukurbeln, wie es Hitler tun sollte. Wer ihn kannte, zitierte Goethes Faust: "Heinrich, mir graut vor Dir!"
![[4-Pf-Stück]](4pf1932.jpg)
aus 5 mach 4: Reichskanzler Brüning läßt fünfe gerade sein
Dreimal dürft Ihr raten, liebe Leser, was Dikigoros' Großtanten und -onkel - und nicht nur die - 1932 gewählt haben. Richtig geraten. Ein Jahr später traten sie alle der richtigen Partei bei - mit einer "rühmlichen" Ausnahme, über die Dikigoros zwar schon an anderer Stelle geschrieben hat, aber hier will er sich ausnahmsweise einmal wiederholen, weil es einfach auch dazu gehört. Sein ältester Großonkel - von allen nur "der rote Onkel" genannt, war 1918 beim Kieler Matrosenaufstand dabei gewesen - wohlgemerkt auf Seiten der Meuterer. Und als die Meuterer, pardon die guten Demokraten, das Kaiserreich beseitigt und die Republik errichtet hatten, trat er gerne in die kleine Reichsmarine ein, in der er es bis zum Obermaschinisten brachte; aber obwohl er so etwas wie der Krösus der Familie war, wurde er von allen geschnitten - lieber hungern als mit so einem Umgang zu haben. (Er hatte "des Kaisers Rock" besudelt. Das war nicht irgendeine Militär-Uniform: Beim Heer z.B. gab es nur königlich preußische, sächsische, württembergische oder bayrische Uniformröcke; allein die Marine war 1871 kaiserlich geworden; und darauf ließ man als guter Norddeutscher nichts kommen, auch wenn man Arbeiter und womöglich selbst SPD-Wähler war. Und dazu noch ein Torpedo-Maschinist, der sogar bei der Marine-Auswahl von Torpedo Friedrichsort mitgekickt hatte - Kiel war damals eine Fußball-Hochburg: die "Störche" des KSV Holstein hatten 1912 sogar die deutsche Meisterschaft und damit den von der Kaiserin gestifteten Victoria-Pokal gewonnen!) 1935, als die Wehrmacht - und somit auch die Kriegsmarine - personell stark erweitert wurde, machte man ihn zum Fachoberleutnant; und im Krieg wurde er noch zum KaLeu befördert. 1945, nach dem Zusammenbruch, war er fein 'raus, denn als Berufssoldat hatte er ja kein Parteimitglied werden dürfen (so war das damals), also war er vollkommen unbelastet und bekam als erster der Familie seinen Persilschein; sobald wieder Parteien zugelassen waren trat er der SPD bei, wurde schnell Ortsvorsitzender, und wenn er nicht bald darauf gestorben wäre, wer weiß, welche Karriere jener brave Demokrat noch gemacht hätte... Nun, dieser Großonkel war ja auch nie arbeitslos gewesen; und alle anderen kamen noch im selben Jahr 1933 wieder in Lohn und Brot; und für Dikigoros' Großvater, der sich beharrlich weigerte, der Partei beizutreten (und damit seinem Sohn den Weg zu einer besseren Schulbildung verbaute, denn das wäre Voraussetzung gewesen für ein Stipendium zum Besuch der Adolf-Hitler-Schule), hatten sie nur ein müdes Lächeln übrig, ebenso dafür, daß er sie "Märzgefallene" schimpfte.
[Exkurs. Im März 1933 fanden die letzten "freien" Wahlen statt, bei denen die NSDAP die absolute Mehrheit gewann; danach traten auch bis dahin völlig unpolitische Leute der Partei in Scharen bei. Warum sie "Märzgefallene" genannt wurden, ist Dikigoros ein Rätsel. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Revolution von 1848: Eine Massen-Demonstration verhetzter "Demokraten" hatte sich drohend auf das Berliner Schloß des Königs von Preußen zubewegt; aber da Fritz Willi ein Weich-Ei war, befahl er seinen Truppen, abzurücken - psychologisch das dümmste, was er tun konnte, denn die Menge fühlte sich durch diese "Flucht" bestärkt und schoß auf die Soldaten. (In Euren Geschichtsbüchern steht heute: "lösten sich versehentlich ein paar Schüsse" - eine Formulierung, über die sich schon
Joachim Fernau
in "Sprechen wir über Preußen" mit Recht mokierte - da hatten also offenbar einige "friedliche Demonstranten" rein vorsorglich ein paar scharf geladene Gewehre mitgebracht, um dem König Salut zu schießen :-) Die Soldaten schossen zurück, und am Ende gab es Tote. Hinterher hieß es, die bösen Soldaten seien brutal auf die armen, unbewaffneten Demonstranten los gegangen und hätten sie wahllos zusammen geschossen. Der preußische Monarch kroch zu Kreuze, verneigte sich vor den toten "Martyrern der Revolution" und nannte sie: "Märzgefallene". Könnt Ihr da eine Parallele zu 1933 entdecken, liebe Leser? Dikigoros auch nicht, wenn man sie nicht darin sehen will, daß plötzlich alle, auch die ehemaligen Monarchisten, zu Kreuze krochen und sich vor den "Revolutionären" verneigten, die im November 1923 beim Marsch auf den Schloßplatz, pardon die Feldherrenhalle, zusammen geschossen worden waren und nun die Macht ergriffen hatten. (Doch dieser Vergleich hinkt, denn die Marschierer vom November 1923 waren tatsächlich unbewaffnet gewesen - die vom März 1848 nicht.) Aber es war wohl anders gemeint, denn der Begriff "Märzgefallene" des Jahres 1933 war nicht gerade positiv besetzt. Exkurs Ende.]
So simpel soll sich das erklären lassen? Pardon, liebe Zweifler, Dikigoros ist noch nicht fertig. Brecht schildert ja auch (im Kapitel 24, das er "Volksbefragung" überschrieben hat), wie 100.000 böse Nazi-Deutsche am 13. März 1938 das arme, wehrlose "Österreich" (Ihr gestattet doch, daß Dikigoros das in Anführungsstriche setzt? Das war früher für die "DDR" auch üblich; und was Mitteldeutschland recht ist, muß der Ostmark billig sein :-) "überfielen", und alle, die nicht für den "Anschluß" waren, hinrichteten - weshalb denn auch das Abstimmungsergebnis so merkwürdig hoch ausfiel. Brecht mußte es ja wissen - schließlich erhielt er nach dem Krieg von den russischen Besatzungs-Behörden die "österreichische" Staatsbürgerschaft. Dikigoros' Mutter hat das freilich alles ganz anders in Erinnerung behalten. Nein, nicht die Zeit der "Ersten Republik", aber für deren "Demokratie" und "Freiheit" konnte man sich nichts kaufen, vor allem nichts zu essen. Als dann Dollfuß seinen komischen Ständestaat errichtete (den die Historiker heute "austro-faschistisch" nennen - er wurde von
Mussolini,
dem italienischen "Duce", unterstützt, der damals noch kein Freund Hitlers war), gab es zwar keine Demokratie und keine Freiheit mehr, aber - auch nicht mehr zu essen, und das unterschied ihn eben vom "Dritten Reich". Dikigoros' Mutter jobbte (auch wenn man das damals noch anders nannte) als Aushilfs-Bedienung in einer Café-Konditorei in Wien. (Sie hätte lieber eine ordentliche Lehre gemacht, zur Köchin oder Schneiderin; aber damals bekamen Lehrlinge noch keinen Lohn, wie die heutigen Azubis und Azubinen, sondern sie mußten selber Lehrgeld zahlen für eine Ausbildung. [Was meint Ihr, liebe Politiker, wie schnell alle arbeitslosen Jugendlichen eine Lehrstelle hätten, wenn man das wieder einführen würde! Wieso sollen eigentlich nur Studenten für ihre Ausbildung Gebühren zahlen?] Und das Geld war schlicht und einfach nicht vorhanden.) Jeden Morgen ging sie zweieinhalb Stunden zu Fuß zur Arbeit (denn für die Trambahn reichten die 10 Schillinge, die sie im Monat verdiente - plus Trinkgelder, aber wer gab schon noch Trinkgeld? - nicht aus, geschweige denn für ein Zimmer in der Stadt), und abends zweieinhalb Stunden wieder zurück. Gegen Monatsende, wenn das Geld knapp wurde, wurde sie schon mal kriminell. Nein, sie griff nicht in die Kasse, und sie hätte es auch nicht gewagt, etwa ein Stück Kuchen zu entwenden; aber nach Feierabend wurden die abgefallenen Kuchenkrümel gesammelt, um am nächsten Morgen für einen Groschen (1/100 Schilling) die Tüte verkauft zu werden; und von diesen Krümeln aß sie bisweilen etwas, um nicht zu verhungern, statt sie einzutüten. Ihr meint, das sei doch lächerlich, allenfalls Mundraub? Irrtum - das war mindestens Unterschlagung, wenn nicht gar Veruntreuung, denn ihr waren diese Krümel ja zu treuen Händen anvertraut. Andere, die auch hungerten, beließen es freilich nicht bei ein paar Kuchenkrümeln; und ob es daran lag oder daran, daß es immer weniger Leute gab, die sich einen Besuch im Café leisten konnten - eines Tages mußte der Laden schließen. Das war im März 1938, und Grete stand buchstäblich vor dem Hungertod.
Ein paar Tage später "überfielen" die bösen Nazis "Österreich"; zum 1. April eröffnete die Partei dort, wo bisher das Café gewesen war, ein Büro, für das sie Tippsen (oder, wie das damals auf Amtsdeutsch hieß: "Kontoristinnen") suchte. Grete war als erste da und bekam den Job, obwohl sie weder blond noch blauäugig war und ihre Mutter zu allem Überfluß auch noch einen ungarischen Geburtsnamen hatte. (Zum Glück schon den von Dikigoros' Ururgroßvater; über den Mädchennamen seiner Ururgroßmutter, einer Schwester des Revoluzzers Gyula Andrássy, wären sie vielleicht doch gestolpert. Sie wußte es selber nicht, denn ihre Großeltern hatte sie nicht mehr kennen gelernt, ihre Mutter hatte es ihr nie gesagt und ihr auch kein Wort Ungarisch beigebracht, so daß sie den Taufschein aus dem Jahre 1826 nicht lesen konnte; erst ihr Sohn, dem er irgendwann mal in die Hände fiel - ein Original mit Gebührenmarken und Siegel -, hat es heraus gefunden, ihr aber nie verraten, denn es hätte ihr Weltbild arg erschüttert - wie sein eigenes übrigens auch.) Es fragte sie auch niemand, ob sie in der Partei war - auch später wurde nie Druck auf sie ausgeübt, beizutreten -, nur ob sie Steno und Schreibmaschine könne.
[Exkurs auf Leseranfragen. Nein, das war im "Dritten Reich" noch anders als heute. In der BRDDR kann niemand hauptamtlicher Mitarbeiter einer Partei oder irgend eines anderen Vereins sein, ohne dort auch Mitglied zu werden. Die Nazis waren da toleranter; sie zwangen nicht nur niemanden, ihrer Partei beizutreten, sondern verhängten vorübergehend sogar einen Aufnahmestop, weil es zu viele Bewerber gab! Und wenn Eure Eltern und/oder Großeltern Euch etwas anderes erzählt haben, dann haben sie Euch schlicht und ergreifend belogen. Wer Mitglied der NSDAP wurde, der tat es freiwillig, sei es aus politischer Überzeugung, sei es, weil er sich davon einen Vorteil versprach. Gewiß, es gab auch damals schon Ärzte- und Anwaltskammern, Industrie- und Handelskammern usw., und wer einen entsprechenden Beruf ausübte, mußte denen selbstverständlich beitreten, das waren auch damals schon Zwangsmitgliedschaften. Aber das waren doch keine national-sozialistischen Organisationen, auch wenn die Nazis albernerweise überall ein "NS-" vor den Namen setzten und es gerne sahen, wenn ein Parteigenosse den Vorsitz führte. (Aber das war keine Besonderheit des "Dritten Reichs"; es gibt auch in der BRDDR keine derartige Körperschaft, deren Vorsitzender nicht ein "richtiges" Parteibuch hätte, d.h. von einer der in den Parlamenten vertretenen, "etablierten" Parteien.) Fazit: Niemand, der Parteigenosse bei den Nazis war, kann sich damit heraus reden, daß er dies nur unter Zwang geworden und ein "innerer Widerstandskämpfer" geblieben sei oder was man heutzutage an ähnlichen Märchen hört und liest. Exkurs Ende.]
Zurück zu Grete. Sie log tapfer in Sachen Steno und Schreibmaschine (übrigens auch in Sachen Augen- und Haarfarbe - sie schrieb einfach "grau" und "blond", und das stand bis 1945 in all ihren Ausweisen, obwohl sie bernsteinfarbene Augen hatte und brünettes Haar :-) und lernte es mit knurrendem Magen und mit Hilfe einer ehemaligen Mitschülerin, die jetzt zur Handelsschule ging und eine eigene Schreibmaschine hatte, in den noch verbleibenden 14 Tagen bis zum Arbeitsantritt so weit, daß sie nicht allzu sehr auffiel... Später, als sie das einigermaßen konnte, ging sie noch zur Abendschule und machte den Abschluß nach, den sie versäumt hatte, als sie beim Tode ihres Vaters von der Realschule abgehen mußte. Und als sie 18 wurde, meldete sie sich als Wehrmachtshelferin, wie jede anständige, unverheiratete Deutsche, die nichts besseres zu tun hatte (und sie fand es besser als das Tippen von Briefen für die Partei-Filiale, zumal es besser bezahlt wurde, so daß sie ihrer Mutter Geld nach Hause schicken konnte), erst nach Serbien, dann nach Norwegen. Und obwohl sie sich immer beharrlich weigerte, Uniform zu tragen (natürlich nicht offiziell - sie behauptete einfach, das Zeug passe ihr nicht, und lief weiter in Zivil herum :-) stieg sie bis in die Offiziersränge auf; bei Kriegsende leitete sie den Regiments-Nachschub. ("Warum muß der S3 ein Mann sein?" pflegte sie zu sagen, "das kann eine Frau doch viel besser.") Wen hätte sie wohl gewählt? Ihr meint, bestimmt die Partei, der sie das alles zu verdanken hatte? Irrtum - Parteien waren ihr völlig schnuppe, auch nach dem Krieg. Sie fragte immer nur nach Personen - auf den Kanzler kommt es an! Wer von den Kandidaten war denn wählbar? Der korrupte
Adenauer? Der dumme
Ollenhauer? Der fette
Erhard? Der schleimige
Kiesinger? Der versoffene
Brandt? Der farblose
Barzel? Der kettenrauchende
Schmidt? Der verlogene
Strauß mit seinem kriminellen Clan? Birne, pardon
BlumenKohl,
der Möchtegern-"Historiker", der unter "Wiedervereinigung" das Zusammenpfuschen von BRD und DDR verstand, und der die DM auf dem Altar des Götzen "Europa" geopfert hatte? (Den hatte sie am meisten von allen "gefressen".) Der komische Vogel? Kaschmir-Gerhard, der seinen Untertanen Wasser predigte und selber den teuersten Wein trank (und die teuersten kubanischen Zigarren rauchte, um das
Castro-Regime
zu unterstützen)? Zu dem fiel ihr nur der Spruch ein: "Lügen haben kurze Beine!" So, jetzt wißt Ihr, warum Grete (fast) nie zur Wahl gegangen ist (und den einen Fehlenden dürft Ihr selber ergänzen :-).
Ach so - wen Dikigoros' Großmutter mütterlicherseits wählte? Ganz einfach: Vor dem Krieg hatte sie kein Geld, um die Trambahn zum nächsten Wahllokal in der Stadt zu nehmen (s.o.) - und so weit laufen konnte sie nicht mehr. Im Krieg wurde nicht gewählt (s.o.). Und nach dem Krieg waren ihr die "österreichischen" Kanzler-Kandidaten genauso sympathisch wie ihrer Tochter die bundesrepublikanischen (s.o.). Und nun wißt Ihr auch noch, warum Helene nie gewählt hat. [Dikigoros' Vater war übrigens die rühmliche Ausnahme der Familie: Er ging immer wählen - auch wenn er nicht immer wählte: Nach dem Krieg waren im roten Hamburg nur KPD und SPD zugelassen, da wählte er letztere; und weil er kein religiöser Mensch war und ihn deshalb das "C" im Namen der Unionsparteien störte, blieb er auch dabei - bis
Schumacher
abtrat, dessen Nachfolger in seinen Augen "unwählbar" waren; und da er auch
"Lackschuh-Erich"
nicht mochte, wählte er zähneknirschend CDU ("weil der Erhard auch kein Katholik ist und wir ihm das Wirtschaftswunder verdanken"); als Schmidt Kanzler wurde, kehrte er wieder zur SPD zurück ("denn der Helmut ist Hamburger und hat was für die Opfer der Flutkatastrofe getan"); und als der durch Intrigen in der eigenen Partei und den Verrat seines
Koalitionspartners
gestürzt wurde, hatte er von der Politik die Nase so voll, daß er von da an nur noch leere Wahlzettel abgab.] Wie war das gleich: Jedes Volk hat die Regierung verdient, die es gewählt hat; und wer nicht zur Wahl geht, ist selber schuld. Alle selber schuld? Ja, das sagt sich leicht, wenn man wie Brecht Millionärs-Sohn ist: alle selber schuld! Und wenn man selber noch nie gehungert hat, dann ist es leicht, Sätze wie den folgenden sarkastisch zu meinen: "Wer frißt am Kalb mit, das wir schlachten, he? Das hab ich gern: nach Fleisch schrein und den Koch beschimpfen, weil er mit dem Messer läuft!" Helene und Grete waren froh, nach vielen Jahren mal wieder Fleisch essen zu können - wenngleich nicht gerade Kalbfleisch -; aber sie schimpften auch nicht über den Koch - das überließen sie denen, die sich schon immer den Wanst hatten voll schlagen können. [Als Dikigoros seine alte Mutter 60 Jahre nach Hitlers Selbstmord besuchte, um ihre Steuererklärung zu machen, erzählte sie ihm, warum sie diesmal wieder nicht zur Landtagswahl gehen würde: "Was las ich da gerade - die wollen Arbeitslosen elektronische Fußfesseln anlegen, damit sie nicht vor der Arbeit weg laufen können, die ihnen angeblich angeboten werden könnte? Siehst du, das hat es bei Hitler nicht gegeben - aber da gab es ja auch keine Arbeitslosen."]

Nein, Hitler brachte den armen Leuten das Fleisch nicht gleich persönlich vorbei - zumal er selber Vegetarier war -;
vielmehr begab es sich, daß just in jenen Tagen zwei Cousinen von Grete heirateten, und zwar, eingedenk des Satzes, daß Handwerk goldenen Boden hat, und zumal das Metzgerhandwerk für gewöhnlich auch einen gefüllten Magen, zwei "Fleischhauer", wie das damals auf Amtsdeutsch hieß. Und damit kommen wir zugleich auf ein Thema, zu dem Dikigoros auch immer wieder Leseranfragen erhält, denn der eine war christlichen, der andere mosaïschen Glaubens - also kein Konvertierter hebräischer Abstammung, sondern ein echter Jude, der auch noch gemäß seinem Glauben lebte. Der Unterschied war ganz einfach - und in den Augen Helenes und Gretes ganz beträchtlich: Wenn der christliche Fleischer schlachtete, lud er bisweilen die armen Verwandten seiner Frau zum Essen ein; wenn dagegen der jüdische Fleischer schächtete, dann war das eine sakrale Handlung, der kein Nicht-Jude beiwohnen durfte - nicht mal seine eigene Frau -, und von dem solchermaßen gewonnenen Fleisch bekamen Gojims - auch wenn sie mit ihm verschwägert waren - grundsätzlich nichts ab. Dreimal dürft Ihr raten, welcher der beiden bei Helene und Grete beliebter war. Was aus den beiden geworden ist? Nun, der christliche Fleischer - Otto hieß er übrigens - war ein Dummkopf; er schrie 1938 laut "Heil Hitler", als der so Gegrüßte das friedlich wieder zusammen wachsen ließ, was
ein anderer Dummkopf
- der zufällig auch Otto hieß - 72 Jahre zuvvor mit Blut und Eisen auseinander gerissen hatte. Er wurde bald darauf eingezogen und fiel 1941 auf dem Balkan, von dem der andere Otto gesagt hatte, daß er nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert sei (und da hatte er ausnahmsweise mal Recht gehabt, aber das ist
eine andere Geschichte).
Der jüdische Fleischer dagegen war ein kluger Mann, schon ein etwas älteres Semester mit entsprechender Lebenserfahrung. Er sah, was kommen mußte, und obwohl ihm als Reserve-Offizier und Träger des Frontkämpfer-Abzeichens aus dem Ersten Weltkrieg keine Gefahr von den "Nürnberger Gesetzen" drohte, zog er es doch vor, ins vermeintlich sichere Ungarn überzusiedeln. 1945, bei der "Befreiung" durch die Sowjets, wurde er durch diese von seinem Leben befreit - immerhin war er ein böser Kapitalist gewesen (er hatte drei Gesellen und Lehrlinge beschäftigt, pardon "ausgebeutet"); auch er zählte also zu den 6 Millonen jüdischen Opfern der Jahre 1941-48, die man später allein den Deutschen in die Schuhe schieben sollte.
[Nachtrag anno 2008. Dikigoros hat die vorstehenden Absätze wie gesagt nach den Erinnerungen seiner Mutter nieder geschrieben, die für ihn einen hohen Quellenwert haben, da sie Zeitzeugin war. (Übrigens auch in Sachen "keine Gefahr von den Nürnberger Gesetzen" - wenngleich in den heutigen Geschichts- und Märchenbüchern steht, daß die Ausnahmetatbestände später aufgeweicht worden seien. General-Leutnant Rosenbusch - den sie anläßlich einer Ordensverleihung in Norwegen auch mal persönlich kennen lernte -, 1942-44 Inspekteur der Landbefestigung Nord, war im Ersten Weltkrieg Hauptmann gewesen und in den 1920er Jahren Mitverfasser eines anerkannten - und daher 1945 verbotenen - Standardwerks über den Minenkrieg. Niemand diskriminierte ihn im "Dritten Reich", weil er Jude war - ebenso wenig wie die General-Feldmarschälle Milch und v. Lewinski alias v. Manstein, die erst 1945... aber das könnt Ihr selber nachschlagen.) Er will Euch indes nicht verhehlen, daß andere Zeitzeugen das damalige Geschehen ganz anders in Erinnerung behalten haben - oder das jedenfalls behaupten -, darunter solche, deren Stimme in den Augen und Ohren der "Historiker" ein ungleich höheres Gewicht haben als die einer kleinen Kontoristin und Stabshelferin, z.B. Otto v. Habsburg. Der durfte 70 Jahre lang ungestraft das gleiche behaupten wie Brecht, nämlich daß "Österreich" das erste Opfer der Aggression des Preußen Hitler war, und daß die braven "Österreicher" in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit den "Anschluß" ablehnten; die paar Tausend Jubelnden auf dem Wiener Heldenplatz seien nur dorthin gegangen, um Hitler zu sehen wie man heuer zu einem Fußballspiel geht und mit jubelt - überhaupt nicht ernst zu nehmen... Wer beschreibt aber seine unangenehme Überraschung, als er anläßlich des 70. Jahrestages der Wiedervereinigung der Ostmark mit dem Deutschen Reich gewaltsamen Annexion der Republik Österreich durch Nazi-Deutschland genau das noch einmal sagte: Plötzlich hatte sich die Doktrin der politisch-korrekten Gutmenschen geändert, und er wurde beinahe zum Gedankenverbrecher und Holocaust-Leugner gestempelt, weil er nicht zugeben wollte, daß die Mehrheit der Österreicher genauso böse Nazis waren wie die Mehrheit der Deutschen aus dem "Altreich". Gut so, meint Dikigoros, daß dem verkalten alten Trottel endlich mal übers Maul gefahren wird. Er fragt sich allerdings, weshalb dann nicht auch Brechts "Arthuro Uri" - der sich inhaltlich in nichts von Ottos Sermon unterscheidet - endlich von den Bühnen dieses unseres Landes abgesetzt und sein Verfasser in die gleiche Ecke gestellt wird. Nachtrag Ende.]
Und noch ein Exkurs. In jüngster Zeit setzt sich unter Historikern die These durch, daß die Wurzeln des Zweiten Weltkriegs im
Ersten Weltkrieg im allgemeinen und im
Versailler Vertrag
im besonderen gelegen haben. Das ist eine interessante These, die wiederum auf einer anderen interessanten These beruht, nämlich daß Hitler den Zweiten Weltkrieg entfesselte, um die durch das Versailler Friedensdiktat geschaffene Welt[un]ordnung zu beseitigen, und sowohl Rechte als auch Linke können sich - wenngleich unter anderen Vorzeichen - mit ihr anfreunden. Dennoch ist sie in fast jeder Hinsicht falsch. Zwar ist es richtig, daß der Versailler Vertrag viele Ungerechtigkeiten enthielt. (Eine davon, den Ausschluß deutscher Sportler von internationalen Wettkämpfen, hatte Dikigoros schon erwähnt, eine weitere war die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker für die Deutschen - zu denen ja auch die Ostmärker zählten -, und man könnte sicher noch mehr finden, wenn man wollte.) Richtig ist auch, daß Hitler den Kampf gegen Versailles auf seine Fahnen geschrieben hatte - aber da fängt die Geschichts-Klitterung schon an, denn das hatten alle deutschen Politiker und Parteien der Zwischenkriegszeit, von Rechtsaußen über die bürgerliche Mitte, die Sozial-Demokraten bis hin zu den Kommunisten (jawohl, auch
Thälmanns
KPD)! Und eine Revision von Versailles war ja nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch und vor allem der Vernunft: Die einseitigen Warenströme der Reparations-Leistenden an die Reparations-Empfänger hatten den "Weltmarkt", d.h. die Währungssysteme und den Warenaustausch, gründlich ruiniert. (Was kein Kunststück war, nachdem die größten Industrie-Staaten der Welt vier Jahre lang praktisch ihre gesamte Arbeitsleistung darin "investiert" hatten, Waffen, Munition und anderes Kriegsgerät zu produzieren, die dann mitsamt Millionen von Menschen irgendwo an der Front "verbraucht" wurden für nichts und wieder nichts; aber umso mehr hätte man dem nach Kriegsende entgegen steuern müssen durch einen vernünftigen, den allseitigen Wiederaufbau fördernden Friedensvertrag.) Betroffen waren dabei keineswegs nur die Völker der Verlierer-, sondern auch die der "Sieger"-Staaten, die es psychologisch vielleicht noch schlimmer traf, denn die hatten sich ja darauf verlassen, daß nach dem Krieg die geschlagenen Deutschen für alle Verluste aufkommen würden. Nun aber lag die Wirtschaft in England und Frankreich (in Rußland sowieso) genauso darnieder wie in Deutschland, und selbst in den USA - die weder vom Krieg zerstörte Landstriche noch einen hohen Blutzoll entrichtet hatten - war sie nach dem Börsenkrach Ende der 1920er Jahre zusammen gebrochen. (Und es blieb nicht bei dem einen "Schwarzen Freitag": In den USA gab es in den 1930er Jahren sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentual mehr Armut und Arbeitslosigkeit als im Deutschen Reich - erst
Roosevelts
geniale Kriegspolitik sollte die Krise überwinden.) Aber dennoch - wo soll da der zwingende Kausal-Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen gewesen sein? Hitler hätte es mit Dikigoros' Großvater halten und die Volksdeutschen in Bromberg und anderswo in Polen ihrem Schicksal überlassen und gut Freund mit Stalin bleiben können; Japan hätte den chinesischen und die südostasiatischen Märkte mit friedlichen Mitteln erobern können; die Engländer und Franzosen hätten sich mit den Deutschen selbst nach dem
Polen-Feldzug
noch friedlich arrangieren (und damit ihre Kolonialreiche behalten) können, und die USA...? Ja, die wären ein echtes Problem gewesen, solange Roosevelt an der Macht war, denn der brauchte und wollte den Krieg unbedingt; aber ob er es auch geschafft hätte, ihn alleine anzuzetteln, wenn alle anderen nicht gewollt hätten? Wohl kaum, denn ohne entsprechenden Vorwand wäre ihm das amerikanische Volk - das in seiner Mehrheit die Zusammenhänge zwischen Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Aufrüstung und Krieg nicht durchschaute - schwerlich gefolgt. Exkurs Ende.
Und noch ein längerer Nachtrag als Antwort auf diverse Leserbriefe: Nein, Dikigoros will hier über niemanden den Stab brechen, der die Nazis oder die Kommunisten gewählt hat, er will auch niemanden in den Himmel loben, der das nicht getan hat, und er will niemanden entschuldigen, der es dann doch getan hat. Er lehnt den Satz "alles verstehen heißt alles verzeihen" ab; er macht immer einen Unterschied zwischen "etwas verstehen" und "für etwas Verständnis haben". Er will hier also kein Verständnis wecken; er möchte nur jüngeren Lesern verstehen helfen, warum damals einige Menschen so gewählt haben und andere so und andere überhaupt nicht. Meist steckten gar keine unterschiedlichen Ideologien dahinter, sondern einfach nur unterschiedliche Lebenslagen. Dikigoros' Großvater war von klein auf arm gewesen und hatte gelernt, damit zu leben; er hatte kein Geld, das er in der Inflation 1923 hätte verlieren können, also auch keinen Grund, die "Weimarer Republik" und ihre Parteien zu hassen. Seinen Job hatte er auch während der Weltwirtschaftskrise nicht verloren. (Es hätte sich für seinen Arbeitgeber nicht gelohnt, ihn zu entlassen, denn getan werden mußte die Arbeit, und sie war so gefährlich und so schlecht bezahlt, daß sich erstmal ein anderer Dummer hätte finden müssen, der sie tat ohne zu murren, ohne zu streiken und ohne andere aufzuwiegeln.) Er hatte also keinen Grund, die Nazis zu wählen, denn er hatte von ihnen keine Verbesserung seiner Lebensumstände zu erwarten. Bei Dikigoros' Großonkeln sah das z.T. ganz anders aus: Sie hatten die paar Mark Erspartes in der Inflation verloren, zudem in der Depression ihre Jobs, und einige hatten auch ein Häuschen gebaut - als Handwerker ging das relativ leicht, mit Eigenleistung und "Nachbarschaftshilfe": damals brauchte man ja noch keine großartigen Anschlüsse an Kanalisation, Stromnetz und Gasleitungen: Man hatte einen Brunnen im Hof, das Plumsklo neben dem Hühnerstall, gekocht und geheizt wurde mit Brennholz, man ging mit den Hühnern schlafen und stand mit ihnen auf, und für die dunkelste Jahreszeit gab es Petroleumlampen. Dennoch - das Stückchen Land und das Baumaterial mußten gekauft werden, und das ging nun mal nicht ohne Hypothek ab. Normalerweise war die problemlos zu bedienen, aber ohne Job... Wenn man Glück hatte, erwarb auf der Zwangsversteigerung irgendein reicher Jude die Immobilie und ließ einen gegen Mietzins weiter darauf wohnen. Aber viele empfanden das gar nicht als "Glück", sondern vielmehr als Skandal - war es nicht ihr Land und das mit ihren eigenen Händen im Schweiße ihres Angesichts erbaute Häuschen? Vielleicht hatte dieser Hitler ja doch Recht, daß die Juden an allen Übeln der Welt schuld waren - warum also nicht seiner Partei mal eine Chance geben? Da Dikigoros Euch oben schon die Geschichte von seinem "roten [Groß-]Onkel" erzählt hat, will er auch noch die vom "braunen [Groß-]Onkel" nachschieben, dem (zweiten) Mann der ältesten Schwester seiner Großmutter (der erste war 1914 gefallen), die er als böse alte Hexe in Erinnerung behalten hat, deren Besuche allseits gefürchtet waren, vor allem von den Kindern, weil sie immer wieder die selbe blöde Geschichte erzählte, die man sich mucksmäuschenstill anhören mußte. Als der Onkel 1930 arbeitslos wurde, machte er sich als Handwerker selbstständig - und wartete zweieinhalb Jahre vergeblich auf Aufträge, hielt sich nur mit etwas Schwarzarbeit mühsam über Wasser. Im März 1933 trat er der Partei bei - und plötzlich regnete es Aufträge. Der Onkel konnte sein Glück kaum fassen: Nun konnte er nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern sogar noch eine Familie gründen - vorher war daran nicht zu denken gewesen, er hatte ja kaum sich selber ernähren können. Also heiratete er die Tante und schenkte dem Führer - von dem er nun ganz begeistert war - zwei Jungen, die sicher einmal hervorragende Soldaten abgeben würden. (Mehr war nicht drin, denn seine Frau war 1933 schon deutlich über 40, und die Wechseljahre setzten damals früher ein als heute.) Seine Begeisterung ließ auch nicht nach, als 1939 der Krieg ausbrach - ganz im Gegenteil: Er war ja zu alt, um noch eingezogen zu werden, und sein Betrieb - ein Zulieferer der Kriegsmarine - expandierte weiter und lag so weit ab vom Schuß, daß wohl kein Feindflugzeug eine Bombe darauf verschwenden würde... Ende 1944 verschwendeten sie dann doch mehr als eine Bombe und machten den Betrieb dem Erdboden gleich; der Onkel blieb wie durch ein Wunder unverletzt; aber bald darauf wurde er doch noch eingezogen - zum Volkssturm. (Die idiotische Art und Weise, auf die er im Mai 1945 in allerletzter Stunde umkam, läßt Dikigoros weg; er kann die Geschichte, die er so oft gehört hat, nicht so recht glauben, zumal die Tante gar nicht selber dabei war.) Er hinterließ eine arme, alte, verbitterte Witwe und zwei halbwüchsige Söhne, von denen der eine sein Lebtag geistig behindert blieb - er hatte bei dem Bombenangriff eine schwere Kopfverletzung davon getragen - und der andere seiner Mutter nie verzieh, daß sie dem Bruder soviel mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmete als ihm, dem gesunden - auch er verstand das als Kind nicht. Aber Dikigoros versteht jetzt im Rückblick, warum die Tante so wurde wie sie war. Was das alles mit Brecht zu tun hat? Eine ganze Menge (sonst hätte Dikigoros es auf einer anderen seiner "Reisen durch die Vergangenheit" berichtet und nicht hier). Man muß nämlich auch verstehen, warum Brecht zum Kommunisten wurde: Wie gesehen war er körperlich und geistig minderbemittelt; seine Stücke waren entweder Schrott oder geklaut. (Das gilt übrigens auch für solche, die Dikigoros hier nicht einzeln bespricht; so stammen z.B. alle guten Liedertexte aus der Dreigroschenoper von François Villon.) Seine einzige Chance, sie jemals aufgeführt zu sehen, bestand darin, sich bei den Kommunisten anzubiedern, sowohl inhaltlich als auch persönlich. Eines von beidem allein reichte nicht aus - sonst hätte wahrscheinlich sein Freund und Kollege Georg Kaiser das Rennen gemacht, der ja ebenfalls Kommunist war und bis 1933 der meist gespielte deutschsprachige Bühnenautor. Aber seine Theaterstücke waren nach 1945 ideologisch nicht mehr brauchbar: Die Bürger der deutschen Städte, die den Zweiten Weltkrieg durchgemacht hatten, interessierten sich nicht mehr für das Schicksal der Bürger der flämischen Stadt Calais, die im Mittelalter Zankapfel zwischen englischen und französischen Besatzern war... Jetzt ging es darum, die Zeitgeschichte aufzuarbeiten, und zwar aus kommunistischer Sicht - und genau das tat Brecht! Nachtrag Ende.
* * * * *
Nun also endlich zu der Version vom Aufstieg des "Arturo Ui", die Brecht den Amerikanern verkaufen wollte. Der läßt erstmal die Tatsache beiseite, daß Hitler in freien, demokratischen Wahlen von der Mehrheit des deutschen Volkes gewählt worden war (übrigens mit einer Mehrheit, wie sie nie ein deutscher Kanzler zuvor und nie wieder danach erreichte) - welcher Kommunist schert sich schon um den Willen des Wahlviehs, pardon Wahlvolks? Für ihn wurde Hitler nicht gewählt, sondern von Hindenburg ernannt. Daran ist so viel richtig, daß es nach der Weimarer Verfassung keine direkte Kanzlerwahl gab (nach dem Bonner Grundgesetz übrigens auch nicht, und auch keine direkte Präsidentenwahl mehr, mit der Begründung, das dumme Volk könnte sonst wieder einen wie Hindenburg wählen, der wieder einen wie Hitler zum Kanzler machen könnte), daß vielmehr der Reichspräsident eine Person seines Vertrauens mit der Regierungsbildung beauftragte. Das mußte nicht notwendigerweise der Führer der Mehrheitspartei sein. (Das war sogar eher selten der Fall, egal wie oft man wählen ließ - und in der Weimarer Zeit wurde
ständig gewählt -; speziell die letzten Kanzler - Brüning, v. Papen und v. Schleicher - standen Minderheits-Kabinetten mit z.T. verschwindend wenigen Abgeordneten vor.) Es war allgemein bekannt - auch Brecht -, daß Hitler dem alten preußischen Feldmarschall a.D. persönlich unsympathisch war, erstens weil er ihn für einen Böhmen hielt - und das waren für ihn allesamt Schwejks -, zweitens weil er es im Krieg bloß zum Gefreiten gebracht hatte, drittens weil er nicht von Adel war, und viertens weil ihm seine Rabaukentruppe, die SA, suspekt war - für ihn als ehemaligen Berufssoldaten durfte es keine bewaffnete Truppe außer der Reichswehr geben. Warum änderte Hindenburg im Januar 1933 seine Meinung und berief Hitler doch zum Reichskanzler? (Wie gesagt: der bloße Umstand, daß er Führer der Mehrheitspartei war, zwang ihn dazu nicht.) Ganz klar ist das bis heute nicht; die Vermutungen reichen von "Hindenburg war eben zunehmend verkalkt" bis "v. Papen und
Hugenberg
haben ihm das eingeflüstert, weil sie meinten, Hitler als Marionette gebrauchen und im Hintergrund selber die Fäden ziehen zu können." Lassen wir das dahin stehen und wenden uns der Erklärung zu, die Brecht parat hatte: Hindenburg alias Dogsborough wurde von Hitler alias Ui erpreßt.
Nanu - wie das? Tja, Hindenburg war - jedenfalls in Brechts Augen - ein alter, "ostelbischer Junker", und deren Klitschen ging es damals allgemein schlecht. Ohne die "Osthilfe" wären die meisten von ihnen den Bach 'runter gegangen; und auch Hindenburg stand vor der Pleite, denn sein Gut war bis über den Schornstein verschuldet. Nun gab es nette Leute, z.B. Industrielle, die schon mal für verdiente Staatsmänner etwas springen ließen, was man beschönigend "Dotation" nannte; und auch wenn man nicht gerade Reichspräsident war, gab es ja noch die "Osthilfe". (Das müßt Ihr Euch in etwa so vorstellen wie die Steinkohle-Dotationen, pardon -Subventionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, liebe Leser.) Einen "Blumenkohl-Trust" gab es zwar nicht, aber immerhin den so genannten "Reichslandbund", den man am ehesten in diese Ecke stellen könnte - wenngleich er wesentlich weniger "mafiöse" Strukturen aufgewiesen haben dürfte als etwa heutige Parteien und Lobbyisten-Verbände. Es war halt schon immer so: Eine Hand wäscht die andere - und nicht nur mit Schmier-Seife. 1929 hatte Hindenburg Gut Neudeck schuldenfrei bekommen; 1933 kam der "Preußenwald" hinzu. Mag ja sein, aber im Gegensatz zu dem, was unsere heutigen Politiker "nebenbei" einstecken, d.h. im Rahmen von gar nicht ausgeübten, sondern nur zur Vertuschung von Schmiergeld-Zahlungen vorgeschobenen "Nebentätigkeiten" hinzu "verdienen", geschah das damals ganz offen - jeder wußte es, und die meisten fanden es in Ordnung. Gut Neudeck hatte gerade mal 375 ha (für Stadtkinder des 20. Jahrhunderts: ein Hektar sind ungefähr zwei Fußballfelder); das war zwar mehr als der Bauernhof von Dikigoros' Urgroßeltern, aber sooo toll war es denn auch wieder nicht; die Urgroßeltern von Frau Dikigoros hatten mehr - das brauchte man auch bei der bescheidenen Boden-Qualität im Havelland, wenn man halbwegs ordentlich wirtschaften wollte. [Selbst die dummen Ossis, die 1945 alle Höfe über 100 ha enteigneten (entschädigungslos, versteht sich, und das wurde 1990 im "Einigungsvertrag" noch einmal nachträglich abgesegnet, wodurch man den letzteren in eine Reihe stellen darf mit den Verträgen von Versailles, St. Germain usw.) sahen das nach sieben Jahren Hungersnot ein und legten die Klitschen, die dabei entstanden, 1952 wieder zusammen, zu so genannten LPGs (für Wessis: das war die Abkürzung für "Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaften")]. Wurde Hindenburg dadurch erpreßbar? Wohl kaum; es war doch alles ganz legal, und wenn nicht, dann hätte ihn auch jeder andere damit "erpressen" können. Mit einem Wort: Diese Theorie Brechts ist einfach lachhaft.
Über alles andere - oder jedenfalls über vieles - kann man streiten, zum Beispiel über den "Speicherbrandprozeß"; aber das Thema "Reichstagsbrand" behandelt Dikigoros schon
an anderer Stelle
und will sich hier nicht wiederholen. Das gleiche gilt für den so genannten
"Röhm-Putsch"
und die anschließende Tötung Röhms. (In beiden Fällen hat Brecht ein wenig überzogen, aber das kann man ihm im großen und ganzen noch als "dichterische Freiheit" durchgehen lassen.) Über den Fall Dollfuß haben sich die Gemüter erregt wie über kaum ein anderes Thema dieses Theaterstücks - vor allem seine Nachkommen betrachten Brechts Darstellung als "Verunglimpfung". Ja, pardon, liebe Dollfüße, was erwartet Ihr denn? Daß der "Pipifax" (wie er nicht nur im Reich genannt wurde) posthum zum guten Demokraten oder gar zum anti-nazistischen Widerstandskämpfer hochstilisiert wird? Zu einer so dreisten Lüge wollte sich nicht mal Brecht hergeben. Dollfuß war ein skrupelloser Intrigant, der nur wenige Wochen nach Hitlers Berufung zum Kanzler, Anfang März 1933, das "österreichische" Parlament (den "Nationalrat") entmachtet, die Verfassung suspendiert und sich selber de facto zum Diktator gemacht hatte. Nach und nach verbot er alle Parteien von links bis rechts außen und erlaubte nur noch seine eigene Staatspartei, die so genannte "Vaterländische Front". Bald waren sich alle gegen ihn einig, selbst Kommunisten und Nazis rauften sich zusammen, um ihn zu stürzen. (Wen die Einzelheiten interessieren, der besorge sich die Memoiren von
Otto Skorzeny,
der das kurz und dennoch sehr anschaulich schildert; die französische und die spanische Ausgabe sind in der BRD noch nicht verboten.) Am 20. Juli 1944, pardon am 25. Juli 1934 war es so weit: Einer erwischte ihn und schoß ihn ab. Daß es ein National-Sozialist war, war eher Zufall.
* * * * *
An dieser Stelle kommt Dikigoros um einen kleinen Exkurs zum Thema "Tyrannenmord" nicht herum. War Dollfuß ein Tyrann? Wenn ja, gab das irgend jemandem das Recht, ihn zu töten? Pardon, liebe Leser, aber das ist mal wieder eine jener falschen Fragestellungen, auf die es nur falsche Antworten geben kann. Um uns die lästige filosofische Frage zu ersparen, was das überhaupt ist, ein "Tyrann", nehmen wir einfach mal an, daß Dollfuß einer war. Aber das alleine wäre doch kein Grund gewesen, ihn umzubringen! Auch ein Tyrann kann gute Politik machen, sogar viel leichter als der "demokratisch gewählte" Regierungschef eines "Rechtsstaats", der Rücksicht auf irgendwelche "Koalitionspartner", "Parteifreunde" und andere Dummköpfe nehmen muß, die ihm im Auftrag irgendwelcher Lobbyisten ins Handwerk pfuschen wollen - nicht umsonst pflegten die alten Griechen und Römer, wenn ihre Demokraten nicht mehr weiter wußten, die Herrschaft einem einzelnen "Týrannos" (das altindische Wort "tyranyus" bedeutet ganz wertneutral "kräftig vordringend", wie auch das Wort "türk", nach dem sich die oģusischen Selçuken und Osmanen später "Türken" bzw. "Türkler" nennen sollten) bzw. "Dictator" zu übertragen. (Nachdem er den Karren dann aus dem Dreck gezogen hatte, erntete er meist wenig Dank, sondern wurde oft noch ermordet - nicht umsonst stammt auch das Wort tyrannoktónos [Tyrannentöter]" aus dem Griechischen. Auf Nachfrage eines Lesers: Nein, Despótäs" bedeutete ganz neutral Hausherr, nicht das, was die Feministinnen später einen "Haustyrannen" nennen sollten; und "Despótis" [Hausherrin] hatte ursprünglich sogar einen positiven Klang.) Wenn ein solcher gute Politik macht, gibt es nicht den geringsten Grund, geschweige denn ein Recht, ihn zu töten. (Haben dann nicht die Kommunisten Recht, die ganz wertfrei von einer "Diktatur des Proletariats" sprechen und für diese in Anspruch nehmen, daß sie per se gute Politik machen müsse? Nein, denn zum Wesen einer "guten", ja einer jeden echten Diktatur, gehört ihre zeitliche Begrenztheit.
Sulla
war ein guter Diktator, weil er seine - im voraus nicht befristete - Diktatur nach getaner Arbeit freiwillig nieder legte. Wer dagegen versucht, sie an Nachkommen, Verwandte oder Partei-Genossen zu vererben, der ist kein Diktator, sondern ein Möchtegern-Monarch, wie die Herrscher Afrikas, der indischen Staaten, Nordkoreas, des modernen Griechenlands und neuerdings selbst der USA; es gibt nur noch wenige echte Diktatoren, wie z.B.
Castro auf Kuba und
Putin
in Rußland - und wie "gut" oder "schlecht" deren Politik ist, werden wir erst im Rückblick beurteilen können, wenn wir wissen, wer und was nach ihnen kommt. [Damit meint Dikigoros nicht ihre Marionetten, die anno 2008 in beiden Staaten pro forma an ihre Stelle getreten sind, sondern ihre echten Nachfolger, wenn sie nicht mehr sind.] Alles andere, vor allem die Partei-"Demokratie", ist in Wahrheit die Herrschaft kleiner Eliten, also bestenfalls Aristokratie, schlechtestenfalls Kakokratie - sucht Euch selber aus, liebe Leser, in welche Kategorie Eure derzeitige Regierung fällt.)
Wer dagegen schlechte Politik macht, der gehört abgesetzt - und allenfalls da mag es einen geringfügigen Unterschied zwischen "Diktatoren" und "Demokraten" geben: Die letzteren kann man vielleicht abwählen (vielleicht - denn manchmal ist die Zeit bis zu einer möglichen Abwahl zu lang), die ersteren meist nicht. Hätte man Dollfuß oder Hitler abwählen können? Nein - allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Hitler hatte bis zuletzt über 90% der Bevölkerung hinter sich, hätte also Wahlen nicht zu fürchten brauchen. Dollfuß dagegen hatte zwar zuletzt über 90% der Bevölkerung gegen sich; aber er hätte keine Wahlen zugelassen. Bleibt die Frage: Machten sie gute oder schlechte Politik? Hitler machte spätestens seit Mai 1940 eine so schlechte Politik, daß man ihn hätte beseitigen müssen, um Deutschland vor der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und das Reich vor dem Untergang zu bewahren - aber darüber hat Dikigoros oft genug geschrieben. Und Dollfuß? Seht Ihr, wegen dieser Frage hat Dikigoros diesmal seine eigene Darstellung bzw. die seiner Mutter voran gestellt. Aber was heißt schon "gut" oder "schlecht"? Wer so argumentiert, muß zur moralischen Rechtfertigung seines Tyrannenmordes noch eine weitere Voraussetzung erfüllen: Er muß gewährleisten können, daß er selber - oder andere - eine bessere (oder weniger schlechte) Politik machen als der Ermordete. Hätten die Attentäter des 20. Juli 1944 eine bessere Politik gemacht als Hitler? Müßige Frage, denn sie scheiterten ja, so daß sie den Beweis nicht antreten konnten. Machte Dollfüßchens Nachfolger
Kurt v. Schuschnigg
(den man übrigens im Zusammenhang mit der Demontage Ottos v. Habsburg anno 2008 gleich mit degradiert hat, vom "Widerstandskämpfer" zum "Nazi-Kollaborateur", um auch das noch nachzutragen) eine bessere Politik als sein Vorgänger? Kaum; aber er trat - "freiwillig" oder nicht - zurück, so daß man ihn weder abzuwählen noch abzuschießen brauchte. Exkurs Ende.
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