Kapitel 31
A.J. kam am Nachmittag mit einer guten Nachricht. Die Ärzte hatten grünes Licht für Sarahs Entlassung gegeben, hatten aber darauf bestanden, daß sie mindestens noch zwei, drei Tage äußerste Ruhe brauche. Schnell packten sie Sarahs wenige Habseligkeiten in eine Reisetasche, als plötzlich die Tür aufging und Maik herein trat. Vor sich her schob er einen Rollstuhl. Verlegen blieb er an der Tür stehen. Ein breites Grinsen breitete sich auf Sarahs Gesicht aus und mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihm und schloss ihn in die Arme. Es tut mir so leid, sagte Maik es ist alles meine Schuld. Ach was, erwiderte Sarah und sah ihm dabei fest in die Augen wir haben beide einen ziemlich schlechten Tag gehabt, würde ich sagen. Schwamm drüber. Aber..., setzte Maik an vergiss es, sagte Sarah streng das ist vorbei. Bring mich jetzt einfach nur sicher nach Hause. Ich habe Dir doch gesagt, daß sie sehr überzeugend sein kann, sagte A.J. lachend und hob ihre Reisetasche auf. Sieht so aus, entgegnete Maik darf ich also bitten, mit einer einladenden Handbewegung zeigte er auf den Rollstuhl. Oh, sagte Sarah mit meinen Beinen ist eigentlich soweit alles in Ordnung. Ich werde mich doch nicht wie eine alte Omi von Dir in diesem Ding zum Auto rollen lassen. Krankenhausvorschrift, entgegnete Nick, der gerade das Zimmer betrat. Er küsste sie zur Begrüßung auf die Wange und fuhr dann fort Patienten die entlassen werden, müssen bis vor die Tür gefahren werden. Da kommst Du nicht drum rum. Skeptisch sah Sarah in die Runde, doch die anderen beiden nickten nur und so zuckte sie seufzend mit den Schultern. Na dann mal los. Vorsichtig lies sie sich in den Rollstuhl sinken und mit einer flotten Drehung bugsierte Maik sie aus dem Krankenzimmer. Aber nicht so wild, sagte Sarah lachend sonst muss ich mich am Ende noch auf den frisch gebohnerten Krankenhausflur übergeben. Der Wachmann vor ihrer Zimmertür sprang auf, als Sarah mit Maik, A.J. und Nick im Schlepptau aus dem Zimmer gerollt kam. Ich begleite sie noch, bis sie am Auto sind, sagte er. bei ihrem Haus werden sie dann zwei Kollegen in Empfang nehmen. Vielen Dank, entgegnete Sarah. Erneut wurde sie schmerzlich daran erinnert, das sie noch lange nicht in Sicherheit war. Auf dem Weg zum Fahrstuhl verabschiedete sie sich von den Schwestern und Ärzten, die sie in den letzten Tagen so gut betreut hatten. Als sie dann endlich das Erdgeschoss erreicht hatten, wartete strahlender Sonnenschein auf sie. Maik rollte sie durch die großen, elektrischen Schiebetüren ins Freie und tief sog sie die frische Luft ein. Darf ich jetzt bitte aufstehen? fragte Sarah ungeduldig. Sicher, antworte Maik und half ihr vorsichtig aus dem wackeligen Gefährt heraus. Ich gehe schonmal den Wagen holen, sagte Nick und wandte sich nach rechts in Richtung Parkplatz. Maik und der Wachmann standen dicht bei ihr und ließen nervös den Blick über die gegenüberliegenden Blumenrabatten und Büsche gleiten. A.J. stand hinter ihr und umfasste ihre Taille. Gleich sind wir zu Hause, flüsterte er ihr ins Ohr. Plötzlich hörte sie einen lauten Knall und im selben Moment spürte Sarah einen grässlichen Schmerz im Bauch. Es fühlte sich an, als hätte ein riesiges Raubtier seine messerscharfen Fänge in sie geschlagen. Sie schrie auf. Nein, hörte sie Maik brüllen und mit einer schnellen Bewegung warf er sich über sie und gemeinsam mit A.J. wurde sie zu Boden gerissen. Weitere Schüsse sirrten durch die Luft. Der Wachmann hatte zwischenzeitlich seine Waffe gezogen. Er kniete neben ihr und zielte auf irgendetwas im Gebüsch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Nicht bewegen, sagte Maik und rollte sich von ihr herunter, kam sofort auf die Füße und zog seine Pistole hervor. Er feuerte zwei Schüsse ab. A.J. hatte sich zwischenzeitlich unter ihr hervorgearbeitet. Ihr Kopf ruhte in seinem Schoß und schützend hatte er sich über sie gebeugt. Dann bemerkte er den Blutfleck, der sich schnell auf ihrem hellblauen T-Shirt ausbreitete. Oh nein, sagte er verzweifelt, zog seinen Pullover aus und presste ihn auf ihren Bauch. Sarah stöhnte vor Schmerzen auf. Immernoch hörte sie Schüsse. Ihr Blick begann sich zu verschleiern und ihr war entsetzlich kalt. Bitte Baby, halte durch, sagte A.J., mit dem Gesicht ganz nah an ihrem. Ich weiß nicht, ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern ich bin so müde und mir ist kalt. Hey, mach keinen Scheiß, red mit mir. Das wird schon wieder, gehetzt sah er sich nach Maik und dem Wachmann um. Diese waren mittlerweile hinter einigen geparkten Autos in Stellung gegangen und versuchten immernoch den Schützen ausfindig zu machen. Schnell wanderte sein Blick zurück in Richtung Eingangstür des Krankenhauses. Doch es waren erst einige Sekunden seit dem ersten Schuss vergangen und noch war keine Hilfe in Sicht. Sarah schloss die Augen. Sie fühlte sich plötzlich ganz leicht und unglaublich schläfrig. Wie aus weiter Ferne drang A.J.s Stimme zu ihr durch, doch die Worte verstand sie nicht. Unter Aufbietung aller Kräfte öffnete sie die Augen wieder. Sie sah Tränen auf A.J.s Wangen glitzern und dieser Anblick veranlasste sie dazu, noch nicht aufzugeben. Doch sie spürte ihre Kräfte rasend schnell schwinden. Wie durch einen dichten Nebel hörte sie dann Maiks Stimme Ich hab ihn, brüllte er triumphierend und als Sarah ein wenig den Kopf hob. Sah sie ihn hinter seiner Deckung hervor und über die Straße sprinten. Im selben Augenblick hielt eine metallene Tragbahre neben ihr und zwei Sanitäter knieten neben ihr nieder. Sie schoben A.J. beiseite, fassten sie an Armen und Beinen und hoben sie auf die Bahre. Das letzte was sie sah, waren die Eingangstüren des Krankenhauses, die sich lautlos hinter ihr schlossen. Sie erwachte aus einem furchtbaren Traum. Wie eine Ertrinkende kämpfte sie sich durch dunkles Wasser an die Oberfläche. Ihre Augenlider schienen eine Tonne zu wiegen und sie konnte sie nur ganz kurz und nur zu winzigen Schlitzen öffnen. Sie hörte A.J.s Stimme. Dann war sie auch schon wieder in die Dunkelheit davon gedriftet. Das nächste Mal funktionierte das mit ihren Augen schon besser. Sie konnte einen kurzen Blick auf A.J.s bleiches und besorgtes Gesicht werfen, gleich darauf fühlte sie ein leichtes Brennen in ihrem Arm und war sofort wieder eingeschlafen. Dann erwachte sie endgültig. Im ersten Moment spürte sie garnichts, dann meldete sich ein schmerzhaftes Ziehen in ihrem Bauch und gleich darauf fühlte sie, wie ihre Hand fest gedrückt wurde. Willkommen unter den Lebenden, sagte eine ihr fremde Stimme und als sich ihre Augen endlich an die ungewohnte Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie einen Arzt in weißem Kittel neben ihrem Bett stehen. Sie wollte etwas sagen, doch kein Ton kam aus ihrem geöffneten Mund. Das mit dem Sprechen versuchen wir später, sagte der Arzt freundlich und griff zu einem Glas Wasser, das auf einem kleinen Nachttisch neben ihrem Bett stand. Ich mach das schon, hörte sie A.J.s vertraute Stimme und dann erschien sein lächelndes Gesicht in ihrem Blickfeld. Vorsichtig hob er ihren Kopf an, setzte das Glas an ihre Lippen und Sarah nahm zwei kleine Schlucke von dem köstlichen Wasser. Erschöpft lies sie sich danach zurück in die Kissen sinken. Markus ist tot, sagte A.J. und hielt wieder ihre Hand. Maik hat ihn erschossen. Du bist ihn ein für alle mal los. Bei diesen Worten traten Tränen in ihre Augen. Sie konnte es nicht glauben. Das Schreckgespenst, das sie so viele Jahre verfolgt hatte, war nicht mehr da. Unglaublich erleichtert schloss sie die Augen und schlief wieder ein. |