KRONPRINZ
WILHELM UND SEINE ROLLE WÄHREND DER VERDUN-SCHLACHT
Wilhelm,
Kronprinz des Deutschen Reiches und Preußens,
*
06.05.1882 in
Berlin,
+ 20.07.1951 in
Hechingen.
Oft
stellt sich unter Verdun-Interessierten, aber auch unter Laien die
Frage, ob Kronprinz Wilhelm, der Führer der deutschen 5. Armee, während
der Kämpfe um Verdun wirklich Souveränität und alleinige
Entscheidungsfreiheit innehatte; mehr seinen gesellschaftlichen,
als militärischen Pflichten nachkam; oder ob er eine Marionette
der Obersten Heeresleitung, in diesem Fall Falkenhayn und seinem
verlängerten Arm bei der 5. Armee, Schmitt von Knobelsdorf, war.
Und damit verbunden natürlich auch die Frage, ob dem Kronprinz
eine Schuld am Scheitern der Offensive gegen Verdun zugeschrieben
werden kann.
Das Wirken des
Kronprinzen als Befehlshaber der 5. Armee war immer
umstritten und wurde durch die negative ausländische Presse,
schon während des Krieges, um ein weiteres verstärkt.
Im Ausland
galt Wilhelm als geistig minderwertig, arrogant und moralisch
verkommen. Diese, als Propaganda auszulegenden Schlagzeilen und
Artikel gelangten natürlich auch nach Deutschland.
Der zu
Friedenszeiten umjubelte, volkstümliche Kronprinz büßte dadurch
erheblich an Ansehen und Vertrauen im eigenen Volk ein.
Dazu
kamen nach dem Krieg weitere Publikationen, vorwiegend von
alliierter Seite, die den Kronprinzen als lebenslustigen Menschen darstellten, der
die vergangenen Kriegsereignisse mehr als eine Art Sport betrieben
hätte, sich wenig um seine in heftigste und verlustreichste Kämpfe
verwickelte Truppe kümmerte und sich mehr seinen
gesellschaftlichen Verpflichtungen widmete, als den Pflichten
eines engagierten Armee-Befehlshabers nachzukommen.
Denkwürdig allein der Ausdruck: "Der
lachende Mörder von Verdun".
Dass der Kronprinz in der Tat ein gesellschaftlich sehr agiler
Mensch war, steht außer Frage. Empfänge, Bankette,
Besprechungen, ausländische Besucher, bis hin zu sportlichen
Veranstaltungen wie Tennisspielen waren nur einige
gesellschaftliche Ereignisse, die den Kronprinzen, quasi als
Repräsentan- ten
forderten. Verpflichtungen, denen er sicherlich nicht abgeneigt
war. Bekannt war er auch für zahllosen Affären; nicht selten
waren Damen bei den Empfängen anwesend, bei denen der Kronprinz,
nicht nur als Mitglied des deutschen Kaiserhauses, natürlich im
Mittelpunkt stand. Affären waren dann nur ein angenehmes
Nebenprodukt.
Allerdings sollte man einen klaren Strich zwischen seinen
gesellschaftlichen Ambitionen und seiner militärischen Arbeit als
Armee-Oberbefehlshaber ziehen.
Bei den Soldaten seiner Armee war er sehr beliebt. Er sprach bei
jeder sich bietenden Gelegenheit mit den Männern, wobei auch
oftmals persönliche Worte gewechselt wurden. Bei seinen Fahrten
hinter der Front verteilte er Zigaretten unter den Soldaten. Als
persönliche Geste bekam jeder Soldat der 5. Armee Ende des Jahres
1915 eine Tabakspfeife mit dem Abbild des Kronprinzen. Die Nähe
zum einfachen Soldaten, praktisch der Kronprinz zum anfassen',
war sehr gefragt.
Die Kompetenzen beim Führen der 5. Armee waren bereits zu Beginn
des Krieges klar festgelegt worden. Als der Kronprinz zur
Mobilmachung statt dem erkrankten Generaloberst von Eichborn, die
5. Armee übernahm, wurde ihm als Generalstabschef der Armee,
Generalleutnant Schmidt von Knobelsdorf, zugeteilt. Der Kaiser
ermahnt seinen Sohn: "Was er Dir rät, mußt Du tun." Diese
Worten wurden weitestgehend befolgt und zogen sich bis zur
Trennung von Knobelsdorf' wie ein Gespenst durch die Führung der
5. Armee.
Die Hierarchie im Armeeoberkommando während der Verdunkämpfe,
zumin- dest bis zum Erscheinen von Hindenburg / Ludendorff, im
September 1916, waren klar gestaffelt: Falkenhayn - Schmidt von
Knobelsdorf - Kronprinz. Knobelsdorf war quasi ausführende Kraft
von Falkenhayn. Aber Knobelsdorf alleine konnte die ihm
aufgetragenen Anweisungen nur bis zu einer bestimmten Grenze, ohne
das entscheidende Veto des Kronprinzen, ausführen. Die geplante
Taktik Falkenhayns, nämlich das Binden und Ausbluten der französischen
Kräfte bei Verdun, lief sehr bald in eine andere Richtung. Auch
er bemerkte, daß ihm auf längere Zeit hin die Zügel aus der
Hand glitten. Aber es gab kein zurück mehr. Zum einen hoffte man
trotzdem noch auf den ersehnten Erfolg, andererseits konnte man
eine Schlacht, die in einer nie bisher dagewesenen Dimension
tobte, nicht einfach abbrechen. Und letztendlich spielten auf
Prestigegründe eine gewichtige Rolle.
Wild von Hohenborn, der damalige preußische Kriegsminister
vermerkte bereits im März 1916 in seinen Tagebuchaufzeichnungen:
„[...] Bei Verdun geht's langsam - leider! Knobelsdorf ist
fertig, und die Truppen brennen aus. Die von Falkenhayn ernsthaft
erwogene Frage, ob man stoppen soll, verneine ich [...].“
Aber zurück zum Kronprinzen. Sein Einfluß auf die Verdun-
Operation wurde bereits bei den Planungen übergangen. Er
forderte u.a. einen gleichzeitigen Angriff auf beiden Maasufern.
Doch das wäre gegen die Taktik von Falkenhayn. Ein zu schneller
Fall von Verdun sollte vermieden werden. Ergo lehnte die O.H.L. ab
und beschränkte die Aktionen vorerst auf das Ostufer.
Verschiedene Verdunbuch-Autoren bezeichneten dies zu Recht als
fahrlässige und vorsätzliche Unterschätzung der französischen
Waffenwirkung, was aber global gesehen nur die Taktik Falkenhayns
unterstrich.
Nach Beginn der Offensive, im Februar 1916 und ersten Erfolgen
wurden die vom Kronprinz schon im Vorfeld geforderten
Reservetruppen zur wirkungsvollen Fortführung der Offensive
zugesagt, aber nicht rechtzeitig zugeführt. Die Offensive lief
sich fest. Unter Druck der flankierenden französischen
Artilleriewirkung vom West- auf das Ostufer der Maas, drängte der
Kronprinz im März 1916 auf eine Fortsetzung der Offensive, wie
bereits im Vorfeld gefordert, auf beiden Maasufern. Diesem wurde
endlich stattgegeben, denn die deutschen Linien auf dem Ostufer
waren stellenweise bereits soweit vorgeprellt, daß die
flankierende stehende französische Artillerie auf dem Westufer,
den Stellungsrücken teilweise sogar in den Rücken schoß.
Nach kurzen Erfolgen lief sich aber auch auf dem Westufer der
deutsche Angriff fest. Der Kronprinz kam auf Grund der sehr hohen
Verlustzahlen zur Überzeugung, daß mit dem angewandten
Angriffsverfahren wohl keine Entscheidung herbeizuführen sei.
Knobelsdorf widersprach und beharrte, ganz im Sinne Falkenhayns,
weiter auf die bisherige Taktik.
Im
Sommer 1916, auf dem Höhepunkt der Schlacht, erreichte der
schwelende Konflikt zwischen dem Kronprinzen und Knobelsdorf einen
vorläufigen Höhepunkt. Die Ansicht des Kronprinzen, daß der Kräfteverschleiß
seiner Truppen erheblich größer als der Nutzen war, stieß auf
taube Ohren und man verfolgte unbeirrt weiter das Konzept der
räumlich
begrenzten Großangriffe mit einem ungeheuren Aufwand an Menschen
und Material.
Falkenhayn selbst war der hohe moralische Wert, was den Besitz der
Festung Verdun betraf, bekannt. Für ihn wurde die Schlacht, wie
bereits weiter oben erwähnt, zum Prestigeobjekt. Seine Taktik der
Ausblutung war gescheitert. Längst standen die deutschen Verluste
den französischen in nichts gegenüber. Falkenhayn schlug dem
Kaiser die Fortnahme der Festung im sogenannten verkürzten
Verfahren vor. Nur widersprach er sich in sich selbst, da weiterhin dringend benötigte Reservetruppen ausblieben.
Die Unstimmigkeiten zwischen dem Kronprinzen, Knobelsdorf und
Falkenhayn führten zu einer Mißstimmung im Armeeoberkommando,
die mit jedem weiteren Angriff neue Nahrung fand. Und dieser
Zustand wirkte sich über die unteren Stäbe bis in die Schützengräben
aus. Bald war jedem Soldaten bekannt, daß der Kronprinz und die
Gruppenbefehlshaber gegen neue Angriffe waren, aber immer neue
Anstrengungen befohlen wurden. Der Truppe, der eigentlich die
globale Übersicht über die gesamte Schlacht fehlte, wurde die
Sinnlosigkeit weiterer Angriffe quasi vor Augen geführt und der
Nutzen der damit verbundene Geländegewinne in Frage gestellt. Die
Kräfte der Armee schwanden, ohne das entscheidende Erfolge
erzielt wurden und ausreichend Ersatztruppen überwiesen wurden.
Knobelsdorf setzte weiterhin auf die Fortführung der Angriffe. Möglichst
bald sollte die Lage der zum Teil sehr exponiert liegenden
deutschen Stellungen, primär auf dem Ostufer, verbessert werden,
um Höhenstellungen zu erreichen, die von den Franzosen nicht
eingesehen werden konnten und die Versorgung und Ablösung der
Truppe erleichtern sollten. Falkenhayn unterstützte diese
Auffassung und antwortete darauf, daß neben der Erreichung der
genannten Ziele auf alle Fälle der Eindruck einer anhaltenden
deutschen Offensivbewegung gegenüber den Franzosen lebendig
gehalten werden solle. Wie dies letztendlich zu bewerkstelligen
sei, sei alleinige Aufgabe der Armeeführung. Bei Eintritt der ungünstigen
Jahreszeit (Herbst) sollten Positionen erreicht sein, die ein
gesichertes Ausharren ermöglichten.
Letztendlich war dies kein eindeutiger Befehl der die Offensive
fortzuführen, doch wurde dem Kronprinzen klar, daß nunmehr die
Verantwortung für das, was weiter geschehen würde nicht mehr die
O.H.L., sondern er ganz alleine tragen müsse. Seine bereits lange
gehegten Zweifel an der Offensivbewegung konnte er nun wirksam in
die Tat umsetzen - es gelang ihm den Abruch der Aktion zu
erwirken. Auch wurde auf sein Drängen, sein bisheriger Chef,
General von Knobelsdorf, mit anderen Aufgaben betraut. General von
Lüttwitz trat an seine Stelle.
Über die Einstellung des Angriffs steht in seinen Erinnerungen:
„Als sich die Lage später so verschärfte, daß ich die
Fortsetzung des Angriffs im Hinblick auf die Nutzlosigkeit der
Opfer nicht mehr verantworten zu können glaubte, bin ich in persönlichem
Vortrage bei Seiner Majestät dem Kaiser und auch schriftlich bei
der O.H.L. vorstellig geworden, worauf der Kaiser meiner Ansicht
beigetreten ist und die von mir gewünschte Einstellung des
Angriffs genehmigt hat. Sie ist, nachdem General Falkenhayn am 29.
August [1916] als Chef des Generalstabes des Feldheeres und von
der Führung der Operation zurückgetreten war, von
Generalfeldmarschall von Hindenburg am 2. September 1916 zugleich
mit der Anweisung, die erreichte Linie als Dauerstellung
auszubauen, befohlen worden.“
Mit dieser Maßnahme war die Schlacht auf keinen Fall beendet,
aber die Fortführung der verlustreichen und aussichtslosen Vorwärtsbewegung
bis auf Weiteres unterbunden. Die Gegenschläge der Franzosen ließen
bekanntlich nicht lange auf sich warten und drückten die
deutschen Stellungen weit zurück. Falkenhayns Taktik hatte am
offiziellen Ende der Verdun-Schlacht, im Dezember 1916, keinen
entscheidenden Vorteil erreicht - die Verlustzahlen beider
Nationen waren fast gleich hoch. Dafür waren unzählige
Regimenter, darunter eine große Anzahl von Elite- Einheiten förmlich
aufgerieben worden. Ein Verlust, den Deutschland nicht mehr
ersetzen konnte.
Es sollte noch horrende Verluste auf beiden Seiten kosten, bis im
November 1918 an der Maas endlich die Waffen schwiegen.
Das Fazit über die Tätigkeit des Kronprinzen als
Oberbefehlshaber der 5. Armee vor Verdun ist demnach logisch
nachvollziehbar: Er hatte zu keiner Zeit den Einfluß, um die
bereits Ende Februar 1916 als gescheitert anzusehende
Verdunoffensive, zu stoppen. Knobelsdorf und vor allem Falkenhayn
machten ihn offensichtlich zu einer Art Marionette, die lediglich
Befehle anderer erließ und unterzeichnete. Der Kronprinz selbst
ist als realistisch denkender militäri- scher Fachmann zu
beurteilen, der aber, auch aus Gründen des geringen Einflusses,
selbst nicht in der Lage gewesen wäre, die Ereignisse bei Verdun
in günstigere Bahnen zu leiten. Allerdings ist ihm, als
Armee-Oberbefehlshaber, natürlich eine Teilschuld der
vielzitierten „Tragödie von Verdun“ zuzuschreiben, auch wenn
er immer wieder gegen die Fortführung der Offensive opponierte.
Eine Material- schlacht zu führen, ohne die notwendige Unterstüt-
zung
an Mensch und Material, eine Fortführung der Angriffe ohne Rücksicht
auf die Truppe und einem absehbaren, ungünstigen Verlauf sowie
eine gewisse Ohnmacht gegenüber der O.H.L., mußten den Kronprinz
in Selbstzweifel an seine eigenen Fähigkeiten drängen und die
Geschichtsschreibung ihn als militärischen Laien darstellen, der
eine Position begleitete, der er offensichtlich nicht gewachsen
schien.