Drei Jahre Nach Dayton Bosnien zwischen Teilung und Einheit
Nachdem vor drei Jahren der Vertrag von Dayton in Bosnien den Frieden wiederherstellte, kann von Normalität in Bosnien noch keine Rede sein. Das Land ist nach wie vor geteilt und lebt fast ausschließlich von ausländischer Hilfe und der Anwesenheit internationaler Organisationen in Sarajevo.
Eine unsichtbare Grenze zieht sich fast um die gesamte Stadtgrenze von Sarajevo, die Trennlinie zur Serbischen Republik. Außer dem Schild Srpska Sarajevo" (serbisch Sarajevo) findet sich kein offizieller Hinweis, daß man die bosniakisch-kroatische Föderation verläßt und die Republika Srpska betritt. Gäbe es nicht die Zigarettenhändler und Taxis an der unsichtbaren Grenze, wäre sie leicht zu übersehen. Westlichen Zigarettenmarken, die aus Serbien an die Grenze geschmuggelt wurden, werden hier von Bosniaken und Kroaten gekauft, die in Sarajevo nur lokale Marken kaufen können. Die Taxifahrer stammen aus beiden Teilen Bosniens und warten auf Kunden aus der einen Entität auf dem Weg in die Andere, da kein Taxi die Grenze überquert. Obwohl mittlerweile fast jedes Auto ein neue Nummernschild hat, das keinen Hinweis auf den Herkunftsorts gibt und somit das Auto nicht in eine Zielschiebe nationalistischen Hasses verwandelt, trauen sich nur wenige hinüber in die andere Hälfte des Staates. Meist sind es Fahrzeuge der SFOR oder anderer Internationaler Organisationen, die die Grenze überqueren.
Die Illusion der Kaffeewirtschaft
In der Altstadt Sarajevos und im türkischen Bazarviertel Bacarija ist diese Realität nicht einen Kilometer sondern Welten entfernt. Fast alle Kriegsschäden wurden durch die umfangreiche westliche Hilfe beseitigt und kleinen Läden im Bazar verkaufen neben türkischen Kaffeesets auch orientalisch dekorierte Patronenhülsen an die zahlreichen Mitarbeiter unzähliger internationaler Organisationen. Ständig öffnen neue Kaffees und Restaurants und spiegeln eine trügerische Normalität vor. Die Kaffeewirtschaft Sarajevos beruht jedoch nicht auf einer gesunden Wirtschaftsstruktur, sondern vielmehr auf der Anwesenheit etlicher Tausend Ausländer, deren Anwesenheit auf Dauer kaum gesichert ist. Eine funktionierende Wirtschaft besteht noch Lange nicht in Sarajevo, ganz zu schweigen vom Rest Bosniens. Während das Volkswagenwerk wieder eine eher symbolische Zahl an Autos herstellt, ist die Privatisierung noch kaum vorangekommen. Erst Mitte 1999 sollen die ersten kleineren Betriebe privatisiert werden, die größeren Unternehmen, wie die Telefongesellschaft und die Wasserwerke, müssen bis zum Ende des kommenden Jahres warten. Während in der bosniakisch-kroatischen Föderation die wirtschaftliche Lage erdrückend ist und die Arbeitslosigkeit in den meisten Kantonen über 50 Prozent liegt, stellt sich die Situation in der Republik Srpska noch dramatischer dar. So müssen dessen Einwohner mit 3000 Franken im Monat auskommen, bei Preisen, die nicht weit westlichem Niveau liegen. Auch wenn die reformfreundliche Regierung von Milorad Dodik dieses Jahr die Zahl der Investitionen dramatisch erhöhen konnte, bleibt der Lebensstandard weiterhin sehr niedrig. Insbesondere in Ostbosnien, wo extreme Nationalisten aus dem Umfeld von Radovan Karadzic nach wie vor jeglichen Fortschritt aufhalten, läßt sich nichts von der Geschäftigkeit Sarajevos entdecken.
Eindrücke aus der Provinz
In Viegrad, einer Kleinstadt an der Drina, in der die berühmte osmanische Brücke des gleichnamigen Romans von Ivo Andric steht, scheint die Zeit um Jahrzehnte zurückgedreht. Die Auslagen der Geschäfte erinnern an die Zeiten vor dem Zusammenbruch des Kommunismus und mit der Ausnahme einiger Kaffees scheint die Stadt wie ausgestorben. Vor dem Krieg wohnten hier Großteils Muslime, jedoch auch zahlreiche Serben, die im Lauf der Jahrhunderte meist friedlich zusammenlebten. Bereits am Anfang des Krieges wurde alle Muslime aus der Stadt vertrieben oder ermordet, so daß die Stadt heute ausschließlich serbisch bewohnt ist. Viele der Flüchtlinge wohnen heute in Gorazde, nur 40 Kilometer flußaufwärts, doch zugleich für sie ist die kurze Fahrt zurück in den Heimatort meist unmöglich. In Gorazde sind weiterhin große Stadtteile völlig zerstört, die starke Präsenz bosniakischer Armeeeinheiten ist eine Erinnerung an die geographische Lage als eine Enklave im serbischen Ostbosnien, die nur durch einen engen Korridor und eine kleine Straße mit Sarajevo verbunden ist.
Während Gorazde und Viegrad auf unterschiedliche Weise unter den Kriegsfolgen leiden, haben etliche Dörfer in Ostbosnien aufgehört zu bestehen. Das Bergland zwischen Sarajevo und der Drina war bereits vor dem Krieg eines wirtschaftlich schwächsten Gebiete Bosniens und somit waren dessen meist serbische Einwohner besonders für den radikalen Nationalismus Radovan Karadzic's anfällig. Heute ist dieses Gebiet, durch das sich die Grenze zwischen muslimischem und serbischem Bosnien schlängelt, fast unbewohnt. Nachts scheint die Gegend, abgesehen von einigen Siedlungen an der Drina völlig unbewohnt.
Sarajevo ist wie ein Potemkinsches Dorf, daß internationalen Organisationen und westlichen Besuchern eine Normalität vorgaukelt, die weder für die meisten Einwohner der Stadt erreichbar, noch für die Bewohner aus dem serbischen Umland vorstellbar ist.
Florian Bieber, Sarajevo