Fußballbilder-Junkies:
Sammeln, Tauschen und Einkleben

Ein Büdchen in diesem Sommer. Ein Regal neben der Kasse, oben steht wie immer der Noris Weinbrand, darunter süße Ferrero Küßchen und daneben: sie. Kleine blaue Tüten, hundert Stück in einem Karton, achtzig Pfennig das Stück. In jeder Tüte sind fünf Bilder, auf denen Hauptdarsteller und Wasserträger der Fußball-WM abgebildet sind. Zum Sammeln, Tauschen und Einkleben. Das Heft muß voll werden!

Max Goldt hält das Sammeln aus Leidenschaft für einen besonderen Charakterzug: "Ein Sammler ist fähig, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und das mundet dem seelischen Gleichgewicht." Menschen, die nichts sammeln, seien hingegen aggressiv, "betreiben landschaftszerstörende Sportarten und laufen blökend auf der Straße herum, wobei sie überall Häufchen liegenlassen". Ob das Horten von Fußballstickern je zu Goldts bevorzugten Sammelgebieten gehörte, ist zweifelhaft: "Männer wollen was komplett haben und Frauen wollen was Schönes haben. Ich bin ein ausgesprochen weiblicher Sammeltyp."

Tauschrituale und Umsatzsteigerung

Birgit Hüpper, Marketingmanager Sport bei Panini Deutschland, erklärt das Phänomen ähnlich: "Der Reiz des Stickersammelns ist, daß man das Album voll bekommt. Das Tauschen macht die Sache aufregend."
Menschen, die Panini-Bilder sammeln, eignen sich daher liebenswürdige Umgangsformen an, führen akribisch Liste über ihre fehlenden Bildnummern und gehen niemals ohne ihren - von einem Gummiband zusammengehaltenen - Stapel Doppelter aus dem Haus. Treffen diese Fußballbilder-Junkies nun auf Gleichgesinnte, vollzieht sich mitunter ein merkwürdig anmutendes Tauschritual: Dem einen ist der einzig fehlende Mexikaner (Pavel Pardo, Nummer 356) plötzlich zwei silbern glänzende Länderwappen wert, der andere verhandelt so lange, bis er für seinen nasenpflastertragenden Südafrikaner (Brendan Augustine, Nummer 188) drei schnurrbärtige Saudi-Arabier ausgehändigt bekommt. Und gemeinsam rätselt man darüber, wie der Firma Panini eine Verteilung gelungen ist, durch die der nigerianische Torhüter Baruwa (Nummer 247) in jeder zweiten Tüte zu finden ist. Gibt es das tatsächlich, ein absichtliches Weglassen einzelner Bilder zur Umsatzsteigerung? Birgit Hüpper wirbt um Vertrauen: "Wenn auf einem Druckbogen mehr Platz als nötig ist, nutzen wir diesen Platz natürlich. Es wird aber immer alles genau berechnet, so daß es eine optimale Mischung ergibt." Loswerden kann man seine doppelten Bilder auch beim Schnibbeln. Die einfachen Spielregeln: Wessen Bild am nächsten an der Wand landet, der darf den Rest behalten. Ein Freund gelangte auf diese Weise neulich in den Besitz von 13 Baruwas.

Panini erobert die ganze Welt

Die 31jährige Birgit Hüpper arbeitet seit vier Jahren in Nettetal-Kaldenkirchen an der holländischen Grenze. Dort residiert die achtköpfige Vertretung des weltweit operierenden italienischen Panini-Konzerns: "Schon 1961 haben drei Panini-Brüder die Idee entwickelt und auf den Markt gebracht; allerdings waren die Bilder zu Anfang noch nicht selbstklebend." Heute vertreibt Panini Sticker mit Disney-Figuren, Barbies und Pferdeköpfen in die ganze Welt. Und natürlich Fußballhefte - der allgemeine Boom mit den Balltretern, so hofft Birgit Hüpper, möge auch dem traditionellen WM-Album zum Erfolg verhelfen. Im Vorfeld wurde jedenfalls alles dafür getan: Das Heft "France 98" erfreut den Sammler durch sein klassisches, aber doch modernes Layout. Es ist sauber aufgeteilt. Zwei Seiten pro Mannschaft. 561 Leerfelder für Stadien, Mannschaften und Spieler. Von den diesmal 32 Teams sind 31 mehr oder weniger als Bildchen erhältlich - nur der Iran fehlt ganz: "Mit den Lizenzen gibt es häufig Probleme. Beim iranischen Verband kamen wir leider zu spät. Dafür konnten wir die Spanier und Engländer noch nachreichen." In vielen Ländern sind zusätzliche Einzelverträge mit den Spielern notwendig; gedruckt wird stets bei der Muttergesellschaft in Italien, wo diesmal auch die redaktionelle und grafische Gestaltung von statten ging. Der Vertriebsweg über 125 Pressegrossisten sorgt dafür, daß im Bundesgebiet derzeit 55000 Einzelhändler die bunten Bilder anbieten können: "Anfang Juni gab es bereits 70 Millionen Sticker an Trinkhallen, Kiosken, Bahnhofsbuchhandlungen, Tabakwarenläden - eigentlich überall dort, wo man auch Zeitschriften kaufen kann."

Nachbestellen gilt nicht!

Beim Panini-Bilderdienst in Holland gehen die Nachbestellungen - von bis zu 50 Stickern - ein: "Dort gibt es eigentlich nur drei festangestellte Mitarbeiter. Während der Weltmeisterschaft machen jedoch 50 freie Mitarbeiter den ganzen Tag nichts anderes, als die Nachbestellungen für Holland, Deutschland, Österreich und England zu bearbeiten." Nachbestellen gilt allerdings auch 1998 nicht! Der Weg ist das Ziel. Denn beim Sammeln entstehen häufig obskure Ranglisten. Die fünf häßlichsten Teilnehmer an der Weltmeisterschaft in Frankreich heißen: David Hopkin (Schottland), Erik Mykland (Norwegen), Peter Rufai (Nigeria), Gordan Vidovic (Belgien) und Trifon Ivanov (Bulgarien). Die Mattendichte ist seit der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien leider deutlich gesunken, der Preis pro Tüte stieg im gleichen Zeitraum von 25 auf 80 Pfennig. Birgit Hüpper: "Die Hauptzielgruppe und Masse der Käufer sind Sechs- bis 14jährige. Wir wissen aber, daß wir unter den jungen Erwachsenen und auch älteren Erwachsenen einen großen Stamm aktiver Sammler haben." Und die hoffen bei ihrem nächsten Kioskbesuch wieder auf eine "gute Tüte". Olaf Butterbrod (25 Jahre), im vergangenen Jahr wegen seiner Forderung nach "Panini-Bildern von allen Professoren" in das Düsseldorfer Studentenparlament gewählt, erläutert: "Eine Tüte ist dann gut, wenn einem noch etwa hundert Bilder fehlen und man nach dem Aufreißen mindestens zwei davon vorfindet."
© Thorsten Schaar

"Die ersten und angenehmsten Freunde, die ich am College kennenlernte, waren Fußballfans. Sicher bin ich mir der Kehrseite dieser wunderbaren Einrichtung, die Männer haben bewußt: Sie werden verklemmt, sie versagen in ihren Beziehungen mit Frauen, ihre Unterhaltung ist trivial und ungehobelt, sie sind unfähig, ihre emotionalen Bedürfnisse auszudrücken, sie können kein Verhältnis zu ihren Kindern aufbauen, und sie sterben einsam und elend. Aber weißt du, was soll´s? Wenn du in eine Schule voll mit achthundert Jungen, die meisten von ihnen älter, alle größer, reinmarschieren kannst, ohne eingeschüchtert zu sein, ganz einfach weil du einen doppelten Jimmy Husband in der Blazertasche hast, dann scheint mir das einen Kompromiß wert zu sein."
(Nick Hornby in "Ballfieber"/"Fever Pitch")


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Erstellt am: 12.6.1998 / © Anne Pohl 1998
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