Frank Richter
Dipl. Sozialpädagoge
Auslandsprojekte
als legitime Form der
Intensiven
Sozialpädagogischen Einzelbetreuung nach § 35 KJHG
Sie stoßen auf massive Kritik und Ablehnung. Ihr
Negativimage wird durch eine Flut von Medienveröffentlichungen in der Machart
des Sensationsjournalismus unterstützt.
Dennoch gilt es, sich mit dem Anliegen von
Auslandsprojekten im Rahmen einer lebensweltorientierten Jugendhilfe objektiv
auseinanderzusetzen und letztendlich im konkreten Einzelfall und zum Wohle der
Kinder und Jugendlichen zu entscheiden.
Ich kenne alle Argumente gegen die
"Auslandsverschickung komplizierter Kinder".
Und um es vorweg zu nehmen, sie sind alle
zutreffend.
Macht man sich jedoch die negativen Erfahrungen
zunutze und orientiert sich am Einzelfall und nicht an den mehr oder weniger
relevanten Interessen der Träger von Auslandsprojekten, dann wird man an
verantwortlicher Stelle immer wieder auch und vor allem die positiven Aspekte
dieser individualpädagogischen Maßnahmen erkennen.
Auslandsprojekte sind eine der intensivsten
Betreuungsformen für Kinder und Jugendliche, deren soziale Kontakte einen
eindeutig negativen Einfluß auf ihre Entwicklung ausüben und bei denen andere
Hilfeformen keine Entspannung ihrer Lebenssituation erreichen können.
Manchmal
hilft nur ein klarer Bruch !
Einigen Kindern und Jugendlichen fehlt in ihrer
bisherigen Sozialisation fast jede Normalitätserfahrung. Sie leben in
"Szenen", die trotz negativster Einflüsse ihr einziger sozialer
Bezugspunkt sind. Eine Loslösung aus diesen Beziehungen ist beinahe unmöglich.
Doch diese Loslösung ist ein notwendiger Schritt für eine neue Orientierung. In
manchen Fällen ist der Aufbau neuer Lebenswelten die einzige Möglichkeit, für
eine dauerhafte Veränderung. Es kommt entscheidend darauf an, einen (ungewohnt)
neuen und ruhigeren Alltag über eine möglichst lange Zeit zu erleben, weit ab
vom Einfluß der bisher bestimmenden sozialen Kontakte.
"Jugendhilfeprojekte im Ausland stehen unter
einem berechtigten fachlichen Legitimationsdruck. Eine Jugendhilfe, die die
Lebensweltorientierung zu ihrer programmatischen Orientierung erklärt hat, muß
gute Gründe haben, wenn sie ihre Arbeit in Regionen verlegt, in denen den
Jugendlichen Sprache und Kultur fremd sind, und sie von allen Ressourcen und
Sicherheiten ihrer vertrauten Milieus abgeschnitten sind. So offensichtlich wie
es solche guten Gründe gibt, die in Einzelfällen Auslandsprojekte der
Jugendhilfe zu einem Mittel der Wahl werden lassen, so offensichtlich müssen
aber auch die ohnehin prekären Rechte von jungen Menschen in Erziehungshilfen
in solchen Arrangements in besonderer Weise gesichert werden." (1)
Aus meiner Sicht sind folgende Aspekte
entscheidend für die Beurteilung, ob eine Auslandsmaßnahme der Jugendhilfe als
sinnvoll und seriös einzuschätzen ist:
1. Ziel der Maßnahme ist eine positive Entwicklung
des Klienten, nicht die Entlastung der Gesellschaft (Abschiebung Dissozialer - "Wir
sind am Ende unserer Möglichkeiten")
2. Es handelt sich um einen Träger, dessen
wirtschaftliches Bestehen nicht ausschließlich auf die Auslastung seiner
Auslandsprojekte angewiesen ist.
3. Die konkrete Beziehungsarbeit/Betreuung des
Klienten wird durch eine deutsche Fachkraft vor Ort geleistet. Der Schwerpunkt
der Ausbildung des Betreuers liegt in der Sozial- bzw. Heilpädagogik, auch wenn
Erfahrungen und Fähigkeiten aus anderen Bereichen sehr wünschenswert sind
(Alltagsorientierung).
4. Die Inhalte der Maßnahme sind konkret im
Hilfeplan festgelegt.
5. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht das soziale
Training, der Aufbau einer Alltagsstruktur und das Herstellen einer
vertrauensvollen Beziehung zwischen Betreuer und Klient - nicht die Abschottung
des Klienten vom sozialen Umfeld.
6. Es gibt klare, zielorientierte Vor- und
Nachbereitungsphasen.
7. Das zuständige Jugendamt ist ständig über den
Verlauf des Projektes aus erster Hand durch den Betreuer vor Ort informiert und
ist in die Lage versetzt, jederzeit und ohne großen Aufwand das Projekt vor Ort
zu kontrollieren.
8. Der zuständige Sachbearbeiter im Jugendamt hält
den Kontakt zum Klienten.
Im Übrigen sollten die formulierten
Qualitätsstandards des PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverbandes für
Jugendhilfeprojekte im Ausland (Januar 1997) Entscheidungsgrundlage für die
Jugendämter sein.
Die Jugendämter sollten den Mut aufbringen,
bereits frühzeitig den § 35 des KJHG als Hilfeangebot einzusetzen.
In Verbindung mit einer Auslandsmaßnahme kann so
rechtzeitig Einfluß auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen genommen
werden.
Hier sind nicht zuletzt Anbieter/Träger von
Einzelbetreuungen gefordert, in Hinblick auf die Kosten solcher Maßnahmen den
Jugendämtern entgegen zu kommen.
Ich behaupte, daß Projekte der Einzelbetreuung,
die auf ein oder zwei Jahre (davon teilweise im Ausland) angelegt sind, im
Endeffekt auch den öffentlichen Trägern Kosten ersparen.
Dezember 1998
(1)
"Qualitätsstandards für Jugendhilfeprojekte im Ausland" - Positionen
des PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverbandes , Januar 1997