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...im Gasthaus "Zur silbernen Krone" hörst du den Erzählungen zu:
Dem Dunkel entkommen

Sein Atem beruhigte sich langsam wieder. Die wilde Flucht war vorerst vorüber. Ragnar hatte sein
erschöpftes Pferd zur Seite geführt und einen Platz neben einer großen Steineiche eingenommen. Er
strich geistesabwesend den notdürftigen Verband über seiner rechten Brustseite, wo ein Schwerthieb sein
Lederwams aufgeschlitzt und eine tiefe Schramme hinterlassen hatte. An seinem rechten Arm zeugten
nur noch graue Stoffetzen von Ragnars Hemd. Die Haut war aufgeschrammt und von unzähligen blauen
Flecken übersät. Ganz schön knapp! Der kühle Griff des Schwertes in seiner Hand beruhigte ihn ein
wenig, während er zurückblickte. Sie hatten das Feld hinter sich gelassen, der Wald bot Schutz. Schutz?
Ragnar machte sich keine Illusionen, daß dieser vermeintliche Schutz nur so lange galt, wie SIE die
Gruppe nicht weiter verfolgen würden. Ein schneller Blick zur Seite zeigte ihm, daß zumindest Gwen
genauso dachte. Die Auelfe hatte ihren Bogen bereits wieder gespannt und spähte in die Richtung, aus
der sie gekommen waren. Gwen wirkte trotz allem ruhig, nur das hellblonde schweißnasse Haar zeugte
von dem Gewaltritt. Ihr Wams aus hellgrünem Bausch war sauber und die Stiefel aus grauem Leder nur
ein wenig staubig. Ich verstehe nicht, wie sie das immer schafft, dachte Ragnar.
Etwas weiter im Wald war Antara beschäftigt, ihr Pferd anzubinden, während Artefax sich neben ihr
erschöpft auf seinen Stab stützte. Der Magier sah bleich aus, was durch seinen dunklen Umhang noch
verstärkt wurde, wirkte abgespannt und müde. Ragnar dachte daran, wie der junge Magier davon erzählt
hatte, welchen Preis seine geheimnisvolle Macht ihm abverlangte. Artefax sah wirklich aus, als habe er
einen langen, schweren Kampf hinter sich, auch wenn er keine äußeren Verletzungen aufwies. Die
Gruppe war vollzählig, nur der arrogante Kämpfer, der sich ihnen ohne zu fragen vor einigen Tagen
angeschlossen hatte, fehlte. Hatte irgendwelche großen Worte gefaselt und war den Verfolgern
entgegengeritten, obwohl es sinnlos war und nur Flucht die einzige Rettung bot. Später - wenn die
Chancen besser ständen, würden sie den Kampf wieder aufnehmen! Ohne Erfolg hatten sie noch versucht,
ihn zu überzeugen, kostbare Zeit verloren, wo jeder Augenblick zählte. Nun, sie hatten es erst einmal
geschafft - er fehlte!
Wann hatte das Ganze angefangen? Ragnar war sich sicher... es begann mit den Erlebnissen in jenem
Tempel hoch im Norden. Keine guten Erinnerungen. Der junge Magier Artefax war damals fast getötet
worden, bevor sie die Gefahren richtig erkannt hatten. Sie hatten in diesem Tempel, der offenbar keinem
der bekannten Götter geweiht war, einen Runenstein gefunden. Der junge Magier hatte erkannt, daß es
sich um einen den Zwölfgöttern geweihten Stein handelte, der das Symbol der Göttin Tsa trug. In den
Katakomben des Tempels waren sie zum ersten Mal auf die unheimlichen schwarzen Krieger gestoßen,
die sie seitdem verfolgten. Mehrmals war die Gruppe seitdem überfallen worden, bisher hatten sie sich
jedoch immer retten können. Doch heute morgen... "Warum nur? Warum verfolgen sie uns so
hartnäckig?" Ragnar erschauerte. Gwen bemerkte die Bewegung. "Badoc", murmelte sie leise. Auch ihre
treffsicheren Pfeile würden sie diesmal nicht retten. Die gepanzerten schwarzen Krieger waren wirklich
furchteinflößend. Sie schienen irgendwie gegen normale Waffen gefeit zu sein. "Sie wollen den
Runenstein!" Artefax war zu den beiden getreten. Er hatte sich inzwischen etwas erholt. "Es sind
Anhänger des Namenlosen. Die Steine der Zwölfgötter, von denen wir gehört haben, müssen eine
besondere Bedeutung haben." Als die Gruppe heute von mehr als zwei Dutzend der schwarzen Krieger
angegriffen wurde, die von einem mit einer Totenkopfmaske vermummten Priester angeführt wurden,
blieb Ihnen keine Wahl. Sie konnten nur kurz standhalten - Artefax´ Magie und Ragnars Schwert hatten
nur einen geringen Aufschub erwirkt, dann mußten sie fliehen. Doch die Pferde waren erschöpft, weiter
als bis zu diesem Wäldchen schafften sie es nicht. Hier würden sie ihren letzten Kampf liefern. Im Namen
der Zwölfe, sie würden kämpfen, auch wenn niemals ein Lebender diesen einsamen Kampf besingen
würde. Über das Ergebnis konnte es ja auch kaum Zweifel geben. Ragnar fragte sich zum wiederholten
Mal, ob es eine gute Entscheidung gewesen sei, den Schmiedehammer mit dem Schwert zu tauschen.
Aber wenigstens wäre er mit seinen Freunden zusammen! Gwen, Artefax und... auch Antara stand jetzt
bei ihnen, die Hände um Ihren Kampfstab verkrampft. "Wir dürfen Ihnen den Stein nicht überlassen!"
Artefax faßte in Worte, was allen klar war. Nun denn, an ihnen würde es nicht liegen. Sie waren bereit!


Expedition in die Niederhoellen

"Nun, wenn ich vorher gewusst haette, worauf ich mich da einlasse...", der Baron nahm noch einem tiefen
Schluck aus seinem Krug. "Dann haettest du doch nicht anders gehandelt, stimmts?" unterbrach ihn die
graugekleidete Gestalt auf der anderen Seite der Tafel. "Mag schon sein, mag schon sein," murmelte
Ragnar. "Es war ehrenvoll, an dieser Queste teilzunehmen, doch ich hatte meine Bedenken. Aber du
weisst ja, wie das ist..." Der Mann mit dem durchgeistigten Zuegen und dem graumelierten Bart
gegenueber nickte weise. "Ja, ja. Die Frauen... Aber nun, erzaehle doch einmal die ganze Geschichte.
Bisher habe ich doch nur Bruchstuecke von dir gehoert!"
"Wirt, bringt noch zwei Kruege! Und bringt Wurst und Brot fuer uns!" Der Wirt beeilte sich, den Wuenschen
mit dem gehoerigen Respekt nachzukommen, der aufmerksame Beobachter haette sogar bemerkt, dass in
dem runzeligen Gesicht breite Zufriedenheit und Stolz aufleuchteten. Als alles vor den beiden Maennern
stand begann der Baron zu erzaehlen:
"Du weisst ja, Artefax, dass ich nach jenen Begebenheiten, die der Auffindung der sieben magischen
Kelche dienten, an denen ich beteiligt war und die anschliessend zum Schmieden des legendaeren
Schwertes Siebenstreich fuehrten, mit der Baronin Kiranee von Duester-Darrenfurt, Ritterin der Goettin
den heiligen Bund vor dem Schwert der Schwerter schloss. Sie jedoch -wie auch ich beteiligt an der
Auffindung der magischen Kelche- hatte zu diesem Zwecke hinab in die Niederhoellen steigen muessen.
Dort war -trotz erfolgreichem Abschluss- die Seele des Bannertraegers des Rondra-Ordens geblieben,
eines tapferen, hochherzigen Ritters, dessen Befreiung aus den Niederhoellen meine Gemahlin einen
feierlichen Schwur aussprach."
Der Magier gegenueber -denn um einen solchen musste es sich handeln- knabberte an einem Brotkanten.
"Soweit kenne ich die Hintergruende. Du fragtest mich lange genug ueber meine Kenntnisse ueber die
Niederhoellen aus. Auch der magische Ring, den ich..."
"Ja, Artefax, deinem Ring verdanke ich mein Leben." Ragnar's Blick ging einen Augenblick in die Ferne,
als sehe er unaussprechliches Grauen, kehrte jedoch sofort wieder zurueck. "Doch soweit bin ich noch
nicht. Kiranee und ich hatten eine Reise zu ihrer Burg vorgenommen, begleitet waren wir von zweien
meiner Knechte und einer Magd. Spaet in der Nacht ritt ein Eilbote ein, der nach der Baronin fragte. Es
war eine wichtige Nachricht des Schwertes der Schwerter, die die Ritterin zu sich befahl. Auf ging es
ohne Zoegern nach Perricum!"
Die Nacht schritt fort. Die Stunden vergingen. Laengst hatte sich der Wirt zur Ruhe begeben, nachdem alle
anderen Gaeste gegangen waren. Zwei alte Kampfgefaehrten sassen sich weiter gegenueber - keiner von
beiden bemerkte, dass es nicht mehr lange dauern wuerde bis der neue Morgen graute.
"Und dann?" fragte Artefax. Ragnars Augen waren klein vor Muedigkeit. "Wir sind durch die
Niederhoellen gewandert. Gequaelte Seelen, es war schrecklich anzusehen. Endlich erreichten wir die
Halle. Wir stuermten hinein, den Namen unserer Herrin Rondra auf den Lippen und im Herzen. Die
Daemonen stuerzten sich auf uns, doch wir blieben fest und letztlich auch siegreich. Durch die Hilfe des
grossen Magiers der uns begleitete wurde das Oberhaupt der Daemonen besiegt, waehrend wir uns seiner
Diener erwehrten. Alles brannte, der Raum erfuellt mit wabernden Lohen und die Halle begann
einzustuerzen. Wir zogen uns zurueck, schnell, doch in guter Ordnung. Der verlorene Bannertraeger war
bei uns, es war geglueckt! Gegen fuenf Dutzend Seelen zogen mit uns, wir konnten sie befreien, kein
Daemon konnte uns noch schrecken. Endlich erreichten wir wieder den Limbus. Dort...." Der Baron
stockte. Seine Augen schienen blickten in die Ferne - weit jenseits - wie in die Sphaeren die den Goettern
vorbehalten sind. " Marbo. Marbo geleitete die Seelen in das Reich ihres Vaters. Wir sahen Marbo dort...."
Ragnars Stimme verlor sich.
Der erste Hahn kraehte. Der neue Morgen brach an.