Artikel von Dr. med. Hans Wildgruber aus der Zeitschrift "Praxisnah 05/02":

 

Das KISS- Syndrom.

Eine neue Sicht auf Zusammenhänge

Das "KISS- Syndrom", die Kopfgelenks-Induzierte-Symmetrie-Störung bei Kindern, ist keine neue Erkrankung; es ist eine neue Sicht von Zusammenhängen von Symptomen, die man bisher nicht mit einer gemeinsamen Ursache gesehen hat.

Diese gemeinsame Ursache ist eine geburtstraumatische Kopfgelenksblockierung. Die neue Sicht von Zusammenhängen ermöglicht es, den Kindern durch eine manuelle Therapie an den Kopfgelenken effektive Hilfe anzubieten. Zu den Kopfgelenken rechnet man das rechte und linke Atlanto-occipital-Gelenk (C0/1-Gelenk) und das rechte und linke Atlanto-axial-Gelenk (C1/2-Gelenk).

"Blockierung" eines Gelenks

Durch eine traumatisch bedingte Verspannung (Zerrung) der Kapsel, Sehnen und Bänder um ein Gelenk werden Gelenkflächen so aufeinandergepresst, dass Adhäsionskräfte wirksam werden und die Gelenkflächen "verkleben". Blockierungen können durch einen gezielten manuellen Impuls gelöst ("deblockiert") werden. Es handelt sich dabei nie um ein "Einrenken", weil nichts ausgerenkt ist. Das beim Deblockieren zu hörende "Knacken" entsteht durch das Aufbrechen eines Unterdrucks ("Saugnapf"-Phänomen).

Entstehungsursachen

Durch abnormale Lagen und Einstellungen des Kindes im Mutterleib (z.B. Beckenendlage oder Gesichtslage) oder durch unphysiologische Geburtsverläufe (langwierige Geburt mit Feststecken des kindlichen Kopfes oder auch sehr schnelle Geburten) sowie auch durch äußeren Zug am kindlichen Kopf (Vakuum oder Zange) kommt es zu unphysiologischen Zugkrafteinwirkungen auf die Hirn- und Rückenmarkshäute (Dura) des Neugeborenen. Und diese Spannungen werden unmittelbar auf die Kopfgelenke übertragen, weil dort die Dura (harte, knöcherne Hirnhaut) angeheftet ist.

 

 

Symptomatologie der Kopfgelenke

Altersgruppe 0-18 Monate

1. Asymmetrien des Muskeltonus

a.) Einseitige Kopfhaltung (mit den Folgen Schädelasymmetrie und Gesichtsskoliose)

b.) Schiefe Rumpfhaltung ("C-Skoliose", Beckenschiefstand)

c.) Tonusasymmetrie der Arme (einseitiges Streckmuster oder Bewegungsarmut, einseitiges "Fäusteln", eingeschlagene Däumchen)

d.) Tonusasymmetrie der Beine (einseitige Supinations-Spitzfusshaltung, einseitige Abspreizhemmung der Hüfte)

e.) feinmotorische Störungen (Malen, Ausschneiden)

f.) mangelnde Differenzierung der Lateralität normalerweise ist bis Ende des 4. Lebensjahres die Rechts- oder Linkshändigkeit endgültig festgelegt!)

2. Sprach- und Sprechstörungen

a.) Sprachentwicklungsverzögerung

b.) Dysgrammatismus

c.) Stottern

3. Verhaltensauffälligkeiten

a.) unruhig, ständig zappelnd

b.) mangelndes Selbstwertgefühl (albern, angeberisch)

c.) niedrige Frustrationstoleranz (Wutanfälle, Vermeidungs- und Verweigerungsstrategien, weint bei geringsten Anlässen)

d.) körperlich und verbal aggressiv

e.) mangelndes Zeit- und Entfernungsgefühl

4. Schmerzen

a.) rezidivierende Nackenschmerzen, rezidivierender akuter Schiefhals

b.) häufige Kopfschmerzen

c.) Muskelschmerzen in den Beinen (sog. "Wachstumsschmerzen")

5. Viszerale Symptome

a.) funktionelle Bauchschmerzen, Blähungen, Obstipation

b.) funktionelle Blasenstörungen, Enuresis nocturna (nach dem 5. Lebensjahr)

6. Vegetative Symptome

a.) nächtliches Schwitzen, viel auch am Kopf

b) ausgeprägte Ein- oder Durchschlafstörungen

7. Chronische (einseitig betonte) Entzündungen im Augen- und HNO- Bereich (Konjunktivitis, Rhinitis,

Otitis, Tubenkatarrh, Paukenerguss)

Altersgrupe 1,5-6 Jahre

1. Störungen der Bewegungskoordination und des Gleichgewichts

a) unkoordiniertes "steifes" Gangbild, häufiges Hinfallen

b) Mängel beim Einbeinstand, -hüpfen, Ballfangen

c) mangelnde Bewegungsdosierung, "Kaputtmacher"

d) Innenrotationsgang

e) feinmotorische Störungen (Malen, Ausschneiden)

f) mangelnde Differenzierung der Lateralität (normalerweise ist bis Ende des vierten Lebensjahres die Rechts- oder Linkshändigkeit endgültig festgelegt!)

2. Sprach- und Sprechstörungen

a) Sprachentwicklungsverzögerung

b) Dysgrammatismus

c) Stottern

3. Verhaltensauffälligkeiten

a) unruhig, ständig zappelnd

b) mangelndes Selbstwertgefühl (albern, angeberisch)

c) niedrige Frustrationstoleranz (Wutanfälle, Vermeidungs- und Verweigerungsstrategien, weint bei geringsten Anlässen)

d) körperlich und verbal aggressiv

e) mangelndes Zeit- und Entfernungsgefühl

4. Schmerzen

a) rezidivierende Nackenschmerzen, rezidivierender akuter Schiefhals

b) häufige Kopfschmerzen

c) Muskelschmerzen in den Beinen (sog. "Wachstumsschmerzen")

5. Viszerale Symptome

a) funktionelle Bauchschmerzen, Blähungen, Obstipation

b) funktionelle Blasenstörungen, Enuresis nocturna (nach dem 5. Lebensjahr)

6. Vegetative Symptome

a) nächtliches Schwitzen, v.a. am Kopf

b) ausgeprägte Ein- oder Durchschlafstörungen

7. Chronische (einseitig betonte) Entzündungen im Augen- und HNO- Bereich

(Konjunktivitis, Rhinitis, Otitis, Tubenkatarrh, Paukenerguss)

Altersgruppe 7-12 Jahre

1. Statisch-muskuläre Dysbalance

a) ischiocrurale Verkürzung

b) Sitzkyphose

c) Innenrotationsgang

d) Beinachsenfehlstellung

2. Störungen der Bewegungskoordination

a) grobmotorische Störungen (ausgeprägte Ungeschicklichkeit im Turnen, Probleme bei gegenläufigen Bewegungen, z.B. rechte Hand - linkes Bein)

b) feinmotorische Störungen (Schrift)

3. Rechts-Links-Hirn-Koordinationsstörungen

a) Lese-Rechtschreibschwäche

b) Rechenschwäche

c) Konzentrationsstörung (mangelndes Filtern von Geräuschen, sehr leicht ablenkbar)

4. Motorische Unruhe

a) ständiges Zappeln, Schaukeln, Wippen

b) Nägelbeißen

c) "Tics" (Zuckungen der mimischen Muskulatur, Räuspern, etc.)

5. Vegetative Störungen

a) Ein- und Durchschlafstörungen

b) Appetitstörungen

c) funktionelle Bauchschmerzen, Blähungen, Obstipation

d) häufiger Miktionsdrang

e) Einnässen

6. Chronische Kopfschmerzen

7. Chronische Müdigkeit

Pathophysiologie der Kopfgelenksblockierung

Das Nacken-Rezeptorenfeld. Die kurzen Nackenmuskeln der Segmente C1 und C2 sind besonders dicht mit propiozeptiven Spindelrezeptoren besetzt. Wir haben es bei diesem "Nackenrezeptorenfeld" mit einem Sinnesorgan zu tun, dessen Aufgabe die afferente Meldung der Stellung bzw. Stellungsänderung des Kopfes zum Körper bzw. zum Raum ist; in seiner Bedeutung vergleichbar mit dem Labyrinth, nur viel schneller reagierend. Blockierungen in den Segmenten C1 und C2 führen zu einer fehlerhaften Sensorik ("Ist-Zustandsmeldung"), die zwangsläufig eine fehlerhafte Motorik (Bewegungsausführung) zur Folge hat: Kopfschiefhaltung, Kopfüberstreckung, asymmetrische Rumpfhaltung.

Kraniosakrales System

Am Atlaswirbel geht dasSystem der Hirnhäute in das System der Rückenmarkshäute über. Für die Spannung in diesen Membranen ist das freie Gelenkspiel in diesem Wirbel von großer Bedeutung: Eine Einschränkung des freien Gelenks (Blockierung) führt zu pathologischen Spannungen im System der Hirn-Rückenmarks-Häute (kraniosakrales System).

Die Folgen sind:

Therapie

Es kommen verschiedenen Behandlungstechniken zum Einsatz:

Die Wahl der Therapie wird vom Alter und der Mitarbeit des Kindes bestimmt. Sanfte kraniosacrale Techniken setzen ein längeres Stillhalten des Kindes voraus. Ein unruhig schreiendes Baby lässt sich leichter auf dem Schoß der Mutter mit einer Impulstechnik behandeln.

Generell gilt: Je früher mit der Behandlung begonnen wird, umso dauerhafter ist der Erfolg. Bei Asymmetrie-Zeichen in den ersten vier Lebenswochen schlage ich vor, noch zu warten, da sich meiner Erfahrung nach geburtstraumatische Blockierungen häufig in dieser Phase noch spontan lösen. Das Vollbild der KISS-Symptomatik (Asymmetrie, Schlafstörungen, Schreien, Spucken, Blähungen) zeigt sich nicht gleich nach der Geburt, sondern meist erst nach der 8. Woche ("Dreimonatskoliken").

Nachbehandlung

Die wichtigste Nachbehandlung liegt in der Unterweisung und Führung der Eltern. Bei Kindergarten- und Schulkindern sind oft auch Kontakte mit Erzieher/innen und Lehrer/innen notwendig. In der Regel wird nach der Deblockierung eine krankengymnastische Nachbehandlung (nach Bobath- oder Vojta-Konzept) eingeleitet, die umso dringender ist, je länger die Blockierung schon bestand bzw. je massiver die Ursache (z.B. schwere Geburt) war.

Oft ist auch eine ergotherapeutische, logopädische oder homöopathische Therapie erforderlich. In den meisten Fällen wird die manuelle Therapie an den Kopfgelenken nicht alleine stehen, sondern eingefügt in ein ganzheitliches Therapiekonzept. Die Verspannung der periartikulären Weichteile (Kapsel, Sehnen, Bänder) kann auch nach der Deblockierung noch so hoch sein, dass sie wieder in die Blockierung zieht. Deshalb ist die krankengymnastische Nachbehandlung notwendig. Häufige allgemeine Ursachen für Reblockierungen sind Wachstums- und Zahnungsschübe, fieberhafte Infekte und Stürze. Auch starker emotionaler Stress des Kindes kann zu wiederkehrenden Blockierungen führen.

 

(Quelle: Dr. Hans Wildgruber, FA für Allgemeinmedizin - Chirotherapie)

 

 

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