Bordleben

Was ist MIR für ein Schiff?

 

Die MIR ist ein besonderes Schiff, eine Art Schiff, wie es die allermeisten Trainees zuvor noch nicht betreten haben. Die MIR ist ein ziviles Segelschulschiff, das Kadetten für die russische Handelsmarine ausbildet. Dies ist eine Ausbildungsform, die es in Deutschland in dieser Art leider schon lange nicht mehr gibt. In Russland aber wird die Tradition gepflegt, dass künftige Nautiker am Anfang ihrer Ausbildung ein längeres Praktikum auf einem Großsegler absolvieren.  

Aus verschiedenerlei Gründen nimmt die MIR außer den Studenten der Seefahrthochschule auch noch zahlende Mitsegler, eben die Trainees mit. Das sind natürlich einerseits wirtschaftliche Zwänge, denn der Unterhalt eines Segelschiffes dieser Größe ist teuer. Aber es geht vor allem auch um Völkerverständigung. Wer an Bord der MIR mitsegelt, betritt eine neue Welt. Er lernt dort russische Menschen kennen und den "Russian Way of Life". Für viele Trainees, vor allem für die aus den "alten Bundesländern" oder aus Westeuropa ist das eine vollkommen neue Erfahrung. Aber auch für die Kadetten ist es neu, Menschen aus Westeuropa zu treffen. Viele von ihnen waren noch nie im Ausland. An Bord der MIR können sie zum ersten Mal ihre Englischkenntnisse anwenden und Berührungsängste mit Ausländern abbauen. 

Neu ist für die meisten Trainees aber auch, dass sie nicht als Passagiere an Bord eines Schiffes reisen, sondern mit zur Crew zählen, wenn auch nicht mit allen Pflichten, wie die Kadetten. Die MIR ist kein Kreuzfahrtschiff und jeglicher Luxus fehlt. Es gibt keine Liegestühle an Deck, aber auch keine Kleidervorschriften. Die MIR ist aber auch kein "Abenteuersegler", wo Laien zum Spass das Schiff miteinander segeln. Im Gegensatz zu den zahlreichen Traditionsseglern, auf denen eine rotierende Stammcrew aus Hobby-Seeleuten arbeitet, wird auf der MIR professionelle seemännische Ausbildung durchgeführt und die Stammcrew besteht ausschließlich aus Berufsseeleuten. Dies hat einige Konsequenzen für das Zusammenleben von Trainees und Stammcrew und Kadetten. Damit dies gut klappt, will ich hier ein wenig über die Stammcrew der MIR und das Zusammenleben an Bord erzählen.

Die Stammbesatzung

Die Stammcrew der MIR besteht aus ca. 50 Leuten. Dies sind professionelle Seeleute, die alle nach dem internationalen STCW-Abkommen ausgebildet sind. Diese Seeleute sind teilweise schon seit vielen Jahren auf der MIR. Sie arbeiten in der Regel 12-24 Monate am Stück an Bord und haben dann 6-12 Monate Urlaub. Für diese Seeleute ist das Schiff gleichzeitig Arbeitsplatz und Wohnung. Ihr zuhause ist in St. Petersburg, aber dort ist das Schiff immer nur wenige Wochen im Jahr. Den Rest der Zeit leben die Seeleute an Bord der MIR. Wenn man das weiß, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Stammcrew an Bord des Schiffes ihre Bereiche hat, wo sie unter sich sein wollen. Trainees - und auch Kadetten - dürfen dort nur hin, wenn sie dorthin eingeladen wurden. Die Crew hat dort ihre Kabinen - viele von ihnen nicht einmal eine eigene für sich alleine - ihr Kasino, auch Kino genannt, weil dort unterwegs oft Videos geschaut werden, ihre eigene Messe, wo sie gemeinsam essen, und ihre eigenen sanitären Anlagen. Diese Bereiche unterscheiden sich von den allgemeinen Bereichen dadurch, dass sie Teppiche haben. Die Offiziere wohnen im Achterschiff und die Mannschaftsränge mittschiffs im Zwischendeck. Auf See sind diese Bereiche durch Schotte voneinander getrennt. Auch sonst gehen die Offiziere nicht in den Mannschaftsbereich und umgekehrt schon gar nicht. Und damit kommen wir zum nächsten Punkt:

Die Ränge

Die Crew eines jeden Schiffes besteht aus Offizieren und Mannschaften. Grob gesagt, sind Offiziere diejenigen, die Seefahrt studiert haben. Matrose oder Schiffsmechaniker hingegen, sind Ausbildungsberufe. Jeder Offizier an Bord hat in seiner Laufbahn auch einmal eine dieser beiden Ausbildungen gemacht. Auf der MIR ist es sogar so, dass viele Mannschaften durchaus bereits ihr Offizierspatent in der Tasche haben, aber es an Bord keine freie Stelle im Kommando mehr gab und sie deshalb als einfaches Mannschaftsmitglied angemustert haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffen ist das Gefälle zwischen den Rängen auf der MIR nicht so groß. Die Crew, vor allem diejenigen, die schon lange an Bord sind, leben miteinander wie eine Familie und sind miteinander befreundet ohne Rangunterschiede herauszukehren.  Die Crew ruft sich beim Vornamen und duzt sich. Selbst der Kapitän wird mit Vornamen und Vatersnamen (eine russische Sitte, bei der Vertrautheit und gleichzeitiger Respekt ausgedrückt wird) gerufen.

Uniformen

Uniformen werden an Bord höchst ungern getragen. Allenfalls während eines Tagestörns, wenn der Kapitän das so angeordnet hat, damit man einen besseren Eindruck macht... Im Hafen trägt der Wachhabende Offizier Uniform, damit Schiffsfremde ihn als zuständig erkennen können. Ist das Schiff unterwegs, trägt man, was sinnvoll - also was bequem  und warm -  ist. Also bitte nicht wundern, wenn man in der Gestalt, die im alten Parka an der Reling lehnt und angelt, den Kapitän erkennt.

Die Kadetten haben eine Arbeitskluft und eine Ausgehuniform. Die letztere ist übrigens auch ihre Schuluniform, denn die Seefahrtshochschule ist ein Internat und die Kadetten müssen während der Schulzeit Uniform tragen. An Bord müssen sie das nur, wenn sie im Dienst sind. Es hat einfach den Sinn, dass jeder sofort sehen kann, ob der Kadett jetzt auf Wache ist, oder frei hat.

Tradtionen

Davon gibt es in der Seefahrt zahlreiche, aber wer auf das Singen von Shanties hofft, der ist auf einem Schulschiff falsch. Musik gibt es an Bord bei der Arbeit - russische Popmusik aus dem Bordradio. Shanties sind zwar sicher romantischer, aber die Kadetten sind 17 bis 19 Jahre alt und da stehen sie eben auf andere Dinge.

Überhaupt gibt es an Bord der MIR keine Traditionen zum Selbstzweck oder aus purer romantischer Verklärung. Wenn etwas in traditioneller Weise gemacht wird, dann weil es sich über viele Jahre als sinnvoll erwiesen hat. 

 

Do's and Don't's

Zum Schluss noch 10 goldene Regeln für die Trainees, damit der Törn zum Erfolg wird:

  1. Sei offen für das, was dir an Bord begegnet. Versteife dich nicht auf Dinge, die du unbedingt tun und erleben willst, sondern nutze den Tag und habe Spass an dem, was er bringt.
  2. Verlange nicht, von der Crew, dass sie z.B. Deutsch sprechen müssen oder nach unseren Regeln leben. Vergiss nicht: an Bord bist du der Ausländer!
  3. Zeige dein Interesse an dem Schiff. Frage nach, wenn dich etwas interessiert oder du an etwas teilnehmen willst. Sprich du die Crew an und warte nicht darauf, dass sie dich ansprechen. Die Kadetten sind oft zu schüchtern um von sich aus ein Gespräch anzufangen.
  4. Halte dich an die Regeln, die man dir setzt. Sie haben einen Sinn, auch wenn der dir eventuell nicht offensichtlich ist. Dinge, die dir als pedantisch erscheinen, dienen oft der allgemeinen Sicherheit.
  5. Nimm Rücksicht. Während du gutgelaunt und fröhlich aus der Bar kommst, schlafen im Nachbarkubrick eventuell Kadetten, die in wenigen Stunden bereits wieder aufstehen und zur Wache müssen. 
  6. Bringe dich ein. Wenn du ein Talent oder eine besondere Fähigkeit hast, so behalte es nicht für dich. Falls du ein Instrument spielst, bringe es mit und spiele für alle.
  7. Falls du dich zu irgendwelchen Arbeiten einteilen lässt, merke dir, wer dafür zuständig ist und vor allem verlasse die Arbeit nicht, ohne diesem Bescheid zu sagen – egal, ob du nun fertig bist, oder keine Lust mehr hast.
  8. Erzähle von zu Hause, wie du lebst, was du machst wenn du nicht segelst. Viele Kadetten kennen von Deutschland nur den Häfen, wo sie jetzt gerade sind. Sie haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie wir leben.
  9. Lass dich nicht abschrecken von einem brummigen Gesichtsausdruck und einer kurzen schroffen Antwort. Das ist meistens nicht so gemeint. Die schroffe Antwort kann an den mangelnden Sprachkenntnissen des Crewmitgliedes liegen und der brummige Gesichtsausdruck daran, dass er gerade Ärger mit einem Vorgesetzten hatte. Übrigens, Russen lachen nicht in der Öffentlichkeit. Sie schauen meistens sehr ernst wenn Fremde da sind.
  10. Zu guter Letzt: Bitte heißt „paschaljusta“ und danke „spassibo“! Beide sind oft anzuwenden! Ohne „bitte“ läuft gar nichts. Ach ja, „posche“ heißt später. Bedeutet aber so viel wie laß mich in Ruhe, ich habe keine Zeit. „tschaß“ bedeutet: „Warte, die Antwort kommt gleich, mir fällt nur gerade die Vokabel nicht ein!“