Wenden
und Halsen
Zwei
Arten Manoever kommen auf der MIR regelmaessig vor: die Wende und die
Halse.
Beides ist auf einem Rahsegler ein komplizierte Angelegenheit und
beduerfen sowohl
gruendlicher Vorbereitung als auch einer eingespielten Crew - vor allem
die
Wende, die hier zuerst beschrieben wird. Wir sehen uns das Manoever
einmal aus
der Sicht des kommandierenden Offiziers, also von der Bruecke aus, an.
Dazu
beschreibe ich hier einmal eine geplante Wende/ Halse, wie sie z.B.
dann
vorkommt, wenn das Schiff gegen den Wind kreuzt und dabei auf den
anderen Bug
gehen soll. Meistens kommen solche Wenden nicht "aus heiterem Himmel"
sondern werden angekuendigt. So haben sich Kapitaen und Steuermann
darueber
abgestimmt, wie lange ein bestimmter Kurs gehalten werden soll, z.B.
bis eine
bestimmte Position erreicht ist, eine bestimmte Landmarke in Sicht
kommt oder
auch zu einer bestimmten Uhrzeit - wie beispielsweise zum Wachwechsel,
wenn
sowieso schon ein Grossteil der Crew an Deck anwesend sein wird.
Ueblicherweise
wird dann eine Durchsage gemacht, dass z.B. um 20.00 Uhr eine Wende mit
"all hands" anberaumt ist. Wir gehen hier einmal davon aus, dass wir
die Wende nach geografischen Gesichtspunkten planen. Dazu ueberprueft
der
Wachoffizier regelmaessig die Position und leitet je mehr er sich der
vereinbarten Wendemarke naehert, verschiedene Dinge ein.
Kurz vorher wird dann auch - sofern er nicht von alleine schon
erschienen ist -
der Kapitaen geweckt, damit er das Manoever selber leiten kann.
1.
VORBEREITUNGEN
Noch
bevor die Deckscrew oder gar die Freiwache ueberhaupt mitbekommt, dass
ein Manoever gefahren werden soll,
muessen von der Bruecke her Vorbereitungen
getroffen werden.
- Der
Maschinenraum wird angewiesen, das Ballastwasser auf die andere Seite
zu
pumpen.
- Die
Kueche wird informiert, damit sie - vor allem bei starker Kraengung -
ihre
Geraete und Materialien neu ausrichten und sichern koennen.
- Der Bootsmann
wird zur Bruecke gerufen um den Ablauf des Manoevers mit ihm zu
besprechen.
- Die
Position des Schiffes wird nun laufend kontrolliert und ggf. von Hand
ueberprueft. Auf dem Radar und dem GPS-Bildschirm werden die Positionen
der
anderen in diesem Seegebiet operierenden Schiffe ausgewertet und die
zur Zeit in
Sicht befindlichen Objekte (Schiffe, Landmarken, Seezeichen)
angepeilt.
- Nun wird
ueber Funk der umgebende Verkehr informiert, dass ein Kurswechel
bevorsteht. Das kann fuer die anderen Schiffe einerseits eine Aenderung
der
Vorfahrtsverhaeltnisse zur Folge haben, andererseits, ist es wichtig
für sie,
zu wissen, dass der Grosssegler nun eventuell erhebliche
Geschwindigkeitsveraenderungen haben wird, d.h. ganz
ploetzlich an Fahrt
verlieren und spaeter auf dem neuen Kurs wieder gewinnen wird. Das ist
besonders
wichtig fuer Schiffe, die von achtern kommen und eventuell schneller
als die MIR
sind.
- In
Landnaehe, vor verkehrsreichen Gebieten (deutsche Bucht,
Straße von Dover,
Rostocker Seekanal...) muss eventuell auch noch eine Landstation
informiert
werden.
- Jetzt
wird der Segelalarm gegeben. Dabei wird auch angesagt, um welche Art
Manoever es sich handelt. Eine Wende wird eigentlich immer mit "Alle
Mann" gefahren, fuer eine Halse reicht es oft aus, wenn bei einem
Wachwechsel zwei Wachen anwesend sind. Dafuer wird die Freiwache meist
nicht
geweckt.
- Auf das
Kommando "vsje navjerch gatovy" erscheinen alle an Bord
befindlichen Personen mit ihren Takelgurten oder sofern sie nicht ins
Rigg gehen
doch mindestens wetterfest gekleidet an Deck und begeben sich zu ihren
Manoeverpositionen. Ausnahmen sind
die Crewmitglieder, die innerhalb des Schiffes eine Manoeverposition
haben, ggf. die Köche
(wenn sie gearde das Essen auf dem Herd haben) und die
Brückenbesatzung. Rudergaenger und Ausguck bleiben solange auf
Position bis sie von denjenigen
abgeloest werden, deren Manoeverposition Ruder und Ausguck sind (in der
Regel
der beste Rudergaenger des Schiffes und die Person mit den schaerfsten
Augen -
das muessen nicht unbedingt Matrosen sein).
- Alle
fuer das Manoever benoetigten Leinen werden losgeworfen.
2.
DIE WENDE
In
der Regel geschieht auf der MIR ein Kurswechsel durch eine Wende, denn
es ist
eine genuegend grosse Crew vorhanden und MIR ist ein ausgesprochen
handliches
Schiff, das Ruder und Segeln selbst bei starken Winden noch willig
folgt.
Bei der Wende geht das Schiff mit dem Bug "durch den Wind". Man sagt
dazu auch "ueber den Stag gehen". Mit einer eingespielten Crew und
ohne besondere Vorkommnisse dauert die Wende etwa 20
Minuten. Nachfolgend wird eine Wende beschrieben, wie Kapitaen Antonov
sie
durchfuehrt. Jeder Schiffsfuehrer macht das ein kleines bisschen
anders, aber im
Grossen und Ganzen ist es immer das Gleiche.
- Die
Wende wird
aus einem Kurs hoch am Wind eingeleitet.
- Zuerst
wird das Ruder hart nach Luv gelegt
(35° Ruderlage) und gleichzeitig das Besansegel nach luv geholt.
- Wenn die
Segel anfangen zu killen, werden zuerst Gross- und Focksegel
eingeholt, ggf. auch noch die Royalsegel. Gleichzeitig werden die Rahen
des Kreuzmastes rundgebrasst und die Schoten
der Kluever etwas aufgefiert.
- Waehrend
das Schiff nun mit dem Bug durch den Wind geht, werden die
Schoten der Stagsegel losgeworfen sodass
sie auf die andere Seite herueberkommen koennen.
- Wenn das
Schiff durch den Wind ist, wird das Ruder wieder mittschiffs gelegt.
Das Schiff dreht nun allein durch den Druck der im
Wind backstehenden Vorsegel weiter. Nur wenn
die Drehung zu stoppen droht, kann es erforderlich sein, sie durch ein
Ruderlegen zur anderen Seite zu unterstuetzen.
- Wenn das
Schiff – nun bereits auf dem anderen Bug liegend –
einen
Winkel von 15-20° zum Wind erreicht, werden die Stagsegel in
der Reihenfolge
von hinten nach vorne dichtgeholt.
- Die Rahen des
Fockmastes
werden lebend mitgebrasst, so dass sie die ganze Zeit killen aber nicht
komplett
backstehen. Der Großmast
kann entweder zusammen mit dem Fockmast gebrasst werden, oder zusammen
mit dem
Kreuzmast, sowie zu jedem beliebigen Zeitpunkt dazwischen.
- Zu allerletzt
werden die Vorsegel auf
die andere Seite heruebergeholt.
- Groß-
und Focksegel und ggf. die Royals werden wieder gesetzt.
- Alle
Segel werden wieder optimal getrimmt.
- Der
Rudergaenger ermittelt die neue Nullposition des Ruderblattes und
steuert
die vom Steuermann angewiesene Position zum Wind.
3. DIE
HALSE
Bestimmte
Witterungsverhaeltnisse (nur maessiger Wind oder aber Sturm), sowie
eine
reduzierte Crew in der Vorsaison, wenn keine Kadetten an Bord sind oder
nachts,
wenn man (weil keine Regatta ist) nicht die Freiwache wecken will,
sondern nur
mit einer Wache das Manoever fahren will, oder eine untrainierte Crew
(viele
neue Trainees), koennen dazu fuehren, dass sich die Schiffsfuehrung
entschliesst, eine Halse zu
fahren. Dieses Manoever ist leichter zu segeln,
dauert aber laenger und das Schiff verliert dabei an Raum, da es quasi
eine
Schleife faehrt. Das wesentliche Merkmal der Halse ist, dass hierbei
nicht das
Vortopp durch den Wind geht, sondern das Schiff "vor dem Wind" dreht.
- Auch
hier werden in der Regel zuerst Gross- und Focksegel aufgegeit.
- Dann
wird das Ruder hart nach lee gelegt und gleichzeitig werden die
Schoten der Stagsegel des Kreuzmastes gefiert.
- Jetzt wird das Besansegel eingeholt und das
Kreuztopp wird rundgebrasst. Dadurch
ist es erst einmal aus dem Wind und es entsteht ein Ungleichgewicht
zwischen dem
Vorschiff und dem Achterschiff. Das Schiff dreht und das Kreuztopp
steht
schließlich back.
- Waehrend der
Drehung werden Grosstopp und Vortopp lebend mitgebrasst, sodass sie
staendig gefuellt bleiben.
- Das Vortopp
bleibt in Vierkantposition. Das
Grosstopp wird in dem Moment, wo das
Kreuztopp wieder voll steht, mit rundgebrasst.
- Stagsegel und
Kluever werden dichtgeholt.
- Schliesslich
wird auch das Vortopp wieder an den Wind geholt.
- Zum Schluss
werden Großsegel, Focksegel und Besansegel wieder gesetzt.
- Nun wird das
Schiff wieder an den Wind gebracht.
- Der
Rudergaenger ermittelt die neue Nullposition des Ruderblattes und
steuert
die vom Steuermann angewiesene Position zum Wind.
4.
NACHBEREITUNGEN
Nachdem
das Schiff nun auf dem neuen Kurs ist, gibt es noch einiges zu tun,
bevor alle
wieder zu ihren Routinen zurueckkehren koennen und die Freiwache
entlassen wird.
- Das Deck
wird aufgeklart. Das heisst, dass alle Leinen aufgeschossen werden und
alles, was in Unordnung geraten war, wieder an seinen Platz
zurueckgebracht
wird. Alles muss so vorbereitet werden, dass sofort ein weiteres
Manoever
gefahren werden koennte.
- Fuer die
Kadetten erfolgt die "Manoeverkritik"
- Dann
wird die Freiwache entlassen. "Adboy!"
- Die
Wache begibt sich wieder zu ihren Aufgaben.
- Ruder
und Ausguck werden wieder von Kadetten (Trainees) der Wache uebernommen.
- Die
Position wird neu genommen.
- Der neue
Kurs wird festgelegt und in die Seekarte eingetragen.
- Das
Manoever und eventuelle Besonderheiten wird ins Schiffsjournal
(Logbuch)
eingetragen.
- Der
Schiffsverkehr wird informiert, dass das Manoever nun beendet ist.
- Der
Maschinenraum erhaelt die Anweisungen für das Feintrimmen der
Ballasttanks.
- Der
Bootsmann erscheint auf der Bruecke und berichtet ueber die Kadetten
und
eventuelle Besonderheiten
- Der
Kapitaen übergibt das Kommando wieder an den wachhabenden
Offizier.
- Zeit
fuer eine Tasse Kaffee...
Text:
B.Beuse, Februar 2001