© Manfred Poppe

Kleiner Bär    von Manfred Poppe

Heute herrscht einige Aufregung in der Teddystube. Ein neuer Bär ist angekommen. Ein ganz kleiner. Genauer gesagt, ein klitzekleiner. Bärenvater hat ihn aus der Stadt mitgebracht und in einen Korb gelegt. "Unser neuester Mitbewohner, kümmert euch mal um ihn". Das hat er gesagt, und daß der Teddy "kleiner Bär" heißt, noch viel Pflege braucht und sich erst einmal eingewöhnen muß. Nun kümmern sich die Teddybären um ihn. Sie stehen um den Korb herum und schauen sich den Neuankömmling an. Sie müssen sehr genau hinsehen, so klein ist der. "Ist der aber süß, ach wie niedlich, der ist aber winzig", Ausrufe der Begeisterung. Die ganze Gesellschaft gebärdet sich, als hätte sie noch nie einen kleinen Teddy gesehen. Füßchen will ihm gleich seinen Nuckel bringen, Teddy hält ihn davon ab. "Der ist doch viel zu groß für ihn", er schüttelt den Kopf. "Ob der schon weiß, wie spät es ist?" Die Frage kann nur von Arnold kommen. "So nen Lütten hav ick noch nich gesehen", meint Bootsmann. Er ist nicht nur platt, er spricht vor lauter Aufregung auch so. Alle Teddys benehmen sich auf einmal, wie ganz kleine Bären. Füßchen hat die Pfoten an die Ohren gelegt und schneidet Grimassen. Der alte Mac Mackintosch macht sich Gedanken, ob ihm wohl der Tee schmecken wird.

Kleiner Bär bekommt von alledem nichts mit. Er liegt in seinem Korb und schläft. Wenn man ganz genau hinhört, kann man ganz leise Schnarchlaute hören. Teddy spricht jetzt ein Machtwort. "Kleiner Bär braucht Ruhe, Ich werde ihn in meine persönliche Obhut nehmen". Er schiebt den Korb mitsamt dem neuen Teddy neben sein Bett. "So, hier bleibt er jetzt und da hat er seine Ruhe". Dann setzt er sich in seinen Schaukelstuhl und ließt die Bärenzeitung. Da ist er heute noch nicht dazu gekommen. Ab und zu wirft er einen Blick auf den Kleinen. Der schläft immer noch. Die Teddys stellen fest, daß er einen gesunden Schlaf hat.

Arnold bringt den Honigtopf und stellt ihn neben den Korb. "Wenn er munter wird, hat er bestimmt Hunger". Füßchen taucht mal schnell seinen Nuckel in den Topf, die Gelegenheit ist günstig, dann setzt er sich zu Teddy und liest mit ihm die Zeitung. Allmählich kehrt wieder Ruhe in der Teddystube ein. Am Nachmittag klappern sie nur ganz leise mit dem Teegeschirr, "Kleiner Bär" muß schließlich schlafen. Der schläft und schläft. Ab und zu räkelt er sich wohlig in seinen Kissen. Ein paarmal hat er sich auch ein bißchen herum gedreht, munter geworden ist er bisher nicht. Nur seine kleinen Pfötchen zucken ab und zu, wovon mag er wohl träumen? Die Teddygesellschaft spielt heute ein bißchen leiser als sonst. Darüber vergeht der Tag und auch für die anderen Teddybären wird es langsam Zeit schlafen zu gehen. Es ist bereits neunzehn Kamele und zwölf Dromedare, Arnold hat schon einige Male auf seine Uhr geschaut. Draußen auf dem Kirschbaum hat die Eule ihren Platz bezogen. Kater Paul stromert durch den Garten. Er macht seinen allabendlichen Rundgang. Die Teddys schlüpfen unter ihre Decken, nicht ohne zuvor noch einmal nach "Kleiner Bär" zu schauen. Einige fragen sich, wann er wohl ausgeschlafen hat? Ganz leise ist es jetzt im Bärenzimmer. Die Teddys haben noch einen Moment miteinander geflüstert, dann sind auch sie eingeschlummert. Nur Mondbär sitzt noch im Fenster und schaut sich den Mond an. Der grüßt freundlich vom Himmel, man kennt sich. Nach einer Weile geht aber auch Mondbär in sein Bett.

Es herrscht absolute Stille im Raum. Das heißt, nicht ganz. Im Körbchen beginnt sich mit einem Male etwas zu rühren. Der kleine Teddybär hat ausgeschlafen. Jetzt reibt er sich seine Augen, dann muß er sich erst einmal strecken. Er schaut an die Decke. Wo bin ich eigentlich? Das fragt er sich, dann lugt er vorsichtig über den Rand seines Bettchens. So ein Zimmer hat er ja noch nie gesehen. Ist er vielleicht ganz allein hier? Alles ist ungewohnt, wie ist er überhaupt hierher gekommen? Die anderen Teddybären bemerkt er im halbdunklen Zimmer nicht. Er traut sich auch gar nicht aus seinem Korb heraus, er fürchtet sich vor dem Unbekannten. Irgendwo raschelt etwas und leises Schnaufen hört er auch. Jetzt bekommt er richtig Angst. Erst schnieft er ein bißchen, dann beginnt er zu weinen. Das heißt, er weint gar nicht, der kleine Teddy plärrt. Er plärrt so laut, das alle Bären munter werden. Die springen aus ihren Betten und sind jetzt sehr besorgt, ob Kleiner Bär vielleicht krank ist? Am Ende hat er sogar Bauchschmerzen? Der Erstehilfebär muß her! Zuerst bringt Füßchen ihm aber mal seinen Nuckel, wenn der auch zu groß ist. Irgendwann hat er einmal gehört, daß Nuckel in solch einem Fall helfen sollen. Nichts da, der Kleine plärrt weiter. Jetzt kommen die anderen Teddys und stehen um den Korb herum. Alle fragen sich, was ihm wohl fehlt. Nun kommt der Erstehilfebär und stellt fest, daß der wahrscheinlich Hunger hat. "Bei den Kleinen ist das immer so, wenn sie schreien, haben sie Hunger". Schäfchen würde am liebsten mitheulen, Schäfchen stellt sich gerade vor wie das sein könnte, wenn man Hunger hat. Teddy nimmt ihn heraus und füttert ihn mit Honig aus dem Honigtopf. Kleiner Bär hat jetzt gar keine Angst mehr, so viele Teddys und alle kümmern sich um ihn! Das gefällt dem Teddy. Fleißig nascht er vom Honig und ist jetzt sogar ganz still. Das geht auch nicht anders. Der Honig schmeckt gut und das wird er sich doch nicht durch Geschrei verderben. "Seht ihr, ich hatte Recht, der hatte nur Hunger und jetzt ist er ganz artig", sagt der Erstehilfebär. Er kann nicht wissen, daß der kleine Heuler etwas anderes beschlossen hat. Wenn ich so tue, als ob ich Bauchschmerzen hätte, kümmern sich alle um mich, denkt sich Kleiner Bär und allein bin ich dann auch nicht. Er beschließt, nachher noch ein bißchen weiter zu weinen.

Außer Teddy sind nun alle wieder in ihren Betten verschwunden. Jetzt ist er satt und da wird er wohl Ruhe halten, zweiundzwanzig Kamele, Arnold ist brummig. Teddy sitzt noch eine Weile am Körbchen. Er wird über Kleiner Bär wachen, damit er keine Angst hat.

Der schließt jetzt seine Augen und kuschelt sich unter seine Decke, mal abwarten bis der nette, große Bär wieder schläft. Der Honig schmeckt doch zu gut und außerdem, es ist schön, von allen beachtet zu werden. Teddy ist nun doch müde, er gähnt. Die Zeitung ist ihm herunter gefallen und die Brille von der Nase gerutscht. In seinem Schaukelstuhl schlummert nun auch der Oberbär ein. Der Tag war lang und anstrengend für ihn. Lange schläft er noch nicht, da wird er geweckt. Der kleine Teddy plärrt schon wieder. Alle Bären sind auf der Stelle munter. Der Schreihals schielt nach dem Honigtopf. Teddy geht jetzt ein Licht auf. "So ist das also kleiner Freund". Teddy ist müde und wenn Teddy müde ist, wird er grantig. Er bringt den Störenfried samt seinem Korb vor die Tür. "So, jetzt wird geschlafen und bis morgen früh ist jetzt Ruhe" Teddy schließt die Tür und geht in sein Bett. Jetzt ist kleiner Bär wirklich erschrocken. So hat er sich das Ganze nicht vorgestellt. Nun ist der große Teddy, den alle Oberbär nennen, vielleicht sogar böse? Nein, daß hat er überhaupt nicht gewollt. Er überlegt was er jetzt tun kann. Schnell springt er aus seinem Körbchen und möchte durch die Tür. Aber wie soll er die aufbekommen? Da entdeckt er eine Klappe im unteren Teil der Tür. Es ist der Eingang durch den Kater Paul immer herein kommt, wenn die Teddys Teestunde halten. Durch die Klappe schlüpft Kleiner Bär zurück in das Zimmer. Auf ganz leisen Pfoten schleicht er zu den Anderen. Die schlafen alle so schön und er will ja auf keinen Fall einen der Teddybären wecken. Ein ganz schlechtes Gewissen hat Kleiner Bär jetzt.

Was soll er nur machen damit nicht alle denken, er wäre ein Quälgeist. Er wollte doch nur noch ein bißchen von dem leckeren Honig und ein wenig Beachtung. Früher, da haben ihn immer alle übersehen, weil er so klein ist, und das hat ihm überhaupt nicht gefallen. Seit Wochen schon hat er auf dem Flohmarkt herum gelegen. Das war langweilig. Da hat er immer ein bißchen vor sich hin geschlummert und so hat er gar nicht bemerkt, wie ihn doch noch jemand entdeckt und mitgenommen hat. Nun ist er hier und es gefällt ihm so, daß er nie wieder weg möchte. Ganz viele freundliche Teddybären um ihn herum und da hat er sich gleich daneben benommen. Kleiner Bär schämt sich. Er geht vorsichtig zu dem großen Teddy. Der liegt in seinem Bett und hat seine Zeitung und die Brille daneben liegen. Kleiner Bär möchte jetzt gerne etwas gutes tun. Behutsam putzt er die runde Brille des Oberbären, damit er am anderen Tag besser seine Zeitung lesen kann. Dann setzt er sich neben Teddys Bett und beschließt jetzt für ihn Wache zu halten, damit ihm ja keiner beim schlafen stört. Der schläft aber gar nicht. Er hat den kleinen längst bemerkt. Jetzt streichelt er ihn über seinen runden Kopf und hebt seine Bettdecke hoch. "Komm her du Schreihals, hier ist Platz für zwei". Das braucht er nicht zweimal zu sagen! Ganz schnell krabbelt Kleiner Bär neben Teddy ins Bett und kuschelt sich an. Jetzt will er ganz artig schlafen, aber eines muß er unbedingt noch sagen. "Du, großer Teddy?" "Ja, Kleiner Bär?" "Ab morgen bin ich ganz lieb und den anderen Teddys werde ich alles erklären, damit sie nicht falsch von mir denken". Jetzt knufft Teddy den Zerknirschten freundlich in die Seite. "Mach dir nur keine Sorgen und übrigens, herzlich willkommen in der Teddyfamilie". Da fällt dem kleinen Bären ein großer Stein von seinem Teddyherzen. Er seufzt noch einmal tief, dann schläft er zufrieden ein. Nicht ohne zuvor noch einmal an den Topf mit dem leckeren Honig zu denken.


Ende



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