Katalog: ROMANISCHE WESTTURMKIRCHEN IN WIEN

Rudolf Koch, Wien


 

1. St. Peter: Hl. Petrus

Der mittelalterliche Bau wich 1702 einer barocken Anlage von Gabriele Montani unter Mitwirkung von Johann Lukas v. Hildebrandt. Nach K. ÖTTINGER (1951) geht die ursprüngliche Kirche auf einen spätrömischen Apsidensaal der 2. H. des 4. Jhdts. zurück, der Mitte des 11. Jhdts. durch ein Seitenschiff wesentlich erweitert wurde. Der Legende nach soll die Kirche, die 1137 zum ersten Mal urkundlich genannt wird, eine Gründung Karl d. Großen von 792 sein. über das Aussehen der mittelalterlichen Kirche existiert ein Grundrißplan, der einem Bauansuchen von 1676 beigelegt war. Die Kirche kann als dreischiffige, durch Pfeiler unterteilte Anlage mit einer, in der ganzen Breite des Mittelschiffs angefügten, nach Süden gerichteten Apsis rekonstruiert werden. Die eigenartige N-S-Orientierung dürfte durch den römischen Vorgängerbau bedingt sein.

Der Stadtplan JACOB HOEFNAGELs (1609) zeigt einen breiten, mehrschiffigen (?) Bau mit Strebepfeilern und gemeinsamer Apsis, im Norden, also vor der Kirchenfassade, einen freistehenden, mächtigen Turm, der durch eine schräge Dachkonstruktion mit der Kirche verbunden ist, und zahlreiche kleinere Anbauten entlang des Kirchenschiffs.

Dieser Turm hat an den Ecken vier Lisenen od. Strebepfeiler, die durch Fialen über das Zeltdach des Turmes fortgesetzt werden. Die beiden obersten Geschosse zeigen jeweils vier schmale Schlitzfenster. Nach R. K. DONIN (1944) dürfte der Turmhelm mit einem tambourartigen Zwischengeschoß und den vierteiligen Fenstern erst eine nachmittelalterliche Veränderung sein, da das Heimsuchungsbild des Schottenmeisters ein gedrungenes Pyramidendach und einteilige Schallfenster wiedergibt.

Nach dem Plan bei W. BRAUNEIS und R. PERGER (1977) wird der hohe Turm als an das Langhaus angebaut rekonstruiert, was aber wegen der Hoefnagel-Ansicht nicht stimmen kann (vgl. dazu R. K. DONIN 1944, S. 153) . M. MELZER u. G. MOSSLER (1974) konnten bei Errichtung der Tiefgarage am Petersplatz an der N-W-Seite der modernen Baugrube massive Mauerfundamente von beträchtlicher Stärke feststellen, "die möglicherweise den Turm der romanischen Peterskirche getragen haben. Sie wurden mit Hilfe von Preßlufthämmern so rasch abgetragen, daß ihre genaue Lokalisierung und Einmessung unterbleiben mußte". Desgleichen konnten Bestattungen des mittelalterlichen Friedhofes beobachtet werden. Daraus ergibt sich, daß der freistehende Turm vor der Fassade von St. Peter aus der Achse der Kirche verschoben war. über das Material des Turmes gibt ein Lobspruch WOLFGANG SCHMELTZLs (1547) Auskunft, der von einem Baum berichtet, der aus dem "quaderstuck" herauswächst.

Durch die Strebepfeiler an den Ecken des Turmes werden im HOEFNAGEL-Plan frühgotische Stilmerkmale angedeutet. W. BRAUNEIS u. R. PERGER (1977) nehmen eine Datierung des Turmes spätestens nach dem großen Stadtbrand von 1276 an, bei dem auch die Kirche beschädigt wurde. Einen 1887 aufgefundenen romanischen Löwen mit einem Widder in den Pranken deuten sie als Wasserspeier vom Turm und setzen ihn in die gleiche Zeit.

Da der Turm der Peterskirche ursprünglich frei vor der Fassade der Kirche stand, zumindest aber nicht unmittelbar mit dem Kirchengebäude verbunden war, kann er mit den typischen freistehenden Stadt- u. Kirchtürmen verglichen werden, wie sie in Hartberg/Stmk. od. Villach/Ktn. nachzuweisen sind. Auffallend ist dabei, daß sich St. Peter am Rande der ältesten mittelalterlichen Siedlungsfläche von Wien befand. Hier konnten auch mehrere Stadtmauertürme nachgewiesen werden, so daß der Kirchturm von St. Peter sicherlich eine Wartfunktion zu erfüllen hatte. Die Funktion als Wart- u. Stadtturm erlaubt meiner Meinung nach eine frühere Datierung als bei W. BRAUNEIS u. R. PERGER (1977). Der Friedhof von St. Peter wurde um 1200 den Schotten übergeben, 1269 aber verloren sie bereits das allgemeine Begräbnisrecht. Nach W. BRAUNEIS u. R. PERGER (1977) hat man noch vor 1289 das Friedhofsareal teilweise verbaut und die Grundherrschaft über die hier errichteten Häuser Jakob von Huy übertragen. 1382 wird ein Eiermarkt urkundlich erwähnt. Da über einen fast freistehenden Turm in einem Friedhof zumindest im österr. Raum nichts bekannt ist, kann der Turm - ohne Vorgängerbau - schon ab der 2. H. des 13. Jhdts. entstanden sein. Der Friedhof, dessen Reste noch bis ins 18. Jhdt. bestanden, müßte daher wesentlich verkleinert worden sein, um den Turm zu errichten.

 

2. St. Ruprecht: Hl. Rupert

Die Baugeschichte der vermutlich ältesten Pfarrkirche von Wien ist erst ab dem Hochmittelalter unumstritten. Die Kirche wurde 1924 von den barocken und neugotischen Veränderungen befreit und läßt seither ein im Kern romanisches einschiffiges Langhaus mit fast gleich breitem Polygonchor aus dem 4. V. d. 13. Jhdts. erkennen. An diesen Bau wurde in der ersten Hälfte des 15. Jhdts. ein südliches Seitenschiff mit Polygonchor angefügt und das Gewölbe im Chor erneuert. Die spätgotische Westempore trägt die Bezeichnung A E I 0 U 1439. Im Westen ist dem romanischen Kernbau ein mehrgeschossiger Westturm vorgestellt. Nach 8. LADENBAUER-OREL (1974), die das Umfeld der Kirche archäologisch untersuchte, folgt die der Überlieferung nach 740 gegründete Kirche mit ihrem aufgehenden Mauerwerk den Baufluchten der römischen Lagermauer bzw. der Siedlung Vindobona. Die Gruftanlage, in der älteren Literatur als römisch bezeichnet und zum ältesten Teil der Kirche gehörig, ist nach A. MAILLY (1927) und LADENBAUER-OREL (1974) zumindest barock und soll ein Ziegelgewölbe mit typischen Ziegelstempeln der Fa. Drasche (Ringstraßenzeit) zeigen. Die bei R. K. DONIN (1944) angeführten Römerziegel der X. Legion sind sekundär verwendetes Baumaterial. Die Lage der Gruft außerhalb des Langhauses spricht eindeutig gegen eine hochmittelalterliche Anlage.

Der Westturm ist als längsrechteckiger Fassadenturm der Kirche vorgestellt und leicht gegen N aus der Kirchenhauptachse verschoben. Ein schmaler Zugang in der N-O-Ecke des Turmerdgeschosses führt ins Langhaus. Bis 1924 bestand ein Durchgang im S, der anläßlich der Anbauten im 19. Jhdt. angelegt worden sein dürfte und heute vermauert bzw. von einer Pieta verstellt ist. Der nördl. Turmeingang stammt ebenfalls nicht aus dem Mittelalter. Der Westturm hatte daher in der Romanik höchstens einen Eingang vom Langhaus aus und war sonst nach außen geschlossen und an drei Seiten freistehend.

Die Außenansicht zeigt das fensterlose Erdgeschoß, im l. Stockwerk ein später ausgebrochenes Segmentbogenfenster an der W-Seite und ein quadratisches Fenster an der N-Seite. Im 2. Stockwerk des Turmes folgen im N u. S jeweils ein Biforenfenster mit Trennungssäulchen, im 3. Stockwerk an drei Seiten ähnliche Biforenfenster und im 4. Stockwerk gotische Spitzbogenfenster.

Das Mauerwerk des Turmes ist zur Zeit nicht in dem Maße zu beurteilen, wie dies R. K. DONIN (1944) und A. SCHMELLER (1951) tun konnten, da es stark von Efeu überwuchert wird und teilweise verputzt ist bzw. durch eine Nepomuk-Statue verstellt wird. Die folgende Beschreibung hält sich daher im wesentlichen an diese beiden Autoren. Das Mauerwerk hat unterschiedliche Struktur, die auf mehrere Bauphasen hindeutet. Im 5 sind am Turm drei Zonen zu unterscheiden: Die drei untersten Geschosse bestehen aus leicht quaderförmig behauenen Bruchsteinen, während das vierte Geschoß inklusive der Biforenfensterzone kleinteiliges Bruchstein-Mauerwerk aufzuweisen hat. Ab den zweiten Klangfenstern wurde Quadermauerwerk verwendet. Die N-Seite ist im untersten Geschoß in größeren Bruchsteinen und kleineren rundlichen Steinen ausgeführt und knapp über dem Bodenniveau zeigen sich ein Streifen Opus spicatum sowie einige Quadern. Das 2. und 3. Geschoß stimmen mit der S-Seite Überein. Nach A. SCHMELLER (1951) wirkt diese Seite sehr unregelmäßig und dürfte ausgebessert worden sein. R. K. DONIN (1944) beobachtete, daß "die Steine des Langhauses mit denen des Turmes nicht binden", während A. SCHMELLER (1951) die Annahme einer Baunaht für unwahrscheinlich hält, da an den sichtbaren Stellen des Langhauses über den Seitenschiffsgewölben die gleiche Mauerstruktur vorherrscht wie an den unteren Turmgeschossen. Soweit die N-Flanke des Turmes u. des Langhauses heute zu beurteilen sind, zeigt sich jedoch, daß DONINs Beobachtung zutreffend ist und die Steinlagen der Langhaus-N-W-Flanke nicht mit denen des Turmes übereinstimmen.

Am deutlichsten sind drei Bauphasen festzustellen:

l. der Turmunterbau bis zur ersten Biforengruppe,

2. das Geschoß mit der zweiten Biforengruppe und

3. das Glockengeschoß mit den gedrückten Spitzbogenfenstern.

Eine Analyse der beiden Biforengruppen und ihrer Trennungssäulchen durch A. SCHMELLER (1951) erbrachte eine Datierung des ersten Biforengeschosses in das Jahrzehnt um 1130/40 und der zweiten Biforengruppe um 1160/70. Der Westturm von St. Ruprecht hat daher mindestens drei mittelalterliche Phasen, wobei die erste ab 1130, die zweite ab 1160 und die dritte mit dem Chorneubau in der Gotik gleichzusetzen wäre. A. SCHMELLER (1951) hat den Versuch unternommen, durch Rückrechnung die Baumaße in Zoll für das ursprüngliche Maßkonzept der einzelnen Phasen zu ermitteln. Er kommt dabei zu dem Schluß, daß bei St. Ruprecht eine noch ältere Bauphase als 1130 vorhanden sein dürfte. Dies wird scheinbar durch den Baubefund des untersten Turmgeschosses mit dem Opus spicatum gestützt. Das Vorhandensein eines Opus spicatum wird in der älteren Literatur allgemein mit der römisch-karolingischen Tradition in Verbindung gebracht, doch haben neuere Forschungen erwiesen, daß diese Form der Steinsetzung mindestens noch bis ins Hochmittelalter beliebt war, wie ein Vergleich mit dem Mauerwerk der Wehrkirche von Maiersdorf/Nö bei K. KAFKA (1969) zeigt. Durch die Baufuge zwischen Turm und Langhaus ist die Zweiphasigkeit dieser beiden Bauteile nachgewiesen. Es kann jedoch von Seiten der Baukernanalyse derzeit nicht entschieden werden, ob das Langhaus einen älteren Turm umfängt, oder ob der Turm in ein älteres Langhaus (DEHIO 1960) datiert das Langhaus ins 11. Jhdt.) eingestellt wurde. Fest steht lediglich, daß um 1130 bereits ein Turm bestand.

R. K. DONIN (1944) beschreibt eine Beobachtung A. MAILLYs (1935), in der festgestellt wurde, daß im Geschoß über der Turmhalle eine Wölbung zu erkennen gewesen sei, welche die Verwendung des Turmes als Westchor (?) od. Oratorium belege. Heute befindet sich in Fortsetzung dieses Turmteils die spätgotische Empore, die noch zwei romanische Fenster mit originaler Bemalung aufzuweisen hat. Die romanische Kirche von St. Ruprecht kann daher als einschiffiger Saalraum mit unbestimmter Apsidenform und Westturm mit eingebauter romanischer Empore rekonstruiert werden.


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Literatur:


© studiolo 19.06.99 21:39