Das Bobath - Konzept
Bertha und Karel Bobath entwickelten, basierend auf den damaligen neurophysiologischen Erkenntnissen über
tonische Hirnstammreflexe, Stellreaktionen, Gleichgewichtsreaktionen
ihr Therapiekonzept zur Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Auffälligkeiten.
Das Ehepaar Dr. h. c. Berta Bobath (Physiotherapeutin, * 1907 Berlin - † 1991 London) und Dr. Karel Bobath (Neurologe und Psychiater, * 1906 Berlin - † 1991 London) begann Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts mit der Entwicklung seines Behandlungskonzeptes, das in den folgenden Jahrzehnten ständig erweitert und differenziert wurde. Ziel der Therapie ist die Differenzierung funktioneller Fähigkeiten, Erweiterung der Handlungskompetenz und größtmögliche Selbständigkeit im Lebensumfeld.
Im Mittelpunkt des Behandlungskonzeptes standen bisher die Begriffe Fazilitation und Inhibition, die, entsprechend neuerer neurophysiologischer Erkenntnisse über die Plastizität des Gehirns zu ersetzen waren. Die Gemeinsame Konferenz der Bobath-Therapeuten (G.K.B. e.V) formulierte 1997 in Augsburg folgende Leitidee zur Behandlung: "Therapeutische Maßnahmen zur Unterstützung der Eigenregulierung von Haltung und Bewegung" Diese Hilfen ermöglichen, dass das Kind seine Fähigkeiten und Kompetenzen entdecken, benutzen und weiterentwickeln kann, um sich mit seiner gegenständlichen Umwelt auseinandersetzen zu können und soziale Interaktion zu erfahren. In der Therapie werden Bedingungen so gestaltet, dass das Kind seine Intention umsetzen und seine individuelle Lösung zur Zielumsetzung finden kann. Mit diesem Lösungsweg werden gleichzeitig der Tonus und die Haltungskontrolle seinen individuellen Möglichkeiten entsprechend angepasst. Die drei grundlegenden Vorgehensweisen in der
Behandlung nach dem Bobath-Konzept im klassischen Sinne waren: - Tonusnormalisierung - Hemmung der pathologischen Bewegungsmuster - Anbahnung von physiologischen Bewegungen
(Fazilitation) Heute hat sich mit der ständigen
Weiterentwicklung des Konzeptes mehr eine Hilfe zur Eigenregulation,
als ein Schwerpunkt des miteinander- Handelns von Patient/Klient und
Therapeutin in der Zielsetzung ergeben. So soll z.B. das Kind für bedeutungsvolle
Handlungen in seinem individuellen Alltag weitest gehend selbständig
gemacht werden, oder nur mit geringstmöglicher Unterstützung durch
Hilfsmittel oder Betreuungspersonen diese Aktivitäten und
Anforderungen bewältigen können. Wie bei vielen anderen
Therapieformen/Behandlungsansätzen wird auch im Bobath-Konzept von
der Normalentwicklung beim nichtbehinderten Säugling/Kind
ausgegangen! Grobvoraussetzungen für die motorische
Entwicklung: 1. Normale Bewegungsmuster Stell- und
Gleichgewichtsreaktionen Isolierung von Bewegungen (Trennung von
Massenbewegungen) Überlagerung von frühkindlichen Bewegungsabfolgen 2. Normaler Muskeltonus in der jeweiligen Abstimmung zum Körperschwerpunkt
und dessen Stellung und Verhalten im Raum. 3. Koordination (und reziproke Innervation) zur dosiert/isolierten und ökonomischen Bewegung 4. Sensomotorische Rückmeldung über alle grundlegenden Bewegungsaktivitäten
und bedeutsamen Sinnesreizungen Daraus ergibt sich für die Behandlung
von zerebral bewegungsgestörten Kindern ...dass neben der Motorik, die Perzeption, die
Kognition und die Emotion durch geeignete Stimulation aufgebaut, gefördert
und verfügbar gemacht wird.
Es bedeutete die Fazilitation (fördern= bahnen) der physiologischen Haltung, Bewegung, Stell- und Gleichgewichtsreaktionen bei gleichzeitiger Inhibition (Hemmung) von pathologischen Reflexmustern und dem Hauptaugenmerk auf der Haltungskontrolle (Versuch der Normalisierung des Haltungstonus). Die sensomotorischen Lernprozesse in der Entwicklung sind die Leitlinie. Techniken sind hierbei Reflexhemmung und Fazilitation von Schlüssel- oder Kontrollpunkten aus. (proximale Punkte: Kopf, Wirbelsäule, Thorax, Schultern, Becken, Hüftgelenke distale Kontrollpunkte: an Händen und Füßen) Inhibition, also Hemmung, wurde (in Verbindung mit Fazilitation) dort eingesetzt, wo pathologisches Bewegungsverhalten Einschränkungen hervorruft. Neurophysiologisch bedeutet es das prä-oder postsynaptische Blockieren einer Erregungsübertragung. Blockierenden stereotypen spastischen Mustern wird entgegengewirkt, um sie aufzulösen und um die Weichen für automatische Reaktionen und eine größere aktive Beweglichkeit zu stellen. Gehemmt wird auch bei Blockaden einzelner benachbarter Körperabschnitte (Haltungs-/fixationen), bei denen das voneinander unabhängige Bewegen gegen die Schwerkraft verhindert wird. Hier ist der Haltetonus insuffizient und führt zur ungenügenden Rumpfstabilität. Stellreaktionen können sich nicht ausreichend entwickeln, Ausgleichsbewegungen (Kompensationen) sind die Folge. Wenn z.B. der Rumpf bei Hüftbeugung oder seitlicher Gewichtsverlagerung wegkippt und sich nicht über der veränderten Unterstützungsfläche aufrichten kann, so muß hier das Absinken gehemmt und dadurch die Aufrichtung angebahnt werden. Angesichts neuerer Erkenntnisse in der Neurophysiologie zur Selbstorganisation des Gehirns (Plastizität) erwies sich eine von aussen kommende Veränderung einer Pathologie zugunsten physiologischer automatischen Reaktionen und "normalen" Bewegungsmustern als nicht mehr hinreichend. Motorisches Lernen erfolgt auch bei hirngeschädigten Menschen fast ausschliesslich durch intendierte, möglichst von Motivation getragene Eigenaktivität = Selbstorganisation. Der Vorteil der Willkürbewegungen liegt in der dabei schon im Planungsstadium erfolgenden adäquaten Haltungskontrolle. So versucht das Kind auch unter den gegebenen erschwerten Bedingungen sinnerfüllte Lösungen zu finden. Also müssen Bedingungen geschaffen werden, die der Umsetzung der Intention des Kindes dienen und individuelle Lösungen finden lassen. Fazilitation, also Förderung, Bahnung zielt auf Bewegung und Haltung sowie Stell-, Stütz- und Gleichgewichtsreaktionen. So soll die Gewichtsverlagerung erleichtert, zugleich die Gewichtsübernahme gefördert werden, um aktive Aufrichtungsarbeit über jeweils veränderten Unterstützungsflächen zu ermöglichen. Die Aufrichtung der Wirbelsäule steht im Vordergrund, um Thoraxstabilisierung sowie Rumpf- und Kopfkontrolle zu erreichen und die Aufrichtung des Beckens vorzubereiten. Zur Entwicklung des Stützens und des Greifens ist die Rumpfstabilisation die Haltungsgrundlage, das mobile Sitzen wird vorbereitet. Die Rotation wird in der horizontalen Lage gebahnt mit dem Ziel der aktiven Drehung. Zunächst bahnen sich die Gleichgewichtsreaktionen über einer größeren Unterstützungsfläche an. Komplexe Funktionsleistungen werden durch die Aufrichtung in die Vertikale bei stabiler Haltungsanpassung gefördert. Fazilitation der Haltungsbewahrung und der Bewegungsabläufe ermöglicht dem Kind durch Wiederholungen Eigenerfahrungen seiner Beweglichkeit. Sie hat immer die Entfaltung der Eigenaktivität des Kindes im Auge und bedeutet die Zurücknahme therapeutischer Hilfestellungen in dem Maße der kindlichen Eigenaktivität. Lokale Stimulation zur Tonuserhöhung der nicht spastischen Bereiche mittels Druck/Zug zur Verbesserung der Tiefensensibilität, Widerstand zur Spastikreduktion in den Agonisten durch Tonusteigerung der Antagonisten, Placing als Haltearbeit gegen die Schwerkraft an den Extremitäten, Tapping zur Aktivitätssteigerung (inhibitorisch, Drucktapping, alternierend, Streichtapping). Taktile kutane Stimulation zur Verbesserung der Oberflächensensibilität (bürsten, reiben, drücken).
Handling ist Teil der neurophysiologischen Entwicklungstherapie nach Bobath. Insofern soll dem Kind das Gefühl für möglichst physiologische Haltungs und Bewegungsabläufe ermöglicht werden, so daß diese Abläufe dem Kind (Patient) vertraut werden und es sie für sich übernehmen kann. Ziel dabei ist das Ermöglichen von individuell bestmöglicher Selbstständigkeit im Handeln in bezug auf die dafür erforderlichen Haltungen und Bewegungen. Handling ist bei Säuglingen, Kindern aller Altersstufen und auch bei Jugendlichen und Erwachsenen möglich und im Sinne des Bobath-Konzepts als Teil und Ergänzung der Behandlung erforderlich, wenn neurologisch gestörte Motorik oder Entwicklungsverzögerungen vorliegen. Handling wurde ursprünglich für Patienten mit cerebralen Bewegungsstörungen entwickelt, läßt sich aber auch bei Patienten mit anderen neurologischen Problemen anwenden (z.B. Plexus-parese,spina bifida). Handling erfolgt unter Anwendung von Techniken zur Emöglichung von Tonusregulation und Bewegungsförderung – Facilitation, Situationsgestaltung und Einsatz von Hilfsmitteln. Diese therapeutischen Maßnahmen unterstützen in unterschiedlichen Kombinationen die individuellen Alltagshandlungen, die das Kind gestaltet. Ziel ist es dabei über das Gefühl für individuell bestmögliche Haltungs- und Bewegungsabläufe eine aktive Haltung und Bewegung zu ermöglichen und motorisches Lernen zu ermöglichen. Handling erfolgt grundsätzlich unter Beachtung der Interaktion zwischen Bezugsperson und Kind , der Wahrnehmungsfähigkeit des Kindes und der Bezugspersonen sowie deren Möglichkeiten am Therapieprozeß teilzunehmen. Handling ist am ehesten erfolgreich, wenn das Wohlbefinden des Kindes (Patienten) und seiner Bezugspersonen beachtet und auch längerfristig gewährleistet wird. Handling umfaßt u.a. folgende Situationen:
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Behandlungsansatz des Bobath-Konzeptes Der Leitgedanke der Therapie ist, optimale Bedingungen für die Entfaltung der sensomotorischen Kompetenz
des
betroffenen Kindes unter Berücksichtigung der geistigen, sozialen und
emotionalen Bereiche zu ermöglichen. Aufgabe
ist, günstige Voraussetzungen für sensomotorisches Lernen zu
ermöglichen.
Wesentliche Bestandteile hierbei sind, zentrale Wachheit und Aufmerksamkeit bei
den Betroffenen zu aktivieren. Dazu können beispielweise somato-
sensorische und vestibuläre Informationen, wie Berühren und Bewegen, aber auch
Anregungen im akustischen und optischen Bereich, sowie im Geruchs- und
Geschmacksbereich gezielt ausgewählt und angeboten werden. Schliesslich kann nur
durch eigenes Ausprobieren und variationsreiches Wiederholen im entsprechend
sinnvollen Kontext ein Prozess des handlungsorientierten und funktionellen
Lernens entstehen. Daher werden stets Alltagssituationen gewählt, die zum
Experimentieren und Entwickeln eigener Strategien besonders geeignet sind.
Handlungskompetenz kann sich immer dann entwickeln, wenn der betroffene Mensch Ziele
verfolgen kann, die für ihn selbst bedeutungsvoll sind. Die für das Erreichen
des Zieles benötigte Hilfen erhält er durch die Anwendung bestimmter therapeutischer
Techniken. Unter solchen Bedingungen kann optimale Eigenaktivität entstehen,
die bei Beachtung biomechanischer Gegebenheiten durch das entsprechende
therapeutische Angebot tonusregulierend wirkt. Verglichen mit anderen Therapiekonzepten existieren im Bobath-Konzept keine standardisierten Übungen, sondern im Mittelpunkt stehen individuelle und alltagsbezogene therapeutische Aktivitäten. Dies betrifft Bereiche wie Kommunikation, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, An- und Auskleiden, Fortbewegung, Spiel und Beschäftigung -beispielsweise zu Hause, im Kindergarten, in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit. Es ist die therapeutische Aufgabe, die spezifischen Erfordernisse möglichst gemeinsam mit dem betroffenen Menschen und den ihn betreuenden Bezugspersonen herauszufinden. Daraus resultiert zum einen die Vermittlung spezifischer »Anleitungen zum Handlig (Handhabung)« an die betreuenden Personen (Familienmitglieder, Begleitpersonen, Pflegepersonal, Lehrerinnen und Erzieher- innen), zum anderen die Anpassung des Umfeldes (Lagerungs-, Sitz-, Steh- und Fortbewegungshilfen sowie die Anpassung von Gebrauchsgegenständen) an die individuellen Bedürfnisse. Darüber hinaus dienen alle diese Maßnahmen dazu, körperliche Sekundärschäden wie Kontrakturen, Luxationen und Deformitäten zu verhindern, aber auch die Folgen im emotionalen und sozialen Bereich zu beeinflussen oder in Grenzen zu halten.
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Behandlungsziele des Bobath-Konzeptes
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Die komplexe Theorie und Therapie des Bobath-Konzepts und seiner neurophysiologischen Grundlagen sei hier noch einmal in einfache, kurze Merksätze gefaßt: 1. Spastizität CP bedeutet nicht "spastische Muskeln", sondern Muskelhypertonus (oder -hypotonus) aufgrund einer zerebralen Fehlregulation. 2.Tonussenkung Reflexhemmende Ausgangsstellungen sollen einen gesteigerten Muskeltonus senken. 3. Auslösung tonischer Reflexe An einigen wenigen Körperpunkten sind beim zerebralparetischen Kind besonders leicht Tonuserhöhungen (tonische Reflexaktivität) auszulösen. Eine Berührung dieser Areale (vor allem Fußballen, Nacken sowie Lippen und perioraler Bereich) sollte daher beim Umgang mit dem Kind nach Möglichkeit vermieden werden. 4. Tonussteigerung Tonussteigemde Maßnahmen können einen zu niedrigen Muskeltonus anheben - generell oder einzelne Muskelpartien betreffend (Tapping, Druck, Ko-Kontraktion). 5. Schlüsselpunkte Die Schlüsselpunkte (Kontrollpunkte) der Therapie liegen proximal, Kopf, Wirbelsäule, Thorax, Schultern, Becken, Hüftgelenke, die Spastizität tritt am deutlichsten distal in Erscheinung: Therapie manipuliert also proximal, der Therapieeffekt hingegen ist in anderen (distalen) Körperregionen zu erwarten. 6. Fazilitation Die Fazilitation von Schlüsselpunkten aus stellt ein dynamisches Konzept dar, das gleichzeitig die behindernden tonischen Reflexe hemmt und Bewegungen physiologisch richtig anbahnt. 7. Primäre/ Pathologische Bewegungsmuster Primäre Bewegungsmuster (früher als "primitive Muster" bezeichnet) bedeuten statomotorische Retardierung,eine deutliche Entwicklungsverzögerung gegenüber der Altersnorm (z.B. 10 Monate altes Kind bewegt sich wie ein 2 Monate altes). Als pathologische Bewegungsmuster werden solche außerhalb physiologischer Entwicklungsmuster bezeichnet (z.B. 10 Monate altes Kind weist ein Streckmuster der unteren Extremitäten auf, das zu keinem physiologischen Entwicklungsschritt paßt und norrnalerweise in keinem Lebensalter vorkommt). Primäre Muster (also die Entwicklungsverzögerung) können allerdings durchaus Vorläufer einer CP sein; eine deutliche Entwicklungsverzögerung im statomotorischen Bereich kann eine CP ankündigen. Daher Vorsicht mit der Diagnose "Spätentwickler". 8. Therapieplan Das Bobath-Konzept hält sich in seinem Therapieplan an die physiologische Reihenfolge, in der das Kind normalerweise statomotorische Leistungen erlernt. Daher ist etwa die Fazilitation des Gehens unsinnig, solange das Stadium des freien Sitzens noch nicht erreicht wurde. 9. Entwicklungsförderung Das Bobath-Konzept ermöglicht aufgrund seiner neurophysiologischen Basis auch die Förderung statomotorischer Leistungen bei reiner Entwicklungsverzögerung. So können etwa bei stark hypotonen Kindern ("floppy infant") ) oder bei Säuglingen nach langen schweren Erkrankungen Entwicklungsstufen in der Therapie nachvollzogen bzw. erarbeitet werden. Diese therapeutische Förderung führt oft zu erstaunlichem Aufholen der verzögerten Entwicklung des Kindes. Als Handling wird die Handhabung des zerebralparetischen Säuglings bezeichnet, die beim Füttern, Tragen, Baden, Wickeln, Umdrehen, Aufsetzen, An- und Ausziehen etc. Techniken anwendet, die aus dem Bobath-Konzept entwickelt wurden. Quelle: Michael Millner, Unikinderklinik Graz |
Eine Publikation über eine Zusammenschau Bobath-Konzept / Vojta-Therapie (im pdf-Format) |