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Warum haben Afroamerikaner ein besonderes Herz für Außerirdische? Weil sie in der weißen Mehrheitskultur selber Fremde sind, warten sie auf ein Raumschiff, das sie in bessere Welten beamt.
VON ANJA TIPPNER
Diedrich Diederichsen (Hrsg.): Loving the Alien. Science Fiction,
Diaspora, Multikultur. ID Verlag, Berlin 1999. 224 Seiten, 36,-
DM.
Vor einem Jahr tanzte in der Berliner Volksbühne ein Kongreß: "Loving the Alien" war eine Veranstaltung im Rhythmus von Free Jazz, HipHop und Drum 'n' Bass.
Die Geschichte, die damals so engagiert und musikalisch diskutiert wurde und die der vorliegende Reader dokumentiert, ist unter bundesrepublikanischen Verhältnissen fast schon wieder akademisch: Es geht um den Zusammenhang von schwarzer Alltagskultur, Rassismus und Science Fiction.
Die meisten Autoren des Bandes kommen, wie Kodwo Eshun und Paul Gilrou, aus dem angloamerikanischen Raum und sind ihrem Untersuchungsgegenstand damit kulturell auch näher.
Gleichwohl gilt Diederichsens ironische Frage "Müssen Ornithologen zwitschern?" auch für dieses Thema, und so dürfen die Deutschen mitswingen, auch wenn es hier weder nennenswerte afrikanische Alltagskultur, noch cultural studies und erst recht viel weniger UFOs gibt als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Ein Erich von Däniken und ein bißchen deutscher HipHop machen noch keinen Sommer.
Trotzdem, diese Art von Kulturwissenschaften und der Import solcher theoretischen Probleme sind nicht nur für jene interessant, die schwarze Musik hören.
Zudem erlaubt der Begriff des alien, des Fremden, die vielfältigsten Anschlüsse, denn der alien kann alles sein, "ein Türke, der außerirdische Gegner, eine Frau, das HIV-Virus, Objekt der Abwehr oder Identifikation" (Spex).
Der hier genauer in den Blick genommene Zusammenhang von Science
Fiction und afrikanischer Diaspora und Popkultur stellt sich über
zwei grundlegenden Identifizierungen her: die Parallele zwischen
dem Außerirdischen, dem alien, der keinen Platz hat in der
Kultur, in der er sich bewegt, und das Bild der Verschleppung
durch ein Raumschiff, das einen an einen anderen Ort und in eine
andere Zeit bringt.
Geschichten von der Entführung durch ein außerirdisches Raumschiff haben zur Zeit Konjunktur in Amerika - und nicht nur da.
30 Millionen Amerikaner glauben an Leben im All.
Für Afroamerikaner ist das Szenario vom Raumschiff, das kommt und einen - ungefragt - woanders hinbeamt, interessanterweise besonders attraktiv.
Das ist nachvollziehbar, schließlich "ähneln die UFO-Entführungen der diasporischen Urszene, der Verschleppung aus Afrika.
Dabei ist die UFO-Parallele nur eine von vielen mythisierenden oder metaphorischen Beschreibungen durchaus historischer Vorgänge aus der Geschichte der Kolonisierung", wie der Mitinitiator der Veranstaltung Diederich Diederichsen schreibt.
Die Fremden, die den Afrikaner entführen, machen ihn in seiner "neuen Heimat" zum Alien.
Die Identifizierung mit dem Alien eröffnet, wie Eshun schreibt, die Möglichkeit "eine außerirdische Perspektive einzunehmen", die zwar Rassismus und Feindseligkeit der angloamerikanischen Kultur nicht tilgt, wohl aber deren Transformation erlaubt.
Diese identifikatorische Relation zum Anderen, zum Alien, erklärt auch, warum in schwarzen Mythologien die monströse, unheimliche Seite des "Anderen" unrealisiert bleibt.
Im krassen Gegensatz zu Science Fiction-Filmen wie etwa den prototypischen ersten beiden Alien-Filmen von Ridley Scott: Sie akzentuieren genau diesen Aspekt des Fremden und verkörpern damit die dominante Strömung des Genres.
Die Gleichsetzung von Afroutopismus und Science Fiction, die manche der Beiträge postulieren, erscheint so zumindest problematisch.
Vielleicht begründet diese genre-typische, dem schwarzen Lebensgefühl widersprechende negative Besetzung des "Alien" das merkwürdige Fehlen schwarzer US-Amerikaner unter den großen SF-Autoren, auf das Mark Dery in seinem Beitrag hinweist.
Das utopische Moment der afroamerikanischen Verbindung von Science Fiction und konkreter historischer Erfahrung findet Ausdruck vor allem in den Legenden um die waterbabies, die Babys schwangerer, schwarzer Sklavinnen, die auf der Fahrt nach Amerika über Bord geworfen wurden, und die unterseeisch ein neues Geschlecht gründen.
Die Kluft zwischen denen, die die Sache ernst nehmen oder nahmen, wie Sun Ra oder George Clinton, und denen, die darüber philosophieren, ist in diesem Reader immer spürbar, wenn sie auch nicht ganz so offensichtlich ist, wie sie es auf der Bühne gewesen sein muß, als Sun Ras wiedergegründetes Arkestra in seinen Space-Komstümen auftrat.
Jemand wie Sun Ra literalisiert die Metapher, während sie von Diedrichsen und anderen weiter als Metapher betrachtet wird.
Wenn man aber in der Welt der UFOs und Aliens, der von Sirius und Saturn lebt, wird man wohl oder übel ein Teil von ihr, das führt Sun Ra deutlich vor Augen.
Man kann nicht lebenslang auf der Bühne und im Diskurs die These von der außerirdischen Herkunft der Schwarzen vertreten, ohne sie ernst zu nehmen.
Für die Theoretiker ist es meist doch "Blödsinn, der die Wahrheit sagt".
Einzig Skiz Fernando Jr., der nicht zufällig eher dem Lager der Praktiker als dem der Theoretiker zuzuschlagen ist, macht in seinem Statement deutlich, daß für ihn UFOs nicht nur eine Metapher sind, dann, wenn er sagt, die Beweise für den "Kontakt" mit Außerirdischen seien "beinahe überwältigend".
Tobias Nagl weist in seinem Essay berechtigterweise darauf hin,
daß die Beschäftigung schwarzer Künstler mit diesen
und anderen Aspekten der Astromythologie nicht nur eine politisch-utopische
Komponente hat, in der die negative Vergangenheit in einen positiven
Astrofuturismus umgeschaffen wird. Das "outta space" der schwarzen
Popkultur schafft immer auch einen exterritorialen Raum für
die Kunst, eine "Zone musikalischer Innovation und Imagination".
Das Wissen um Rassismus, Alterität und gesellschaftliche
Utopien, das sich in der Populärkultur von Afroamerikanern
findet und in diesen Zonen künstlerisch realisiert wird,
ist im Grunde genau das, was die amerikanische Philosophin Donna
Haraway "situiertes Wissen" nennt. Ein Wissen, das von der Partialität
des eigenen Standpunkts ausgeht, sich seiner Besonderheiten gewiß
ist. Auch wenn die Lektüre stellenweise durch den von Nagl
monierten "Popzwang", dem sich einige der Autoren unterwerfen,
leicht enervierend wirkt und gerade literarisch ambitionierte
Beiträge, wie der Renée Grens mitunter belanglos wirken,
bleibt der Reader als Ganzes anregend, überraschend und zukunftsweisend.
Space is the place - wo sich über Neues nachdenken läßt.
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