Nikolaj Frobenius
- "Der Anatom"
ISBN: 3-630-86875-0
Klappentext:
Wo im Hirn sitzen Eifersucht, Schlauheit, Liebe zu den Vorgesetzten
und vor allem das Schmerzempfinden?
Der junge Latour, durch eine Laune der Natur ohne Gefühl für den Schmerz
geboren, ist von solchen Fragen geradezu besessen.
Im revolutionären Paris, der Stadt der Ausschweifungen, der Aufklärung
und der Macht, geht er beim berühmtesten Anatom seiner Zeit in die Lehre,
wird Diener de Sades und schließlich zum Mörder:
Er braucht Köpfe, die er sezieren kann. - Frobenius` Roman erzählt die
"unerhörte Begebenheit" nach allen Regeln der Kunst: als Geschichte
vom alten Menschheitstraum, die Geheimnisse der Natur vollständig zu
enträtseln.
Inhalt:
Latour ist das Ergebnis einer Vergewaltigung. Trotzdem wird er von seiner
Mutter Bou-Bou über alles geliebt. Nur wirklich klar kommt sie mit ihrem
Sohn nicht, da er kein Schmerzempfinden hat. So ist eine Bestrafung
nicht wirklich einfach.
Latour entwickelt sich in der Schule zu einem Musterschüler. Besonders
die Anatomie hat es ihm angetan.
Als Bou-Bou unerwartet verstirbt, wird Latour aufgrund eines fehlenden
Testaments, um sein Erbe gebracht. Und das Bisschen, was er erbt, hat
er bei leichten Mädchen schnell verbrasst.
Zusammen mit einem dieser Mädchen geht Latour nach Paris. Dort will
er seine Mutter rächen. Er hat eine Liste mit Namen von Geschäftspartnern
gefunden. Er glaubt, diese Personen sind schuld am Tod seiner Mutter.
Latour wird aufgrund seines anatomischen Forscherdrangs zum Mörder.
Er braucht ja schließlich Köpfe zum sezieren.
Latour ist nur noch als "der Anatom" bekannt. Die Gendarmerie sucht
verzweifelt nach ihm.
Ob sie ihn finden, verrate ich nicht. Vielleicht will es ja noch jemand
lesen. Wäre ja blöd, wenn man das Ende dann schon kennt.
Leseprobe:
... Ich erfülle meine Pflichten hier mit Fleiß. Die Frau des Hauses
ist streng, sie spricht mit strenger Stimme, ist klein und verkrampft
und ihr Gesicht ein einziger Vorwurf. Ich habe sie bereits durchschaut.
Ihr sind die Leiden der anderen gleichgültig, doch für ihre eigenen
Schmerzen verlangt sie jedes Mitgefühl. Der Rücken, die Hüften, ein
leichtes Kopfweh. Jede Woche eine neue Krankheit. Ich glaube, sie hat
sich in ihren Schwiegersohn verliebt, "einen Mann der Kavallerie". Sie
umkreist ihn ständig, und manchmal lacht sie sogar. Und er ist Madame
gegenüber äußerst aufmerksam, macht ihr Komplimente, flirtet. Ich befürchte
freilich, dass das mehr als ein Spiel ist. Der Marquis hat Lust auf
sie.
Dabei ist sie besessen vom Wert der Familie, der Tugend, der Macht,
vom Nutzen des Geldes, dem Liebreiz ihrer Töchter, und wie ihre Floskeln
sonst noch alle heißen. Aber der Welt gegenüber hat sie sich verschlossen,
und sie hat Angst vor der Stille in ihrem Kopf. Und manchmal sieht sie
mich an mit einem blick, dass ich Angst bekomme, sie könnte wissen,
was ich über sie denke. Gestern nacht habe ich ihren Kopf gezeichnet.
Mein Herr ist ein Tyrann. Er befehligt seine Frau, der Mann von der
Kavallerie. Aber Madame de Sade beklagt sich nicht. Renee ist eine gutherzige
Frau, aber je gütiger sie ist, desto boshafter wird er. Oh, wie er es
liebt, sie zu quälen, immer ein bisschen und nie zu viel. Und sie klammert
sich an diese Züchtigungen wie andere an die Vernunft. Jede Sekunde
des Tages wartet sie auf diesen kleinen, boshaften Stich, der ihr seine
Liebe beweist. Sie ist wehmütig, und sie liebt ihre Wehmut. Ich weiß
genau, was sie denkt. Alles, was sie will, ist, ihr Ohr auf die Brust
ihres Mannes zu legen und an die Geheimnisse ihrer Liebe zu denken.
Rührend. Ich möchte sie umarmen und ihr Geicht streicheln, wenn er sie
so tyrannisiert. Doch jedes Mal, wenn ich glaube, jetzt übertreibt er
es, jetzt hat Madam genug, gleich wird sich ihr rundes Geicht in Tränen
auflösen, zieht er sie an sich, streicht ihr über den Körper und flüstert
seine Liebesbezeugungen. ...
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