Rede
an der
gehalten von O. Heine
Wenn ich, aufgefordert von den Nächststehenden, an dem Sarge unseres entschlafenen Freundes das Wort ergreife, so weiss ich, dass unter den Anwesenden vielleicht ältere Freunde sind, die mit ihm die süssen Erinnerungen der Schule und Universität teilen, und sicherlich vermögen andere seine grossen wissenschaftlichen Leistungen gründlicher zu beurteilen als ich. Aber das nehme ich für mich in Anspruch, dass keiner - ich sehe von den Angehörigen selbst ab - ihm ein treueres und liebevolleres Andenken bewahrt. Ja ich schätze es unter die besonders glücklichen Fügungen meines Lebens, dass ich ihm in Breslau habe nahe treten und den anregenden Verkehr teils in der Sommerfrische in Ilmenau, teils hier in Berlin habe fortsetzen können.
Der Lebensgang unseres Traube ist Ihnen allen bekannt. Am 12. Februar 1826 zu Ratibor geboren als Sohn eines Weinkaufmannes, bestand er bereits im sechszehnten Lebensjahre die Abiturientenprüfung und hatte sich durch sein wissenschaftliches Streben so die Teilnahme seiner Lehrer erworben, dass sie ihm den philologischen Studien zuführen wollten. Sicherlich hätte er auch auf diesem Gebiete Hervorragendes geleistet, aber die eigne Neigung, verstärkt durch das Beispiel des älteren Bruders, der bereits mit Erfolg der Medizin oblag, führte ihn zum Studium der Naturwissenschaft. Er begab sich nach Giessen, wo Liebig's glänzender Stern damals eine grosse Zahl strebsamer Jünglinge zusammengerufen hatte, von denen viele selbst später zu Leuchten ihrer Wissenschaft wurden. Es war eine schöne Zeit, die Traube dort verlebte, und gern erzählte er davon, verband ihn doch bis in das Alter hinein von jenen Tagen enge Freundschaft mit Männern wie Rühle, Poleck, Pettenkofer, Trautschold, Schwarz, und neben den ernstesten wissenschaftlichen Studien fanden die Jünglinge noch Zeit zu fröhlichem Lebensgenuss, den sie durch gemeinsame Pflege der Sangeskunst veredelten.
Von dessen ging er nach Berlin, wo er 1847 auf eine Arbeit über Chromverbindungen promoviert wurde. Er dachte damals daran, seine chemischen Kenntnisse praktisch zu verwerten und war deshalb eine Zeitlang in einer grossen Färberei thätig. Doch bestimmte ihn sein Bruder Ludwig, zu den medizinischen Studien überzutreten, denen er nun ein paar Semester mit solchem Erfolge oblag, dass er durch seine wissenschaftlichen Leistungen die Aufmerksamkeit seiner Lehrer, besonders des Professors Magnus erregte. Da griff mit einem Male gewaltsam das Geschick in seinen Lebensgang ein. Ein Bruder, der in dem väterlichen Weingeschäft in Ratibor thätig und zu dessen Erbe bestimmt war, starb plötzlich, und der Vater, anhänglich an sein Geschäft, das er begründet und durch jahrelange Arbeit in die Höhe gebracht hatte, verlangte, dass Moritz nach Ratibor zurückkehre und in die Stelle des Bruders trete.
Widerstrebend gehorchte er dem Willen des Vaters. Aber nun entwickelte er eine wunderbare Kraft und Elastizität des Geistes. Dass Kaufleute, namentlich einer Grossstadt, neben ihrem Geschäft zugleich an wissenschaftlichen Interessen teilnehmend sich erfreuen, kommt oft vor, dass hier an der Grenze Deutschlands ein Mann zugleich sein Weingeschäft durch Energie, Geschick, Solidität leitet, vergrössert, weit über die Provinz hinaus rühmlich bekannt macht, und zugleich durch die Resultate seiner wissenschaftlichen Forschung die Augen aller Fachgenossen auf sich zieht, möchte wohl einzig dastehen, und mit Kopfschütteln mögen die Ratiborer den Mann betrachtet haben, der Interessen verfolgte, von denen sie keine Ahnung hatten. Dazu kam, dass seine Studien sich nicht, wie das doch sonst meist der Fall ist, bei Leuten, die die Wissenschaft nicht als einzige Aufgabe pflegen, auf einen speziellen Zweig beschränkten; sie umfassten die Medizin, Physik, Chemie, Botanik, Physiologie, und immer betrieb er sie so, dass er die höchsten Probleme der Naturwissenschaft im Auge behielt. Schon seine erste grössere Arbeit über die Bildung der Hefenkeime erregte allgemeines Aufsehen und verwickelte ihn in manche litterarische Fehde. Aber vor allem seine Entdeckung der anorganischen Zellen und die Untersuchung über die Niederschlagsmembranen und Bildung der Zellenhaut ist nicht nur für die Botanik und Pflanzenphysiologie Epoche machend, sie ist in neuester Zeit der Ausgangspunkt für die Lösung der brennendsten Fragen auf dem Gebiete der physikalischen Chemie geworden. Und fast nicht minder bedeutend sind die Arbeiten über die Atmung der Pflanzen, über die Beziehungen zwischen Respiration und Muskelthätigkeit, über das Aufwärtswachsen der Pflanzen.
Traube empfand es wohl oft drückend, in Ratibor keine wissenschaftliche Anregung durch mündlichen Verkehr zu haben, auch keiner Korporation anzugehören, was ihm seine Arbeiten erleichtert, ihren Resultaten eine schnellere Verbreitung gesichert hätte. Aber wenn auch diese Umstände ihn bewogen, später seinen Wohnsitz nach Breslau zu verlegen und dann der bewährten Kraft seines Schwiegersohnes das Geschäft zu übergeben, so hemmte sie doch in keiner Weise seine Schaffensfreude und seinen Arbeiten fehlte auch nicht die verdiente Anerkennung. Die Universität Halle kreierte ihn zum Ehrendoktor der Medizin, die Berliner Akademie machte ihn 1886 zum korrespondierenden Mitgliede, eine hohe Auszeichnung, über die er sich mit Recht freute.
Unermüdlich, selbst bei gebrochenen Körperkräften, als ihm das Arbeiten im Laboratorium schon grosse Schwierigkeiten machte, setzte er seine Arbeiten fort. Als ob er noch lange leben sollte, fasste sein rastloser Geist immer neue Entwürfe, und er beklagte nur, dass ihm zur Ausarbeitung die Kräfte fehlten.
Fragen wir nach dem Grundzug seines Wesens: Er bestand in einer kindlichen Reinheit und Lauterkeit des Herzens. Von Anwendung niederer Mittel zur Erreichung eines Zweckes, von jeder Kleinlichkeit im Verkehr war er weit entfernt. Eine Kränkung nachzutragen, an gehässiger Nachrede Gefallen zu finden, lag seiner Seele fern. Das Solide und Wahrhafte, was man oft bei tüchtigen Kaufleuten findet, beherrschte wie sein wissenschaftliches Streben, so sein ganzes Leben; eine ruhige Besonnenheit des Urteils zeichnete ihn aus. Diese bewährte er, als ihn jahrelang das Vertrauen seiner Mitbürger in Breslau zum Stadtverordneten gewählt hatte, diese zeigte er auch in politischen Fragen, sie verliess ihn selbst nicht, als in Breslau die antisemitische Bewegung hässlich störend in die gesellschaftlichen Beziehungen eingriff. Auch im Disput über die dunkelsten und tiefsten Fragen des Lebens wusste er auf abweichende Ansichten versöhnlich einzugehen.
Trübes ist auch ihm im Leben nicht erspart geblieben, jahrelang wurde er von Schlaflosigkeit, körperlicher Schwäche und dem Gefühle, das nicht schaffen zu können, was er sich vorgenommen hatte, geplagt. Und doch preisen wir ihn glücklich, fand er doch sein Glück in der Arbeit, im Genuss von Natur und Musik, dem Verkehr mit Freunden, vor allem in einem liebereichen, glücklichen Familienleben. Mit unermüdlicher Sorgfalt pflegte ihn die von ihm mit gleicher Zärtlichkeit wieder geliebte Gattin. Welche Freude fand er an dem Gedeihen und den Erfolgen der Söhne, wie lebte er mit in dem Glücke der Töchter, deren Kindheit sich ihm in Enkeln erneute.
So tritt uns sein Bild tröstend entgegen, wenn wir hier gramerfüllt an seiner Bahre stehen. Und die Heilung unseres Kummers wollen wir nicht erst von der alllindernden Zeit erwarten; im voraus wollen wir sie nehmen, der eine aus der Religion, die ihn alles Geschehende als den Ausfluss der Weisheit und Güte Gottes auffassen lässt, der andere aus der Wissenschaft, die ihn lehrt, dass wir alle nach ehernen, ewigen, grossen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden müssen, wieder andere vielleicht aus der Kunst, die die Widersprüche und Dissonanzen des Lebens in schöne Harmonie auflöst; und das Mittel wird für jeden das passende sein, das für ihn am wirksamsten ist. Aber was uns der Entschlafene war, das werden wir jeder in treuem Andenken bewahren.
So bleibt er uns, auch nachdem er geschieden ist. Denn immer wird er uns vor Augen stehen, als ein geistig hochbedeutender Mann und - was schwerer wiegt - als ein guter, Liebe spendender und Liebe empfangender Mensch.