Geboren
am Montag, 30. Mai 1910 in Berlin
Volksschauspielerin und "Mutter Courage" des deutschen
Fernsehens: Inge Meysel
In mehr als hundert Filmrollen, überwiegend TV-Produktionen, ist
Deutschlands populärste Volksschausspielerin geschlüpft. Von der
Salondame über die Putzfrau bis hin zur hinterhältigen Mörderin ist
alles dabeigewesen. Aber welche Figur wird nachhaltig in unserer
Erinnerung bleiben? Die unverbesserliche Käthe Scholz!
Wir sehen eine kleine Frau in Kittelschürze, die in einer schlichten
Wohnung das Regiment führt. Sie kämpft mit den Tränen und dem Alltag,
aber sie weint nicht. Sie ballt die Fäuste, denn sie ist eine Kämpfernatur
mit großem Herz, großen Kulleraugen und - großer Klappe. Inge Meysel
spielt die Mutter der TV-Serie "Die Unverbesserlichen". Von
1965 bis 1971 läuft immer eine Folge; im Ersten natürlich, für alle,
unverschlüsselt, zur Prime Time, ohne Werbung und stets am Muttertag.
Das geht dem Stärksten unter die Haut. Und diese Bemutterung bleibt
nicht folgenlos, wir erleben die Geburt der "Mutter der
Nation".
"Dieses Bild wird bleiben", heißt es schon aus anderer Feder,
"eine deutsche Mutter in Kittelschürze, aber kein Heimchen am
Herd, eher eine Tigerin". So wie im richtigen Leben, wo die Meysel
selbst auf ihre alten Tage ungern ein Blatt vor den Mund nimmt und die
couragierte kleine Frau gibt, die sich nicht unterbuttern lässt. 1991,
Jahre vor dem Umzug nach Hamburg im September 1999 noch ganz die
Berlinerin, schreibt sie ihre Biografie "Frei heraus - mein
Leben".
Das begann vor nunmehr bereits über 90 Jahren als Tochter des jüdischen
Kaufmanns Julius Meysel und seiner Frau Margarete Hansen, einer Dänin.
Die dreijährige Inge spielt in der Oper "Hänsel und Gretel"
einen Engel, die Vierjährige erhält Ballettunterricht, die 16-Jährige
bekommt die Hauptrolle im Schultheater. Scheint es da nicht konsequent,
dass die 17-jährige Inge Meysel sich mit gefälschter Unterschrift vor
dem Abi drückt und sich statt Schule Schauspielunterricht verordnet?
Ilka Grüning und Lucie Höflich, eine der besten deutschen
Schauspielerinnen damals, sind ihre Lehrer - Beginn einer
Theaterkarriere in Zwickau (Debüt 1930), in Berlin und Leipzig.
Dann machen die Nazis ihre Pläne zunichte. Weil ihr Vater Jude ist, erhält
Inge Meysel 1935 Berufsverbot. Sie zieht nach Hamburg und heiratet 1945
in erster Ehe ihren langjährigen Lebenspartner Helmut "Hell"
Rudolph, von dem sie sich 1942 auf Geheiß der Nazis trennen musste. Als
die Nazis besiegt sind, ist Inge Meysel schon 35 Jahre alt. Sie nimmt
ihren zweiten Karriereanlauf, der Anfang/Mitte der 60er Jahre mit dem
Fernsehen groß in Fahrt kommt.
Inge Meysel spielt alles Mögliche, nicht nur Mütter, auch zwiespältige
oder unsympathische Charaktere. In zahlreichen Filmen und Serien wie
"Im sechsten Stock", "Ida Rogalski", "Gertrud
Stanitzki", "Stadtpark", "Polizeiruf 110" und
zuletzt in den "Heimatgeschichten", stellt sie immer wieder
ihre Fähigkeiten unter Beweis. In einem ihrer letzten TV-Filme,
"Das vergessene Leben" (1997), überzeugt sie in der Rolle als
geistig verwirrte Greisin Sophia so nachhaltig, dass ihr zwei Tage nach
der Erstausstrahlung im Januar 1999 der Goldene Gong verliehen wird.
Den Grundstein ihrer TV-Karriere aber hat Inge Meysel mit dem
Curth-Flatow/Horst-Pillau-Drama und -TV-Spiel "Das Fenster zum
Flur" (1960, als Portiersfrau Mutter Wiesner), den
"Unverbesserlichen" und weiteren Serien in den 70ern und 80ern
wie "Ida Rogalski" oder "Mrs. Harris" gelegt (in der
Rolle der Reinemacherfrau Ada Harris, die die große weite Welt erlebt).
Filme mit Inge Meysel: "Großstadtnacht" (1932), "Liebe
47" (1949), "Schatten der Nacht" (1950), "Meine
Nichte Susanne" (1950), "Der Fall Rabanser" (1950),
"Taxi Kitty" (1950), "Die Dubarry" (1951),
"Sensation in San Remo" (1951), "Kommen Sie am
Ersten" (1951), "Unter den tausend Laternen" (1952),
"Tanzende Sterne" (1952), "Des Teufels General"
(1954), "Ein Mann muß nicht immer schön sein" (1956),
"Dr. Crippen lebt" (1957), "Immer die Radfahrer"
(1958), "Bobby Dodd greift ein" (1959), "Skandal um
Peggy" (1958), "Rosen für den Staatsanwalt" (1959,
Kino), "Im sechsten Stock" (1959), "Neues aus dem
sechsten Stock" (1959), "Schau heimwärts, Engel" (1961),
"Liebe verboten - Heiraten erlaubt" (1959), "Als geheilt
entlassen" (1960), "Madame Sans-Gêne" (1960, mit ),
"Ihr schönster Tag" (1961), "Blond muß man sein auf
Capri" (1961), "Der Biberpelz" (1962), "Tivoli"
(1963), "Der Stadtpark" (1963), "Ein Frauenarzt klagt
an" (1964), "Die eigenen vier Wände" (1965), "Palme
im Rosengarten" (1967), "Weh' dem, der erbt" (1969),
"Die Ratten" (1969), "Muttertag" (1975),
"Endstation Paradies" (1977), Kinderfilm "Der rote
Strumpf" (1980), "Frau Juliane Winkler" (1983), "Das
Geschenk" (1984), "Selbstbedienung" (1984), "Wie war
das damals" (1985), "Die kluge Witwe" (1985),
"Grenzenloses Himmelblau" (1985), "Vertrauen gegen
Vertrauen" (1986), "Die Erbschaft" (1987), "Kein
pflegeleichter Fall" (1990), "Innige Feindschaft" (1991,
mit Hildegard Knef), "Taxi nach Rathenow" (1991), "Schlußabrechnung"
(1993), "Großmutters Courage" (1994), "Glück auf
Kredit" (1995), "Babuschka" (1995), "Guppies zum
Tee" (1997), "Tatort - Blaues Blut" (1999), "Die
blauen und die grauen Tage" (1999), "Die Liebenden vom
Alexanderplatz" (2001).
|