Perfect Blue

Hardcorefans des asiatischen Filmes behaupten ja immer wieder gerne, dass, sollte denn mal etwas nie dagewesenes im westlichen Kino, speziell Hollywood, erscheinen, Asien dessen Innovationsbombe trotzdem längst um Meilen vorraus ist. Speziell Animes, die besonders in Japan eine mit Realfilmen durchaus gleichzusetzende Popularität besitzen, gelten oft als Vorreiter für den ein oder anderen Science Fiction- oder Fantasyauswuchs. Was allerdings, wenn die Möglichkeiten des Animes, das Unmögliche möglich zu machen, mit westlichen Sehgewohnheiten vermischt werden, und daraus ein Psychothriller entsteht, der für die einen so gut wie jedem weiteren Genrebeitrag überlegen ist, für die anderen aber nur ein völlig überladener Versuch, einen Realfilm im Animegewand zu inszinieren? Auf alle Fälle etwas ungewöhnliches.

Pate für den Titel „Perfect Blue“ stand die sogenannte „Blue Box“, welche verwendet wird, um reale Schauspieler in künstlich generierte Hintergründe einzufügen. Übertragen auf den Film bedeutet das ein loses Ineinandergehen von Traum und Wirklichkeit, die Illusion ist perfekt und der Zuschauer bemerkt davon rein gar nichts – eine Thematik, derer sich später auch David Lynch in seinem desillusionierenden Thriller „Mulholland Drive“ teilweise annahm. Übertrieben konsequent lässt Satoshi Kon die Story dann auch diesem Konzept folgen und belässt es dann auch nicht dabei, sich lediglich auf die Identitätskrise des Hauptcharakters Mima zu konzentrieren. Das Problem von Perfect Blue ist dann letztendlich auch der eigentliche Kniff der Story, denn während man es dabei belässt, Mima als einzige Identifikationsfigur zu sehen, prasselt parallel dazu noch mindestens eine weitere gespaltene Wahrnehmung, derer sich der Film ebenfalls durch Visionen und / oder Traumsequenzen annimmt, auf den Zuschauer ein, wobei die eigentliche Perspektive nach wie vor auf Mima gerichtet bleibt. Der eigentliche Reiz der Geschichte besteht nun darin, wie durch diesen überaus geschickt konstruierten Bogen Traum und Realität völlig nahtlos vermischen und man selbst schnell daran verzweifeln kann, dem Geschehen folgen zu können und dies ist beim ersten Mal anschauen durchaus anstrengend. Wirklich blöde ist dann nämlich, dass, lässt man sich auf diesen Psychostrudel nicht ein, der Ausgang der Geschichte schnell erraten ist und der Film einem dann eben als lediglich völlig überladener und gewöhnlicher Thriller vorkommt, dabei sind die zahlreichen Twists der Handlungen eigentlich so überzeugend, dass es, zumindest theoretisch, fast unmöglich ist, die Auflösung vorherzusagen, allerdings muss man diese eben auch verstehen. Tut man dies, entfaltet sich Perfect Blue nämlich, ähnlich wie sein Handlungsgerüst, als faszinierender, intelligenter Genremix, der eigentlich nur oberflächlich ein „Wer ist der Mörder“-Thriller ist, anfangs allerdings ein wenig zu lose damit umgeht. So beginnt das Ganze fast knallbunt und reichlich zynisch als Satire auf den völlig überreizten Markt für Popidole, speziell in Japan, und wie krankhaft fanatisch Einige ihre Idole bereits anhimmeln und sie auch als persönlichkeitslose Spielzeuge sehen. (Interessant dazu beispielsweise die Szene zu Beginn, während der Mi-Maniac Mima auf der Bühne so beobachtet, als würde sie wie eine Puppe auf seiner Hand tanzen). Perfect Blue entwickelt sich darauf mehr und mehr zu einem Identitätsdrama.
Schade zwar, dass außer Mima keine Figur wirklich interessant bzw. ohne Klischees durchleuchtet wird, doch reicht eigentlich bereits ihre eigene Darstellung aus, um den überzeugenden, wie schmerzhaften Zerfall eines Menschen im Showbizz aufzuzeigen. Um ihre eigene Entscheidung das Singen aufgegeben zu haben um Schauspielerin zu werden für sich selbst zu rechtfertigen, nimmt sie einiges in Kauf, was sie selbst insgeheim zwar ebenso wie ihre Ratgeberin Rumi für moralisch verwerflich hält und eigentlich auch völlig gegen ihren eigentlichen Willen geschehen lässt, sie aber auf der Karierreleiter steil nach oben gehen lässt. Nach außen hin stark, zermürbt sie innerlich immermehr, was irgendwann schwer nach gespaltener Persönlichkeit aussieht. Geschickt dann auch der Clou, dass sich die Serie, in welcher Mima mitspielt, sich auch ebenfalls mit dem Thema gespaltener Persönlichkeiten beschäftigt und dabei noch weitere Verwirrung dadurch stifftet, indem der Serienplot mit der Realität vermischt wird. Dass dann am Ende natürlich nicht alles so ist, wie es scheint, ist klar, allerdings begeht man glücklicherweise auch nicht den Fehler, durch die Auflösung, wer denn nun der Mörder ist, Mimas Realitätsverlust als Finte darzustellen. Zwar hat er den Zuschauer in die Irre geführt, im Nachhinein existent bleibt er aber trotzdem, so dass man es sich zum Glück verkniffen hat, diese hochkomplexe Charakterstudie lediglich als Mittel zum Zweck für eine komplizierte Handlung zu verwenden. Ärgerlich allerdings, dass der viel zu versöhnende Schluss eigentlich ganz was anderes zeigt. Die Bösen sind besiegt und Mima hat ihre Identitätskrise überwunden, doch wieso, bleibt leider reichlich offen. Mit ihrem inneren Zerfall und der Entscheidung, Moral und Würde für die Filmkarierre zu verkaufen, hat die Killerhatz, außer dass ihr (wirklicher) Doppelgänger mit ihrer eigenen, eingebildeten Erscheinung der Pop-Mima vermischt und dadurch der paranoide Unterboden verstärkt wird, eher wenig zu tun. „Kein Zweifel, ich bin es wirklich.“, sagt Mima lächelnd zu sich selbst, aber sind die Strapazen des Filmbiz wirklich abgehakt? Perfect Blue lässt diesen, eigentlich viel zu interessanten Aspekt der Handlung, einfach ins Leere laufen.

So richtig schlimm ist das dann aber auch nicht, zumindest nicht, wenn man sich bei Perfect Blue auch darauf einlässt, dass dieser mehr als nur ein verwirrender Massenmörderthriller ist, denn dafür bietet der Film unter seiner dreifachen Verschachtelung einfach eine viel zu komplexe und interessante Charakterstudie und ist darüber hinaus noch ein erfolgreiches Experiment, die komplexe Handlung nicht nur für die Verwirrung auszunutzen, sondern tatsächlich überzeugend Wahrheit und Lüge, Realität und Traum, ohne dass man es bemerken würde, ineinander übergehen zu lassen. Darüber hinaus gibt es für die Gorefreunde dann auch noch die ein oder andere, wirklich blutige Szene (wahnsinnig brutal z.B. die Eispickelszene mit dem Fotographen), schön kühl und emotionslos insziniert und dann ist das Ganze mit 75 Minuten Laufzeit auch äußerst straff erzählt und bietet kaum mal eine Verschnaufpause, ohne allerdings jemals überladen zu wirken.

Zu Beginn geht Perfect Blue nicht straff genug mit seinem Genremix um und das Ende ist leider ziemlich bitter (enttäuschend), dafür gibt es Abzüge, trotzdem ist das Ergebnis beachtlich und die Genialität der Handlung ist nicht zu bestreiten. Kein Meisterwerk, aber Kult auf jeden Fall und mit beachtlichem Wiederguckwert. Dafür 8 von 10 Punkten.

Originaltitel Perfect Blue
Erscheinungsjahr 1997
Genre Anime / Thriller
Regisseur Satoshi Kon
Darsteller/Sprecher Junko Iwao, Rica Matsumoto, Shinpachi Tsuji, Masaaki Ôkura
Altersfreigabe FSK 16
Endbewertung 8,0 / 10
durchschnittliche OFDB-Wertung 7,9 / 10
durchschnittliche IMDB-Wertung 7,4 / 10