Ein Schulhaus auf der
anderen Seite: Ein anderes Leben
Es ist zwölf Uhr. Ein
Montag wie jeder andere für die Schüler im Schulhaus Ämtler (Wiedikon). Die
Schulglocke hat geläutet und die Kinder gehen in den Mittag. Die Sonne scheint und
niemand scheint gestresst zu sein. Nach wenigen Minuten ist es still auf dem
Schulhof. Ein Lehrer kommt mir entgegen und grüsst mich höflich. Als ich ihn
anspreche und frage, ob er kurz Zeit habe, wird er nicht wütend, oder geht
einfach weiter, sondern lädt mich in das Lehrerzimmer ein, in dem wir ein Wenig
über die Schule und die Schüler sprechen können.
In
diesem Schulkreis gibt es keine Sek A, B und C, sondern G und eine E Klasse.
In
der einen die Sekniveauschüler, in der anderen die Real- oder Oberschulschüler.
In Mathematik und Deutsch werden diese aber gemischt. So kann jemand der gut in
Mathe, sonst aber überall nicht so gut ist, Mathe doch auf dem Sekniveau mit
Sekschülern machen. Die Probleme der Schüler seien aber auch andere als die in
einer Privatschule. So geht es da den wenigsten um eine Karriere, sondern um
das Überleben, eine Lehre zu bekommen, die Wohnung bezahlen zu können oder
nicht wieder aus der Schweiz hinaus gehen zu müssen.
Nachdem
der Lehrer mir das Schulsystem ein wenig erklärt hat, möchte er doch auch noch
etwas essen gehen. Ich solle mich aber am Nachmittag eine Stunde mit seinen
Schülern unterhalten. Ich dürfe sie befragen, müsse aber auch über mein
Schulhaus, ein privates Gymnasium, Auskunft geben. Am Mittag wird es erst richtig
warm auf dem steinernen Schulhof, ich gehe also auch etwas essen. Im Gegensatz
zu uns, die eine Stunde Mittag haben und in der Stadt essen, haben die Schüler eineinhalb Stunden
Mittagspause und gehen nach Hause essen.
Um
eins kommen die ersten Schüler wieder auf den Pausenplatz, den Basketballplatz
oder die grosse Wiese neben dem Schulhaus. Ich möchte möglichst wenig Zeit
verlieren und beginne gleich die ersten Schüler zu befragen. Da ich aber, wenn
möglich nicht nur die normalen, sondern eben den/die grossen Aussenseiter/in
oder den/die Beliebteste/n suche, frage ich ein Mädchen, das alleine an der
Wand des Schulhauses steht und
vielleicht auf jemanden wartet, wer dies ihrer Meinung nach sei. Sie weist mich auf ein Mädchen hin. Sie heisse Nicole* und
sei sehr beliebt, vor allem bei den Knaben. Gerade geht sie über den Schulhof,
verschwindet dann wieder hinter einer Häuserecke. Ich gehe ihr nach, überhole
sie, bleibe vor ihr stehen und frage, ob sie einen Moment Zeit habe, mir einige
Fragen zu beantworten und mit mir ein wenig zu reden. Ich verstehe, dass sie
beliebt ist, denn sie sieht gut aus, spricht mit mir, einem absolut fremden und
will auf eine Parkbank sitzen und dort
reden.
BILD1
Es
ist eine Kreuzung, auf der beinahe keine Autos fahren, sehr sonnig ist und doch
etwas Natur, einen Baum und Blumen um sich hat und auf der einen Seite eben
diese Bank.
Sie
erzählt mir, dass sie gerne zur Schule kommt, da sie da alle ihre Kolleginnen
trifft und nur so vielleicht einmal eine Mittelschule besuchen kann. Zum
privaten Gymnasium findet sie nur:
“
Die, die Geld haben, sollen es sich leisten. Sie sollen aber nicht glauben,
dass sie mit Geld mehr wert sind als ohne. Sie sollten mal ihren Pass zu Hause
lassen, kein Geld mitnehmen und schauen, wie lange sie ohne Identität und Geld
leben können.“ Die Stimmung ist wie am Meer, an einem leeren Strand. Ich bin
fertig mit meinem ersten Interview, finde es aber schade, mich schon
verabschieden zu müssen. Ein Freund von ihr geht gerade an uns vorbei. Sie muss
noch etwas für die Schule erledigen und geht mit ihm zusammen weg.
Ich
habe gleich nachher meinen Termin, in der dritten Klasse. Der Pausenplatz ist
jetzt voll, zwischen durch befrage ich noch einige Schüler über ihre Gedanken,
bis die Schulglocke die Mittagspause zu ende läutet.
Ich
gehe also in diese Klasse, der Lehrer übergibt mir das Wort. Die Schüler setzen
sich auf ein Sofa, dass im Klassenzimmer steht. Die Stimmung ist beinahe
familiär. Ich stelle mich kurz vor, möchte dann aber mit einigen einzeln
sprechen. Der Lehrer ist einverstanden, beginnt mit seinem Unterricht und
schickt ein Schüler nach dem anderen zu mir nach draussen, um da in Ruhe
sprechen zu können.
Die
Stunde geht schnell um, das Fazit: Die meisten Mädchen finden die Schule wichtig,
möchten ihre Ausbildung nach der dritten Klasse auch mit der Kaufmännischen,
einer Berufsmittelschule oder einer Lehre fortsetzen, die meisten Knaben kommen
nicht gerne zur Schule. Es gibt Aussenseiter, aber beinahe alle kommen mit
allen gut aus. Die meisten finden ein privates Gymnasium Luxus und können sich
die Dimensionen der Kosten schon gar nicht vorstellen. Eins sind sich
eigentlich alle einig: “Menschen mit Geld haben nicht mehr wert, als solche
ohne Geld“, einen Besuch im Freien Gymnasium würden aber alle gern einmal
machen.
Schon
ist die Stunde zu Ende und die Schule ist für einige fertig, für andere gibt es
noch einmal ein bis zwei Stunden. Am Abend werden sie vielleicht mit Freunden
abmachen, aber hauptsächlich Bewerbungen für eine Lehre schreiben und lernen.
Ich
verabschiede mich und verspreche noch, ihnen eine Kopie der Reportage zu geben,
wenn sie fertig ist. Irgendwie ist es schade, schon gehen zu müssen.
BILD2
Ich verlasse den lehren Pausenplatz und mache
mich ans schreiben. Ich werde mich immer an diese Begegnungen erinnern können,
an Alex*, den „Aussenseiter“, der als beinahe einziger Knabe an seine Zukunft
und an ein Gymnasium denkt, an Nicole* und ihr Gespräch und an den Lehrer, der
mir eigentlich eine Stunde seines Unterrichtes geschenkt hat. Diese Stimmung,
diese vielen Kindern, aus vielen verschiedenen Nationen, die Freundschaft zwischen diesen Jugendlichen, der Wille, die
eigenen Probleme zu bewältigen und die
Freude am Dasein. Vielleicht müsste es dies in allen Schulhäusern geben, dann
gäbe es vielleicht doch ein anderes Leben.
Text und Fotos: Manolo
Huber
(*Namen wurden vom
Autor abgeändert)
(Das ist die Onlineversion.
Originalversion (Zeitung) zu bestellen bei Manolo Huber)
(In der Originalversion
sind sowohl Bilder, als auch Spalten enthalten.)