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Camino - der Anfang 2002




26. Mai



Flug von München hoch über Toulouse und Zaragossa nach Madrid. Schade, dass nur Wolken aus dem Flugzeugfenster zu sehen sind. Ich treffe Pilar in Madrid und weiter ging´s mit dem Flugzeug nach Pamplona und durch das Fenster konnten wir viele Windmühlen entlang der Bergrücken erkennen - zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir am nächsten Tag dort oben stehen werden.

Regen in Pamplona. Ich war nicht sehr gut vorbereitet auf diese Art von Wetter in Spanien. Die Frau am Informationsschalter starrte uns ungläubig an, als Pilar erklärte, wir wollen zu Fuß in die Stadt: "Es gibt da nur die Autobahn. Sie müssen ein Taxi nehmen..."

Vor dem Flughafengebäude trafen wir eine andere Frau, Monika. Schon am Flughafen in München haben wir uns beäugt... Wir beschlossen, uns ein Taxi zu teilen, aber es war keins da. Pilar bat den Fahrer eines besetzten Taxis, ein anderes zu rufen. Es kam auch eins und niemand sprach darüber, wo wir hinfahren wollten, der Fahrer fuhr einfach zielstrebig drauf los. Als die Umgebung mehr und mehr ländlich wurde, fragte Pilar nach und er meinte, sein Kollege hätte gesagt, wir wollen in eine weiter entfernte Stadt. Er war wohl ziemlich sauer, aufgeregte spanische Diskussionen, ein wütender Anruf beim Kollegen während der Rückfahrt nach Pamplona und er wollte 20 Euro. Wir zahlten 14 und Pilar erklärte ihm, dass das (mehr als?) genug sei...er schimpfte und murrte und zog von dannen - was für ein Start in unsere Reise!

In einem Nebengebäude einer Kirche fanden wir die Herberge für die Pilger, "Albergue" auf Spanisch. Wir schulterten unsere Rucksäcke und marschierten zur Tür : COMPLETELY FULL .. Und jetzt?
Wir beschlossen die nächsten 5 km zum nächsten Dorf noch heute zu laufen, dort sollte eine weitere Herberge sein und die sehr lange Etappe für morgen wäre auch etwas kürzer. Aber zuerst mussten wir noch den Stempel aus Pamplona für unseren Pilgerpass abholen - ein wichtiges Requisit, ohne Pilgerpass und Stempel gibt es kein Quartier in den Herbergen. Also, treppauf, samt Gepäck die steile enge Treppe hoch. Der "Herbergsvater" (noch reichlich jung) erzählte uns, dass das Refugio in Cizur Menor auch bereits überfüllt sei, es würde keinen Sinn machen jetzt dort hinzugehen. Er schlug uns vor, eine billige Pension zu suchen und beschrieb uns den Weg. Himmel! Das fängt ja gut an... Wir machten uns auf die Suche. Hässliche Umgebung und hässliches Haus, aber was soll´s! Ein Bett für eine Nacht...30 Euro für ein schmales Zimmer zu dritt. Monika vom Flughafen hat sich uns angeschlossen. Ein altes dreckiges Badezimmer im Gang für alle. Es regnete immer noch, aber wir nutzten den Abend, um uns etwas in Pamplona umzuschauen, Postkarten zu kaufen und abzuschicken und unsere morgige Marschroute auszukundschaften.

Mitten in der Stadt war ein wunderschöner Park angelegt, umsäumt von alten Stadtmauern, großzügige Grünflächen und riesige Bäume. Wir hörten ständig laute durchdringende Schreie und tatsächlich: mehrere mächtige Bäume voll von Pfauen. Und das erste Mal in unserem Leben sahen wir einen Pfau in freier Natur fliegen, ein atemberaubender Anblick. Es wurde dunkel, gedämpftes Licht von altertümlichen Strassenlaternen.

In fast jedem Buch über den Jakobsweg wird erwähnt, dass man sich nach einem Wanderstock umschauen sollte. Sowohl als Stütze, als auch zur eventuellen Verteidigung gegen wilde Hunde und Schlangen. Es gibt die merkwürdigsten Geschichten über Pilger und ihre Stöcke, eine Verbundenheit zwischen der Stütze und dem Mensch nach einem langen gemeinsamen Weg.... niemals hätte ich erwartet einen passenden Stock zu finden. Bei diesen Mengen an Pilgern die hier durchziehen, woher sollen die Stöcke für so viele Menschen kommen? Natürlich wurden überall Wanderstöcke verkauft, aus Holz und gemäß dem technischen Fortschritt - aus Metall. Aber das schien irgendwie nicht richtig... Als wir in der Dunkelheit durch den Park wanderten und gerade die Pfaue entdeckten, zwang mich etwas, mich umzudrehen und - da lag ein Stock abseits des Weges auf einer halb von Bäumen verdeckten Mauer. Als ob er auf mich gewartet hätte! Ein magischer Moment... ich versprach dem Stock, dass ich ihn soweit nur möglich auf dem Weg Richtung Santiago mitnehmen werde. In wessen Hand war er wohl zuvor? Wer hat ihn auf der Mauer abgelegt? Warum hatte ich gerade in diesem Moment das Gefühl, mich umdrehen zu müssen? Wo kommst du her, Stock? Warum finde ich dich mitten in der Stadt und nicht irgendwo am Wegesrand? Und ausgerechnet in diesem Moment mit den Pfauen. Jedenfalls - er war nicht einfach zu handhaben, aber wir lernten uns kennen und miteinander umzugehen und am Ende waren wir ein perfektes Team.


Monika wartete in der Pension schon auf uns und war erstaunt mich mit dem Stock zu sehen, ungläubig hörte sie mir zu.
Die Nacht war entsetzlich. Es war fürchterlich kalt und ich schlief mit langen Hosen, T-Shirt, Pullover und Wollmütze in meinem Schlafsack, zugedeckt mit Wolldecken von der Pension.

27. Mai



Um fünf Uhr morgens war meine Nacht zu Ende. Meine Güte! Lautes, schweres Plätschern von draussen, es muss in Strömen giessen. Frustriert zog ich mir die Decke wieder über den Kopf, aber ich konnte nicht mehr einschlafen. Viel zu aufregend war die Aussicht auf den heutigen Tag, also nichts wie los! Ich stand auf und schaute aus dem Fenster... was als Regenguss gefürchtet war, stellte sich als Brunnengeplätscher heraus.

Am liebsten wäre ich gleich losgestürmt, aber Monika und Pilar schliefen noch und wir mussten auch noch auf unsere Pässe warten. Normalerweise müssen die Herbergen bis ca. 8 Uhr verlassen werden, aber hier in der Pension interessiert das natürlich keinen. Ich befürchtete schon das Schlimmste und stellte mich auf eine längere Wartezeit ein, aber die Zwei wurden doch bald munter.

Monika erzählte, dass sie den gesamten Weg in 26 Tagen gehen will und ich glaube, dass sie froh war, jetzt nicht gleich alleine losziehen zu müssen. Bis wir alle fertig waren und nach einem kleinen Frühstück in einer Cafeteria war es bereits 9.30 Uhr, reichlich spät. Der Weg war gut ausgeschildert, eine gelbe, stilisierte Muschel auf blauem Grund oder ein gelber Pfeil führten die Pilger. Wir verliessen die Stadt und es lagen Felder, Hügel und Berge vor uns. Wir fühlten uns...enthusiastisch. Ja! Jetzt! Wir sind auf dem Weg....


Wir ließen die Felder hinter uns, einige kleine Dörfer, trafen andere Pilger, zwei Männer aus Kalifornien; nach einem kurzen Schwätzchen lassen sie uns hinter sich ;-))

Da entdecken wir auch wieder die Windmühlen auf den Bergrücken und der Weg führt uns aufwärts, aufwärts, aufwärts... Pilars Handtuch, zum Trocknen über dem Rucksack aufgehängt, fällt in den einzigen Hundehaufen weit und breit... Inzwischen war es fürchterlich heiss und ich bekam all das Fett um mich herum sehr zu spüren. Und meine mangelnde Kondition.

Nach einigen Stunden fühlte ich mich völlig ausgebrannt. Stillstehen am Wegesrand, zurückschauen. Pamplona war weit weg, ein erfreulicher Anblick. Das war die erste Lektion fürs Leben, die mich das Gehen lehrte: wenn einem die Energie ausgeht, das Ziel so weit weg scheint, dann tut es gut, sich einmal umzudrehen und zu schauen, was man schon alles erreicht hat. Raus aus dem Gras und weiter geht´s! Eine kleine gelbe Blume hat sich am Ende meines Stockes festgehakt... danke lieber Stock, danke liebe Blume. Wir erreichten den Gipfel und - surprise! Ein Mann aus England campierte dort oben mit seinem Wohnmobil und schenkte Kaffee und Kekse gegen einen Obolus an die vorbeiziehenden Pilger aus. Ein paar Minuten Pause... Viele Pilgerer und Wanderer zogen vorbei und der Engländer erzählte uns, dass eine Schulklasse mit 58 Schülern auf dem Weg zu unserem Nachtquartier war. Er schlug uns vor, eine andere Herberge etwas abseits des Weges aufzusuchen.


Ein Franzose erklomm den Gipfel und wartete auf eine Frau. Sie blieb lange Zeit aus und der Engländer marschierte los, um nach ihr zu schauen. Als er mit ihr im Schlepptau zurückkam, war die Französin dermaßen erledigt, dass der englische Gentlemen ihr Kaffee, Milch und Zucker zum Stuhl brachte und auch noch den Löffel nahm, um eigenhändig in ihrer Tasse umzurühren ;-)) Einige Tage später sollten wir diese Frau wieder treffen, es war Nicole aus Frankreich.
Wir stiegen auf der Anderen Seite des Berges hinab (mein Stab - noch nie war er so wertvoll wie heute) und durchquerten über mehrere Stunden eine wunderbare Landschaft. Grüne Kornfelder, roter Mohn und viele Mandelbäume säumten unseren Weg.


In einer der nächsten Ortschaften verliessen wir den gekennzeichneten Weg um Eunate zu erreichen, die Kirche und das Refugio, dass uns der Engländer empfohlen hatte. Dieses letzte Stück für den heutigen Tag mussten wir auf der Asphaltstrasse zurücklegen. Müde, schmerzender Rücken, schmerzende Beine, schmerzende Füße. Gegen 7 Uhr erreichten wir die Kirche. Ein wunderschönes kleines Gemäuer mit 8 Ecken und Fenstern aus feinem Marmor. Monika und Pilar traten ein. Ich auch, aber nur für einen kurzen Augenblick. Ab zur Herberge, Pass stempeln vor der Tür und anklopfen...

Eine kleine Glocke läutete und ein Mann machte auf. "Spain, English, German?", "Whatever you want", " I need a bed", "Come in". Ich war so erschöpft, dass ich ihm fast entgegenfiel, als ich die Stufe hinabstieg. Er nahm meinen Rucksack und schimpfte: " Das ist viel zu schwer für dich, ich werde mir das nachher mal anschauen" Er führte mich in einen hohen Raum mit einem großen Tisch und Kochecke und gab mir etwas zu trinken. Jan aus Holland.

Wir unterhielten uns, ich schlief fast am Tisch ein, und bald darauf kamen Pilar und Monika, anscheinend hatten sie mich schon gesucht. Jans Frau war im Dorf und kam zurück mit Kartoffeln, Bohnen und Salat. Gemüse, dass ihr die Dorfbewohner als Geschenk für die Pilger mitgegeben haben.Marie Luz war gebürtige Venezuelerin und die Beiden führten diese Herberge seit einem halben Jahr. Als Willkommensgruß für die Pilger hatten sie sich etwas besonderes ausgedacht: sie wuschen uns die Füße!

Wir spürten, dass hier ein besonderer Ort ist. Jan half mir den Rucksack raufzutragen. Ein einziger großer Schlafsaal, Matratzen am Boden, in der Ecke hat sich schon ein Engländer niedergelassen. Ich legte mich eine Weile hin, meine Füße waren in einem schlimmen Zustand. Jan: "Girl! You are just one day on the road!" Es war ein Stein in meinem Schuh, den ich nicht bemerkt hatte, Blut, Blasen. Für die Herberge hatte ich noch ein paar Schuhe dabei, aber es war unmöglich sie anzuziehen.

Pilar hatte noch die Energie, Monika und drei italienische Frauen zu Gymnastik und Stretching anzustiften, unglaublich! Marie Luz lies uns zum gemeinsamen Abendessen rufen und ich wäre am liebsten liegen geblieben. Aber wie konnte ich diese lieben Leute so vor den Kopf stossen? Sie baten uns, nach dem Essen mit ihnen gemeinsam in die kleine Kirche zu gehen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in Socken zur Kirche ging... Als bekannt wurde, dass ich Mutter von 4 Kindern bin, wurde ich von der gemeinschaftlichen Hausarbeit befreit. Jan nahm mich bei der Hand: "Ich will dir etwas zeigen". Er führte mich aus dem Haus und wir bestaunten die hinter den Hügeln versinkende Sonne und das zauberhafte Farbenspiel am Himmel. Es wurden Kerzen ausgeteilt und wir zogen zur Kirche.

Marie Luz sang und alle Anwesenden lasen ein Gebet in ihrer jeweiligen Muttersprache vor. Die Herbergsmutter las zum Abschluss die einzelnen Namen vor und bat um Schutz für die Pilger. Zurück in der Herberge erzählte uns Marie Luz die Geschichte ihres Lebensweges, der sie hierher geführt hatte:

Jan war Ingenieur in Holland mit sehr gutem Einkommen, großzügiger Wohnung und vielen exklusiven Dingen darin. Marie Luz war gläubig, "a believer", und sie hörte von diesem Weg nach Santiago de Compostella. Und wollte unbedingt dahin, aus spirituellen Gründen. Ihr Ehemann nahm das nicht so ernst, obwohl sie immer wieder davon sprach. Eines Abends, Silvester, erklärte sie ihm unmissverständlich, dass sie im neuen Jahr diesen Weg gehen wird. Und Jan antwortete: "Gib mir 3 Wochen Zeit, ich gehe mit". Und sie gingen. Von Holland aus. Es passierten eigentümliche Dinge und sie erfuhren viel Hilfe, Unterstützung, Liebe von den Menschen unterwegs. Jan meinte ständig: "Alles Zufall!" Aber im Verlauf der Tage, der Wochen wuchs wohl auch bei ihm die Überzeugung,. dass eine andere Kraft hinter all diesen Ereignissen stecken muss. Als sie in Compostella ankamen, erkannten sie, dass sie ihr Leben in den Niederlanden nicht mehr wie bisher weiterleben wollten und konnten. Zurück in Holland kündigte Jan seinen Job, sie verkauften alles, das gesamte Hab und Gut, sogar die Kleidung und spendeten ihr ganzes Geld and eine Organisation für den Weg nach Santiago - den camino.

Die beiden haben zwei Kinder um die 20, mit einem staatlichen Stipendium studieren sie weiterhin in den Niederlanden. Natürlich können sie von den Eltern keine Unterstützung mehr erwarten und sie jobben nebenbei. Marie Luz erklärte, dass die Kinder mit der Entscheidung einverstanden waren, sonst wären sie diesen Weg nicht gegangen. Jan und Marie Luz kamen zurück nach Spanien und hospitierten in verschiedenen Herbergen, bevor sie das Angebot bekamen dieses Gebäude von Eunate zu renovieren, als Herberge einzurichten und zu leiten. Jetzt haben sie einen einzigen Privatraum, die restlichen Einrichtungen werden mit den Pilgern geteilt, Badezimmer, Küche, Garten. In jedem Refugio muss man eine Gebühr für die Übernachtung entrichten, aber nicht in Eunate. Sie leben von den Spenden: Kleidung, Essen, Geld, von dem weiter renoviert wird.

Ich ging zu Bett mit Tränen in den Augen, wir waren alle beeindruckt von der Liebe, die die Zwei ausströmten und ich glaube keiner von uns wird diese Nacht vergessen. Besonders der englische Pilger:"Das erste Mal, dass ich mit 6 Frauen in einem Zimmer schlafe" ;-))



Fortsetzung folgt....

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