Nur geträumt …
Die Hitze brennt auf dem Asphalt, mit staubigen
Schuhen, hungrig und müde trottet der kleine Junge nach Hause
…
Endlich ist die Siedlung von Ferne zu sehen …„“kein
Bock auf Schule, am liebsten eine riesige Portion Eis“ denkt
er so bei sich, während er der Blechdose vor sich auf der
Erde einen gehörigen Tritt verpasst.
Zu Hause angekommen, wird der Rucksack in die Ecke katapultiert
und der zweite Weg führt zum Kühlschrank … nur
noch trinken!
Auf dem Tisch liegt ein Zettel von der Mutter …
“ich muss kurz weg, Besorgungen machen, das Essen steht
auf dem Herd,
muss nur noch aufgewärmt werden! Bin in zwei Stunden wieder
da, umarme Dich, Mama …“
Die Luft war auch in der sonst so kühlen Wohnung drückend,
der Junge nahm sich einen Teller aus dem Schrank und füllte
ihn mit einer kleinen Portion des Essens, was ihn überhaupt
nicht anturnte…. “jetzt in der Badeanstalt sein“
waren seine Gedanken…
Da jedoch am anderen Morgen eine Mathe-Arbeit anstand, musste
er hierfür dringend etwas tun, ob er wollte oder nicht.
Er stopfte sich lustlos einige Happen in den Mund und räumte
dann den Tisch wieder ab, die Hitze wurde immer drückender
und lähmte seine Gedanken. Die Luft war schwefelgelb und
weit hinten türmten sich schwarze Wolken immer mehr aufeinander.
Das große Rechenheft vor sich, den Stift in der Hand, saß
er da und döste so vor sich hin…
Plötzlich ein leises Summen aus der Richtung des Kofferradios,
nanu, das war doch eben gar nicht an? Und wenn schon, was kümmerte
es ihn, er rührte sich nicht, kein Bock auf nichts, auf einfach
gar nichts!!!
Die Musik wurde lauter, die Kaffeemaschine wackelte bedenklich
– sie war schon gefüllt mit Kaffeemehl, damit Mutter
sie nur noch starten brauchte, wenn sie nach Hause kam! Plötzlich
kippte sie um, das Kaffeemehl mit dem Filter rutschte auf den
Boden! Der Junge packte sich in das blonde Haar – “was
ist denn hier los?“ Wütend sprang er vom Stuhl, zog
unwillig den Handfeger und die Schaufel aus dem Schrank und kehrte
den Dreck beiseite “und nachher war es wieder ich“
meckerte er wütend in der Gegend herum.
Aber kaum hatte er den Stuhl wieder erreicht,
klapperten
im Schrank die Töpfe, laut, lauter…die Türen sprangen
auf und sie hüpften heraus Dem Jungen traten nun doch die
Schweißperlen auf die Stirn, “so was gibt’s
ja gar nicht“ brüllte er laut, um seine heimliche Angst
damit zu übertönen. Er polterte die Töpfe wütend
wieder zurück in den Schrank. Erschöpft nahm er sich
ein Glas Limo und trank es in einem Zuge leer.
Es dauerte jedoch nicht lange und es klapperte wieder hinter ihm,
beim Umdrehen erschrak er, die Schubladen waren aufgesprungen
und alle Löffel, Gabel und Messer sprangen heraus und tanzten
und polterten im Takt der Musik auf der Erde herum. Verängstigt
blieb er nun auf seinem Stuhl, zog die Beine hoch und starrte
auf die Erde “was soll das“ schrie er nun –
wenn doch Mama nur bald käme, aber wenn sie käme, wie
sollte er das alles erklären? Das ist ja eine Heidenarbeit,
das ganze Zeugs wieder einzusortieren!
“Ich rühr mich einfach nicht mehr“ dachte er.
Doch noch ehe er das zu Ende gedacht hatte, fingen die bemalten
Kacheln an der Küchenwand im Takt zu wippen, “meine
Güte, die hat doch Mama bemalt, wenn die runterfallen, gehen
sie in hundert Stücke!“ Seine blauen Augen füllen
sich nun mit Tränen, sein blondes Haar klebte verschwitzt
in seinem Nacken! Und huii – flogen auch schon zwei der
Kacheln auf den Tisch, kaputt, er nahm die Scherben und versuchte
zu sehen, wie sie zusammenpassten …. eine dicke Träne
rollte nun über seine Wange. Die Küche ist verhext,
aber so was gibt es doch gar nicht, eigentlich doch nur in Mama’
s Geschichten … mutig stand er auf und ging zur Wand, hielt
die Kacheln an und schrie, “nun ist Ruhe im Karton, oder
es passiert was!“
Klar, es passierte wieder etwas. Die Teekanne
mit
dem roten Tee wackelte im Takt und schon bald schlabberte der
Tee aus ihrer Schnute heraus auf den Tisch, über die Tischdecke
und lief langsam in die Schulhefte und Bücher, die über
den Tisch verteilt waren …. es schien so, als grinste ihn
alles an, die Teekanne, die Kaffeemaschine, sogar die weiße
Küchenuhr oben vor ihm an der Wand …
Die Musik wurde lauter und lauter und sein Kopf dröhnte.
Wenn das so weiterging, würde bald der Nachbar klingeln,
der ohnehin keine Kinder mochte, das hatte er schon deutlich zu
spüren bekommen, wenn er mit seiner Lieblingsmusik das Getöse
eines herannahenden Zuges draußen vor dem Haus, hinter der
großen Wiese am Bahngleis, übertönen wollte!
Nun sprangen auch die Gewürzgläschen von dem schmalen
Regal, das über der Sitzecke an der Wand angebracht war!
Pfeffer, Salz, Paprika, Oregano und Thymian sowie das olle Basilikum,
das er nicht mochte, wälzten sich im Takt über den Tisch,
die leichten Deckelchen gingen ab und das ganze Zeug streute sich
über seine Schulhefte, die bereits aufgeweicht, leichte Wellen
zeigten durch das Bad mit dem roten Tee. Das war zuviel …
Ein greller Blitz zuckte auf und gleich darauf entlud sich ein
ohrenbetäubender Donnerhall. Er erschrak, hob den Kopf, der
auf seinen Armen ruhte und blickte verstört in der Küche
umher….er war eingeschlafen!
Alles schien in Ordnung zu sein in der Küche, er hatte nur
geträumt! Vorsichtig schielte er nach oben, zu der weißen
Küchenuhr, es schien, als schaute sie ihn hämisch an
und wollte sagen *Vorsichtig Junge, das machen wir bald wieder
und Du kannst gar nichts tun!*
Dann hörte er den Schlüssel im Schloss und Mutter kam
herein. Es raschelte hinter ihm auf der Anrichte und sie zauberte
ein dickes Eis für ihn hervor ….
Er aber war froh, ganz in Ruhe seine Schulaufgaben erledigen zu
können. Nie zuvor hatte er ruhiger und ohne Murren seine
Aufgaben gemacht. Unbemerkt strich er mit der Hand über das
glatte Papier seines Rechenheftes.
Nach einem prüfenden Blick nach oben zur Küchenuhr -
erschien es ihm so, als grinste sie noch immer ...
Ela Steiner