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Ela
 

Meine unvergessene Weihnacht 1953

Es ist der 24. Dezember 1953, es ist kalt aber weit und breit kein Schnee zu sehen.
Wochenlang war es ein Werkeln und Hämmern hinter der verschlossenen Wohnzimmertüre, wie jedes Jahr. Leider durften wir nicht mehr ins Wohnzimmer hinein. Auch ein Blick durch das Schlüsselloch wurde verhindert, da von innen was über der Türklinke hing. Wir lagen nachts mehr wach, als wir schliefen und erzählten uns unsere erdachten Geschichten, die endlos waren, bis es heftig an der Tür klopfte und die Eltern *Ruhe riefen, wollt ihr wohl schlafen?!* Wir hatten Mühe, uns in der Adventzeit so brav, wie es eben ging, zu benehmen, denn das schien wohl Eindruck auf den Weihnachtsmann zu machen. Unsere Wunschzettel waren geschrieben und auf der Fensterbank in der Küche platziert. Anderntags waren sie bereits abgeholt.
Mein Bruder und ich hatten auch unsere gebastelten Geschenke für die Eltern aus der Schule bereits sorgsam verpackt, unsere Gedichte auswendig gelernt und natürlich etwas auf der Blockflöte einstudiert. Als Überraschung für die Eltern studierten wir ein kleines Krippenspiel mit der großen Schwester ein. Auch beim Backen wurde kräftig mitgeholfen und natürlich auch genascht!
Nun aber war es soweit, ich war gerade 8 Jahre und mein Bruder 9 und wir standen auf der Straße, es war stille und kein Mensch weit und breit zu sehen. Alle Eltern hatten ja die Hände voll zu tun, dem Weihnachtsmann ein wenig beizustehen und beim Schmücken des Weihnachtsbaumes kräftig mitzuhelfen. Schon bald dämmerte es, und die hohen dunklen gegenüberliegenden Häuserblocks kamen uns heute besonders düster vor, wenn da nicht hier und da schon glitzernde Lichter und Kugeln sowie Baumspitzen durch die Fenster geleuchtet hätten. Wir aber mussten noch eine Weile draußen bleiben, da das Christkind und die Eltern wohl soviel in der Wohnung zu tun hatten, dass wir mächtig störten.
Wir gingen gerade eine Runde um den Block und fragten uns, was der Weihnachtsmann uns wohl gebracht haben könnte, als uns eine dunkle Stimme ansprach. Wir schauten erschrocken hinter uns. Ein Polizist mit dem damals üblichen schwarzen Helm meinte freundlich "na, was macht Ihr denn an *Heilig Abend noch hier draußen?" Wir antworteten wie aus der Pistole geschossen "wir dürfen noch nicht hoch, das Christkind ist gerade da"! "Ach so, ja verstehe", meinte er lächelnd "na dann kommt doch mal mit auf die Wache"! Zwei Häuserblocks weiter betraten wir ängstlich die Polizeiwache. Dort saßen noch mehrere Polizisten, die alle Bereitschaftsdienst hatten. Vor ihnen auf einem Tisch stand ein Tannenbaum mit Lametta und weißen Kerzen geschmückt. Darunter standen Weihnachtsteller mit Äpfeln und Nüssen und Lebkuchen darauf. Wir setzten uns hin und schauten die Polizisten vorsichtig und unsicher an. "Nun" meinte da ein anderer, "wart ihr denn auch brav?" Ja, kam es wie aus einem Munde, was sollten wir auch sonst sagen? Sie lächelten. Na dann habt ihr doch sicher auch ein Gedicht gelernt und kennt ein Weihnachtslied. Ja sagten wir stolz. Na dann man los, meinten sie und gehorsam fing ich an: "Denkt Euch, ich habe das Christkind gesehn, es kam aus dem Wald, das Mützchen voll Schnee…" am Schluss, als ich dann Knecht Ruprecht anspricht, fiel mein Bruder ein und sagte den Rest… die Männer waren erheitert und lobten uns sehr, dann sangen wir noch ein Weihnachtslied und bekamen Tee, Lebkuchen und einen Apfel in die Hände gedrückt. Die Zeit verflog wie der Wind und als wir die Männer nach der Uhrzeit fragten, war es bereits siebzehn Uhr. Wir bedankten uns und machten uns auf den Weg nach Hause. Nun war es ganz dunkel geworden, leise fing es an zu schneien, wir bemerkten es kaum, mit roten Wangen vom Singen in der Wachstube klingelten wir an der Haustür.
Rasch die Stufen hoch, überall klang schon Weihnachtsmusik durch die Türen. Die Wohnung duftete schon herrlich, aber die Türe zum Wohnzimmer war noch verschlossen. Aber auch in die Küche durften wir nicht mehr hinein. Eilig zog die Schwester mir ein weißes Nachthemd an und den goldenen Reif aus Stanniolpapier mit dem goldenen Stern dran übers Haar, ich musste ja als Engel mein Gedicht zu dem Krippenspiel aufsagen. Mein Bruder war Knecht Ruprecht und die Schwester die Maria mit dem Kinde, welches in einer umgedrehten Fußbank lag, eine Babypuppe von mir!
Dann endlich hörten wir das Glöckchen hinter der Tür, ein Zeichen, dass wir hinein durften ins Weihnachtszimmer. Oma, die natürlich nicht fehlen durfte, saß schon drinnen im Sessel. Der Glanz des Weihnachtsbaumes strahlte uns wie immer entgegen, wir blieben in der Türe stehen und stimmten das Lied *Stille Nacht mit den Eltern an. Es klang wie immer sehr schön, ich war schon früh im Pestalozzi-Chor und Schwester sang klar und kräftig mit, die helle Stimme der Mutter und die Tiefe Stimme der Oma sowie der Bariton von Papa. Der Baum in der Ecke war wie aus dem Märchen, blutrote Kerzen brannten, jeder Zweig war über und über mit dicker Watte belegt, gerade so, als hätte es die ganze Nacht geschneit, bunte Kugeln glitzerten darunter und Engelchen, Schneemänner und Sterne blitzen um die Wette. Unter dem Tannenbaum stand ein selbst gezimmertes Krippenhaus und Engel und Hirten und Schafe darum herum. Daneben die Geschenke, viele kleine Päckchen, die wir neugierig betrachteten. Der Duft der Leckereien auf den Tellern vermischte sich wie immer mit dem Tannenduft und der Glanz der Kerzen strahlte in den Augen aller wider.
Wir mussten nun nach dem Gesang unser Krippenspiel aufführen, die Aufregung war groß, man wollte ja alles richtig machen, doch als ich gerade sagte, Knecht Ruprecht, alter Gesell! Da fiel mein Stern von dem goldenen Reif ab und plumpste auf die Erde vor die Krippe, zu dumm, aber keiner lachte, alle schauten weiterhin ganz ernst zu. Nun der Stern wurde wieder dran gepappt und es ging weiter, der Beifall am Ende des Stückes war uns gewiss… Nun aber, endlich, endlich durften wir unsere Geschenke suchen und auspacken. Meine Puppe hatte neues langes schwarzes Haar und neue blaue Augen, ein neues Kleid und Schuhe an, und ein kleines Babypüppchen, das ich Peterle nannte, lag in einer Wiege. Noch ein paar Malutensilien, welche für mich schon immer Bedeutung hatten und in der Ecke stand eine selbst gezimmerte Puppenstube mit zwei Zimmern und sogar Licht und Klingel….Das war es also, das ständige Hämmern sägen und Lärmen. Ich war begeistert. Noch rasch etwas genascht und dann…ja nun sollten wir in die Küche kommen, die ja auch verschlossen war. Das Licht blieb aus und Bruder wurde vorgeschoben, war das eine Überraschung, als wir in die dunkle Küche schauten, die ganze Erde auch unter dem Küchentisch in der Mitte war über und über mit Schienen belegt, eine Märklineisenbahn fuhr ihre Runden, ein kleiner Bahnhof mit Lampen und Schranken, wartende Leute am Bahnsteig, Häuser, Bäume ein Wald, Brücken, eine ganze Landschaft waren aufgebaut. Wir waren fasziniert, nun hatten wir zu tun, alles andere war abgemeldet und wir ließen uns nieder zu den Gleisen und Häuschen. Da hatte der Weihnachtsmann sich aber angestrengt, erst die Puppenstube und dann noch die ganze Eisenbahnwelt. Wir ließen uns nicht mehr stören. Irgendwann jedoch mussten wir kurze Zeit das Feld räumen, man tischte auf, nun hatte sich der Hunger gemeldet Der Tisch im Wohnzimmer wurde feierlich gedeckt. Wir aber hatten keinen Hunger, hatten nur unsere Sachen im Kopf. Aber es half nichts, wir wurden zu Tisch gerufen und alle aßen zufrieden etwas und redeten durcheinander. Ich weiß nicht mehr, was wir gebastelt hatten und was die Schwester bekam. Wir saßen später noch gemütlich beisammen und sangen Weihnachtslieder. Einen Fernseher gab es noch nicht.
Wir schauten nun, nachdem alles begutachtet war in Ruhe auf den wunderschönen Baum, den Papa mit dem Christkind die ganze Nacht geschmückt hatte, auf die Krippe und die vielen Dinge, die an dem Tannenbaum hingen. Viel Später zündete Papa eine Wunderkerze an und hängte sie an den Baum, er glitzerte in der Stube wie in einem Märchen. Die Roten Kerzen gaben dem Baum etwas Geheimnisvolles. Doch dann passierte es. Ein Funken sprang über, der Draht der Wunderkerze wurde wohl heiß und die Watteschicht auf dem Ast fing Feuer. Innerhalb von Sekunden stand der ganze Baum lichterloh in Flammen. Wir sprangen auf, die Wohnungen waren damals klein und die Zimmer auch, direkt neben dem Baum die Wohnzimmergardine, an der anderen Seite die Türe zum Schlafzimmer, die Türe zur Diele am anderen Ende des Zimmers. Die Schwester und Mutter sprangen auf, mein Bruder folgte ihnen in die Küche, sie nahmen Decken und machten eine Schüssel voll mit Wasser, tauchten diese ein, während die Flammen bis zur Decke stiegen. Mein Vater, der daneben gesessen hatte, fasste mit den bloßen Armen in die Flammen und versuchte sie zu ersticken, erst mit einer nassen Decke gelang es. Ein Entfernen des Baumes war unmöglich, dann hätten noch die ganzen Gardinen gebrannt, Telefon hatte man nicht, die Feuerwehr rufen ging also auch nicht. Ich aber stand starr vor Schreck in der Tür und schrie und schrie….
Viel später, als die Flammen gelöscht waren und der schöne Weihnachtsbaum düster in der Ecke stand, mit verkohlten Ästen, angesengten Kugeln, die Püppchen unten in der Krippe geschmolzen, war dies ein trauriges Bild, niemand sprach. Still richteten die Eltern den Baum mit ein paar restlichen Kugeln aus der Kriegszeit wieder her, verdeckte mit neuer Watte die verkohlten Äste, ein paar waren durch das Löschen noch geblieben. Die Fenster wurden geöffnet und die Türen zum Flur, damit etwas frische Luft herein kam. Vaters Arme und Hände waren verbrannt durch das pure Greifen in die Flammen und Mutter versorgte und verband ihn. Wir sortierten alles so gut es ging, wieder an Ort und Stelle. Später saßen wir noch eine Weile um den Tisch, um den Schrecken zu verdauen, und irgendwer sagte "nie wieder Wunderkerzen, nie wieder echte Kerzen", einige Zeit später gab es dann die elektrischen Lichterketten, wie man sie heute noch kennt, Aber der Zauber, der von diesem Baum ausging, blieb von da ab fern, nie wieder haben wir einen Tannenbaum so schön gefunden, er war und blieb in unseren Herzen der schönste Baum.
Heute erinnere ich mich noch an diese ärmliche Nachkriegszeit, die wirklich Weihnachten zum Fest des Jahres machte, trotz allem oder gerade deswegen. Mein Vater ist längst verstorben und ich höre ihn noch singen, sehe ihn noch in dem Weihnachtszimmer und sehe uns noch auf der Straße im Dämmerlicht stehen an diesem Heiligen Abend, die dunklen hohen Häuserblocks gibt es immer noch und ich höre noch den Schutzmann hinter uns sagen "Na? was macht Ihr denn um diese Zeit noch auf der Straße"….

© Ela Steiner / Dezember 2003



 

 
 
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