St. Nikolaus für Erwachsene!
…auch in diesem Jahr war wieder die alljährliche
vorweihnachtliche Hektik ausgebrochen, zwischen drängelnde
Massen gezwängt, Pläne fürs Fest gemacht, wer kommt
wann zu Besuch, was koche ich, wie hat der Mann Dienst, wer kann
was gebrauchen, was ist ein sinnvolles Geschenk, am liebsten kaufte
ich für den Kleinen, da gab es soviel und keine Schwierigkeiten
etwas Schönes zu finden. Heute war Nikolaus Abend….
Der Mann kam später aus der Firma, der kleine Sohn hatte
schon frei, im Kindergarten gab es auch eine Nikolausfeier. Schnell
noch einmal zum Markt etwas eingekauft, Nüsse, Mandarinen,
rote Weihnachtsäpfel, Schokolade. Der jährliche Backprozess
war schon im Gange und einige der leckeren Plätzchen wurden
auch aussortiert für die Stiefel, die für den Nikolaus
vor die Türe gestellt wurden.
Dann musste ich noch einmal raus, ich ermahnte den Jungen, er
solle schön lieb sein und schon mal seine Stiefel putzen,
ich käme rasch zurück, er versprach es und ich verschwand.
Ich hatte im Spielzeugladen ein schickes Auto gesehen, das der
Kleine entdeckt hatte und welches er super fand. Später holte
ich noch eine Kassette mit Weihnachtsmusik und legte schon ein
selbst geschriebenes Märchen von mir an die Seite. Rasch
noch in einen weiteren Laden, ein paar Socken und eine Krawatte
für den Mann geholt, der natürlich auch seine Schuhe
putzen und vor die Tür stellen musste, na ja, so kurz vor
Weihnachten gab es nicht noch mehr, wo kommen wir denn da hin?!
Nun ich war geschafft und fühlte mich nicht so wohl, der
Regen, der die letzte Zeit grau in grau werden ließ, verwandelte
sich durch ein strenges Hoch in Schnee und allmählich wurde
er dichter und dichter, sehr ungewöhnlich für diese
Zeit. Ich aber beeilte mich, um den Rückweg schnell hinter
mich zu bringen. Die lange Strasse führte etwas abseits vom
Trubel der Innenstadt in unser ruhiges Wohngebiet. Überall
die Lichter an den Fenstern, die Weihnachtsbaumhändler bauten
die ersten Stände auf, aber ich hatte so recht keinen Sinn
dafür. Nikolaus, beim Gehen dachte ich zurück, als ich
so klein war und morgens ganz früh vor die Türe schaute,
das war wohl das Aufregendste, was es gab, und erst – als
der Nikolaus mal persönlich erschien, ich war wohl 5 Jahre
alt, an meine Angst erinnere ich mich heute noch, als ich auf
den Arm des Papas flüchtete, erinnere mich noch an das Poltern
der Stiefel auf den Holzstufen…
Heute blieb von all dem nichts, in Eile immer an alle gedacht,
wer dachte schon an mich, treu und redlich stellte auch ich meine
Stöckelschuhe vor die Türe, worin sich morgens auch
eine Kleinigkeit befand, die ich leider selbst hinein tat. Ja
so war das, aber mit mir stimmte was nicht, ich war müde,
einfach müde auch innerlich… ich grübelte, was
mich da so plötzlich Trauriges befiel, als ich mitten in
eine Gestalt hineinrannte, da ich durch den Schnee den Kopf gesenkt
hatte und den Blick auf den Fußboden gerichtet. Holla, dröhnte
eine dunkle Stimme. Ich sah erschrocken auf und entschuldigte
mich. Na schon im Weihnachtsstress? tönte es wieder. Nun
erblickte ich unwirsch mein Gegenüber, ein alter Mann, etwas
korpulent mit weißen Haaren und Vollbart blickte mich an.
Er sah etwas spitzbübisch aus und seine blauen Augen funkelten
mich an. "Ich sagte doch, Entschuldigung" meinte ich
unwirsch, denn ich musste nach Hause, die Zeit drängte wie
immer. "Klar", meinte er, "die Zeit die Zeit"…
"wie bitte?" Ich starrte ihn nun unwillig an. Nun ja,
Ihr Menschen habt nie Zeit … ich setzte meine Tasche ab
und fragte etwas schnippisch "wir Menschen? Und wer sind
Sie? Der Nikolaus?" "Vielleicht lächelte er weise"
…
Ich aber hatte nur im Kopf, wann der Mann nach Hause käme,
was ich kochen würde, der Glühwein musste noch angesetzt
werden, die Schuhe gefüllt, das Kind ins Bett gebracht werden…so
blieb mir keinerlei Zeit für derlei Witze… also bitte,
würden Sie mich nun vorbei lassen? Ja kleine Ela, ich lasse
Dich vorbei sagte die Stimme leise und seine Augen schauten mich
freundlich an, aber er lachte nicht mehr, "kennen Sie mich?
woher wissen Sie meinen Namen? "meinte ich. Ja ich kenne
Dich schon eine lange Zeit, meine Liebe, es gefällt mir,
was Du tust, aber Deine Eile, die Unruhe, Deine Hetzerei, nimm
Dir selbst etwas Zeit, auch wenn Dein Sohn und Dein Mann wartet,
lass sie einfach mal warten!" "Die Zeit ist kostbares
Gut, sie gehört Dir - nicht nur anderen, wenn es vorbei ist,
ist es vorbei…ich wünsche Dir nun eine schöne
Weihnacht und vergiss meine Worte nicht!" sprach er. Ich
war verwirrt und wollte nur los von diesem Alten, der mir zwar
nicht unsympathisch war, aber die Geschichten erzählte sonst
ich meinem Sohn, von Fremden war ich so was nicht gewohnt. Aber
es hörte sich nett an und ich wollte ihm einen gefallen tun
und sagte leise, "Woher wissen Sie, dass ich einen Mann und
einen Sohn habe?" Ich danke aber für die lieben Worte"
meinte ich, "auch Ihnen ein schönes Weihnachtsfest",
bückte mich und hob die Tasche von der Erde hoch, die ich
neben mir abgestellt hatte und wollte ihm die Hand hinstrecken
und da… er war weg, wie vom Erdboden verschluckt. Das gibt
es doch nicht, ich drehte mich um, niemand war mehr da, nirgends
auch nicht auf der anderen Straßenseite. Nun ist es soweit,
nun drehe ich schon durch, kein Wunder bei dem Stress…langsam
ging ich kopfschüttelnd nach Hause. Mein Sohn hatte die Stiefel
über und über mit Schuhcreme eingeschmiert, das reichte
für Jahre und nicht nur die Schuhe, rundum war alles eingefettet,
was gerade in der Nähe lag. Ich entfernte die Spuren so gut
es ging. Abwesend machte ich ihm dann sein Abendbrot, brachte
ihn zu Bett, sortierte die kleinen Gaben, Nüsse, Leckereien
in die Stiefel und für den Mann in den Schuh…Der Mann
kam spät nach Hause, das Essen stellte ich warm und ging
dann erschöpft zu Bett…
Am anderen Morgen wurde ich wie immer unsanft durch den Wecker
geweckt, bereitete das Frühstück für den Mann.
Mein Kleiner war schon auf, er wusste genau, was heute für
ein Tag war, eilig lief er zur Türe, und da waren seine Stiefel,
die er dort postiert hatte, über und über gefüllt
mit Leckereien und den kleinen Geschenken sowie meiner Geschichte.
In den Schuhen vom Mann befand sich eine Rute aber mit Leckereien
dran, einige, Mandaringen, Äpfel und Nüsse sowie die
diversen Kleinigkeiten. Als mein Sohn ins Kinderzimmer huschte
mit seinem Fund, und es sich damit im Bett gemütlich machte,
erschrak ich, ich hatte ja meine Stöckelschuhe nicht hinzu
gestellt. Der Mann bemerkte es zuerst und meinte entschuldigend,
dass er keine Zeit hatte, denn er hatte es wie immer vergessen
und dass abends noch eine Kleinigkeit auf mich warten würde.
Als er später zur Arbeit fuhr und ich meinen Sohn zum Kindergarten
brachte, erinnerte ich mich wieder an die kleine Episode vom Vorabend.
Das kann man keinem erzählen, sie würden denken, ich
spinne schon…
Und rasch wieder nach Hause, Betten machen, abwaschen, Kochen,
weitere Vorbereitungen zu Weihnachten, die man erledigte, wenn
Mann und Sohn nicht zu Hause waren. Dann ging ich zum Balkon,
auf dem ich die nassen Schuhe abends eilig abgestellt und vergessen
hatte… ich rieb mir die Augen, was war das? Die Schuhe waren
über und über gefüllt mit Nüssen und süßen
Leckereien, kleine rote Äpfel lagen umher, als wenn sie jemand
verloren hätte, ich staunte, wann hatte mein Mann das gemacht?
Ich habe es nicht bemerkt. Nachdenklich aber freudig hob ich die
gefüllten Schuhe vorsichtig auf und trug sie in die Küche.
Das war es, der Überraschungseffekt, das an mich denken,
so wie ich es immer für die anderen tat. Ich trank gemütlich
einen heißen Kaffe, und dachte plötzlich, was der alte
Mann gestern sagte, Ela, nimm Dir Zeit, ich drehte das Radio an
und wunderschöne Adventmusik klang zu mir hinüber. Ich
legte die Füße auf den anderen Stuhl, zündete
die beiden Kerzen vom Adventkranz an und frühstückte
in aller Ruhe, später nahm ich einen der kleinen Äpfelchen
und biss hinein, sie sahen nicht gerade strahlend und glänzend
aus, eher ein bisschen schrumpelig. Was war das? Ein unbekannter
herrlicher Geschmack, eher wie ein Bratapfel, duftend und süß.
Konnte so ein Apfel schmecken, der nicht einmal rote Bäckchen
hatte, nicht glänzte? Ebenso geschah es mit den Nüssen,
sie schmeckten so frisch und süß, wie ich es noch nie
erlebt hatte. Dann griff ich zu einem Lebkuchen und biss hinein,
und wieder ein aromatischer herrlicher Geschmack, wo hatte mein
Mann all die Köstlichkeiten her?
Nun schüttete ich die ganze Pracht der Leckereien auf einen
Weihnachtsteller und stellte die Schuhe fort, aber als ich nach
innen langte in die Spitze des rechten Schuhs, fand ich einen
zusammengeknüllten Zettel, den ich auseinanderstreifte. Da
stand: "Für meine liebe Ela einen lieben Gruß,
der Nikolaus hat Dich nicht vergessen – eine *Frohe Weihnacht
speziell für Dich!" Eine schöne Idee… ich
hatte meinen Mann unterschätzt…
Den ganzen Tag war ich heiter und gelöst, der Stress und
die Besorgungen machten mir nichts aus, alles klappte wie am Schnürchen,
als mein Sohn nach Hause kam, sah er auch meine Süßigkeiten
und alles war wie immer im Lot, Mama hatte auch was bekommen,
klar, sie war ja auch immer lieb! Am Abend kam mein Mann nach
Hause drückte mich und legte mir eine Nikolaustüte in
den Arm, obenauf lag ein Extra schön verpacktes Fläschchen
Parfum, "Der Nikolaus hatte sich etwas verspätet"
entschuldigte er sich. Ich meinte flüsternd "er war
ja schon da, habe mich sehr gefreut" und zwinkerte ihm zu.
Er aber starrte mich an und verstand nicht, "wieso"
meinte er, also mein Nikolaus kam eben erst jetzt und ging kopfschüttelnd
ins Bad. Erst da verstand ich … mein Mann wunderte sich
an diesem Abend noch lange über mein seltsames Lächeln,
das nicht aus meinem Gesicht weichen wollte….
© Ela Steiner / Dezember 2003