Übersetzung
aus dem Dänischen:
TRUG DÄNEMARK UNBEWUSST ZUM FALL DER MAUER BEI?
In der Nacht zum 10. September ließ die dänische
Botschaft in Ostberlin die Stasi 18 Ostdeutsche abholen,
die sich an sie mit dem Ziel gewandt hatten, in den
Westen zu gelangen - 13 Erwachsene und 5 Kinder. Das
ist, schreibt der Journalist Jesper Vind Jensen
von Søndagsavisen in RÆSON
eine der dramatischsten und schmerzhaftesten Episoden
in der Geschichte des dänischen auswärtigen
Dienstes - und man erlegte den dänischen
Botschaften strenge Instruktionen auf, damit sich
ähnliche Fälle niemals wiederholen sollten.
Vielleicht jedoch kam Dänemark mit der Stasi-Auslieferung
unbeabsichtigt zu einem Beitrag zum Fall der Mauer:
Mit dieser überraschenden These kommt der Deutsche
Dr. Wolfgang Mayer in seiner politisch-historischen
Doktorarbeit Flucht und Ausreise. [...] Nach
der Abhandlung inspirierte das Interesse der Medien
an der Sache viele freiheitssuchende Ostdeutsche zu
anderen Aktionen. Mayer hat u. a. Dokumente ausgegraben,
die belegen, dass die Stasi allein im November 1988
104 Aktionen verschiedener Gruppen in der DDR registrierte,
die öffentlich dagegen demonstrierten, dass ihre
Ersuchen auf Ausreise eingefroren wurden. Die dänische
Botschaftsaffäre, schreibt Mayer, hatte zudem
ansteckende Wirkung auf die Tausenden von Ostdeutschen,
die nachfolgend 1988 und 1989 Botschaftsbesetzungen
durchführten. Die gingen in westlichen Botschaften,
namentlich in Ostberlin, Prag und Budapest vor sich.
Falls Mayers Einschätzung auch nur teilweise
richtig ist, wäre der Ablauf der Begebenheit
so außerordentlich bedeutungsvoll, dass die
Geschichte Dänemarks umgeschrieben werden muss,
meint Vind Jensen, der neuerdings Mitglied von RÆSONs
neuem Kommentatorenforum ist. Laut Vind Jensen ist
die Argumentation des konservativ orientierten Mayer
dadurch geprägt, dass er selbst Sprecher der
Besetzer war (und dafür 3 Jahre Gefängnis
mit Bewährung einfing). Aber: Mayer hat mit seinem
Buch die Frage aufgeworfen, welche Ostdeutschen sich
berechtigterweise Widerstandskämpfer
nennen können - und damit wandte er sich frontal
gegen mehrere Standardwerke über die Geschichte
der DDR-Opposition.
Mayer meint, dass den ostdeutschen Bürgerrechtlern,
die die Initiative zu den Massendemonstrationen in
Leipzig, Dresden und Berlin im Herbst 1989 ergriffen,
als Widerstandskämpfer zu viel Ehre zuteil käme.
Die ganze Revolutionsgeschichte von 1989 habe sich
viel zu sehr auf diejenigen konzentriert, die
in der DDR geblieben sind, beklagt Mayer, der
prominenten Politikern, Bürgerrechtlern
und Politologen unterstellt, bewusst zu verschleiern
wie bösartig das Regime gewesen ist, während
sie selbst Fürsprecher für eine DDR
mit menschlichem Antlitz waren. [...] Dagegen
meint er, dass die Ausreisebewegung, die mit
den Füßen abstimmte, eine weitaus
größere Rolle gespielt habe als die Bürgerrechtler.
(Übersetzung: G. L. Beemelmans)
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