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Alte Liebe

Täglich führte mich mein Schulweg am einzigen Butzbacher Musikgeschäft vorbei. Der Laden hieß nach seinem Inhaber und seinem Angebot: Musik und Sport Heinz.

Im Schaufenster gab es seit Jahren nahezu unverändert eine Hohner-Melodica, einen Fächer ausgeblichener Flötenhefte, eine Tischtennisgarnitur bestehend aus zwei Schlägern, zwei Bällen und einem Netz für den Küchentisch, ein Federballspiel, eine Blockflöte aus hellem -, eine aus dunklem Holz, eine Hohner Mundharmonika „Unsere Lieblinge“, einen ordentlich zusammengelegten, blauen Trainingsanzug, jeweils einen Fächer mit Notenheften, bzw. Liederbüchern, zwei Schlagerhefte, ein buntes Metallophon mit Schlegel, ein paar verschiedenfarbige Hula-Hoop Reifen und einen Plastiktrichterkorb in blau-gelb, zu dem ein Ball gehörte, den man mittels eines knackenden Federschalters fortschnicken und wieder fangen konnte, ich hab den Namen des Spielgerätes vergessen. Irgendwo im dunklen Hintergrund des Ladens sah man auch eine oder zwei Wandergitarren, einige bunte Gummibälle, zwei oder drei Akkordeons sowie ein paar Kartons mit Turnschuhen.
Ich war damals 13, 14 höchstens 15 Jahre alt. Es ist auch egal, denn an diesem Schaufenster hat sich sowieso nie etwas geändert während dieser Zeit, sonst hätte ich mir dessen Inhalt nicht so gut gemerkt.

Als ich eines Tages wieder daran vorbei wollte, blieb ich stehen wie vom Blitz getroffen. Das Fenster war völlig umgestaltet. In seiner Mitte hing in einem chromfarbenen Gitarrenständer eine glitzernd blaue Elektrogitarre der Firma Hagström. Sie sollte 620,- DM kosten. Das stand in weißen, auswechselbaren Schiebelettern vor schwarzem Hintergrund auf einem Ständer- Schildchen aus Messing.

Dies war die erste Elektrogitarre, die ich livehaftig aus nächster Nähe sah.

Niemals hätte ich mich in den Laden getraut um diese Kostbarkeit auszuprobieren. Stattdessen versuchte ich durch pure Anstrengung meines Hirns in einer Quasi-Meditation das Wesen der Gitarre zu erfassen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wofür die Knöpfe und Regler denn sein könnten, ganz zu schweigen von dem ominösen Hebel, der alleine dieses Instrument schon optisch in die Nähe eines Motorrads rückte und sie zu einem Geschoss machte, neben dem jede Akustik-Gitarre ein lächerliches Spielzeug war.... Ein Traum, leider unerschwinglich....

Was sonst noch in dem neu dekorierten Schaufenster war habe ich vergessen. Dabei wiederholte ich täglich meine Schaufensterbesuche, doch hatte ich natürlich nur Augen für sie...

Bis etwa zu dieser Zeit hatte ich mit wechselndem Interesse auf einer stahlbesaiteten Akustik-Gitarre gespielt, die wir bei uns zuhause hatten. Sie hatte einen solch brutalen Saitenabstand, dass ich mich später fragte, wie ich das überhaupt durchgehalten habe... Damals dachte ich, das müsse so sein, ich kannte es ja nicht anders. Bei den Pfadfindern hatte ich ein paar einfache Akkorde gelernt und klampfte sie mit den anderen vor mich hin. Lieber jedoch setzte ich mich damals an unser Klavier und spielte alles was mir einfiel. Dabei taten wenigstens die Finger nicht so weh.

Dann kamen die Beatles und die Stones. Ich begriff schlagartig, dass man mit Gitarren auch ganz andere Sachen machen kann, ich wusste zwar nicht wie, aber das müsste sich schon herausbekommen lassen.

Täglich verbrachte ich mehr Zeit mit unserem Telefunken – Röhrenradio als bei den Hausaufgaben, versuchte das magische Auge möglichst so einzustellen, dass diese spannenden Sender, Radio Luxemburg, BBC, oder AFN möglichst störungsfrei hereinkommen konnten. Wir hatten ein Grundig Tonbandgerät, mit dessen Hilfe ich wahre Juwelen aus dem Äther pflückte. Die Tonqualität war natürlich atemberaubend...

In diese Zeit gehört auch das Studium der Tageszeitung, oder war es die Bravo, inklusive der Entdeckung jener kleinen Anzeige vom Versandhaus Lindberg, „dem größten Versandhaus für Musikinstrumente. Bestellen Sie noch heute kostenlos unseren umfangreichen Katalog mit vielen farbigen Abbildungen.“

Etwa drei Wochen später war meine Bestellung unterwegs. Es sollte eine Höfner Elektrogitarre sein, mit drei Tonabnehmern, verstellbarem Stahlstab und eingebautem patentiertem Vibrato Hebel, das ganze in rot. Preis: 350,- DM, inklusive einer strapazierfähigen Tasche.

Als sie kam, war sie weiß statt rot. Das war mir aber dann völlig egal. Wir waren ab sofort nicht mehr zu trennen. In den ersten Jahren habe ich zunächst sämtliche Proben, dann alle Auftritte mit ihr bestritten. Sie hat sich sozusagen recht schnell amortisiert.
Dann traf ich allerdings die Skandinavierin aus dem Hause Hagström  - und danach diese heißen Amerikanerinnen.

Als ich einige Jahre später einen Mann kennenlernte, der im Justizvollzug beschäftigt war und dort mit Gefangenen eine Band gründen wollte, gab ich ihm meine Höfner Gitarre. („Du kannst sie natürlich jederzeit wiederhaben, es ist nur bis die mal selbst was haben.“) Tja, so kam das – und dann habe ich sie einfach fast vergessen...

Sie hatte definitiv nichts verbrochen. Unschuldig war sie zwar auch nicht, aber 20 Jahre hinter Gittern sind eine sehr, sehr lange Zeit... zumindest kommt mir das jetzt so vor - obwohl ich sie jahrelang nicht wirklich vermisst hatte. Klar, manchmal habe ich an sie gedacht, mir vorgestellt wer wohl was mit ihr anstellt, jedoch ohne jedes Gefühl von Eifersucht. - Doch irgendetwas hat sich neuerdings geändert. In letzter Zeit machte mir der Gedanke, sie der Willkür dieser fremden Männer ausgeliefert zu wissen, einiges Kopfzerbrechen. Ich begann über ihre Befreiung nachzudenken...
    Dabei hatte das alles ganz anders angefangen: Sie war für mich zunächst weit mehr als ein Lustobjekt. Ich liebte sie uneingeschränkt von ganzem Herzen. Wenngleich etwas plump, sie kam aus dem süddeutschen Raum, war sie der Inbegriff meiner erfüllten Sehnsucht. - Bis ich Bekanntschaft machte mit dieser skandinavischen Schönheit, es war die mit diesem unwahrscheinlich schlanken Hals, doch das ist eine andere Geschichte... Ganz in Vergessenheit geriet sie jedoch erst, nachdem ich die beiden Amerikanerinnen kennen gelernt hatte, die eine mit den beiden dicken Humbuckern in der Bluese und die andere mit der ausdrucksvollen Stimme, die so unwahrscheinlich anschmiegsam war, dass ich jede Zurückhaltung verlor und mich Hals über Kopf verliebte....

Egal, jetzt war es Zeit. Das GrauRocker Projekt hat mich wieder mit den alten Kumpanen zusammengeführt – und wenn der Framus-Fred noch seine Alte hat, dann müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich da nicht etwas machen ließe...

Also, Internet – Knast  in Butzbach – es gibt eine Webseite, gigantisch. Es gibt dort eine Musikgruppe – ich fasse es kaum. Dort steht sogar zu lesen, wie die Leiterin der Musikgruppe heißt. Der Rest geht innerhalb von wenigen Minuten. Ich habe sie am Telefon. Sie ist sehr kooperativ. „Ja, da ist eine weiße E-Gitarre, die schon seit Jahren nicht mehr gespielt wird.“ Ich beschreibe meine, erzähle ihr von den GrauRockern, den Bildern von meiner ersten E-Gitarre in der Galerie, bei den Outlaws, d-pennts etc. Sie meint, das komme hin. Da sei eine ausrangierte, weiße E-Gitarre. Morgen wolle sie sich die Gitarre jedenfalls genau anschauen, um zu sehen, ob es sich um die von mir beschriebene handelt. Ich bin glücklich nach diesem Telefongespräch. Ich hätte mir auch kaum vorstellen können, dass es einer Gitarre möglich ist, so einfach aus dem Knast zu entkommen. In der Gewissheit, dass mich höchstens noch 2 Tage von meiner sechssaitigen Jugendliebe trennen, schlief ich selig ein. Oh wie würde ich sie verwöhnen ...meine geliebte Höfner...

Den Anruf kann ich kaum erwarten. Jedes Mal wenn das Telefon klingelt ist es jemand anders. Dann irgendwann ist sie es doch. "Ja, hallo, ah, ach ja, sie sind es selbst - genau wegen der weißen Gitarre - ich hab sie mir mal genau angeschaut. - Da steht aber Squier drauf." - Ich war ganz still - es hatte mir die Sprache verschlagen. Ich schaffte noch irgendwie mich bei ihr zu bedanken, dann fiel ich in ein tiefes Loch.

 

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