Eine
Reise durch die Welt der Bleichen Berge
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Die Matten der Seiseralm im Frühlingsrausch
Bergerlebnisse
in den Dolomiten
Wanderungen
Höhenwege
Klettersteige
|
Der Sellagipfel an einem schneereichen Oktobertag
Die
"Bleichen Berge" werden sie genannt, jene Gipfel hoch im Norden
Italiens. Bleich ist allerdings nur das Gestein. Die Gipfel
selber erheben sich mit filigraner Leichtigkeit in den tintenblauen
Himmel. Andere Wettergebilde sind mir zwar auch zur Genüge
bekannt, doch dann hat diese Landschaft noch immer etwas Verwunschenes
und Geheimnisvolles an sich. Ich bin erst recht spät auf diese
Berge aufmerksam geworden; doch nun besuche ich sie schon
mehr als 20 Jahre. Einige von meinen Erlebnissen schreibe
ich hier auf. Kleine, unspektakuläre Geschichten, die nicht
den Anspruch des Heroischen erheben. Meine Kamera ist immer
dabei, ohne diese wäre ich " nur" ein halber Mensch. Früher
war es die Filmkamera, heute die für's Dia. (mehr
als 6000 Aufnahmen)
Die Aufnahmen
in diesem Bericht stammen alle vom Verfasser - bis auf das
Luftbild vom Antelao
|
Nacht breitet sich über die Seiseralm,
nur der Langkofel erhellt noch den frühwinterlichen Abend
Dieses
Buch ist kein Wanderführer oder Ratgeber; weder ist es eine
Anleitung für Klettersteige noch dient es zur Auflistung
von Schutzhütten oder gar Gehzeiten dorthin; dieses Buch
ist rein der Verbindung Mensch und Natur gewidmet -
nicht mehr und nicht weniger. |
P r o l o g
Liebes(v)erklärung an einer
Vielgeliebten...
In
vielen Hütten die dort in den “Bleichen Bergen“ stehen habe
ich übernachtet. Als Einzelgast war ich dort gut aufgehoben
und wurde wohl bewirtet. Doch zumeist war ich einer von Vielen,
bei bedrängender Enge, dann war ich nie sehr glücklich. Oft
habe ich in jenen blechernen Biwakschachteln übernachtet, hoch
am Berg, beengt und ohne Komfort; bei Sturm Schneetreiben und
Gewitter, immer alleine – dort war ich glücklich. Auf allen
Pässen habe ich übernachtet, befreit vom Tagesrummel,
fern vom Lärm der Autoschlangen - ich habe mich wohl gefühlt. Die
Dolomiten sind beliebt, sehr beliebt! Vor lauter Liebe
werden sie fast erdrückt. Und irgendwann werden sie an dieser
Liebe wohl sterben. Todesursache: Zu Tode geliebt.
Die
Drei Zinnen gehören wohl zu den bekanntesten, beliebtesten,
markantesten und deshalb meist besuchtesten Bergen der Welt.
Allmorgendlich saugen sie Motorisierte auf breiter Mautstraße
hoch, falls schlechtes Wetter nicht gerade gnädiges Einsehen
zeigt. Parkplätze auf mehreren Ebenen ordnen “Bergruhe“ an.
An deren Ende lädt ein Motel zu Speis‘ und Trank. An der Frontseite
prangt noch der Name “Auronzo-Hütte“. Längst Nostalgie! Zur
Zinnen Schauseite hin, ebenen Wegs und recht breit, ist die
Hütte gleichen Namens bald erreicht. Rucksäcke sind in den Gasträumen
nicht erwünscht, nehmen sie doch die Plätze weg für die, die
da kommen. Und es kommen viele, vielleicht mehr, als die berühmten
“Drei“ an einem Tage an Steinen polternd abwerfen. Die Umgebung
zwar karg, doch ergreifend schön, falls Wolken - wie so oft
- nicht alles verhüllen. Nun kreist die Maß, die Schönheit wird
gefeiert. Ein Biergarten ist die Hütte eh!
Der Rosengarten! Welch' Gebirge kann sich schon mit solchem
Namen schmücken; hoch über Bozen gelegen und seltsam lockend
- und viele erliegen der Verlockung. Dank mannigfaltiger Aufstiegsmöglichkeiten
und dank lückenlosem Hüttenangebot lassen sich in “König Laurins
Reich“ die Feste feiern. Und wer dann ein frisches Bier in der
Hand vor der Vaiolet-Hütte sitzend zum Gartl hoch schaut, braucht
nicht zu befürchten schon doppelt zu sehen, die Menschen sind
echt, der Lärm beweist es. Was kann der Rosengarten denn dafür,
dass er so schön...
Die Seiseralm, die größte weit und breit, Wander- und Blumenparadies
zugleich. Almen sind schön und Almen vermitteln Idylle, doch
auf der Seiseralm ist alles zugleich schön. Und geboten wird
viel: Hat man erst mal einen Parkplatz ergattert, kann man wählen
zwischen Pizzerias und Pommesbuden, Restaurants für den gepflegten
Gast sowie viele Hotels für die Nacht - oder mehr. Andenkenkitsch
für die häusliche Kommode und warme Strickpullover sind obligatorisch,
an Ständen herrscht wenig Mangel. Und wenn das Täschl nichts
mehr hergibt - gleich nebenan ist die Bank für Bares. Eben eine Alm für glückliche Kühe und
glückliche Wanderer - lila, rot und kariert gestylt. Gewandert
wird Schuhe schonend - und immer öfters - auf asphaltierten
Wegen; falls man nicht vom Auto eines Hotelgastes verdrängt
wird. An einer der vielen Jausenstationen darf man sich laben:
Kuhmilch frisch, Speck vom Tiroler oder Grappa vom Feinsten.
Wenn man dann nach Südosten schaut, dort wo sich der Langkofel
aus den wellenförmigen Hügeln empor hebt, stolz, unnahbar und
ergreifend schön, dann ist man mit sich und der Welt wieder
im Reinen.
Schlichtheit
ist kein Merkmal dieser Berge, so wenig schlicht wie deren Namen.
Wo anders wetteifern die Vokale schon so klangvoll, als in denen,
die dort heißen: Marmolada und Marmarole; Pala, Pelmo, Lagorai
und Tofane; Antelao, Cristallo, Cadini oder Sorapis. Diese klangvollen
Namen waren es schließlich nicht zuletzt, die mich in die Dolomiten
hineinlockten, um deren Geheimnisse zu erkunden. Während eines
Familienlurlaubs 1980 lernte ich die Dolomiten lieben; nicht
ahnend, dass Leidenschaft daraus entstehen würde. In den folgenden
Jahren machte ich mich auf, diese Welt aus Stein und Blumenlust
auf meiner Art zu erobern – alleine. Einsamkeit, im Sinne von
Verlassenheit habe ich dabei nie verspürt. Eroberungsdrang ist
mir fremd geblieben, ich wollte erobert werden. Und ich wurde
erobert! Diese Welt verzaubert, indem sie Harmonie schafft.
Der schwere, drückende Rucksack entlockte mir so manchen Fluch,
wenn die Hitze vom hellen Fels mal wieder recht arg zurückprallte,
wenn die Füße nicht mehr wollten oder meine Schritte im Geröll
keinen Halt mehr fanden. Doch alle Plagen waren spätestens dann
ausgeflucht, wenn ich eine sonnendurchflutete Scharte erreichte
und sich vor mir eine Landschaft ausbreitete, bei deren Beschreibung
die Lippen gemeinhin stumm bleiben - weil Worte nicht ausreichen
sie in Bildern fassbar zu machen. Waren es zunächst die bekannten
Höhenwege, die mehr oder weniger von Nord nach Süd diesen gewaltigen
Bergraum durchmessen, wollte ich schon bald die viel besungenen,
viel gerühmten Klettersteige mit einbeziehen. Wenn klamme Finger
sich am kalten Stahlseil klammerten, den Blick genau in der
waagerechten Position haltend und das Denkbare möglichst nicht
denken, dann war die Luft schon recht dünn unter dem Hosenboden.
Doch irgendwann wurde der Gang lockerer. Es ging voran! Bekannte
Gipfel zu besteigen ist ein Muss, doch immer mehr wurde mir
bewusst, dass mich das Unbekannte, das Abenteuerliche reizte.
Waren es nun die Erlebnisse auf hohen Gipfeln in den nördlichen
Dolomiten oder die auf kaum fußbreiten Pfaden in den wilden,
schluchtartigen Tälern des Südens. Den Wechselbädern erregter
Anspannung folgten Stunden der Muße. Freude über versteckte
Blumenoasen, abseits aller Wege, so schillernd bunt wie die
Schmetterlinge, die lautlos durch das Licht gondeln, Hummeln
die sich von Blüte zu Blüte brummeln, Murmeltiere die sich in
den höchsten Tönen üben, erregt schnaufende Gämsen, aufgeschreckt
vom unachtsam hinab gestoßenen Stein und kreisende Dohlen
unterm Tintenhimmel, dort wo Flugzeuge weiße Girlanden zeichnen.
Zuviel der kitschigen Harmonie? Für wenig sensible Menschen
möglicherweise, für andere so wichtig wie die tägliche Nahrung.
Für mich kleine Fluchten vom täglichen Einerlei und große Schritte
hin zur erlebten Sinnlichkeit.
Im nachfolgenden Teil werde ich
meine persönlichen Erlebnisse schildern und diese in unbestimmten
Zeitabständen aktualisieren
|
1. Die Stille…
Um mich herum
tief atmende Ruhe. Ich erhebe mich von meinem Nachtlager. Greife
suchend nach Hose und Jacke. Vorsichtig tastend steige ich über
Rucksäcke, die da und dort den Raum zwischen den Nachtlagern
füllen. Noch ist es Nacht - fast. Ein erster zarter Schein bildet
einen blassen Lichthof auf die atemfeuchten Fenster des Rifugio
Lagazuoi. Draußen vor der Eingangstür - frostige Kühle. Ich
ziehe den Kragen meiner Jacke hoch. Ostwärts gehend entferne
ich mich ein gutes Stück von der Hütte weg, Richtung Tofane.
Um mich herum Stille… nichts weiter als Stille! Transparenz
erfüllt den Raum. Das kaum merkbare Geräusch meines Atems erlebe
ich fast als störend. Ganz langsam vergeht die Nacht, die Morgendämmerung
setzt ein, so sanft, dass mir die Grenze zum Tag kaum bewusst
wird. Schemenhaft, dunkel, mächtig und auch geheimnisvoll zeichnen
sich die Konturen der Tofana di Rozes gegen den östlichen, noch
fast unmerklich erhellten nachtdunklen Himmel ab. Aus der Leere
der Nacht, von Westen kommend, ein dunkles Etwas - streift mich
fast - und gleitet lautlos vorüber. Ein einziger Flügelschlag
bricht die Stille... ganz wenig nur. Für einen winzigen Augenblick
wallt die morgenkühle Luft auf - kaum messbar. Eine Bergdohle
nur, doch sie erscheint mir wie ein Wesen aus Urzeiten - fremd
und bedrohend. Sie entschwebt in die steinernen Kulissen. Erst
allmählich, dann jedoch rasch dominant verwandelt sich die Nachtschwärze
in ein tiefdunkles Glutrot; bald wird daraus ein Helles. So
als wäre ein himmlischer Schmidt am Werk, der nun Sauerstoff
in die scheinbar kalte Glut pustet. Die Tofana umgibt sich mit
einer Aura, die betörend wirkt und zugleich nach Demut verlangt.
Tief unten zieht ein erstes Gefährt in määnderförmiger Bewegung
zum Passo Falzarego hoch; lautlos noch, die Entfernung ist zu
groß. Und noch immer nimmt mich der sonderbare Zauber dieses
Bergmorgens gefangen, den ich hier auf der Gipfelfläche des
Lagazuoi erleben darf - hoch über Cortina d'Ampezzo. Für Augenblicke
schließe ich die Augen, als die Sonne jäh hinter der Tofana
hervorbricht und den Tag endgültig ausleuchtet. Unweit von mir,
erste Laute in der Stille: Geschirr scheppert und blecherner
Klang von Töpfen und Pfannen. Wortfetzen dringen zu mir herüber
- italienisch, deutsch und wienerisch. Das Inventar der Lagazuoi-Hütte
regt sich, die Gästeschar erwacht, der Tag nimmt seinen Lauf.
In ein paar Stunden wird die Seilbahn wieder Unruhe hochsaugen
- sieben, acht Stunden lang; bis dann wieder Stille einkehrt.
Ich packe meine Sachen, stecke ein paar Happen des kargen Hüttenfrühstücks
in die Backen, ein Schluck Tee noch, dann bin ich wieder bereit
den Steinen zu folgen, die mich südwärts führen, tiefer und
tiefer hinein in die Welt der Bleichen Berge.
Aufstieg zur Civetta. Links im Anschnitt,
der Monte Pelmo
2.
Frühling, Sommer, Winter – und 30.000
Lire
Wenn
die Sonne im Jahreslauf beinahe ihren Scheitelpunkt erreicht
hat und schon recht senkrecht steht; und wenn die Sonne auf
den Almen und in den Bergschründen an den Resten des Winters
leckt, dann befällt dem Bergwanderer eine gewisse Unruhe,
die ihm nach Rucksack und Bergschuh schielen lässt; umso
sehnlicher das Bedürfnis dann, wenn man am fernen Niederrhein
wohnt.
Der
Juni hat so gerade den Monat geteilt, als ich Richtung Dolomiten
steuere. Die Berghütten dürften nun nach und nach
ihre Türen und Fensterläden öffnen. Darauf hoffend,
hatte ich meine Touren geplant. Auf jeden Fall waren sehr viele
Wanderungen in der sprießenden Bergnatur gewollt; aber
auch Weitwanderungen mit eingeschobenen Hochtouren. Einmal ganz
bewusst den Bergfrühling erleben und dem Massentourismus
keine Chance geben, der unweigerlich und unabänderlich
im Juli einsetzen würde. Darauf meine ganze Hoffnung setzend,
erreiche ich an einem halbwegs sonnigen Sonntagnachmittag das
Grödnertal. Doch aus aus dem Frühling wurde ein Frierling…
Tau
liegt auf den Gräsern, als mich ein strahlender Montagmorgen
begrüßt. Doch diesmal liegt der Tau in fester Form
und weißem verschwenderischem Glanze auf die noch jungen
Gräser. Alles brilliert und leuchtet. Saukalt aber herzerwärmend
kann ich es auch umschreiben. Das Grödnertal mit seinen
Bergen ringsum war mir zwar über die Jahre recht bekannt,
doch immer noch gibt es Ecken und Winkel, die ich nie gesehen.
So auch die Steviahütte und deren Umgebung. Über den
schattigen, teils vereisten Aufstieg, werden die Beinmuskeln
nach und nach erwärmt. Ein Almbauer, der mit mir ein Stück
Wegs gemeinsam geht, schimpft mir die Ohren über das Sauwetter
voll. Dabei habe ich überhaupt keine Sorgen, ich empfinde
das Wetter als Genuss. Mit stetem Anstieg hebt sich auch der
Langkofel höher, der nun nach und nach über der Seiseralm
dominant seine Felsgestalt so recht ins Morgenlicht rückt.
Ein Bild voll seltener Anmut und Schönheit. Schon freue
ich mich auf ein schönes Getränk in der Steviahütte.
Nichts da - außer Kaninchen. Diese tummelten sich in der
nun wärmenden Sonne vor der Hütte. Die Hütte
selber hält ihre Öffnungen noch dicht verschlossen.
Dafür hat die Regensburger Hütte die Saison bereits
eröffnet, wo ich mich dann später für eine gute
Weile niederlasse.
Nächsten
Tages starte ich vom Grödner Joch ausgehend zur Puezhochfläche.
Es liegt noch eine Menge Schnee auf dem zerfurchten Plateau.
Der Weg zur Puezhütte zieht sich hin. Jeder Eile fern dauert
es, bis ich mich vor der kleinen, alten Puezhütte auf der
Holzbank niederlassen kann. Das Gesicht zur Sonne gedreht, träume
ich von vergangenen Zeiten. Damals, auf dem Höhenweg 2,
war hier ein lebhaftes Völkchen in gelöster Stimmung
in der voll gepfropften Mini-Hütte versammelt. Voller Enthusiasmus
befand ich mich auf meiner ersten Weitwanderung.
Doch während ich noch die herrliche Stille voller Genuss
verinnerliche, ist plötzlich ein Dröhnen in der Luft.
Ein Hubschrauber setzt in aller Eile unweit von mir direkt vor
der neuen Puezhütte auf. Heraus springen eine Menge Leute,
die augenblicklich in der Hütte verschwinden. Sofort werden
die Fensterläden aufgestoßen. Erneut erscheint der
„Hublärmer“ und bringt in einem großen
Netz Konserven und Getränkekästen. Recht grimmig über
die geraubte Stille steige ich etwas weiter bergan, zum Col
Muntejela. Für die weiteren Stunden genieße ich den
beruhigenden Blick über die weiten Almwellen, die erst
vor dem Peitlerkofel im Norden enden.
Erstaunt bin ich doch, als ich auf dem Rückweg wieder an
dem unschönen Hütten-Neubau vorbeikomme. Alle Bänke
vor dem Haus sind nun besetzt. Wanderer trinken, essen und schwatzen.
So, als könnte man die Öffnung riechen, kommen die
Leute in nicht minderer Zahl aus dem Langental empor. Nun scheint
die Saison endgültig eröffnet.
Die Beinmuskeln nun etwas gestärkt, starte ich zu meinem
vorgesehenen Hauptziel in die Sextener Dolomiten. Am Misurinasee
biege ich ab auf die „Zinnenautobahn“. Eine Schranke
gebietet mir augenblicklich Halt. Diese öffnet sich erst,
als ich einem uniformierten „Wegelagerer“ 30.000
Lire in die fordernd aufgehaltene Amtshand drücke. Die
Auronzohütte befindet sich noch im geschlossenen Zustand,
als ich diese am späten Nachmittag erreiche. Über
den großen Parkplätzen liegt noch eine gespenstige
Ruhe. Auf der obersten Parkebene, direkt unter den Zinnen und
mit hervorragendem Panoramablick auf die Cadini, richte ich
mich in meinem Wagen für die Nacht ein.
Für die nächsten Tage habe ich mir folgenden Plan
vorgelegt: Morgen soll es zunächst auf die Schusterplatte
gehen. Für den Wochenrest ist dann der Rucksack für
eine größere Tour zu packen. Über die Klettersteige
des Paternkofels hoch, will ich diesen queren. Dann zur Zsigmondyhütte,
um dort zu übernachten. Über die Carduccihütte
will ich dann zur Zwölferkofelumrundung starten. Eine Nacht
im Bivacco Toni ist eingeplant. Dann wieder zurück zum
Ausgangspunkt.
Doch zunächst starte ich jetzt am Donnerstagmorgen bei
freundlichem aber recht kühlem Wetter Richtung Schusterplatte.
Ganz vereinzelt sind Wanderer unterwegs. Über den Dreizinnenboulevard
wandere ich den Paternsattel an. Es ist schon ein traumhaft
schönes Bild, das sich von dort auf die nördlichen
Sextener bietet. Und inmitten aller Pracht steht die Dreizinnenhütte,
deren rotes Dach schon von weitem anheimelnd lockt. Nun, auch
diese ist noch geschlossen. Was aber gar nicht weiter schlimm
ist. Wer die Hütte im geöffneten Zustand kennt weiß,
was er nicht verpasst hat. Die Schusterplatte ist ein Beinahe-Dreitausender.
Wenn auch gar nicht schwierig besteigbar. Der Blick vom Gipfel
schweift über das wilde, zerklüftete Felsdrama der
nördlichen Sextener. Dunkle Wolken sind aufgezogen, ein
eisiger Wind heult über die Gipfelebene. Gewölbte
Schneereste ergeben zusammen mit dem rötlichen Fels ein
faszinierendes Maler-Stillleben. Eine knappe Stunde bin ich
oben - zum Schauen, zum Fotografieren. Den Winterraum der Zinnenhütte
erreiche ich dann aber schon im platschnassen Zustand, weil
ein Gewitter schneller war. Als ich später mein Auto wieder
erreiche, bricht die Abendsonne durch. Das Zackengewirr der
Cadinigruppe wird nun zum abendlichen Hauptfilm, der sich in
diesem Autokino durchaus empfiehlt.
Freitag
ist es. Mein Rucksack für drei Tage gepackt, wartet aufs
Aufschultern. Das Wetter ist durchaus sonnig, wenn mich da nicht
im äußersten Westen der kleine, dunkle Wolkensaum
stören würde. Also warte ich noch ab, was sich ergibt.
Vermehrt ziehen Wolken auf; und vermehrt ziehen nun Wanderer
an meiner Parkbucht vorbei. Das anbrechende Wochenende lässt
so manchen Berggast hier erscheinen. Ich liege richtig mit meiner
Vermutung, dass ich sie in Kürze wieder sehen werde. Und
siehe da, um 11.00 Uhr hasten sie alle wieder durchnässt
zu ihren Wagen zurück. Der frühmorgens ausgemachte
Wolkensaum hat sich mittlerweile nämlich zu einem ausgemachten
Sauwetter entwickelt. Für mich heißt das –
warten. Ins Tal runter und morgen wieder 30.000 Lire abdrücken
– nicht mit mir! So eine Mautstraße wird ja nicht
gebaut, um die Dolomiten mit dem zu entrichtenden Obolus zu
retten, sondern um die Gesellschafter zu erfreuen. Um die nun
genügende Zeit auszufüllen, betreibe ich Anschauungsunterricht.
Trotz Regenwetter zieht es ein Wagen nach dem anderen die Maustraße
hoch. Alles aussteigen, Weib und Kind vor die Zinnen befohlen,
ausgerichtet und in die Sucherkamera smilen lassen. Klappe zu,
Wagen weg. Somit kostet jeder Schnappschuss hochgerechnet 30.000
Lire.
Ein kalter, windiger Abend gibt mir zumindest die Hoffnung,
dass ich morgen aufbrechen darf. Heute war Sommeranfang!
Samstagmorgen! Der Wächter über Parkbuchten und Mautgebühren
erscheint wieder, zur Überprüfung der rechten Ordnung,
um wie gestern früh auch schon, die Mautkarte auf ihre
Gültigkeit hin zu überprüfen. Er dient ebenso
wenig zur Erhellung meiner Stimmung, wie das Wetter. Wenn nun
auch zwei blassblaue Wolkeninselchen auszumachen sind. Diese
sind nach dem ganznächtigen Regen immerhin ein Lichtblick.
Und was kommen muss, das kommt! Regen setzt wieder in gewohnter
Form ein. Meine Stimmung sinkt auf den absoluten Tiefpunkt.
Nun bin ich bereits den 4. Tag hier droben, und harre hier mit
einer geradezu engelshaften Geduld. Doch nun werde ich trotzig.
Im Tal kann ich nichts anfangen, hier oben auch nicht. Die 30.000
Lire werde ich deshalb bis auf die letzte Lira auskosten. Heute
werde ich noch bleiben, morgen entscheide ich dann weiter. Es
ist erstaunlich, wie viel man schlafen kann. Kaum habe ich ein
paar Seiten gelesen, bin ich schon wieder müde. Die Wärme
des Schlafsacks bietet fast komfortable Gemütlichkeit.
Zwischendurch wird aus dem großen Aldi-Sortiment eine
Konserve herausgegriffen. Zum Nachtisch eine Tafel Schokolade.
Das wiederholt sich in dieser oder ähnlicher Form - und
immer öfters. Die weiteste Wanderung ist die zur Mülltonne
- 10 Meter! Wagen kommen hoch, Wagen fahren runter. Der Tag
leiert dahin, die Abenddämmerung sinkt hernieder. Schneefall
hat seit geraumer Zeit die Umgebung in weißgrauer Einheitsfarbe
getunkt. Ein heftiger Wind verwirbelt die Flocken. Um die Drei
Zinnen toben die Elemente. Aus dem Autoradio grüßt
Elvis Presley mit der amerikanischen Version von „O Sole
mio“. Längst bin ich schon wieder tief im Schlafsack
verschwunden, zwei Wolldecken obenauf. Warm ist mir nicht, frieren
tue ich so direkt aber auch nicht. Es ist so eine eigenartige
Restbehaglichkeit vorhanden, die mir verbietet, den Schlafsack
überhaupt jemals wieder zu verlassen. Längst ist die
Dunkelheit hereingebrochen, obwohl ich diese nur ahnen kann.
Die Scheiben des Wagens haben sich nämlich derweil mit
einer dicken Schnee/Eisschicht überzogen. Der starke Wind
entwickelt sich zum Sturm. Böen schütteln an meinem
Auto und habe dabei das Gefühl, einem stürmischen
Transatlantikflug ausgesetzt zu sein. Viel Schlafen tue ich
in dieser Nacht recht wenig. Etwa 300 Mal wechsle ich die Lage
im Schlafsack. Hin und wieder dämmere ich weg. Eine leichte
Erhellung am Autofenster lässt den beginnenden Morgen erahnen.
Der Sturm ist etwas sanfter geworden. Doch nun muss ich, ob
ich will oder nicht, an die Luft. Nur wie? Die Wagentüren
lassen sich nicht öffnen, ebenso wenig die Scheiben. Alles
ist eingefroren. Mit dem einsetzenden Licht kommt mir dann die
erhellende Idee, den Wagen zu starten und die Heizung auf volle
Pulle zu stellen. Die Batterie hat noch Saft, der Wagen startet.
Nur das Gebläse kommt nicht in Gang. Die Einlassöffnungen
müssen verstopft sein. Nach einer guten Viertelstunde und
mit ein wenig Gewalt, lässt sich die Tür widerwillig
aufdrücken. Der Schnee hat die Höhe des Türholms
erreicht, die Konturen des Wagens sind fast verschwunden. Ein
Wintermärchen? Wohl kaum! Ist doch jetzt bereits der 5.
Tag angebrochen, wo ich auf diesem Flecken verharre. Und jetzt
will ich endlich runter und weg aus diesen „verfluchten“
Sextener Dolomiten. Doch wie? Die Mautstraße ist dick
eingeschneit. Nun sage ich mir, Mautstraße = Geldstraße
– und ohne Moos nichts los. Also würde in Kürze
ein Schneepflug erscheinen, der den Tagesgästen die Bahn
spuren wird und mir eine schöne Abfahrt. Gegen 9.00 Uhr
tauchten dann tatsächlich die Lichter der Räummaschine
auf. Der Weg ins Tal ist frei. Die Bauern treiben ihre Kühe
von den Sommerwiesen abwärts, die Tiere haben nichts zu
fressen im Schnee. Auf den Bäumen liegt weihnachtliches
Gepuder. Am Misurinasee ist der Spuk dann vorbei. Verwundert
schaute man auf die dicke Schneeschicht auf dem Dach meines
Wagens.
Nach weiteren zwei Tagen und weiteren frustrierenden Beinah-Touren,
lenke ich meinen Wagen auf die Autobahn. Soweit ein Sommeranfang
in den Dolomiten!
Die Gipfel der Sextener "Sonnenuhr unweit der Drei Zinnen
gesehen
3. Almgeschichten
Der
Monat mit dem O ist mir der liebste geworden. Er spendet noch
die Wärme, von der sich die Haut geschmeichelt fühlt. Und er
spendet Farbe, von der sich die Seele geschmeichelt fühlt. Wenn
er denn Regen bringt, macht er nun öfters Schnee daraus, der
sich in den Höhen schon gerne anhaftet. Morgens tanzen Eiskristalle
zu flimmernden Lichtern illuminiert auf den gelben Gräsern,
auf Herbstzeitlose und auf Lärchenzweigen. Und wenn die Morgennebel
von der wärmenden Oktobersonne sich so nach und nach von weißblauer
Wischtechnik zu tiefstem Blau verflüchtet haben, tut sich endlich
die Welt auf, die Maler nach dem Pinsel greifen lässt - andere
nach Nikon oder Canon. Ich fühle mich der letzteren Sorte behaftet
und kann mich so wieder dem ganzen „Kitsch“ hingeben, der verschwenderisch
und im vollen Breitwandformat die Dolomitennatur durchflutet.
An wintertrüben deutschen Abenden dürfen sich Zuschauer im trübgrauen
Einheitslook gewandet, die Ergebnisse als bunte Dias anschauen.
Der Dolomiten-Oktober hüllt ein, schafft Szenerien die traumhaft
wirken, Träume wecken, Träume erfüllen. Farbe quillt aus den
Wiesen, aus den Büschen; Farbe rieselt aus den Bäumen; Felsen
zieren sich in Ockergelb und Rostrot, oder auch in Weiß und
hellem Grau - darüber Himmel aus Azur. Nie zu bunt, alles passt,
alles harmonisiert, alles voller praller Farbe. Vincent van
Gogh war niemals hier. Hätte er die Dolomiten nur gekannt!
Als
ich im Oktober 2002 an einem Spätnachmittag Predazzo erreiche,
wird es im Fleimstal schon dunkel. Ich biege auf die Forststraße
ab, die ins Val di Maggiore führt, um dann gut 600 Meter höher
die gleichnamigen Alm zu erreichen. Zwischen mächtigem, altem
Gehölz bricht die Abendsonne blendende Schneisen, und der hochgewirbelte
Staub leuchtet goldfarben auf. Auf 1600 Metern erreiche ich
den großen ebenen Almboden; an dessen Ende die Malga. Diese
hat die Sommerbewirtschaftung eingestellt. Aber es befinden
sich noch kleine Gruppen Nutztier’ auf den Wiesen. Die dunklen
Berge der umgebenden Lagoraikette wirken nun ernst. Nur gegen
Nordwesten zeichnet sich der helle Fels der Latemargruppe ab.
Ich bin etwas müde von der langen Tagesfahrt und möchte nach
einem leichten Abendbrot den Schlafsack aufsuchen. Dieser wird
für die kommende Nacht in meinem Wagen ausgebreitet. Schon bald
schleicht sich eine Gruppe Esel heran. Neugierig und aufdringlich
beobachten sie, was diese komische Gestalt wohl treibt und vor
allen Dingen da futtert. Und da sie nicht zu vertreiben sind,
schlage ich die Heckklappe zu und ziehe mir den Schlafsack um
die Ohren. Nacht legt sich über die Lagoraiberge, dieser Insel
der Stille.
Hin und wieder besuche ich sie gerne, weil es in deren Hochlagen
noch keine Hütten gibt; ebenso wenig finden sich Liftanlagen.
Im Sommer wandert man gerne hier, doch der Zustrom ist endlich.
Und jetzt im Oktober, kann ich nur mich entdecken.
Ich fröstele etwas in meiner Hülle und schlafe etwas unruhig.
Doch dann um 3.30 Uhr in der Früh hebt ein Geläut an. Schnaufend
kommt eine Horde Pferde näher, glaube ich zu hören. An den Ritzen
des Kofferraumes saugen sich schnüffelnde Nüster fest. Die eingesaugte
Luft signalisiert wohl Essbares. Leichte Erdstöße erschüttern
mein Anwesen, wenn der mächtige Hintern des rangoberen Gruppenpferdes
die Karosserie walkt. Ich kann alles nur ahnen, was draußen
in der kalten Nachtluft abläuft. So auch, als nun ein hässliches
Schmirgelgeräusch anhebt. Mit Genuss leckt der alte Sauerbraten
den Raureif vom Lack meines Wagens weg. Schließlich kommt das
grausame Geräusch fräsender, breiter Pferdezähne dazu. Ich kann
es nur so einordnen, dass der Hengst die Außenspiegel nun vollends
ins Maul genommen hat. Vergleichbare Töne machen sich nun auch
im Heckbereich bemerkbar. Das Schlimmste befürchtend, brülle
ich gegen die Nacht an. Ohne Erfolg! Schließlich schäle ich
mich unwillig aus Sack und Decke, verwinde mich zum Fahrersitz,
starte den Motor und schalte das Fernlicht hoch. Nun weicht
das Pferderudel doch wenige Meter zurück. Doch sehr beeindruckt
scheint es nicht zu sein. Auf jeden Fall haben sie von meiner
Gastfreundschaft genug und wenden sich nun endlich ihrer gewohnten
Kost zu.
Der Lack ist zwar an einigen Stellen recht unschön abgefräst,
doch wiederum nicht so stark, wie ich zunächst befürchtete,
stelle ich dann bei meinem morgendlichen Rundgang fest.
Vom
vielen Schnee in den oberen Regionen des Lagorai, war ich dann
doch etwas überrascht. Zuviel war in den letzten Septembertagen
heruntergegangen. So wurde mein Besuch dort auch kürzer als
geplant. Deshalb startete ich nächsten Tages vom Passo Vallez
ausgehend zu einer gemütlichen Almwanderung. Jenseits, südlich,
recken sich die mächtigen aber doch so filigranen Spitzen der
nördlichen Palagruppe in den grauen Himmel. Die zum Naturpark
Paneveggio gehörende große Alm- und Hügelflache, die zwischen
Pelegrinotal und den Palabergen eingelagert ist, möchte ich
nun per Rundwanderung erleben. Die Hütten sind bereits geschlossen;
wohl auch deshalb, weil sich für meine Dürftigkeit ohnehin keiner
mehr interessiert. Einsam ist es aber doch nicht. Immer wieder
sausen Jeeps über die breiten Kieswege. Um den großen See -
Lago di Cavia - herum ist es recht laut. Einer der Lifte wird
gewartet und aufgerüstet für den Winteransturm. Eine andere
Gruppe werkelt an der Staumauer des Sees. Als See macht er sich
auch nur auf der Karte gut, denn bei Augenschein ist der Zweck
desselben bald erkannt: die Schneekanone braucht Futter. Und
als ich mich etwas genauer umschaue, entdecke ich inmitten der
Hügel viele pistenartige, breitgewalzte Flächen. Diese sind
nun mit einem leichten Flaum aus Schnee bedeckt, der etwas Erbarmen
gibt aber nicht deren Hässlichkeit zu verstecken vermag. Zu
verstecken gibt es allerdings sehr viel, wie ich auf meiner
halbtägigen Wanderung sehe. Pisten, Stromkabel, Masten, Lifte
und breite Wege, alles gilt es im Winter zu verstecken. Sollte
der Winter dann nicht so recht wollen - wie so oft - hat der
Kanonier wieder harte Akkordarbeit zu erledigen. Eine hässlichere
Alm als diese kommt mir momentan nicht in den Sinn. Leise rieselt
der Schnee!
Um
wieder eine geordnete Behaglichkeit für die folgende Woche zu
haben, wende ich mich dem Alta Badia zu. Aus dem düsteren, nun
meist sonnenlosen Gadertal biege ich ab nach Wengen. Wenn unten
im Tal schon alles im Schattenreich versunken ist, räkelt sich
dieser beschauliche Ort noch in der Abendsonne. Hier hat alles
noch eine natürliche, gewachsene Ordnung: Kirchgang, Friedhof,
dann Wirtshaus - in dieser Reihenfolge. Gebaut wird auch, doch
(noch) in Grenzen. Zwei, drei oder auch vier Häuser mehr, werden
es auch im folgenden Jahr wieder sein. Doch Lifte wird man vergeblich
suchen, und Pisten auch nicht. Drüben dort, unter der Sella,
in Corvara, wird man Sicherheit dererlei nicht entbehren müssen.
Und wunderschöne Wanderwege gibt es hier auch. Die Augen erblicken
den Peitlerkofel und die Puezberge, an der langen Flucht des
Kreuzkofelmasivs entlang haften die Augen schließlich auf den
Hausberg - der Neunerspitze. Nicht ganz 3000 Meter hoch, dafür
aber schöner. Wenn man dann etwas höher steigt, zur Kreuzspitze
vielleicht, schaut man schon bis zum Großglockner; oder ganz
nah, auf die Fanesberge.
Doch es stinkt im Wengental! Alle Bauern wollen zugleich in
den ersten Oktobertagen ihre in reichhaltiger Fülle übers Jahr
angesammelten Opfergaben gegen Himmel senden. So beschließe
ich umgehend, die opferfreie Schutzzone der Fanesalm aufzusuchen.
Der Wetterbericht meldet für heute durchwachsendes Wetter: wolkig
mit etwas Aufheiterungen, etwas Regen möglich. Unbeeindruckt
davon steige ich in den Wagen und fahre die Valparolajoch-Paßstraße
hinan. An der Capana Alpina sammeln sich erste Automobile. Zunächst
ist es noch kühl, doch dann setzt sich die Oktobersonne durch.
Der blaßblaue Himmel färbt sich zu dem Blau, was ehedem gerne
Könige zu tragen pflegten. Linkerhand zum Aufstieg, das pralle
Gefüge der Conturinesspitze. In deren Ausbrüche fangen sich
die Schatten der Morgensonne. Der gelbrote Fels zieht immer
wieder magisch das Objektiv meiner Kamera an. Drüben, zum Südwesten
hin, räkelt sich die Wucht der Sella aus den Almwellen. Nach
dem treppenartigen Anstieg zur ersten Einsattelung wird die
Jacke endgültig in den Rucksack geschoben. Vor mir die weite
Fläche von Großfanes. Zum wiederholten Male bin ich dort - nie
bereut. Mit jedem Schritt wird die Aussicht schöner. Deshalb
muss man sich diese auch erwandern. Schäfchenwolken sammeln
sich am Himmel, Flugzeuge bringen wiegende Seidenschals dazu.
Ein kurzer Fluch, wenn ich mal wieder über einen Stein stolpere.
Doch die "Hansguckindieluft"-Verrenkung erfordert dies. Ich
habe die Dias noch nicht gezählt, die hier von mir fotografiert
wurden, doch es dürften mittlerweile mehrere Hundert sein. Müde
nach Perspektiven zu suchen und müde, die Ergebnisse anzuschauen,
ist mir bislang noch fern. An der Brücke über dem Fanesbach,
unweit der kleinen Jausenstation, tut sich nach Osten hin ein
Panorama der Extraklasse auf. Frischschnee lagert in den Furchen
der Felswände, auf Buckeln goldgelbene Lärchen im Herbstlicht
strahlen, und dazwischen rauscht der Fanesbach. Kann „Kitsch“
noch schöner sein? Es ist dies so ein Edelschinken, wie er ehemals
(und auch heute noch) in den muffigen Wohnstuben der
arbeitenden Bevölkerung gerne den Raum schmückte und dabei etwas
Wärme brachte und der Sehnsucht Flügel verlieh. Nur - hier ist
der Kitsch Wirklichkeit. Wer dann vor Ort diese Umschreibung
tatsächlich in den Mund nimmt, ist ein elender Banause. Basta!
Und so steige ich weiter über Lichtwege und Märchenwiesen und
auch hoch zum sagenumwobenen Limosee. Dampfend habe ich ihn
allerdings nur einmal gesehen, vor vielen Jahren, auf dem Dolomitenhöhenweg
1, früh am Morgen. Es war August, und da war er noch gut gefüllt;
doch nun ist er ein elender Tümpel unansehbar, eher jämmerlich.
Ein älterer Herr kommt über die Kante hoch geschnauft, die zum
touristischen, wenn auch nicht minder schönen Abschnitt der
Fanesalm abbricht, von Klein-Fanes. "Grüß Gott! Wo ist denn
hier der Limosee und wie komme ich dahin?" "Na, sie stehen schon
direkt davor", antworte ich. "Ach?" Ob er nun enttäuscht sei,
versuche ich fragend in seinem Gesicht zu lesen; oder gibt er
sich damit zufrieden, nun abhaken zu dürfen, was der Fremdenführer
in Buchform gemeinhin als sehenswert einstuft? Sei es drum,
ich beobachte noch ein Weilchen von erhöhter Warte das quirlige
Leben auf den beiden Hütten; welches sich aber aus dieser Entfernung
recht friedlich darbietet. Das Licht der Nachmittagssonne fordert
auf, ein Dia ans nächste zu reihen. Dann wieder Innehalten -
Schauen. 30 Wanderer mögen es schon gewesen sein, denen ich
während dieses schönen Tages begegnete, doch fühlte ich mich
nie eingeengt. Inmitten der Wellen der weiten Alm fallen sie
kaum ins Gewicht. Fanes ist meine Lieblingsalm.
In Deutschland regnet es saumäßig, erfahre ich später per Handy
von meiner Frau. Na, das ist aber schade!
4. Der König (Antelao) und ich...
...fast
20.00 Uhr! Ich muss mir die Augen reiben und die kleine Taschenlampe
einschalten, um die Uhrzeit am Arm überhaupt erkennen zu können.
Es ist düster, fast lichtlos in meiner winzigen und engen Behausung.
So nach und nach wird das zusammenhanglose Gefüge meiner Sinne
wieder zu einer geordneten Einheit...
Ich
befinde mich im Biv."Cosi", eine von diesen kleinen, rotgestrichenen,
tonnenförmigen Blechbehausungen. Diese stehen verstreut in den
Bergen - meist in größeren Höhen - um dem Bergsteiger einen
bescheidenen Schutz vor den Unbilden des Bergwetters zu gewähren.
Diese "Iglus" sind aber auch als Unterkunft bei mehrtägigen
Bergwanderungen bestens geeignet. In der Regel sind acht bis
neun Klappbetten eingefügt; und wenn man Glück hat, sind diese
auch mit Schlafdecken ausgestattet. Sollte es aber ausgerechnet
mal 9 Leuten danach lüsten sich dort wohnlich einzurichten,
dann Gute Nacht! Doch - was ein Glück, ich bin alleine hier
auf 3111 Meter Höhe, etwa 150 Meter unterhalb des Antelao Gipfels.
Am
Morgen hatte ich mit dem Aufstieg auf den "König der Dolomiten"
begonnen. Nach der Marmolada ist der Antelao der zweithöchste
Gipfel in den Dolomiten. Mein bester Tag war das ganz und gar
nicht heute: etwas müde, etwas träge - und Schwüle lag in der
Luft. Über dem Gipfelaufbau bauten sich bereits allmählich mächtige
Wolkentürme in den blassblauen Himmel. An Umkehr dachte ich
aber nicht - war ich doch schon zu hoch. Trotz aller bleiernen
Trägheit, die den Füßen jegliche Lust nahm weiter zu steigen,
hatte ich es aber auch nicht allzu eilig, den Gipfel zu erreichen.
Es war von mir fest eingeplant, auf dem höchsten Punkt zu übernachten.
Es sollte das ganz große Erlebnis werden: Alleine mit der Welt,
plus Sonnenuntergang und -aufgang. Dafür schleppte ich dann
nebst Foto- und Filmausrüstung auch noch den Schlafsack mit
über die steile, geröllbedeckte Nordflanke des Berges hinan.
So wurde es dann auch 14.00 Uhr, ehe ich die kleine Biwakschachtel
erreichte.
Im
Kreis die Lage des Biv. Cosi
Hier
wollte ich nun vorerst bleiben und der Dinge harren, die sich
mit mäßigem Grollen ankündigten. Erst noch recht sanft und verhalten,
doch dann immer mächtiger dröhnte es mit gewaltigen Paukenschlägen
über die riesigen Plattenschüsse des Antelao. Die wenigen Bergsteiger,
die den Gipfel heute besuchten, hasteten mit enormer Eile gen'
Tal, um dem Gewitter zu entfliehen. Nun war ich mit dem Antelao
alleine! Und alleine wollte ich ja schon sein, die Übernachtung
war eingeplant, doch nicht unter diesen Bedingungen. Die Schönheit
eines Abends auf dem Berg erleben, eine sternklare Nacht genießen
und bei Sonnenaufgang das Erlebnis krönen - so hatte ich mir
das ausgedacht. Doch nun rüttelten bereits erste Windböen an
meiner Zuflucht. Und diese steht äußerst hart am Abgrund, hoch
über dem Antelaogletscher. Die schlaff dahin baumelnden Stahlseilchen
sollen dem Biwak Standfestigkeit geben und mir das Gefühl, dass
sie auch noch für die kommende Nacht hier am Platze haften bleibt.
So begebe ich mich gefügsam in der Obhut meines kleinen, roten
Häuschens. Erste Blitze erhellen für Augenblicke den Ort, der
sich nun anschickt schaurig zu wirken. Ich schließe die knarrende
Tür und lege den schweren Metallriegel vor, schlage die Luke
zu. Das Stakkato beginnt! Sturm, Blitz, Donner, Hagelschlag
rütteln an meine Behausung, und mehr noch an dem Mensch, der
dort im Schlafsack steckt. Es knirscht, ächzt und stöhnt, und
die Halteseile schlagen auf die Blechhaut ein. Tiefer drücke
ich mich in den Sack, der Schlaf verheißt und doch nicht kommen
will - bewegungslos und bibbernd.
Schon bald wird ein mächtiges Unwetter um das
Biv. Cosi 3111 m toben
...
Stunde um Stunde tobte sich die Welt aus. Ich weiß nicht wie
lange - vielleicht drei, vielleicht vier Stunden. Irgendwann
muss es dann ruhiger geworden sein, und irgendwann muss ich
wohl gnädig weggedämmert sein. Wie gesagt, nun ist es 20.00
Uhr. Teils ist es ein natürliches Bedürfnis, teils ist es Neugier,
was mich mehr als unwillig aus der Hülle meines Schlafsackes
treibt, die nun doch ein erträgliches Maß an Wärme bot. Die
Tür dreht sich widerwillig und stöhnend nach außen ...und...
befinde mich im großartigsten Theater der Welt.
Lichtkaskaden
ergießen sich durch nun öffnenden Wolkenschichten. Kein helles,
blendendes Licht, nein es ist ein sanftes, durch den Raum schwebendes
unwirkliches Leuchten. Aufsteigende Talwolken verwirbeln zu
filigranen Schleiern, getönt in den warmen Farben des späten
Sonnenrots. Der Gletscher tief unter mir hat eine rosa Färbung
erhalten. Neuschnee leuchtet in den Karen, Eisglätte schimmert
auf den Felsen - darüber bildet sich ein Baldachin aus feurigem
Rot. Im Osten wölbt sich ein Halbkreis zum Farbenring, fast
zum Greifen nah. Ein Regenbogen, der als solcher zu bezeichnen
ein geringschätziger wäre. Vor mir recken sich Gipfel hoch,
in milder Lichtwärme leuchtend. Am Morgen hatten sie noch einen
Namen, doch nun ist die Welt jungfräulich, so als wäre sie soeben
erst erschaffen.
Ich
löse mich aus meiner Starre und falle wieder dem alten Jagdfieber
anheim, Bilder machen zu müssen. Ich weiß, dieses Schauspiel
wird von kurzer, irdischer Dauer sein. Hastig greife ich zu
Foto- und Filmkamera, um ein Ereignis festzuhalten, das später
bei Betrachtung doch nur ein unbefriedigendes sein wird. Den
Eindruck des unmittelbar Dabeigewesenseins, kann ein Filmstreifen,
ein Foto, niemals vermitteln. Kurze irdische 30 Minuten sind
vergangen, die Schatten der aufziehenden Nacht nehmen dem Leuchten
die Kraft. Ein letztes Grummeln des Gewitters verebbt orientierungslos
zwischen dem Felsgeschröff, ein zartes Rosa noch, dann senken
sich die Sterne herab - funkelnde Irrlichter überziehen die
Welt. Ich ziehe mich zurück in mein Bergschneckenhaus, ziehe
mich noch tiefer in den Schlafsack. Aus meinem Walkman tönen
Beethovens 5. Symphonie und die schönen Klänge der Musik von
Kitaro. Nie habe ich Musik eindringlicher empfunden, und vielleicht
war ich nie gelöster, als in dieser Nacht am Berg.
Lange
liege ich noch wach und habe so einige Mühe, gegen 5.00 Uhr
aufzustehen. Bei Sonnenaufgang möchte ich auf dem Gipfel des
Antelao stehen. Hastig winde ich mich aus meiner Schlafhülle,
stopfe irgend etwas in den Mund und steige an. Die Gipfelfelsen
sind recht steil und Eisglätte schimmert im frühen Licht. Nach
30 Minuten stehe ich am höchsten Punkt. Gerade rechtzeitig,
um die Sonne hinter den östlichen Bergen hochsteigen zu sehen.
Ein Rausch aus warmen Farben ergießt sich raumgreifend über
die Gipfel. Die wunderschöne Gestalt des Monte Pelmo dort im
Westen - nun zum Greifen nah - wird noch von der Pyramide des
Antelao beschattet. Doch dann windet er sich mehr und mehr aus
der düsteren Umklammerung des Königs. Cortina d'Ampezzo tief
unten im Boitetal liegt noch im Dunkeln; die Straßenlaternen
funzeln ein schwaches Licht herauf. Wind setzt ein und treibt
mir Feuchte in die Augen; und ich spüre, dass die Feuchte auch
bei Windstille nicht weg ist. Die Strahlen der Sonne erwärmen
mich dann äußerlich - innen bin ich es schon längst.
Dieses
Erlebnis am Morgen steht dem am vergangenen Abend in seiner
Schönheit fast nicht nach - und doch ist es anders. Als der
Tag vollends ausgeleuchtet ist, steige ich hinab. Ich räume
mein Biwak auf, trage mich im Hüttenbuch ein und schultere den
Rucksack. Mit Gemach und einer tiefen, inneren Befriedigung
steige ich talwärts. Später, als ich die ersten Tagesgäste begrüße,
die sich im Aufstieg befinden, fühle ich bei aller Freundlichkeit
doch eine gewisse befremdliche Skepsis über den sonderlichen
Einzelgänger zu spüren , der dort am frühen Morgen den Berg
hinunter stolpert. Nun, mein Erlebnis werden diese Tagesgäste
nie haben. Das teile ich nur mit "König" Antelao.
5. Abenteuer
Lagorai
Das
patschende Geräusch, das aus meinen Schuhen dringt, ruft in
mir alles andere als angenehme Gefühle hervor. Bei jedem Schritt,
wird der am Schaft meiner Bergschuhe eingedrungene Schnee zu
kalter, unangenehmer Flüssigkeit zermatscht - und an Schnee
herrscht kein Mangel. Der Sommer ist erst wenige Tage jung,
die Ausmaße der Schneefelder noch gewaltig, nackter Fels eher
spärlich. Nun stehe ich am oberen Rand einer Steilrinne und
bin soeben im Begriff, etwas Blödsinniges zu tun…
Ich
befinde mich in den Lagorai-Bergen, einem Randgebirge der Dolomiten.
Einsam und menschenleer! Seit 8 Tagen bin ich bereits unterwegs.
Wieder hatte mich das Fieber gepackt, um in abenteuerlicher
Natur meine innere Balance zu finden. In den vergangenen Jahren
hatte ich mehrere Dolomiten-Höhenwege durchwandert. Sie waren
für mich sehr schöne Erfahrungen, die ich auf keinem Fall missen
möchte. Doch immer störte mich etwas daran: Die Wegführung war
vorgeschrieben. Nicht zwingend - doch bei zuviel Abweichung
auf denselben, wäre der Charakter dieser Wege nicht gewahrt.
So saß ich dann viele Wochen zuvor zuhause über einem Haufen
Kartenmaterial und vollführte geistige Wanderungen. Endlich,
so schien mir, hatte ich eine geeignete Route ausgearbeitet.
Eine Rundtour plante ich, die mich in etwa 15 - 20 Tagen zur
Seiseralm zurückführen sollte. Vor einer Woche nun stieg ich
von dort hinauf zum Schlern. Weiter über den Klettersteig zur
Tierser Alpl Hütte und dann hinüber in den Rosengarten. Dieser
wurde über verschiedene Spitzen und Scharten durchquert. Über
den Karerpaß hinweg dann in das mir noch unbekannte Latemargebirge.
Durch ein wildromantisches Hochtal stieg ich hinab ins Fleimstal.
Gegenüber erhob sich der langestreckte Zug der Lagoraiberge.
(von der Gesteinsart her sind diese Berge nicht den Dolomiten
zugehörig) Dort, vom Latemar, hatte ich schon einen guten
Ausblick zu diesen düster wirkenden, mit großen Schneefeldern
gesprenkelten Bergen. Absolut unbekannt war mir diese Berggruppe.
Noch nicht mal deren Namen hatte ich vorher gehört. Die Nacht
verbrachte in der kleinen Cauriolhütte, am Westrand des Gebirges.
Fast gänzlich ist diese Hütte mit Utensilien des Gebirgskrieges
ausstaffiert. Als einziger Gast der Herberge wurde ich zum Schlafen
in dem Verschlag über dem Schankraum untergebracht. Nach der
Verabschiedung vom kleinen Hüttenjungen - er regelte alles in
der Hütte alleine, weil der Senior meist mit der Flasche zu
tun hatte (im übrigen war das auch die billigste Übernachtung
in meinem Hüttenleben bisher) - stieg ich aufwärts ins Reich
der Stille. Es begann die Ouvertüre der Einsamkeit für die kommenden
Tage. Düster, eher verwunschene Stimmung vermittelnd, wölbte
sich der Himmel flach über die Gipfel. Nebel steigen von den
vielen kleinen Seen hoch, die sich inmitten dieser Bergkette
verstecken. Diese Bilder rufen geradezu auf, nach Berggeistern,
Kobolden und Feen Ausschau zu halten. Leichter Regen setzt ein,
ein paar Schneeflocken mischen sich dazu. Mühsam versuche ich
einer Spur zu folgen, die dann meistens doch keine ist, weil
der Altschnee alles verdeckt. Nach einer letzten Biegung werde
ich dann am Nachmittag meiner Unterkunft gewahr. Eine kleine
Holzhütte (Paolo e Nicola), dunkel und ganz unüblich
der anderen Biwakschachteln, die blechern und von roter Farbe,
verstreut im Gebirge herumstehen. Es folgt eine lange Nacht,
nur der Wind pfeift seine schaurige Melodie. So begebe ich mich
dann am Morgen auch schon recht früh auf die Etappe, die mich
hoffentlich heute zum Rollepass in der Palagruppe bringen soll
(die Pala soll in einer Rundtour durchstiegen werden, dann
nordwärts zu den Ausläufern der Marmolada, zum Langkofel, und
endlich zurück zur Seiseralm). Doch bis dahin ist es noch
recht lange, und habe auch dafür überhaupt noch keine Gedanken.
Der Morgen beginnt recht sonnig. So fällt es mir nicht schwer,
als erstens den Cece (2754m) zu besteigen. Es ist dieser
die höchste Spitze in der langen Lagoraikette. Etwas leichtsinnig
steige ich hernach über die steile, brüchige und vermeintlich
kürzere Nordflanke weglos ab. Eine weitere Erfahrung folgt dann
umgehend am Fuße des Cece, als ich dort auf einem langgestreckten,
leicht abfallendem Altschneefeld den Halt verliere. Mehr als
hundert Meter rutsche ich auf dem Ellbogen talwärts, nur weil
ich meine Filmkamera schützen möchte. Dass der Schnee zu dieser
Jahreszeit kristallscharf ist, sehe ich bei Augenschein meines
Armgelenks - total durchgescheuert! Der Schmerz wird aber erträglich
dadurch, dass ich mich nun gänzlich auf den Weg konzentrieren
muss. Ausrüstung für Schnee habe ich dafür nicht im Rucksack
- eben weil die Erfahrung noch fehlt. So wird der eingedrungene
Schnee in den Schuhen rasch zur Qual. Die Füße haben das Aussehen
eines mehrstündigen Badaufenhaltes angenommen. Immer wieder
breche ich im Tiefschnee in die nicht sichtbaren Aushöhlungen
bis zu den Schultern ein. So nach und nach wird nicht nur mein
Körper müde, sondern auch die Psyche hat ihr Selbstvertrauen
schon längst eingebüßt. Hätte ich das Biwak bemerkt, das irgendwo
in der Nähe stehen musste, wäre ja noch alles gut geworden.
Dann hätte ich noch eine Nacht im Lagorai verbracht, um dann
am nächsten Morgen ausgeruht den Rollepass zu erreichen. (Vom
Biwak wusste ich derzeit nichts, weil es recht neu und in meiner
Karte noch nicht eingezeichnet war)
…
wie eingangs erwähnt - ich bin soeben dabei, etwas Blödsinniges
zu machen. Zermürbt wie ich nun bin, will ich durch diese sehr,
sehr steile Schneerinne, etwa 20 Meter breit, absteigen. Deshalb
eben, weil die Orientierung weitgehend weg ist, der Nachmittag
bald endet und das Ziel vermeintlich südöstlich der Gebirgskette
liegen muss. Etwa fünfmal starte ich den Versuch einzusteigen.
Um dann jedes Mal - eine Restvernunft in mir sagt, mach das
nicht - einen Rückzug zu machen. Und dann mache ich es doch!
Nach
wenigen Metern Abstieg bin ich mir der Dummheit und des Wahnwitzes
voll bewusst, dessen ich mich aussetze. Ich bin nun hellwach.
Etwa 180 Meter tiefer liegen riesige Felsbrocken. Ich male mir
aus, dass ein Ausgleiten unweigerlich an diesen Brocken enden
würde! Einige Steine vom stark verwitterten Randbereich stürzen
mit enormer Wucht und Geschwindigkeit an mir vorbei. Gottlob
vorbei, denn der Versuch des Ausweichens würde für mich auch
nur den Weg der Steine folgend bedeuten. Rechts und links ragt
der Fels steil hoch; ein Ausweichen ist also auch sinnlos. Nach
Ausmalung aller schrecklichen Szenarien steige ich sofort wieder
an. Langsam rutscht mein Fuß weg. Zu riskant! Also trete ich
die Flucht nach vorne an, das heißt in diesem Fall: nach unten!
So kläglich mir auch zumute ist, nehme ich nun alles an Disziplin
zusammen, die ich momentan noch besitze. Und ich wundere mich
sogar in dieser Situation, dass ich weitaus mehr davon habe,
als jemals angenommen. Und die Disziplin wächst sogar! Schrittchen
für Schrittchen, unendlich langsam, den Steigfuß jeweils dreimal
kräftig in den Schnee rammend, bevor ich ihn belaste. In den
Fingern verspüre ich heftigen Kältescherz, die sich Halt suchend
im Schnee festklammern. Die körperliche und geistige Anspannung
lässt den Schmerz aber bald gnädig vergessen. Das Leichtstativ
meiner Filmkamera benutze ich als stützenden Pickel; dessen
Lächerlichkeit in seiner unbrauchbaren Wirkungsweise bin ich
mir in meiner Lage sogar voll bewusst. Es ist halt der berühmte
Strohhalm - wirkungslos, doch psychisch ungemein wichtig. Der
Schnee über den Felsen ist nicht mehr sehr mächtig, deshalb
die Gefährlichkeit darauf wegzurutschen. Eine dunkle Wolke schiebt
sich vom Schluchtgrund hoch. Diese schickt mir ein Grollen entgegen,
das sich schaurig in den Felswänden bricht. Erste dicke Tropfen
klatschen in den Schnee, Blitze erhellen für Momente das Geschehen
- ich versuche meinen Abstieg zu beschleunigen. Doch sogleich
schlage ich meinen alten Schritt-Rhythmus wieder an, als die
Füße ein Gleiten signalisieren. Die Lage bleibt leidlich kalkulierbar.
Etwa
90 Minuten mögen vergangen sein. Das Zeitgefühl habe ich beim
Abstieg längst verloren - doch ich bin unten! Nachdenklich schaue
ich auf die gewaltigen Gesteinsblöcke, die von oben gesehen
Horror vermittelten - doch nun können sie mir nichts mehr anhaben.
Nach oben hin ist die Sicht durch die Gewitterwolken gnädig
zugedeckt. Viel empfinde ich nicht mehr zu diesem Zeitpunkt;
ich haste talwärts, bar jeder Orientierung. Mal meine ich eine
Spur zu sehen, mal ein Pfad - doch stets ist es Täuschung. Keinerlei
Rücksicht mehr auf körperliche Unversehrtheit nehmend, treibe
ich mich über glitschigen Boden abwärts. Ich orientiere mich
an einem Rinnsal, folge ihm... das führt schließlich zu
einem Bergbach... und endlich stehe ich auf einem Weg.
Zwei
Stunden später: Wohlig warm, bei einer Flasche Wein, sitze ich
in einer Holzfällerbehausung. Ein kräftiges Abendessen mit großer
Fleischbeilage hilft mir wieder recht bald zu Kräften zu gelangen.
Die Unterhaltung ist eher karg. Die bärtige Fällertruppe schaute
mich zwar etwas eigenartig an - wohl aufgrund meines abgewrackten
Erscheinungsbildes - doch diese haben wohl andere Sorgen und
legen sich bald Schlafen. Ich selber habe eine tiefe und traumlose
Nacht. Erst die folgende wird ein einzig Grauen...
...einen
ganzen Tag habe ich zu Fuß und per Anhalter gebraucht, den Rollepaß
zu erreichen. Im Lager der Passhütte erlebe ich mein Abenteuer
dann in einem schlaflosen Dahindämmern noch einmal - ausgiebig
und in beklemmender Scheinrealität. Am folgenden Morgen, beim
Aufstieg in die Palagruppe bekomme ich bei jeder Überquerung
eines Schneefeldes Brechreiz. Dort im Lagorai ist etwas Tiefes
und Einschneidendes mit mir passiert, was mich auch in Zukunft
wohl noch eine ganze Weile beschäftigten wird. Kurz entschlossen
wird die Palagruppe dann ausgeklammert, um keinen Schnee mehr
sehen zu müssen. Als ich dann beim Abstieg nach Falcade bei
Überquerung eines Bergbaches auf einem glitschigem Steg ausrutsche
und in denselben falle - und dabei dann auch noch die Filmkamera
den Nässetod erleidet - ist es endgültig um meine Moral geschehen:
Abbruch und per Bus zurück nach Seis.
Später
dann sah ich mein Erlebnis nur noch als positiv an. War ich
doch nie zuvor und nie danach in meinem Leben so konzentriert
und diszipliniert, als an jenem Tag in den Bergen der Lagorai-Gruppe.
Der Monte Cauriol inmitten der einsamen
Lagoraigruppe
6. Das Leuchten am Pass
Ich
war auf dem Dolomitenhöhenweg 2 unterwegs, meiner ersten großen
Gebirgswanderung. Diese Tour wurde für mich das prägende Erlebnis
für viele zukünftige Jahre. Deshalb hat die folgende Schilderung
für mich auch sehr viel Bedeutung erlangt. Eigentlich ein Erlebnis,
so klein und bescheiden, dass es für einen Außenstehenden überhaupt
nicht bemerkt wurde - ein Mosaiksteinchen nur. Vielleicht auch
nur, weil dieser Tag für mich ein besonderer war. Der 9. Tag
auf meiner langen Wanderung neigte sich bereits…
Begonnen
hatte alles an einem Montagmorgen in Brixen, im Eisacktal. Dort
am nordwestlichen Rande der Dolomiten, hatte ich meine Tour
gestartet, mit viel, viel Gepäck im großen Sack, der meinen
Rücken zur Gänze ausfüllte. So war ich nun im Begriff, meine
erste Weitwanderung zu starten, die mich in etwa 12-14 Tagen
quer durch die Dolomiten bis nach Feltre an deren Südrand führen
sollte. Da stand ich nun auf der großen Almfläche des Plose-Gipfels
vor jenem Markierungsstein, der den Anfang des Höhenweges anzeigte.
Etwas verzagt stieg ich in eine Welt ein, die voller, für mich
ungelöster Rätsel steckte. Grau der Himmel, grau das Gestein
und ein kühler Wind trieb mir Feuchte in die Augen. Die Bergschuhe
eine Nummer zu klein - hatte mir doch niemand gesagt, dass im
Laufe des Tages die Füße an Umfang zulegen. Schmerz, Einsamkeit
und Ermattung legten sich aber bald, als ich den Anstieg zur
Schlüterhütte geschafft hatte. Der Raum füllte sich rasch mit
Wanderern, die ebenso meinem Ziel folgten, dem Höhenweg 2. Die
Stimmung beim Wein stieg mächtig an. So wurde mein erster Hüttenaufenthalt
eine prägende Erinnerung. Später konnte ich schon differenzieren,
wer als angenehmer Gesprächspartner einzustufen und wer gerne
den Prahlhans und Wichtigtuer spielte. Das hatte ich schon schnell
begriffen!
In
der übernächsten Nacht durfte ich dann einen ausgemachten Nachtfrost
durchzittern, und in der darauf folgenden einen Sturm im Hochgebirge;
und wiederum Tage weiter, schon jenseits der Marmolada, als
ich völlig geschlaucht von der Tagesmüh schon reichlich deprimiert
die Tour deshalb abbrechen wollte, weil die italienische Hotelmanagerin
am Pelegrinopass mich als Scheissdeutschen bezeichnete. Ich
hatte mir die Frechheit herausgenommen, in deren Hotel nächtigen
zu wollen. Wohlgemerkt - Rucksackgäste gehörten nicht zur bevorzugten
Klientel in der aufstrebenden Bergwelt mit Pauschaltourismus.
So hatte ich in meinem kurzen Bergler-Leben in wenigen Tagen
schon viel gelernt. Aber auch, dass man nicht so schnell aufgibt,
denn am nächsten Morgen schien die Sonne schon wieder so prächtig,
dass mich die Landschaft förmlich aufsog. Hinauf ging es in
die Palagruppe - ein wundervolles Reich. Die Reihen derer, die
sich aufgemacht hatten nach Feltre zu marschieren, waren bereits
soweit gelichtet, dass sie nur noch aus einem Ehepaar und meiner
Person, dem Bergsolisten, bestand. Das hatte ich dann auch schnell
gelernt, dass zwischen Wollen und Tun gewaltige Lücken klaffen
können.
Bisher
hatte sich die Bergsonne in fröhlichster Laune gezeigt und lud
geradezu ein, weiter in das Reich der "Bleichen Berge" einzudringen.
Doch nun am Südrand der Palagruppe wurde auch die Sonne bleich.
In der lückenhaft gefüllten Trevisohütte tat dann der brennende
Kamin für den Körper schon etwas Gutes. Und die Seele ließ sich
auch recht angenehm baumeln; dafür sorgte schon der Geist aus
der Flasche.
Die
Luft stand bleiern am nächsten Morgen und es tröpfelte. Im schon
fortgeschrittenen Tagesverlauf und nach Prüfung aller Unwägbarkeiten,
die ein schlechtes Wetter am Berg mitbringen kann, entschloss
ich mich, den Weg zum Ceredapass doch noch am gleichen Tage
zu gehen. Dieser führt recht lange und durch eine bei dieser
Wetterstimmung trostlos wirkende Einsamkeit über den Kamm der
d'Oltro-Berge. Alle Tage hatte ich es vorgezogen tagsüber alleine
meinen Weg zu machen. Ich wollte meinen Gedanken nachgehen,
Zeit zum Filmen haben und vor allem die Seele ausloten. Doch
nun zog ich es vor, mich dem Ehepaar anzuhängen. Es wurde düster
und düsterer…, und auf den Graten wurde es sogar fürchterlich.
Ein Gewitter war mittlerweile dermaßen grauslich aufgezogen,
dass selbst bei aller vorantreibenden Anstrengung, stille Verzagtheit
und Ergebenheit ins Schicksal, die Abenteuerlust merklich ausbremste.
Der Weg erschien mir endlos, und der fehlenden Sicht wegen glaubte
ich mich im Kreise zu bewegen. Es dauerte Stunden, doch dann
standen wir total verdreckt vor der Herberge am Ceredapass.
Platz
war genügend in dem pensionsartig geführten Haus. Der Sommer
hatte sich bereits verabschiedet. Hier fühlte ich mich sofort
aufgenommen: gedämpftes Licht, beschlagene Scheiben; draußen
tobte das Unwetter, drinnen anheimelnde Wärme. Die Wirtsleute
strahlen eine stille, unaufdringliche Ruhe aus - fast scheu.
Wir sind naß bis auf die letzten Fetzen Stoff und noch ein bisschen
mehr. Zwischen den Vorräten im Keller, an der Heizanlage, dürfen
wir unsere Sachen ausbreiten, zum Trocknen. Nach und nach treffen
noch einzelne kleine Bergwandergruppen ein, die ebenso wie wir
dem Unwetter entkommen sind. Nach der Aufwärmphase hat sich
dann in unserer Zuflucht doch noch eine kleine gesellige Gruppe
zusammen gefunden. Allerlei Erzählbares gilt es auszutauschen;
und so manches Tröpfchen gilt es noch zu süffeln.
Im Halbdunkel des Aufganges zum Schlaftrakt war mir vorher,
eher so beiläufig, ein unscheinbares Poster aufgefallen. Doch
nun schaute ich es mir etwas genauer an: eine Fotografie, schwarzweiß
belichtet, im Hintergrund und etwas verschwommen, mächtig aufragendes
Gebirge; im Vordergrund, auf einer blumengesprenkelten Almwiese,
ein Holzkreuz mit Heiligenfigur - so wie man sie oft im Gebirge
findet. Davor ein Bergbauer, schmächtig in seiner Gestalt, schon
recht bejahrt, den Rücken etwas gekrümmt, die Hände zum Gebet
gefaltet und den Kopf halb hoch gewendet zum blumengeschmückten
Wegkreuz. Alles eigentlich nicht so sehr beeindruckend für mich,
bin ich in meiner Frömmigkeit doch eher erdverbunden. Aber -
und das irritiert mich - es geht ein sonderbares Leuchten von
diesem Bildnis aus und fordert mich dazu auf, ganz nahe heranzutreten,
um dessen Szenerie zu verinnerlichen. Es sind die Augen des
alten Bergbauern: flehend schauen sie hoch, mit eindinglicher
Kraft und doch mit einer Geste, die viel, viel Demut vermittelt.
Nie vorher habe ich solch' flehenden Blick gesehen. Mir läuft
diese Gänsehaut über den Rücken, die man bei einem besonderen
Erlebnis bekommt. Warum betet der alte Mann so eindringlich?
Ist seine Frau verstorben, hat er möglicherweise ein Kind verloren
- oder welch' anderer großer Schaden mag sein Leben verändert
haben? Mich beschäftigt diese Frage noch sehr oft am Abend.
Mehrmals stehe ich an diesem späten Tag noch im Zwielicht des
Treppenhauses, um dieses Bild eindringlich zu betrachten. Seine
Leuchtkraft füllt seltsamerweise die düstere Umgebung seines
Platzes voll aus.
Der
nächste Tag ist ebenso düster, und der Regen prasselt unaufhaltsam
weiter auf die Natur nieder. Ich lungere herum, man lungert
herum, trinkt etwas, man schläft etwas, vertritt sich im Regen
etwas die Füße - und hofft endlich auf den Sonnenstrahl, der
dazu auffordert, den Höhenweg fortzusetzen. Nun, dieser Strahl
lässt sich auch am 3. Tag nicht sehen. So steht dann schnell
fest, dass ein jeder den Weg sucht, der irgendwann nach Hause
führt - per Bus und Bahn oder Auto. Beim Verlassen der Herberge
werfe ich noch einen Blick auf "mein Bild" - es hat seine Leuchtkraft
behalten. Und in den Jahren danach leuchtet es in meiner Erinnerung
still weiter.
Jahre
später... Mittlerweile war ich schon so manchen Höhenmeter durch
die Dolomiten gestapft, hatte so manche Erfahrung gesammelt
und hatte auch schon etwas von jener Unschuld verloren, die
so ein Bergunerfahrener noch hat, der am Beginn großer Wanderungen
steht. Wieder habe ich mich der Palagruppe genähert. So Recht
mit Absicht war ich auf verschlungenem Weg zur Trevisohütte
gelangt. Geplant war, den Höhenweg 2 nun endlich zu Ende zu
führen. Nochmals wollte ich über den d'Oltro-Kamm zum Ceredapass
steigen, um diesen Weg bewusst im Sonnenschein zu erleben; von
dem ich doch nichts anderes in Erinnerung hatte, als jenes schreckliche
Unwetter damals. Hochsommer ist es und drückende Schwüle liegt
in der Luft. Schon bald riecht es wieder nach Gewitter. Schon
blitzt und donnert es in den umliegenden Bergen. Wiederum muss
ich meine Füße in die Hand nehmen und haste Richtung Ceredapass.
Doch diesmal erreichen mich die ersten Tropfen erst, als ich
die Türe des Passhauses schon gesichtet habe. Alles so unbekannt
- bin ich auch richtig hier? - schaue ich mich fragend um, und
lasse meine Augen schweifen, um Orientierung zu finden. Der
Gastraum ist umgestaltet, Wände sind umgesetzt, alles wirkt
etwas moderner - und auch heller. Die Wirtsleute sind nun jünger
und italienisch forsch. Lebhaftes Gemurmel und Gläserklang hallt
durch den Gastraum. Kinder schreien, und alles ist sonntäglich
prall gefüllt. Noch ist es Mittagszeit. Ich finde irgendwo ein
freies Plätzchen, bestelle mein Mahl und einen Trank. Doch dann
pocht in mir eine leise Ungeduld: Ist "mein Bild" noch am Ort
- oder vielleicht doch wahrscheinlicher, ist es in der Zwischenzeit
der modernen Umgebung zum Opfer gefallen? Endlich stehe ich
auf, um meinem Unbehagen und der Ungewissheit ein Ende zu bereiten...
Ja, es hängt noch an seinem Platze im schummrigen Aufgang; etwas
angestaubt, doch scheinbar unverändert. Doch so sehr ich das
Bild nun auch aus allen Blickwinkeln betrachte, die Faszination,
die damals davon ausging und die ich in all den vergangenen
Jahren verinnerlicht hatte, sie ist verschwunden. Ich suche
nach einem erklärbaren Grund? War es die anheimelnde Wärme und
Geborgenheit meiner damaligen Zuflucht, die nun verloren gegangen
scheint; oder war es die zur Melancholie neigende frühherbstliche
nasse und nebelige Stimmung, die nun doch so ganz fehlt? Draußen
scheint die Sonne schon wieder in nachmittäglicher, blendender
Pracht. Die Umgebung stimmt ganz einfach nicht mehr mit dem
Damals überein. Etwa so, wie bei einem Kalenderblatt aus vergangenen
Zeiten, das man vergaß, zu entfernen. Das Bild hatte seinen
angestammten Platz, seine Heimat verloren! Ja, so musste es
wohl sein.
Zufrieden
bin ich mit meiner Erklärung jedoch nicht. Irgendwie spüre ich
tief in meinem Inneren, dass ich womöglich selbst der eigentliche
Grund bin. Damals war ich erfüllt von den Ereignissen meiner
ersten langen Bergwanderung, und war wohl auch benommen von
der Stille und Einsamkeit, der ich mich auf meiner Wanderung
oft ausgesetzt fühlte; und war wohl auch erfüllt von einer leisen
Demut, die man nur zu bestimmten Zeiten und in gewissen Situationen
erfühlt und verinnerlicht. So ein Tag muss gewesen sein. Und
all das zusammen musste wohl das Licht erzeugt haben, welches
ich eindrücklich erlebt hatte. Und ich spüre - das war der wahre
Grund für das "Leuchten" am Pass.
Von der Rotwandwiese beugt sich dieser
Baum zum Sextener Tal runter
7. Val di San Lucano
- Traum und Alptraum
Die
Spitze des Monte Agner steht wie eine Laterne über dem Val di
San Lucano. Diese zündet ihr Licht jedoch erst am frühen Morgen,
wenn die Sonne sich anschickt, den Tag freundlicherweise auszuleuchten.
Etwas griesgrämig schaue ich aus verquollenen Augen dem neuen
Tag entgegen. Die Nacht hatte wenig Schlaf gebracht. Widerwillig
würge ich zum Frühstück einen Happen hinunter; ein Schluck kalter
Milch fördert das ganze schließlich abwärts. Meine Gedanken
sind auf jener großen Schlucht fixiert, die hinauf zum Biv.
Bedin führen soll - der Boral delle Besausega.
Es ist
dies der dritte Versuch der letzten Tage. An den beiden vorhergehenden
hatte der Himmel mehr Nässe denn Sonne gebracht. Und hatte deshalb,
um nicht am Fleck verharren zu müssen, per Auto jene Berge aufgesucht,
die sich östlich der Dolomiten erheben. Bestiegen habe ich diese
dann auch nur per Auto. Einige Dörfer abseits der Hauptstraßen
wurden ebenso Programm, wie einige schmucke Kirchen. Einen weiteren
verregneten Tag verbrachte ich dann damit, Bergblumen im Nässeglanz
zu fotografieren. Und es regnete weiter, so als hätte die Natur
panische Angst, dass ohne ihre Ergüsse die gesamte Menschheit
verdursten würde. In meinem mitgebrachten Buch "Herr der Fliegen",
kam ich deshalb den besonderen Umständen entsprechend recht
gut voran.
Das Val
di San Lucano begeisterte mich erstmals, als ich wenige Jahre
vorher über die Berge der östlichen Palagruppe jenseits vom
Val Gares herüber kam. Sogleich fielen mir diese jäh gegen Himmel
strebenden Berge auf, die mit ihren Steilwänden das Tal gegen
Norden abschotteten. Etwas düster wirkten sie; und bei wenig
Sonnenlicht schauten diese auch nicht ganz so freundlich aus.
Ganz anders dagegen die südliche Talbegrenzung. Dort stehen
die Wände des Agner-Gruppe. Höher noch als ihre jenseitigen
Nachbarn und im hellen Dolomit-Mantel leuchtend. Inmitten aller
Schroffheit breitete sich der freundlich anmutende Talgrund
von San Lucano aus. Den Schweiß des Tages hatte ich bereits
unter paradiesisch anmutenden Kaskaden abgewaschen, die etwas
versteckt im ansteigenden Talschluss herunterrauschten.
Man mag dieses Tal links liegen lassen, wenn man von Agordo
kommend das Dörfchen Taibon durchfährt. Doch neugierige Menschen
(ich gehöre dieser Gattung an), spüren gerne Unbekanntes
auf. So lenkte ich meinen Wagen, bereits wohlwissend um dessen
schönes Geheimnis, taleinwärts. Ein Wirtschaftsweg jenseits
des Talschlusses erlaubt mir die Fahrt bis zu einer Parkbucht
auf ca. 1200 m Höhe fortzusetzen. Es ist dies' eine wunderschöner
Sonntagmorgen. Ein recht steiler Waldpfad leitet mich auf meinen
Profilsohlen höher und höher. Ich dampfe mit der Feuchte, die
nun aus den Gräsern hochsteigt um die Wette. Bei Höhe 2000 durchsteige
ich durch die Forc. Gardes. Darüber breitet sich eine überaus
herbliebliche, teils holprige Hochebene aus. Alpenrosenfelder
leuchten in schwelgerischer Pracht. Eine aufgescheuchte Viper
nimmt vor meinen klobigen Bergschuhen hastig schlängelnt Reißaus.
Weglos steige ich höher, bis ich die Abbruchkante dieser dunklen
Felsgestalten erreiche. Jäh stürzt der Blick von dort ins Leere.
Halt suchend tasten sich die Augen an steilsten Felsmassen abwärts,
die schließlich tief unten im Talgrund ihren Endpunkt finden.
Durch üppig wuchernden Latschenbewuchs und kleinen verwunschenen
Alminseln versuche ich entlang der Abbruchlinie zu wandern.
Ab und an bricht polternd ein Brocken aus den Wänden, der dann
mit hohlem, grollenden Klang die Tiefe sucht. Gegenüber im hellen
Licht räkelt sich der Monte Agner in den Sonntagshimmel - und
die Croda Grande zeigt sich nicht minder eitel. Ich versuche
den Orsa-Klettersteig auszumachen, der dort hinauf führt. Zwei
Jahre vorher hatte ich dieses wenig berührte Stück Natur der
östlichen Palagruppe durchstiegen. Im weiteren Verlauf wurde
der Tag nun recht warm; flirrend und träge lag die Luft über
den Gräsern. Erst als die Wolken massiger wurden und für nicht
ferner Stunde ein Gewitter versprachen, stieg ich hinunter ins
Tal. Irgendwann wollte ich wohl wiederkommen, um von diesen
Bergen mehr zu erfahren.
… der
Beginn des Pfades liegt unscheinbar und etwas versteckt am Ende
einer großen Kiesgrube. Über diesen steige ich nun an, durch
dichtes Laubwerk und Gräsern. Manchmal kaum fußbreit und arg
steil. Alles ist voller Nässe; zuviel Feuchtigkeit hat sich
in den vergangenen Tagen angesammelt. Nass und träge kleben
die Hosenbeine an den Schenkeln. Hin und wieder leuchtet der
Monte Agner herüber, wenn sich das Baumwerk etwas lichtet. Mein
Rucksack ist für zwei Tage gepackt. Die Nacht möchte ich gerne
im Bivacco Bedin verbringen. Anstrengend zieht der Pfad höher.
Das Rauchen habe ich gottlob schon vor langen Jahren aufgegeben
und habe deshalb zumindest mit der Luft keine Schwierigkeit.
Nach ca. 500 - 600 Metern Anstieg verliert sich die Pfadspur.
Ich versuche Markierungen ausfindig zu machen. Blasse, rötliche
Flecken sind augenscheinliche Wegweiser; doch diese erweisen
sich nur als Farbschattierungen im Gestein. Über grobes Blockwerk
steige ich höher. Eine schluchtartige Einbuchtung leitet auf
natürlicher Weise bergan. Diese endet nach etwa 300 Metern vor
einem leicht gestuften Steilaufschwung als Sackgasse. Irritiert
schaue ich mich fragend um: keine Markierung, keine Pfadspur
- nichts? Wenn das so weitergeht komme ich in Zeitnot. Der Weg
zum Bivacco Bedin ist sehr weit. Dort oben möchte ich zwar übernachten,
aber ich möchte auch nicht zuviel der Zeit verplempern, da mir
der Weg dorthin nicht bekannt ist. Nun werde ich etwas ärgerlich!
Warum zeichnet man Wanderwege in Karten ein, wenn dann doch
keine da sind? Da aber der Möglichkeiten nur zwei sind - vor
oder zurück - steige ich, dabei jeden Tritt auf lockeres Gestein
prüfend, die etwa 10 - 12 Meter hohe recht steile Stufung an.
Eine Felsnase lugt an deren oberen Ende aus dem erdigen Gesteinsboden
hervor. Prüfend drücke ich mit Handkraft dagegen, ob diese auch
genügend Festigkeit hat, mein Körpergewicht zu halten. Es gibt
keine Bedenken. Talseitig, auf dem rechten Bein das Gewicht
lagernd, ziehe ich mich hoch. Doch dann muss plötzlich irgendwie
sehr viel Verwunderung in meiner Mimik liegen, als sich so scheinbar
in Zeitlupe diese Felsnase löst. Die Gedanken sausen durch den
Kopf - in rasender Fülle. Warum hat Luft keine Haken… warum
stehe ich auf dem rechten Bein, warum nicht auf dem linken?
Wird der Aufschlag sehr wehtun…? Der Weg nach unten ist noch
kaum begonnen, und doch ist er innerlich bereits vollzogen.
Tausend Gedanken eilen den Geschehnissen voraus, die nun doch
unabänderlich werden. In einer Reflexbewegung stoße ich mich
vom Stein weg, der sich nun als ein etwa 70 cm starker Brocken
erweist. Nur nicht mit ihm zusammen aufschlagen, er wird dich
zerschmettern, fliegen die Gedanken durch das Hirn. Ich schlage
kurz auf - mal kopfunter, mal kopfober - ich weiß es nicht…
schlage nochmals an. Durch die Wucht des endgültigen Aufpralls
überschlage ich mich noch einmal. Dann liege ich inmitten des
grobschotterigen Abhangs. Stille! Nicht denken, nicht bewegen,
nicht atmen. Zwei- drei Minuten lang. Es ist dies eine wunderbare
Gnade der Natur, bei großem Körperstress keinen Schmerz zu verspüren.
So nach und nach lässt die Betäubung des Körpers etwas nach.
Und damit setzt auch das Denken wieder ein. Noch bewegungslos
liegend versuche ich eine Diagnose zu erstellen. Anhand der
Schmerzpunkte versuche ich meine Verletzungen aufzuspüren. Innere
Verletzungen… Brüche… Wunden? Ganz, ganz langsam versuche ich
meinen Gliedern mit kaum merkbaren Bewegungen Leben zu geben.
Ich taste mit den Fingern durchs Gesicht. Ist noch alles vorhanden?
Blut bleibt an der Hand zurück. Schmerz breitet sich nun im
Brust- und Bauchraum aus. Die Steine im Fußbereich färben sich
rot. Soweit es mir möglich ist, ziehe ich das linke Hosenbein
hoch. Im Wadenmuskel ist ein klaffendes Loch. Daraus hervor
blutet es unaufhörlich. Ein polterndes Geräusch von oben lässt
reflexartig die linke Hand über das Gesicht heben. Aus der Ausbruchstelle
kommt ein großer Stein auf meinen Kopf zu geschossen. Haarscharf
vorbei! Dieser bringt nun endlich etwas Leben in meine Glieder:
Mir scheint, soweit ich das nun erfühlen kann, dass nichts gebrochen
ist; zumindest nicht an den Gliedmassen. Mühsam versuche ich
den Rucksack hinter mir hervorzuziehen. Die Apotheke befindet
sich natürlich ganz unten. Mit Mullbinden versuche ich die Blutung
des Wadenmuskels zu stoppen. Ich ziehe mein Hemd aus der Hose,
um die Bauchfläche zu sichten. Oberkörper und Arme sind auf
der gesamten Hautfläche tief zerschrammt. Es fällt mir nun auf,
dass ich auch eine Brille hatte; diese sichte ich 3 Meter oberhalb
im Schotter liegend. Ich öffne die Kameratasche: Das Objektiv
steckt windschief, der Kamerakörper selber hat arge Blessuren.
Der Rucksack hat Löcher und Risse, meine Kleidung ebenfalls.
Kraftlos wie ich mich augenblicklich fühle, mache ich einen
ersten zaghaften Versuch eine aufrechte Stellung zu erreichen.
Langsam komme ich hoch - die Beine tragen. Und dann werde ich
ärgerlich: so ein blöder Felsbrocken verleidet mir den Tag.
Ich werde weiter hochsteigen und das Biwak erreichen - ja das
will ich! Die Mullbinde ist bereits wieder durchtränkt und wechsle
sie erneut aus. Nun bekomme ich Heißhunger und verschlinge hastig
einen Apfel. Wenn das geschieht, so weiß ich aus Erfahrung,
stimmt mit dem Kreislauf etwas nicht. Der Schmerz beginnt jetzt
überall. Mein Denkvermögen kommt nun nach und nach wieder zu
realistischen Betrachtungen. Und diese sagen mir nun deutlich,
dass es nur abwärts gehen kann, und nicht etwa nach oben. Langsam,
ganz langsam taste ich mich talwärts. Nach zwanzig Metern ist
wieder eine neue Mullbinde fällig. Diesmal stelle ich einen
ordentlichen Druckverband her. Endlich erreiche ich den Aufstiegspfad.
Immer schön an Zweige klammernd, schleife ich mich talwärts.
Nach guten weiteren 2 Stunden lasse ich mich erschöpft in die
Polster meines Wagens fallen. Im Geiste steige ich dann noch
mal hoch - wie konnte das passieren? Mein Glück - so denke ich
- war wohl mein Rucksack. Dieser muss mich letztlich beim Aufschlag
geschützt haben, und hat mich wohl so auch vor ärgsten Verletzungen
bewahrt. Die Wunde im Bein muss ein spitzer Stein verursacht
haben. Ich ziehe die zerlöcherte Kleidung aus, neue an, und
versuche ein wenig Pflege meinem geschundenen Körper angedeihen
zu lassen. Sollte ich den ADAC benachrichtigen, um den Wagen
nach Hause bringen zu lassen, überlege ich? Und fahre dann doch
selber, weil ich das Bedürfnis habe, auf dem schnellsten Wege
nach Hause zu eilen. Später auf der Autobahn kann ich mich im
Sitz kaum noch rühren - ich versteife förmlich. Das lädierte
Bein wird immer dicker, und das Treten der Kupplung wird zur
Tortur. Sehr spät am Abend und 900 km weiter liege ich in meinem
Bett.
Außer Narben nichts, weiß ich später. Kein Bruch, keine inneren
Verletzungen. Eine knappe Woche Bewegungslosigkeit, dann geht
es wieder aufwärts.
Zwei
Jahre später - wieder bin ich auf dem Weg zum Biv. Bedin. Ab
einer bestimmten Höhe halte ich intensiv Ausschau, weshalb ich
wohl falsch gelaufen war. Der richtige Weg, so dämmert es nun
bei mir, bog links weg; ich hingegen bin geradeaus weiter gegangen.
Der Grund dafür: der sehr schmale Pfad war fast gänzlich von
Gras überwuchert. Und ich muss wohl ganz viel geträumt haben
an jenem Morgen.
Nun, auf diesem Weg habe ich es immer noch nicht zum Biv. Bedin
geschafft, weil ich später, am Ende der großen Aufstiegsschlucht
ganz einfach keine Lust mehr hatte, weiter zu steigen. Sei es
nun aus natürlicher Müdigkeit oder vielleicht auch, weil ich
mittlerweile zuviel Respekt hatte vor diesem besonderen Weg
in den Bergen des Val di San Lucano.
Die Palagruppe mit Cima Vezzana und Cimone
della Pala
8.
Die Dolomiten-Höhenwege…
...
im klassischen Sinne führen jeweils mehr oder weniger von Nord
nach Süd durch das Hauptgebiet der Dolomiten. Ein weiterer verläuft
im östlichen Randbereich jenseits der eigentlichen Dolomiten.
Im Laufe der Jahre wurden weitere hinzugefügt - zumeist von
West nach Ost. So sehen die Strecken der Weitwanderwege auf
den Wanderkarten oftmals wie die Linien auf Schnittmusterbögen
aus. Über deren Sinn lässt sich streiten. Ich meine: es ist
genug! Für meinen Teil habe ich es so gehalten, dass ich nach
Begehung der klassischen "Fünf" - und auch schon zwischendurch
- eigene Wege gesucht habe. Alle Wege bin ich vom Grundsatz
her alleine gegangen, um meinen Gedanken und Gefühlen so möglichst
von jeder Störung fern zu halten.
Aufmerksam wurde ich auf dieser Art Weitwanderung im Jahre 1980,
als ich zum ersten Mal den Dolomitenraum betreten hatte. Begonnen
hat dann alles mit dem Höhenweg 2: weil mir Teilstücke des Wegs
bekannt waren, am einfachsten zu begehen sei; mich aber auch
wegen seiner Länge reizte. Meine Charakterisierungen sind natürlich
wie bei allen Beschreibungen subjektiver Art. Immer kommt es
auf den persönlichen Blickwinkel an. Und immer ist das Erlebte
auf solcherart Wanderungen sehr entscheidend: wie hat man die
Menschen erlebt, wie war das Wetter, wie die Unterkünfte, die
Schwierigkeiten und Strapazen. Also schreibe ich gänzlich aus
meinen ganz persönlichen Erinnerungen heraus. Diese würden dann
auch für ein ganzes Buch ausreichend sein, doch ich will mich
nur auf das Wesentliche beschränken. Für mich steht und stand
nie der sportliche Aspekt im Vordergrund, sondern ausschließlich
das sinnliche Erlebnis und die Schönheit des Weges.
Wettermäßig bedingt ist der Spätsommer bzw. Frühherbst zur Wanderung
vorzuziehen, weil die Gewitterneigung stark nachlässt, die Sicht
merklich klarer und der Bergtourismus in erträglichen Bereichen
abgesenkt ist. Hüttenübernachtungen sind auf solchen Wegen unabdingbar.
Deshalb - Erkundungen einholen, wie lange die einzelnen Hütten
geöffnet haben. Im Laufe der Jahre wurden aber viele Hütten
bis zum Herbst hinein offen gelassen. Dafür hat schon der massenhafte
Bergtourismus gesorgt.
Nun
kann es aber auch schon losgehen. Lust zum Laufen mitzubringen
ist obligatorisch. Luft auch, denn diese kann schon mal nicht
ausreichend sein. Und dann braucht man wiederum die Lust, die
Höhenwege auch zu Ende zu gehen. Nur Teilstrecken zu wandern
wird durchaus schön sein aber endlich ist es nur unbefriedigend,
weil das Erlebnis der Langzeitwanderung dadurch kaputt geht.
Was man im Rucksack tatsächlich braucht ist eher wenig: Ein
paar Klamotten zum wechseln, eine Rucksackapotheke und je nach
Höhenweg eine Klettersteigkombination. Am wichtigsten sind eigentlich
nur die Schuhe: fest und knöchelhoch; daran sollte wirklich
nicht gespart werden. Proviant nur mitschleppen, wenn unbedingt
gespart werden muss. Jedes Kilo mehr mindert etwas das Erlebnis.
Wer gerne und ausgiebig filmt und fotografiert hat natürlich
mehr auf seinen Schultern mitzuschleppen. Ich spreche da aus
leidvoller Erfahrung. Meistens sind die Wege gut ausgezeichnet.
Verlassen sollte man sich aber nicht darauf. Deshalb schon zur
Übersicht einige Karten mitnehmen. Zur Empfehlung nur soviel:
Die Tabacco-Karten sind von ihrer Handlichkeit her nicht immer
das Optimale, von der Qualität her fast immer einzigartig. Also
los! Am Anfang steht immer die Lust.
Höhenweg
Nr. 1
Vom Pragser Wildsee nach Belluno
Etwa
150 km weit ( je nach Variante auch kürzer oder länger). Laufzeit
bzw. Wanderzeit 10 - 12 Tagen (alles nicht zwingend). Vom Pragser
Wildsee steigt man steil zur Seekofelhütte an. Wer am ersten
Tag schon recht geschlaucht ankommt, der mag sein Haupt bereits
dort betten. Eine gute Stunde weiter steht aber schon die Senneshütte,
die womöglich mehr Ruhe bietet. Ich habe in dieser übernachtet.
Auf einem nahen Hügel habe ich unzählige Edelweiß gefunden.
Strahlender Sonnenschein am nächsten Morgen, die Kühe muhen
unter dem Fenster. Dann abwärts nach Pederü. Hier kann es schon
recht laut werden. Ein Großparkplatz und Taxi-Verkehr sorgen
für Unruhe (die Taxi sind mittlerweile verboten). Zeit
für ein Bier hat man genug, denn nach dem Anstieg zur Faneshütte
(oder Varellahütte) ist der Tag schon gelaufen. Den Abend aber
möglichst nicht hinter dem Hüttenfenster verbringen. Man befindet
sich in der zauberhaften Umgebung der Klein-Fanes Alpe. Ich
fühle mich wunderbar geborgen in diesem Märchenreich der Sagen,
der Seen - inmitten einer Bergkulisse, die das Herzen pochen
lässt.
Nach
kurzem Anstieg erreiche ich am Morgen den Limosee, der lautlos
vor sich hinnebelt. Groß-Fanes ist nun erreicht. Weit wandern
die Augen über die vielleicht schönste Alm weit und breit. Sollte
schon erster Schnee gefallen sein und das Almgras die Gelbtönung
angenommen haben, kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen.
Das Panorama der umgebenen Berge ist schlichtweg berauschend.
(Die Fanes Alm habe ich in den Jahren mehrfach besucht -
sie wurde zu meiner Lieblingsalm.) Nach einem guten Stück
der Wanderung über die weitläufige Fläche führt der Steig einige
hundert Meter höher zur Forc. del Lago (wer es anders mag,
kann auch eine Variante nehmen, die hinüber zu den Tofane führt).
Nun steil hinunter zum Lago di Lagazuoi, der etwas verzaubert
inmitten der Berge ruht. Ist die Zeit noch im genügenden Maße
vorhanden, sollte man sich Ruhe gönnen beim längeren Anstieg
zum Rif. Lagazuoi. Am Nachmittag kann es dort recht ungemütlich
voll sein, ehe die Tagestouristen mit der Seilbahn wieder zum
Falzaregopass hinab gondeln.
Früh am nächsten Morgen schon, vor Sonnenaufgang, stehe ich
unweit der Hütte und harre inmitten der ergreifenden Stille
dieses Bergmorgens. Am einfachsten wäre es nun, die Seilbahn
in Anspruch zu nehmen. Will ich aber nicht, denn erstens hat
das nichts mit Höhenweg-Wanderungen zu tun und zweitens kann
man sich für den Fahrpreis Getränke an der nächsten "Abfüllstation"
genehmigen. Eine dritte Abstiegsmöglichkeit ist der Weg durch
den stockdunklen und überaus steilen Tunnel aus Weltkiegszeiten.
1200 Meter lang und kaum kopfhoch ist dieser alte Kriegsstollen,
jedoch von sehr hohem Erlebniswert (ich bin einziger Besucher
an diesem frühen Morgen). Ist das Ausstiegsloch erreicht,
ist man regelrecht dankbar für die ersten Sonnenstrahlen. Der
Falzaregopass ist ein Knotenpunkt im weiten Dolomitenraum. Folglich
steht dort nicht die sauberste Luft zum Atmen bereit, sondern
geht zum Mittagsschlaf besser etwas abseits zu einem Wiesenflecken.
Zeit bis zur nächsten Übernachtungshütte ist wahrscheinlich
vorhanden. Der nördliche Teil der Dolomiten wird nun verlassen.
Den Averau umwandert man südlich. Übernachten kann man dann
im Rif. Cinque Torri oder besser, eine halbe Stunde höher auf
der Spitze des Nuvolau. Der prächtigen Aussicht wegen! Wer hier
frühmorgens erwacht und zum Fenster raus schaut, hat seine Morgenandacht
schon genossen. Eine Variante des Weges geht von der Hütte aus
direkt über die Gusella zum Passo Giau. Sehr schön! Ich wandere
jedoch weiter über den Normalweg. Über Blumenwiesen und durch
lichtes Waldgelände mit vielen Schmetterlingen wandere ich sanft
abwärts zur Giau-Paßstraße. Es ist Sonntagswetter. Jenseits
der Paßstraße durch Wald aufwärts zum Lago Federa, einem wahren
Kleinod. Die Umgebung ist märchenhaft angehaucht. Schade nur,
dass am Sonntag zu viele dem Zauber erliegen. Wer im Rif. Palmieri
die Nacht verweilen möchte, der liegt schon richtig - falls
nicht gerade Wochenende ist! Ansonsten: Zeit lassen und in den
Abend hineinwandern. Im Süden sichtbar, Becco di Mezzodi, der
Uhrzeiger Cortinas. In der Forc. Col Duro bin ich dann schon
wieder etwas atemlos. Nicht der Anstrengung wegen, sondern weil
nun einer der schönsten Dolomitenberge sichtbar wird - der Monte
Pelmo. Fast zum Greifen nahe. In der schon späten Abendsonne
ein erhaben schönes Bild. Das Rif. Cita di Fiume ist die Nächtigungsstation
für die folgende Nacht; bald wird sie erreicht. (Anm.: unter
den Betten dürfte mal geputzt werden, doch wer schaut da schon
hin) Während der Abendstunden gebe ich mich dann der Überlegung
hin, ob der Pelmo es nicht wert wäre, zwei Tage Abenteuer-Ambiente
einfließen zu lassen.
Kurz entschlossen steige ich am folgenden Morgen ostwärts zum
Rif. Venezia. Die Hütte habe ich fast ganz alleine für mich.
Nachmittags liege ich lange in den Wiesen und betrachte den
Aufstieg zum Gipfel. Der nächste Tag wird prächtig, und der
Aufstieg zum Pelmo wird zum echten Erlebnis. Ein Dreitausender,
der es wert ist. Wenn man mal vom etwas ausgesetzten unteren
Felsaufbau absieht, auch gar nicht so schwierig zu besteigen.
Dieser 23. August haftet in meiner Erinnerung.
"Singing in the Rain", wird zur melodiösen Durchhalteparole
des nächsten Tages: Regen, Regen, und das nicht zu knapp. Der
Weg rüber zur Civetta, ansonsten ein prächtiges Schaubild, wird
mir dadurch arg verleidet - und vernebelt. Kein trockener Fetzen
mehr am Leib, als ich recht ermüdet das Rif. Tissi erreiche.
Dafür brennt ein angenehm wärmendes Kaminfeuer. Von diesem bewegte
ich mich an diesem Abend nicht mehr fort. Auch am nächsten Tag
ist es noch teilweise recht trübe, wenn auch meist ohne Regen.
Nebel wabert über und um die Spitzen des Civetta-Massivs. So
gelange ich über das Rif. Vazzoler zu den Moiazza-Bergen. Es
ist schon ein mächtig Stück Wegs heute. Im Rif. Carestiato dampft
es dann aus allen Ecken und Ritzen. Wegen der schlechten Witterung
haben sich zusätzlich die Klettersteig-Aspiranten des Costantini-Klettersteiges
hier versammelt. Das Herumlungern wird mit Anstieg des Promillepegels
lauthals gefeiert, und die Hüttenruhe um 22.00 Uhr hat ihre
liebe Last.
Ein neuer Morgen bringt frische Luft und Lust. Hinweg über den
Passo Duran und hinein in die stille Einsamkeit der Pramper-Dolomiten.
Arg verdreckt wate ich durch den Lehm. Die Hangböden sind recht
aufgeweicht vom vielen Regen. Die Berge haben nun etwas an Höhe
eingebüßt, dafür spürt man bereits den Hauch des Südens. Und
der zeigt sich nun am frühen Nachmittag mit unbändiger Kraft.
Die Sonne leuchtet eine wundervolle Umgebung aus; die Lust zum
Weitergehen ist nun vollends wieder da. Die kleine Pramperet-Hütte
wirkt in ihrer Einfachheit ungemein romantisch (heute steht
ein Neubau dort). Es sind dies die Hütten, wo man noch recht
eng zusammen hockt und ein jeder viel zu erzählen weiß. Die
Großmäuligkeit, wie sie an den populären Klettersteigrouten
herrscht, fehlt hier.
Das Wochenende ist da - wundervolles Bergwetter! Zunächst wundervoll,
doch dann brennt die Sonne unbarmherzig heiß hernieder. Ein
langer Weg führt in die Schiaragruppe. Eine nicht gerade kleine
Wandergruppe strebt diesem Ziel entgegen. Gegen Abend wird das
Biv. Marmol in der Gipfelregion erreicht. Eine wundervolle Stille
breitet sich über die nach Süden hin öffnende Felsarena. Der
vergehende Abendnebel umsäuselt rosafarben die Felskulisse.
Lange vorher gab es schon keine Wasserstelle mehr, und als ich
nun auch noch ein Stück Schinken esse, nimmt die Qual zu, die
man verspürt, wenn der letzte Rest Flüssigkeit vertrunken wurde.
Alle finden nicht Platz für die Nacht; diese müssen es sich
halt draußen bequem machen. (Anm.: meine erste Biwak-Übernachtung,
aber die einzige, wo ich nicht alleine war)
Am Sonntagmorgen steht der einzige Klettersteig dieses Höhenwegs
an, der Marmolsteig. In dieser Umgebung einfach ein herrliches
Bonbon. Steil zieht der Steig abwärts durch die Marmol-Südwand.
Meine ausgedörrte Kehle treibt mich zur äußersten Eile an. Geschafft!
Nach der Zunahme von fast drei Liter Flüssigkeit in der Alpinihütte
steigt meine Stimmung wieder ungemein an. Nun endlich habe ich
die Muße, diese ungemein schöne Lage auszukosten. Dafür nehme
ich mir fast einen ganzen Sonntag Zeit.
Montagmorgen
- Aufbruch zur letzten Etappe, Abstieg nach Belluno. Ein Hauch
von Herbst liegt bereits in der Luft. Und ein Hauch Wehmut drückt
auf meiner Brust. Ich nehme Abschied von einem wunderschönen
Weg. Der Dolomitenhöhenweg - 1 - hat mich verzaubert.
Am Dolomitenhöhenweg 1 liegt in märchenhafter
Lage das Rif. Palmieri
Dolomiten Höhenweg
Nr. 2
von Brixen nach Feltre
Westliche Dolomiten,
170 km lang, 14 Tage Gehzeit, nicht allzu schwierig. So die
Fakten!
Tatsächlich spielten diese Angaben für mich eine völlig untergeordnete
Rolle - dies war mein allererster Weitwanderweg. So stand ich
dann im letzten Drittel des August an einem eher dunklen, dichtbewölkten,
windigen und kühlen Morgen jenem Stein gegenüber, der auf der
Plose den Anfang des Höhenwegs 2 markiert. Dieser verhieß mir
das ultimative Erlebnis schlechthin. So stapfe ich dann mit
forschem, innerlich eher verhaltenem Schritt, dem Abenteuer
meines Lebens entgegen. Nachmittags, als ich mit meinem voll
gepackten Rucksack mühsam die Peitlerscharte geschafft habe
und endlich in der Schlüterhütte sitze und Rückschau halte,
bin ich schon recht zufrieden mit mir und stolz darauf, nun
auch der "Kaste" der Bergsteiger zugehörig zu sein. Die Hütte
füllt sich nach und nach mit den Leuten, die Ähnliches vorhaben
oder auch nur Teiletappen des Weges erwandern möchten. Recht
gesellig und lustig geht es zu; und "Der Fisch wird immer mächtiger",
würde man bei den Anglern sagen. Auf gut deutsch: es wird gelogen,
dass sich die Hüttenbalken biegen. Da kann ich selber noch gar
nichts beweisen - und das ist gut so, wie ich auf meinen späteren
Touren für mich persönlich feststellen kann.
Ein Morgen wie
er schöner nicht sein kann. Vorbei an den Geislerspitzen geht
es hinauf in die Schründe der Puezebene. Die alte Puezhütte
ist ein wahres Kleinod; ganz so wie ich mir eine alte Berghütte
vorstelle. Ich bewundere die junge Wirtin, die in all der Enge
und Fülle eine quirlige Gelassenheit und aufmunternde Freundlichkeit
ausstrahlt. Saukalt wird die Nacht, dick steht das Eis auf den
Pfützen - na, frieren gehört zum Handwerk dazu. Nähe Grödnerjoch
wird es dann recht hektisch, der Strom der Tagestouristen macht
sich lauthals bemerkbar. Da schaue ich dann ganz "verächtlich"
drüber hinweg - denen bin ich ja nun nicht mehr zugehörig. Ein
wahrer Sturm umtost in der Nacht die Pisciaduhütte auf dem unteren
Sellaplateau und unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Hochgebirges.
Nach und nach erheitert sich der folgende Tag. Ich überschreite
die Sellahochebene, steige ab zum Pordoijoch und wandere hinein
in die Wiesen des Bindelwegs. Mächtig und zum Greifen nahe:
die Marmolada - eisige Königin. Die Sonne umschmeichelt die
Haut und empfinde es als überaus erhaben, dieses Panorama als
Begleiter zu haben. In der Marmoladahütte kann ich ein letztes
Lager erwischen. Zu viele sind unterwegs, alle werden kein Ruhekissen
mehr finden.
Ein Teil der
Weitwanderer steigt über die Marmoladascharte zum Weiterweg.
Das ist mir alles noch zu unbekannt, noch nicht ganz geheuer,
um dort meinen Fuß hinzusetzen. An der Südseite, unter der riesigen
Wandflucht der Marmolada finde ich endlich die ersehnte Ruhe,
die ich für mein Wohlbefinden brauche. Nur wenige Wanderer stören
die feierliche Pastorale. Blumenmeere und mächtiger Fels schaffen
inneres Wohlbefinden. Dass die Hotelmanagerin am Pelegrinopass
- ein wahres Biest - diese innere Harmonie jäh zerstört, werde
ich ihr niemals verzeihen. Sie hasst geradezu Wanderer mit Rucksack,
zudem diese auch noch deutscher Natur sind und sie ohnehin im
Begriff ist, dass Hotel saisonhalber zu schließen.
Die Nacht geht vorüber, und als ich dann die Palagruppe in Sichtweite
habe, ist das Biest schon wieder der Vergangenheit anheim gefallen.
Dieses Panorama, wenn man von Norden kommt, ist wohl einer der
absoluten Glanzpunkte im Dolomitenraum. Cimone della Pala -
ein Zauberberg. Absolut! Schatten senken sich bereits über die
Mulazhütte. Inmitten einer grandiosen Felsarena fröstelt diese
vor sich hin. Das Ehepaar aus Erlangen findet sich ein. Die
ursprüngliche Wandertruppe ist zu einer Dreiergruppe zusammen
geschrumpft.
Der Sonntagmorgen bezaubert mit seinem Blau, welches er über
dieses Stück Dolomiten verschwenderich ausbreitet. Erst auf
der ausgedehnten Fläche des Palaplateaus setzt Nebel ein. In
der Rosettahütte wird es dann auch bedrohlich eng, weil zu viele
ihre Wanderungen bereits am frühen Nachmittag abbrechen. Der
nächste Morgen strahlt ernste Erhabenheit aus. Dunkle Wolken
schieben sich über die Felsen. Nebel wabbert durch die Schluchten
und bildet mit dem gelblichen Fels der Pala großartige Gemälde
der Bergnatur. Ich mag diese Stimmungen! Ein erster kleiner
Klettersteig erfordert nun etwas Aufmerksamkeit. Jenseits der
Ball-Scharte, die Pradidalhütte. Sie liegt in bevorzugter Lage;
ein Gipfel schöner als der andere. Zur Trevisohütte ist es noch
ein weites Stück Wegs. Irgendwie schaffe ich es dann doch noch
über die Hüttenschwelle zu stolpern. Geschafft - und das im
mehrdeutigen Sinne.
(Die folgenden Tage werden in meinem Bericht "Das Leuchten
am Paß" beschrieben und klammere sie hier aus.)
Der letzte Teil des Weges findet Jahre später statt - vom Passo
Cereda ausgehend durch die Feltriner Dolomiten bis nach Feltre.
Jahre hindurch hatte ich keine großartigen Ambitionen, unbedingt
dieses Teilstück gehen zu müssen, weil ich mir nicht zuviel
versprach von jenem Stück Dolomiten, das in den Printmedien
kaum erwähnt wird. Nun - ich war positiv enttäuscht, und das
in jeglicher Hinsicht - um nicht zu sagen, ich fand es großartig.
Das Wetter ist ausgesprochen gehfreudig. In der Forcella Comedon
pocht das Herz bereits schneller. Nicht nur des Anstieges wegen,
sondern vor allen Dingen der schönen Aussicht. Das Biv. Walter
Bodo, inmitten eines großen Kares gelegen, ist ein wunderschöner
und lieblicher Rastplatz. Natur pur! Der letzte Höhepunkt des
Tages bietet die anheimelnde Umgebung des Rif. Boz. Am Kamin
lässt sich für den Tag ein guter Ausklang finden. Das junge
englische Pärchen und ein ebenso junger Holländer gestalten
den Abend bei ein paar Weinchen international. Wir sind die
einzigen, die zur Zeit den Höhenweg 2 auf diesem Abschnitt begehen.
Am nächsten Morgen nach kurzer Wegesstrecke bietet sich ein
völlig anderes Landschaftsbild: keine hohen Berge, keine tiefen
Täler - die Natur gibt sich nun sehr karg. Jedoch keineswegs
langweilig, sondern voller herber Schönheit, mit einer seltsam
ausgeprägten Gesteinsformation. Die letzte Schutzhütte am Weg
ist das Rif. Dal Piaz. Diese nebelt sich am Abend ein, so als
wollte sie sich abschotten gegen das relativ flache Land, das
sich südwärts auftut.
Der Abschied von meinen Weggenossen ist wie meist in den Bergen
bei flüchtigen Begegnungen, recht kurz. Dass ich sie am Nachmittag
in Feltre doch noch mal wiedersehe, ist dem Nebel zu verdanken.
Ich hatte erwogen, mich westwärts aus den sanften Hügeln zurückzuziehen,
um so das Städtchen Feltre ausklammern zu können. Gegen Mittag
stecke ich jedoch hoffnungslos im dichten Nebel fest, der von
der Adria her hochsteigt. Froh darüber überhaupt eine Spur zu
finden, gelange ich so über Umwegen doch noch nach Feltre.
Wenn
auch der Höhenweg 2 "nur" in zwei Teilstrecken geschafft wurde,
und auch vielleicht nicht der Abenteuerlichste war, im Erlebniswert
war er ein ganz, ganz großer.
Dolomitenhöhenweg
Nr. 3
von Toblach nach Longarone
Wesentlich kürzer
als der -2er-, "nur" 120 km, dafür aber weitaus abenteuerlicher
und beschwerlicher - incl. Klettersteig.
Ein sehr schöner
Sonntagmorgen überstrahlt die Dolomiten. Von Toblach ausgehend
steige ich stetig zur Pätzwiese an. Alles nicht so schwierig.
Doch da treten schon bald im erheblichen Maße Muskelkrämpfe
auf. Das erreichen der Dürrensteinhütte wird zur Tortur. Es
wird spät! 2 Ehepaare sind zum selben Zeitpunkt auf dem 3er
unterwegs: Nicht ganz zufällig das Erlanger Paar vom 2er; dazu
ein Schwabenduo. Immer schön, wenn man sich am Abend über die
Geschehnisse des Tages bei einem Getränk auslassen kann.
Die Strapazen vom ersten Tag sind schon wieder weit weg geschoben.
Pure Natur beim Abstieg Richtung Höhlensteintal. Gämsen zeigen
sich hier und da - sonst Stille. Jenseits nun steil hoch zur
Ebene des Monte Piano. Das sind satte 1000 Meter. Aus dem Osten
lugen die 3 Zinnen herüber. Menschen drängen sich auf den Wegen.
Mit dem Auto ist es leicht hoch zu kommen - von Süden, über
eine schmale Straße. Auf dieser dann am nächsten Morgen runter.
Wieder wird die Straße des Höhlensteintales gequert. (Etwas
wirr angelegt dieser Höhenweg.) Ein schöner Weg führt durchs
Val Popena in die Cristallogruppe. Das Wetter zeigt sich mäßig
erheitert. Hoch zum Tre Crozzi Paß, und dann hinein in den riesigen
Sorapiskessel. Die steil aufragenden Wände des 3000er machen
schon mächtig Eindruck. Und sie strahlen eisige Kühle aus; und
dies tut auch die Vandellihütte. Mehrmals war ich mittlerweile
dort und jedes Mal habe ich gefroren.
Unaufhaltsam
strebe ich meinem ersten Klettersteigabenteuer entgegen. Die
Sonne meint es nun wieder recht gut und hellt die Wände der
Croda Marcora aus. Und ich schaffe den Berti-Klettersteig ohne
besondere Schwierigkeiten. Noch nicht mal den Sicherheitsgurt
ausgepackt, denn für meine stetig einsatzbereite Filmkamera
brauche ich beide Hände. Im Nachhinein sage ich mir zwar immer
wieder, was wäre wenn…, doch das legt sich bald. Die Forc. Grande:
3 Höhenwege vereinigen sich hier. Gemeinsam leiten sie zur vielleicht
schönsten Hütte der Dolomiten - Rif. San Marco. Diese harrt
inmitten eines wunderschönen romantischen Fleckens. Zu dieser
Zeit wird sie von einem einfühlsamen, stillen Paar bewirtschaft.
Ich fühle mich wohl und geborgen hier. 800 Meter tiefer das
Boitetal mit seinem quirligen Ort San Vito. Die üppig gefüllten
Läden verlocken dazu, sich den Magen mit allerlei Genussreichem
anzufüllen. Das rächt sich dann aber beim 1000 Meter Anstieg
zur Venezziahütte am Fuße des Monte Pelmo. Der Magen rebelliert;
und das auch noch am nächsten Morgen, als es durch die verzauberte
Wildnis Richtung Passo Cibiana geht. Es nebelt zwischen den
Felsen und der Nebel drückt sich auch durch die wilde Waldlandschaft.
Der Pelmo versteckt sich weiterhin. Am Abend setzt starker,
gewittriger Regen ein. Wir Fünfe sind immer noch zusammen -
und die Wirtin hat uns gemeinsam in ein Lager gesteckt, wo wir
die Nacht über mehrmals Lage und Plätze wechseln; es regnet
eben überall durch. Die Nacht wird überstanden, der Regen bleibt.
Und die nächsten Tage soll in Punkto Nässe keine Abwechslung
folgen. Gemeinsam steigen wir die Passstrasse runter ins Boitetal.
Per Bus zurück zum Ausgangspunkt, wo ich dann der Dinge harre.
Das Harren dauert 3 Tage, ehe ich dann per Auto zum Passo Cibiana
(bei schönstem Wetter) zurückkehre. Ich setze den Höhenweg
fort. Nach 2 Stunden sitze ich bereits wieder im Wagen. Es gießt
in Strömen - Abbruch. Endgültig!
Jahre später bin ich wieder in der Bosconerogruppe. Nun bei
strahlendem Blau. Die Berge des "Schwarzen Waldes" sind von
einer eigenwilligen Schönheit. Wie schon in den Feltriner Dolomiten
habe ich auch hier nichts zu bereuen.
Dolomitenhöhenweg Nr. 4
von Innichen nach Pieve di Cadore
Zu den längsten
Wegen zählt er nicht, der 4er, " nur" 80 km. Die können es aber
in sich haben. Für pure Anfänger deshalb auch nicht der Einstandsweg.
Fährt man von
Innichen ins Sextener Tal hinein, biegt schon bald eine Fahrstraße
ins Innerfeldtal ab, Richtung Dreischusterhütte. Am besten beginnt
man aber nicht am Wochenende, dann könnte der Trubel in der
sonst recht ordentlichen Hütte groß sein.
Ich beginne an einem warmen Dienstagnachmittag. Übernachte in
der Hütte und steige dann am Morgen Richtung Wildgrabenjoch
an. Der Ausblick könnte nicht besser sein, und der Anblick auf
die Drei Zinnen fast nicht größer. Doch die "Drei" sind soeben
im Begriff, sich hinter Wolken zu verstecken. Also weiter zur
namensgebenden Hütte. Dass ich mich nun in einem der bestbesuchtesten
Gebiete im Alpenraum befinde, ist unschwer zu erkennen. Ist
es das, was ich auf einem Weitwanderweg zu finden hoffe - Unruhe?
Ganz sicher nein! Aber eingekehrt sein muss man wohl doch einmal;
so wie man vielleicht das Hofbräuhaus in München besucht. Der
Eintritt erweist sich aber als schwierig. "Der Rucksack, der
bleibt aber draußen", weist die resolute Wirtin mich lautstark
an. Ich ziehe dann auch bald von dannen. Die Wege erweisen sich
manchmal als recht schmal für die Breitseiten die vom Parkplatz
Auronzohütte Richtung Zinnenhütte in Form von Tagestouristen
heranströmen. Die Auronzohütte ist dann auch Nächtigungsstation.
Entschuldigung für den Ausdruck Hütte, aber so heißt sie nun
mal. Döner Kebab gab es noch nicht, doch sonst hat man die Freiheit,
sich alles vorstellen zu dürfen.
Der Morgen sieht recht düster aus - und Regen setzt bald ein.
Also erst mal abwarten, bevor ich den Fuß in die Cadinigruppe
setze. Schließlich starte ich mit einem jungen Mann und einem
Berliner Paar Richtung Zsigmondyhütte. Dort soll bis morgen
abgewartet werden. Entweder dann Abstieg ins nahe Sexten oder
bei Besserung zurück zur Auronzohütte. Tatsächlich hört der
Regen auf. Neue Hoffnung. Wieder geht es zur Auronzohütte, um
zu Übernachten. So ein Pesch - es wird ein Touristenbus erwartet.
Alpenvereinsausweis hin, Alpenvereinsausweis her, elender Rucksackträger,
Hergelaufener, was bilde er sich ein - wurde nicht gesagt, aber
so las ich es in den Augen des Wirtes. In der Lavaredohütte
ist dann noch ein Plätzchen frei. Frost gibt es in der Nacht,
und die Cadini sieht nicht gerade einladend aus. Doch wofür
sind Höhenwege da? Richtig, zum Weitwandern. Bald fällt leichter
Schneefall. Es ist dies ein eigenartiges Gebirge, diese Cadini;
aber kein bisschen langweilig. Im Gegenteil, ausgesprochen interessante
Felsformationen bieten dem Auge mehr als genügend Abwechslung.
In der Fonda Savio Hütte gibt es den bestschmeckensten Apfelstrudel.
Ehrlich! Die Sonne bricht erstmals seit Tagen wieder durch.
Deshalb wähle ich auch nicht den Normalweg sondern steige durch
die For. del Nevaio. Kaum habe ich die Einschartung gequert,
ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Ehe ich die Carpihütte erreicht
habe, liegen gut und gerne 20 cm Neuschnee, und ich sehe wie
der Weihnachtsmann persönlich aus. In der Hütte mache ich dann
einen Wein-Schnellkursus. Und zwar, wie entsteht Eiswein? Ich
beobachte im angrenzenden Schuppen den Hüttenjunior dabei, wie
er den frischen Neuschnee auf Weinflaschen füllt. Ein neues
Wunder von Kana etwa? Spät am Nachmittag bricht dann urplötzlich
die Sonne durch. Ich erlebe eine Schau, wie ich sie kaum schöner
in den Dolomiten sah. Die warmen, rötlichen Strahlen der Abendsonne
verzaubern alles. Der weite Kessel des Sorapis gerade gegenüber
wirkt wie ein riesiges Märchenschloss aus Sagenzeiten.
Nach einer
kalten Nacht taut die weiße Pracht dann rasch wieder weg. Die Vandellihütte ist das Ziel. Hinab ins grüne
Val d'Ansiei. Die Hebstzeitlosen blühen bereits in verschwenderischer
Pracht auf den Wiesen. Ein Stück Straßenwanderung, dann der
Anstieg zum Sorapiskessel. Natürlich ist die Hütte wieder saukalt
und die Nacht auch. Der Sonntagmorgen meint es dann aber wieder
recht gut. Ist auch besser so, die dunklen Felsfluchten der
Sorapiswände wirken nicht eben einladend. Doch wenn ich den
Vandelli-Klettersteig machen will, muss ich da schon durch.
Und er ist ein Erlebnis, dieser Steig. Manchmal wirkt die Ausgesetztheit
schon atemraubend. Doch oben angekommen bin ich schon recht
zufrieden mit der Welt. Zum Biv. Comici abwärts ist es nicht
allzu weit. Die grüne Lage ist ausgesprochen freundlich und
lädt zum Verweilen ein. Oberhalb im Schotter, tummelt sich eine
mächtige Anzahl Gämsen. Doch noch liegt ein anstrengendes Pensum
vor mir - der Minazio-Klettersteig. Sehr hoch und luftig verläuft
der Steig über die Bänder an der Südseite des Sorapis. Meist
wird man durch die Latschen vor allzu viel dünner Luft gut geschützt.
Die Anstrengung hält sich in Grenzen. Gegenüber streift das
Auge immer wieder die einsame Marmarolegruppe. Irgendwann wird
sie mein Ziel sein, auf dem 5er. Schon neigt sich der Tag, als
ich wieder am Zusammenfluss dreier Höhenwege stehe, der Forc.
Grande. Und wieder gelange ich zur vielleicht schönsten Hütte
der Dolomiten - San Marco. Zufrieden mit der heutigen Leistung
wende ich mich anderen schönen Dingen zu - Essen und Trinken.
Monday, Monday, du meinst es gar nicht gut. Und auch die nächsten
Tage sollen die dunklen Regenwolken nicht verschwinden. Der
Antelao gegenüber ist vereist. Abbruch! Zurück nach Sexten.
Die Heimat ruft.
Der
4er ist ein recht abenteuerlicher, schöner und interessanter
Weg; leider wurde er durch das oftmals unschöne und kühle Wetter
getrübt. Die beiden letzten Etappen des Höhenweges mache ich
in einem anderen Jahr, und zwar im Zuge der Antelao-Besteigung
(beschrieben in meinen Erlebnisberichten).
Am Höhenweg 5 in der einsamen Marmarolegruppe
hat man am Abend unweit des
Biv. Mussati diesen Blick auf die Cadiniberge und Drei Zinnen
Dolomitenhöhenweg Nr. 5
von Sexten nach Pieve di Cadore.
Dies ist der
östlichste Höhenweg. Von der Länge her ist er nicht der weiteste.
Vom Charakter her gesehen, der Abenteuerlichste und der Größte.
Der Sommer ist
noch recht jung, als ich Sexten ansteuere. Den Höhenweg 5 wollte
ich auf keinen Fall auslassen, wird er doch als Abenteuerlichster
beschrieben. So steige ich also Richtung Zsigmondyhütte aufwärts.
Ein reges Touristenvölkchen ist bereits unterwegs. Gottlob nimmt
der größere Teil die Abzweigung Dreizinnenhütte. Der Tag ist
noch lang, also ausreichend Zeit sich etwas Bergbräune zuzulegen.
Das Ziel des direkten Weges wäre nur etwa eine Stunde entfernt
- die Carduccihütte. Doch diese Strecke ist mir zu simpel. Dem
abenteuerlichen Charakter des 5er ist sie nicht angemessen.
Also lege ich etwas an Abenteuer hinzu, indem ich nächsten Tages
über den Alpinisteig gehe. Viel Schnee hat die Nordseite noch
genug, doch es macht Spaß. Ein dunkler Himmel verleiht dem Steig
einen würdigen Nimbus. Aus der Sentinellascharte gegen Süden
absteigend, wird die Bertihütte erreicht. Ein schmuckloser Bau
in einer etwas ernsten Umgebung.
Weitere 2 Klettersteige folgen am nächsten Morgen. Zunächst
über eine abdrängende Leiter zur Ferrata Roghel. Nicht sehr
lang, aber trozdem von hochalpinem Charakter. Das dunkle Wetter
bietet den entsprechenden Kontrast dazu. Es folgt der Steig
der Cenga Gabriella. Ein schauriger, heftig pustender Wind hat
eingesetzt. An dünnen, verrostenden Stahlseilchen wird der Mut
immer wieder ausgelotet. Das Band wirkt endlos lang, auch wenn
die in der Ferne leuchtende Carduccihütte schon recht nah erscheint.
Zum Ende hin durch eine lange Schneerinne abwärts, dann recht
eben weiter Richtung Unterkunft. Diese erreiche ich durchgefroren
in einem ausgemachten Gewitter, das mit aller Vehemenz über
mich hereingebrochen ist. Der Hüttenwirt kümmert sich in einer
schon selten gewordenen Liebeswürdigkeit um seine Gäste.
Der Tag verspricht
schön zu werden, und das hält er auch; und schön warm wird es
obendrein. Ins Val d'Ansiei hinab sind es satte 1400 Meter.
Die Knie haben eine wahre Freude an solchen Abstiegen. Jenseits
dann, das Seitental Val da Rin. ImTalschluß steht die Primulahütte
- leider ohne Nächtigungsmöglichkeit. Mein Höhenwegsbüchlein
macht für den Weiterweg ein paar irreführende Angaben, und schon
befinde ich mich im Anstieg des Val Baion. Den Irrtum bemerke
ich aber erst geraume Zeit später und nach einer ordentlichen
Portion Schweißbäder. 2 Stunden später dann auf richtigem Pfad
aufwärts zur Forc. Paradiso - ermüdende 1000 Meter höher. Die
letzten Meter - die Abendsonne sendet ihre letzten Strahlen
über eine bezaubernde Landschaft - falle ich geradezu der Scharte
entgegen. Ich denke, so restlos fertig war ich vielleicht noch
niemals im Leben. Irgendwie schaffe ich es dann doch noch, fast
schon in der Dunkelheit, über die Schwelle des Rif. Ciaredo
zu fallen.
Der bezaubernde Sonntagmorgen ist schon etwas fortgeschritten,
als ich zum Frühstück erscheine. Alle Gäste sind schon entschwunden.
Das 2. Frühstück nehme ich dann 2 Stunden weiter im Rif. Baion
ein, einer sonnigen Aussichtsterasse inmitten von Almwiesen
an der Südseite der Marmarole. Nach wenigen Stunden weiterer
Wanderung durch eine ausgesprochen liebliche Berglandschaft
bin ich am Tagesziel, dem Rif. Chiggiato angelangt. Einsam bleibt
es hier - keine deutschsprachigen Gäste.
Nun wird es ernst. Hinauf in die Einsamkeit der Marmarole. Ein
schaurig scharfer Wind empfängt mich ein paar Stunden später
in der Forc. Jau dela Tana. Die Wetterstimmung schaut an der
Nordseite etwas ernster aus, was aber durchaus zum Charakter
der Marmarole passt. Abwärts dann über große plattige Felsen
bis zum Biv. Tiziano. Hier gibt es allerlei Köstlichkeiten von
einigen wohl recht finanzstarken italienischen Wanderern. Diese
steigen dann talwärts - die Marmarole wird einsam. Und wieder
geht es aufwärts, fast weglos, bis ein steiler Abstieg endlich
zum Biv. Mussati hinleitet. Kein Mensch weit und breit. Zur
Wasserstelle nun ein langes Stück Wegs abwärts, um dann scheinbar
viel länger wieder anzusteigen. Ich genieße den Abend auf dieser
wundervollen Aussichtsplattform. Vor mir, durchs Tal getrennt,
das wilde Zackengewirr der Cadinigruppe, und darüber erheben
sich noch die Drei Zinnen.
Der Morgen ist schön. Doch nun ist etwas eingetreten, was mich
die letzten Tage schon gequält hat. Meine Füße sind eine einzig
große Wunde. Kunstoffschuhe ( sie waren mal Mode) lassen
die Fußfeuchtigkeit nicht nach draußen, und irgendwann rächt
sich das. Kurz - ich möchte in dieser Verfassung nicht riskieren,
alleine weiter durch die Marmarole zu steigen. Doch was dann
folgt, der direkte Abstieg ins Val d'Ansiei, ist das wahre Grauen.
1000 Meter sehr steil runter über einen überaus glitschigem
Boden. Das war's dann!
Einige Jahre
weiter. Wieder steige ich den selben Weg an. Rauf geht es besser.
Die steilsten Stellen wurden mittlerweile per Stahlseil entschärft.
Wieder eine Nacht im Biv. Mussati. Dann bin ich bereit, den
einsamsten Teil der Marmarole zu queren. Wiederum ist kein Mensch
weit und breit zu sehen. Die Markierungen sind überaus spärlich,
der Spürsinn ist gefragt. An einigen Steilstellen ist ein Sicherheitsgurt
durchaus empfehlenswert. Dieses Teilstück bietet Berwandern
in seiner ursprünglichsten Form. Wegen des sehr frühen Aufbrechens
bin ich bereits gegen Mittag in der Nähe des Biv. Voltolina.
Das ausgestzte Band des Cengia del Doge nehme ich noch mit,
um dann durch das schöne Hochtal des Val di San Vito abzusteigen
(den Weiterweg zur San Marco Hütte wollte ich nicht schon
wieder machen).
Vor kurzem habe ich den gesamten Weg durch die Hochmarmarole
nochmals wiederholt. Wiederum menschenleer. Dafür wurden zwichenzeitig
Markierungen jeder Menge gepinselt. Das Dritte Mal schlafe ich
nun im Biv. Mussati. Und wieder hat diese ursprüngliche Wanderung
sehr, sehr gefallen.
Die Restetappe des Höhenwegs 4/5 hatte ich aber bereits viel
früher unternommen, im Zuge meiner Antelao Besteigung. Dabei
stieg ich nach der Übernachtung in der Galassihütte zum Antelao-Gletscher
an. Der Weg dorthin hat klettersteigartigen Charakter. Genächtigt
wird in der Antelaohütte. Diese schöne Unterkunft bietet einen
ausgezeichneten Ausblick auf die Marmarole. Und im Rückblick:
Der Dolomitenhöhenweg 5 ist in seiner Gänze der absolut Abenteuerlichste
und Ursprünglichste. Dies aber nur Dank der Marmarole. Immer
wieder habe ich gehört, dass Leute, die den 5er machten, die
Marmarole ausklammerten. Der Höhenweg ist dann zwar noch immer
sehr schön, hat aber mit dem tatsächlichen Höhenweg 5 nichts
mehr gemein.
Fazit: Die
Höhenwege der Dolomiten, gehörten vielleicht zu den schönsten
Erfahrungen meines Lebens. Trotz manch' einsamer Stunden und
Tage, vieler Schweißtropfen und auch Flüche, möchte ich keinen
Tag missen. Eine Bürde war zugegebenermaßen der schwere Rucksack
und zusätzlicher Filmkamera. Doch würde ich die Dolomiten noch
Mal für mich neu entdecken, würde ich die Höhenwege wieder begehen
wollen.
In der Cristallogruppe, oberhalb des Rif.
Laurenzi, beginnt der Einstieg zum Klettersteig
9.
Mythos Klettersteige
Eine Kurzschilderung der von mir begangenen
Klettersteige
Wer
an die Dolomiten denkt, denkt auch an Klettersteige. Wer erstmals
unter den Wänden dieser Berge steht, dem erscheint es kaum glaubhaft,
dass der "Normal-Wanderer" diese durchsteigen kann. Es geht!
Kilometer von Stahlseilen haben dieses besondere Erlebnis wahr
werden lassen. Über den Sinn dieser Anlagen möchte ich nicht
mehr streiten, kontroverse Meinungen dazu gibt es zuhauf. Natürlich
gibt es schlimme Auswüchse. Und wer sich an bestimmten Tagen
des Sommers zu bestimmten Zeiten in bestimmten Anlagen befindet,
ist schon recht zu bedauern. Das irgendwann der Kollaps kommt,
scheint fast unabänderlich. Von allen Dingen, die gemacht werden,
werden stets zuviele gemacht. Trifft man jetzt bereits dort
Fahrradfahrer an, wo sich früher kaum Alpinisten hinwagten.
Dabei sollten die Berge eigentlich mit dem besten
Fortbewegungswerkzeug, das der Mensch besitzt, den Beinen, diese
Welt "erobern".
Sei es drum, Klettersteige haben mir ein Wandervergnügen bereitet,
welches ich ohne diese Steig- bzw. Sicherungshilfen nicht hätte
machbar werden lassen können; eben weil ich meistens alleine
unterwegs war.
Beschreiben möchte ich einen Teil dieser Steige - nicht alle.
Alle habe ich sie auch nicht gemacht, denn irgendwann lässt
auch dieser Reiz mal nach.Wie
immer möchte ich auch diese Erlebnisart aus subjektiver Sicht
beschreiben. Wegbeschreibungen gibt es ja in Masse in den verschiedensten
Publikationen. Klettersteige sind für mich einfach dazu da,
den Wert einer Wanderung zu steigern. Sportliche Aspekte haben
mich bei meinen Touren nie interessiert, sondern rein der sinnliche
Erlebniswert steht und stand im Vordergrund.
Die Sorapissteige
Da
stand ich nun am Anfang jener mächtigen Wand, die der Sorapis
über dem Boitetal aufbaut, der Croda Marcora. Der Höhenweg 3
führt geradezu hierhin. Der Einstand in meine Klettersteig-Ära
begann also hier. Berti-Steig wird er genannt, und dessen Einstufung
hat das Merkmal "schwierig". Viel hatte ich gelesen und mich
darauf vorbereitet. Die Filmkamera kam nicht in den Rucksack,
und der Brustgurt kam nicht heraus. Ich fühlte mich so freier,
um mein Abenteuer würdig zu filmen. Vor mir durchstieg eine
kleine Gruppe die Wand, und hinter mir tauchten neue Wanderer
auf. Also kein Grund, zu verzagen. Ich konzentrierte mich ganz
auf den Weg, was nicht heißt, dass ich um das bewusste Schlucken
herumkam. Die Sonne meinte es recht ordentlich, die Wand wirkt
demnach nicht so düster. Im letzten Viertel dann jene trichterförmige
Schlucht, wo mit grausigem Getöse die Brocken aus dem Fels in
die Tiefe stürzen. Ein Felsaufschwung und eine letztes luftiges
Ausstiegsband - Feuertaufe bestanden.
Zwei Jahre weiter. Der Höhenweg 4 führt mich wieder zur Vandellihütte.
Düster - wie meist - steht die trostlos wirkende Nordwand wie
ein Bollwerk dort. Zum Glück beginnt der Sonntagmorgen recht
sonnig. Der Vandelli-Steig wirkt anders als der Berti-Steig,
sehr ernst. Wieder bleibt der Brustgurt im Rucksack. Diesmal
jedoch aus solidarischen Gründen. Ein junger Mann, den ich auf
dem Höhenweg kennen lernte, wollte nur weitergehen, wenn er
mich begleiten durfte. Eine Sicherung hatte er nicht mit; vielleicht
etwas zu naiv von ihm. Im Ganzen gesehen ist die Wand aber gut
begehbar, bis zu jener Stelle, wo die Luft ganz, ganz dünn wird.
Ein kleiner Vorsprung lässt die Füße mal ordentlich in die Tiefe
schauen - allerdings beschützt von einem sehr vertrauenswürdigen
Stahlseil. Das war es dann auch schon. Auf einem sehr schönen
Aussichtsbalkon dürfen die Beine dann über dem Sorapissee schweben.
Nach einer schönen Strecke, von wo man das Gebirge der Marmarole
stets vor Augen hat, folgt der Minazio-Steig. Schmal und luftig,
im steten Auf und Ab durch die sehr steile Südwand des Sorapis.
Allerdings wird man vor allzu nervigen Tiefblicken durch einen
dichten Latschenbewuchs bewahrt. Es ist dies der leichteste
der drei Sorapissteige. Zum guten Ende dann noch ein schlaffes
Drahtseil an einer kleinen Schlucht. Die Tritte sind etwas abgewetzt,
und prompt hängt mein junger Begleiter im Seil. Ein kräftiger
Fluch beendet die Sorapisrunde.
Anmerkung: Der Sorapis bietet mit seinen Steiganlagen eine
sehr schöne und abwechslungsreiche Runde. Im gesamten zwar als
schwierig einstufbar, doch wirkliche Schwierigkeiten sind eher
selten.
Die
Schiara-Steige.
Die Gruppe der Schiara sehe ich immer noch
als Zuckerstück der Dolomiten. Wenn man auf den Wiesen vor
der Alpinihütte steht, jauchzt das Herz in stiller Freude.
Betreten habe ich diesen Gebirgsstock jedoch quasi durch die
Hintertür. Es war der Auftakt zum Finale auf dem Höhenweg
1. Müde und ermattet nach einem sehr heißen und langen Tag
stehe ich an einem wunderschönen Samstagabend vor dem Biwak
am oberen Beginn des Marmol-Steiges. Alleine bin ich nicht
- der Höhenweg schleppt so einiges an. (das erste und einzige
Mal, wo ich nicht alleine in einem Biwak schlief) Das
Nebelspiel in der untergehenden Sonne lässt die Sinne aber
noch mal beglückend aufleben. In der Kühle des frühen Sonntags
steige ich abwärts. Die Stahlseilchen sehen nicht immer vertrauenserweckend
aus, geben aber auch kein Anlass zu größerer Sorge. Noch liegt
das riesige Schiara-Rund im Schatten. Dafür wird das rote
Dach der Alpinihütte bereits öfters sichtbar. Und endlich
hat auch die Sonne den Raum erobert. Eilig habe ich es zwar
nicht direkt, doch nun treibt mich der Durst (an Wasser
mangelt es in der Schiara) doch zu erhöhtem Tempo an.
Zum Ende hin wird der Ausstieg dann noch recht bodenlos. Über
ein paar Leiterchen wird der "feste" Boden wieder erreicht.
Einige Jahre weiter: Die Schiara hat auf mich zumindest soviel
Eindruck hinterlassen, dass es mich noch einmal zu ihr hinzieht.
Diesmal nähere ich mich der Gruppe auf dem vielleicht schönsten
und ursprünglichsten Weg. Dieser führt von La Stanga im Cordevoletal
ausgehend durch das wildromantische Val de Piero an. Ein würdiger
Auftakt für meine dreitägige Klettersteigrunde. Der Zacchi-Steig
ist dann Auftakt für die Schiararunde. Ein warmer, sonniger
Julimorgen lädt zum Einstieg. Erste Schweißtropfen verlieren
sich im Steilfels. So geht es höher - von Terrasse zu Terrasse,
immer luftig aber auch immer aussichtsreich. Die Alpinihütte
ist meist sichtbar und lässt so kein Gefühl von Einsamkeit
aufkommen. Trotz schönstem Wetter und bereits beginnendem
Hochsommer ist der Besucherandrang recht dürftig - wie schön!
Am Biv. Bernardino ist des Steiges erster Teil dann geschafft.
Ein wenig Verschnaufen, dann folgt Teil zwei. 200 Meter höher
zum Monte Schiara. Da ich den Zacchi-Steig gut überwunden
habe bedeutet der Berti-Steig kein Hindernis mehr. Die Aussicht
vom höchsten Punkt ist der Klasse dieser Klettersteige durchaus
angemessen. Doch schon schiebt sich von der Adria her die
bekannte Dunstwalze behäbig der Schiara entgegen. Hier findet
sie ihren Ankerpunkt, wo sie dann gerne ausharrt. Doch soweit
ist es noch nicht, die Aussicht bleibt vorerst prächtig. Über
den ostseitigen schlanken Grat abwärts Richtung Biv. Marmol.
Es ist zwar noch nicht ganz Mittag, doch nun schiebt die Wolkenmasse
zusehends die Sonne weg. Nach etwas nostalgischer Rückschau
im Biwak mache ich mich dann hurtig auf die Beine, hinab auf
dem Marmol-Steig. Eine etwas größere französische Gruppe erscheint
zwischen den Felsen. Sie sind seit heute Morgen im Aufstieg.
Ein jeder der Gruppe ist zusätzlich mit den anderen per Seil
verbunden. So behindern sie sich gegenseitig im Vorankommen;
und ich befürchte, dass es ein langer Tag für sie werden wird.
Ohne weitere Schwierigkeiten habe ich den Ausstieg bald erreicht.
Das Wetter hat nun endgültig dicht gemacht. In der Hütte ist
der Regen recht gut auszuhalten und die Gedanken sind schon
auf den vierten Schiara-Steig gerichtet.
Der nächste Morgen ist ebenso strahlend wie der vorhergehende.
Offiziell gilt der Sperti-Steig derzeit als nicht begehbar
- so mahnt ein Schild. Ich wage es trotzdem. Nun bin ich einmal
hier, nun möchte ich auch alle Wege machen. Basta! (der
Pelf-Steig ist zu dieser Zeit noch nicht erbaut) Der Steig
durch die Pale del Balkon liegt etwas abseits der eigentlichen
Schiaragruppe. Deshalb wird er wohl auch weniger begangen.
Das Warnschild besteht nicht ganz zu unrecht, stelle ich fest:
Fehlende oder beschädigte Sicherungen sind nicht eben eine
Bereicherung. Dann heißt es eben doppelt vorsichtig durch
das wildzerklüftete Kleinmassiv zu steigen. Langweilig wird
es nicht. Ausgesetzte Bänder, dunkle Schluchten und Altschneefelder
im rutschigen Schotter signalisieren: Obacht geben. Im ganzen
wirkt der Steig aber weniger schwierig, als der Zacchi-Steig.
Ausstiegspunkt ist das Biv. Bernardino unter der markanten
Gusella del Vescova. Es ist vollbracht, kann ich nun sagen.
Die Schiara hat Freude bereitet. Irgendwann werde ich sie
wohl nochmals besuchen. Abstieg dann durch die mit eigenartigen
Felsformationen durchsetzte aber auch blumenreichen nordseitigen
Abflachung Richtung Rif. Bianchet.
Anmerkung: Der Zacchi-Steig ist recht schwierig, die anderen
Steige mittelschwierig - bei optimalen Verhältnissen. Lohnend
sind sie alle - der Schönheit wegen.
Die Gusella - Wächter der Schiaraberge.
Hier treffen 3 Klettersteige zusammen
Marmolada-Gebiet
Die Königin
der Dolomiten zu besteigen ist durchaus nichts unehrenhaftes.
Da die Marmolada nun mal die höchste Erhebung der Dolomiten
aufweist, steht sie zwangsläufig auf dem Programm. Am Fedaiasee
steige ich in den Gondellift, der mich schon ein beträchtliches
Stück in die Höhe führt, bis zum Rand des Gletschers. Die einfachste
Lösung wäre nun, über den Gletscher anzusteigen. Doch diese
Route habe ich für den Abstieg vorgesehen. Also wieder ein Stück
absteigen, um dann im weiten Bogen zur Marmoladascharte anzusteigen.
Es liegt noch eine Menge Schnee auf dem leicht abschüssigen
Anstiegsfeld. Ich schnalle die Steigeisen an. Sie sind dann
mehrmals an diesem Tage eine gute Unterstützung. Das Wetter
ist prima. Vier Tschechen haben das selbe Ziel. Auf dem Westgrat
hat es während der Nacht knackig gefroren, und der nächtliche
Gewitterregen hat für unangenehme Glätte gesorgt. An einigen
Stellen geht es nur mit Pickel weiter. Da die Tschechen Seile
mit haben, bin ich froh, an den heikelsten Stellen davon profitieren
zu dürfen. Meist geht es scharf an der Abruchkante entlang.
Eine überaus lohnende und prächtige Aussicht sorgt für Kurzweil
und lässt die Anspannung etwas zurücktreten. Ein lokales Gewitter
macht sich grollend bemerkbar. An der Marmolada nichts ungewöhnliches
zu dieser Tageszeit. Doch es verschont uns. Dann stehe ich endlich
auf dem höchsten Punkt, die Punta Penia ist erreicht. Über den
Gletscher sind auch schon einige Leute hochgestiegen, die sich
nun zusammen mit uns zu einem bunten Völkchen vermischen. Eine
Stunde Schauen, Fotografieren und Sonnenbaden; dann abwärts
über den Gletscher. Am unteren Ende eine gefährliche Situation:
Das Eis ist dort bereits sehr dünn und das Wasser rauscht bedrohlich
darunter hinweg. Hier helfen die Tschechen mal wieder mit einem
50-Meter Seil hilfreich aus.
Anmerkung: Eine überaus lohnende Tour. Normalerweise "nur" als
schwierig einstufbar, bei Vereisung oder sogar Gewitter kann
es allerdings sehr heikel werden.
Etwas abseits der Königin, in deren Abglanz, steht eine wunderschöne,
formvollendete Berggestalt. Deren Name lautet Colac. Mit dem
ersten Lift fahre ich hoch zum Skigebiet Ciampac. Jetzt im Sommer
zeigen sich die Hässlichkeiten im überdeutlichen Ausmaße, die
dort in den Wintern angerichtet werden. Also werden die Scheuklappen
aufgesetzt und alle Konzentration auf den Colac ausgerichtet.
Schon bald steigt man in den recht steilen, plattigen Trichter
ein. Ein durchlaufendes Stahlseil ist hier auf jeden Fall vonnöten,
um diese Schlucht durchsteigbar werden zu lassen. Die Füße werden
etwas auf Reibung ausgerichtet und los geht es. Für Außenstehende
mag die dabei eingenommene Haltung lustig wirken, doch ein Ausruhen
gibt es nicht, man muss durch. Danach folgt eine Steilstufe,
die etwas heikel per Steigklammern überwunden wird. Das Finale
im zerklüfteten Gipfelaubau ist dann noch als sehr abwechslungsreich
zu benennen. Rundum ist für das Auge mehr als genügend zu sehen.
Dann wird es aber auch schon langsam eng am Gipfel. Ich steige
auf den etwas holperigen Normalanstieg ab und wandere noch den
ganzen Tag durch das angrenzende, weitläufige Gebiet.
Geisler/Peitler/Puezgruppe
Wo
der Messner zuhause war, braucht man sich über fehlendes Publikum
nicht zu beschweren. Zum Anstieg der Sas Rigais-Steige zu gelangen,
ist es recht leicht. Die Col Raiser-Bahn schafft schon einiges
hoch. Ich übernachte in der Regensburgerhütte. Diese ist zwar
meistens auch gut gefüllt, doch deren Vorteil ist, man kommt
früh am Morgen weg. Der Anstieg über den östlichen Steig ist
nicht allzu schwierig. Erst im oberen Fels wird es etwas luftig.
Und so stehe ich schon bald auf des Sas Rigais höchster Spitze
und habe die Aussicht auf die recht zahlreichen Gipfel kurze
Zeit für mich alleine. Dann wird es aber auch schon recht bald
eng. Etwas vorsichtig über feingriesigen Schotter abwärts; ein
paar wenige ausgesetzte Stellen - das war es dann auch schon,
auf der westseitigen Steiganlage.
Der
Sas Rigais hat von der Südseite her wenig Majestätisches zu
bieten. Seine volle Schönheit erstrahlt erst aus der Tiefe des
Villnößtales. Von dort führt nordwärts ein Steig zum Tullen
hoch, jenes fast unscheinbare Gebirge, das sich westlich des
Peitlerkofels über der Würzjochstraße erhebt. Der Klettersteig
der über den Graten führt heißt Günther-Messner-Steig. Es ist
kühl, dicke Wolken schieben sich über dunklem Fels. Ein scharfer
Wind weht auf den Graten und treibt einige Schneeflocken in
mein Gesicht. Allzu schwierig ist die Begehung nicht: eine Leiter,
ein paar Seile an den abschüssigen Stellen - diese helfen den
Füßen dann schon gut weiter. Insgesamt ist der Morgen aber recht
ausgefüllt und kurzweilig. Eine süddeutsche Gruppe kommt mir
entgegen. Das war es dann auch fast schon an Publikum. In der
Schlüterhütte lässt es sich gut aufwärmen, um anschließend auf
dem Normalweg gemächlich dem Villnößtal entgegen zu wandern.
Den Peitlerkofel kann man nicht als Klettersteig bezeichnen.
Nur im Gipfelbereich ist eine leicht ausgesetzte Stelle, die
sich gut per Sicherungseil überwinden lässt. Trotzdem ein sehr
schöner Aussichtsberg. Einmal besuchte ich den Gipfel im Sommer,
bei schönstem Himmelsblau, und später noch einmal mit meiner
Frau Erika im Herbst, bei sehr düsterer Witterung.
Ebenso wenig ist der Sassongher ein Klettersteig. 20 Jahre habe
ich ihn links liegen lassen, doch nun wurde es aber mal Zeit.
Im Herbst 2001 habe ich ihn zusammen mit meiner Frau besucht.
Im Gipfelanstieg befindet sich eine Steilstelle, wo es gut tut,
sich per Stahlseil hoch zu hangeln. Ansonsten - prächtige Aussicht.
Und noch ein Dritter Gipfel wird gerne als Klettesteig bezeichnet
- die Große Cirspitze. Diese ist dann wohl auch am wenigsten
als Steig zu bezeichnen. Über massigen Besuch braucht man sich
nicht zu beklagen.
Etwas heikler ist die Westliche Cirspitze. Kurz vor meiner Heimreise
- ich hatte ausgefüllte zwei Wochen in den Dolomiten verbracht
- juckte es noch mal in den Füßen. Der Tag begann ausgesprochen
sonnig, das Grödnerjoch döste noch im himmlischen Frieden vor
sich hin, steige ich über die blumengesprenkelten Almwiesen
an. An dünnen Stahlseilchen hangele ich mich hoch. Wenn auch
die Cirspitze recht kurz geraten ist, unterschätzen sollte man
sie nicht. Eine Selbstsicherung ist auf jeden Fall ratsam. Ein
letzter Aufschwung noch und ich stehe auf dem winzigen Plateau.
Friedlicher kann ein Bergmorgen kaum ausschauen, als von diesem
erhöhten Balkon.
Anmerkung: Alle beschriebenen Anstiege sind lohnend, wenn
auch nicht allzu schwierig. Sas Rigais, Westliche Cirspitze
und auch der Messner-Steig verdienen dabei etwas größere Aufmerksamkeit
und Umsicht.
Die Palagruppe
Wenn
der Rollepaß erreicht ist tut sich eine märchenhafte Bergkulisse
auf. Die Pala! Sie übt geradezu einen Zwang darauf hin aus,
deren Reich zu besuchen. An Klettersteigen ist dieses wilde
Felsland nicht eben arm. Beginnen möchte ich mit einem eher
unbedeutenden, fast unbekannten Steig, dem Sentiero del Dottor.
Erreicht wurde dieser Steig von mir im Zuge einer selbsterstellten
Höhenwegesroute, die sich vom Fassatal über der Cima d'Aut zum
Pelegrinopaß hinzog; von dort dann weiter zur südseitigen Marmolada
samt Untergruppe und hinein in das noch ursprünliche Val Gares.
Danach über wunderschöne Grasberge und durch eine blumenreichen
Einsattelung jenseits
an paradiesischen
Kaskaden vorbei abwärts nach Col di Pra im Val di San Lucano.
Dieses Tal gehört zweifelsohne zu den schönsten der Dolomiten.
Einerseits der überaus steilen und jäh abstürzenden Berge der
San Lucano-Gruppe wegen, anderseits die Riesentürme der Agner-Gruppe.
Im leichten Anstieg erreiche ich das Biv. Dordei, das inmitten
lichten Baumbestandes den Dornröschenschlaf hält. Von hier wirken
die südöstlichen Palagipfel in wilder Schönheit. Oh weia - denke
ich, als ich am nächsten Morgen die verrosteten, schlaffen Stahlseile
in den Händen halte (ich denke, dass mittlerweile ein Austausch
stattfand). Es geht gut! Das Absturzgelände ist dann auch
recht bald überwunden. Der eigentliche Klettersteig endet damit
aber auch bereits. Was folgt ist ein abenteuerlicher, reizvoller
und steiler Anstieg in die Hochregion der Pala. Absolute Einsamkeit
- aber eine schöne Einsamkeit - war mein Begleiter. Am Nachmittag
erreiche ich die Trevisohütte. Es ist proppenvoll. Der Hüttenboden
wird zum Nachtlager.
Der Bolver Lugli-Steig ist wohl der bekannteste im Palareich.
Schon die erste Seilbahn ist übergut gefüllt. Die meisten drängen
an der Mittelstation Richtung Klettersteig. Das hat man nun
davon, wenn man zu dieser Morgenstunde einsteigt. Etwa 25 Leute
quetschen sich mehr oder weniger über die ersten Aufstiegsfelsen.
Da weiß so mancher Karabiner nicht mehr wo er hingehört. Irgendwie
gelange ich dann doch nach vorne, um meinen Kopf dem dadurch
entgangen Steinschlag wieder heil ins Tal zu bringen und zudem
den Steig in einer genehmen Zeitspanne machen zu können. Der
Bolver Lugli gehört zu der schärferen Sorte. An luftigen Passagen
herrscht kein Mangel. Die Konzentration muss gegenwärtig bleiben.
Aber ein schöner Klettersteig! Als ich dann am Bivacco unterhalb
des Cimone stehe, bin ich schon recht zufrieden. Den Vezzana-Steig
wollte ich zwar auch noch gleich mitnehmen, doch ein drohendes
Gewitter riet zum Abstieg Richtung Rosettahütte.
Der Fiamme Gialle-Steig versteckt sich etwas abseits und nördlich
der Trevisohütte. Ich steige erst am Nachmittag von der Hütte
ausgehend an. Es ist schwül. Schon bald ziehen dunkle Wolken
auf. Trotzdem steige ich weiter, weil ich ohnehin vorhabe, im
Biv. Reali zu nächtigen. Zwei Wanderer im Abstieg begegne ich
noch, dann ist Ruhe. Nicht ganz - es hat ein kalter, schneidiger
Wind eingesetzt. Nach einem langen ansteigendem Schneefeld werden
die ersten Stahlseile erreicht. Über ausgesetzte Felsstufen
geht es stetig höher. Alleine der kalte Wind treibt zu einen
zügigen Aufstieg. Viele der Seile sehen nicht vertrauenserweckend
aus. So manche Klammer und Stift ist aus dem Fels herausgerissen.
Dieser Steig scheint schon lange der Vergessenheit anheim gefallen
sein - von Reparatur keine Spur. Die Forc. Marmor erreiche ich
dann schon im Regen. Ein kurzes abfallendes Schneefeld noch,
dann bin ich im Biwak. Unter sechs teils angefeuchteten Decken
wird mir nach und nach etwas wärmer. Der Wind heult sein Lied,
der Regen prasselt und irgendwann komme ich auf diesem trostlosen
Flecken zum Schlafen. Die Besteigung der Croda Grande am folgenden
Morgen wird umgehend gestrichen, wegen anhaltender Wolkenschwärze.
Also die gleiche Prozedur wie Gestern, nun im Abwärtsgang. Ein
riesiger Steinbrocken saust vor mir mit enormer Wucht talwärts.
Ich kann nur hoffen, dass sich noch niemand im Aufstieg befindet.
Porton/Velo/Buzzati-Steige
Ferienzeit
= Bergtourismus hoch²! Die Pradidalihütte ist ordentlich gefüllt
an diesem Freitagmittag, als ich diese nun vom Cismontal hochsteigend
erreiche. Nach einem guten Schluck Bier nehme ich unweit der
Hütte den Einstig zum Porton-Steig. Sofort wird es merklich
ruhiger. Drei Wanderer warte ich noch ab, bis sie den Einstieg
nach unten verlassen haben. Dann geht es aber schon los. Scharfer
Einstieg über Klammerreihen und sehr steil hoch. Scharf ist
auch der nächste Aufschwung. Über ausgesetzte Steiglein geht
es weiter bis zum Abstieg auf den Velo-Steig. Ein aussichtsreicher
Weg führt Richtung Velohütte. Recht luftig unter dem Hosenboden
wird es eigentlich erst zum Ende hin. Aber auch das wird gepackt
und die prächtigen Gestalten der Cima della Madonna und des
Sass Maor lenken ohnehin ab. In der geräumigen Velohütte lässt
es sich gut verweilen. Der Normaltourist findet hier kaum hin
und von der Terrasse aus lässt sich der Sonnenuntergang in vollen
Zügen genießen. Man verweilt gerne an diesem bevorzugten Platz.
Am Samstagmorgen leuchtet die Sonne über einem ausgedehnten
Nebelmeer. Kurzer Aufstieg zur Cima Stanga. Danach immer nur
abwärts über den südlichen Ausläufer der Palagruppe, den Buzatti-Steig.
Mittels der eingelassenen Sicherungen hangele ich mich zu begehbarem
Gelände hinunter. Ein Felsspalt scheidet in natürlicher Auslese
Schlanke von weniger Schlanken. Ich schaffe es so gerade noch,
den Rucksack kann ich nur noch mit Gewalt zwingen. Diese Prüfung
findet zu dieser Morgenstunde auch nur einmal statt; wie sooft,
bin ich mal wieder alleine unterwegs. Im kombinierten Fels/Waldgelände
dann immer stetig abwärts. Keine weiteren Schwierigkeiten mehr
außer, dass die Knie nicht gerne 1400 Meter Abstieg mögen.
Was
fehlt, ist der Agner-Steig; der Normalweg zum Gipfel ist jedoch
nicht viel weniger spannend; und Zeit zum Schauen bleibt auch.
Überaus lohnend!
Anmerkung: Die Pala-Steige sind durchweg als schwierig anzusehen,
dafür bewegt man sich in einer der großartigsten Landschaften
des Dolomitenraumes.
Sextener Dolomiten
Ein
riesiger Bergraum, diese Sextener. Auf vielen Wegen war ich
dort unterwegs. An Kletterrsteigen fehlen mir noch einige Namen,
zu oft hat das Wetter nicht mitgemacht. Beginnen möchte ich
vielleicht mit dem bekanntesten - der Rotwand. Geplant war eigentlich
ein Aufstieg über den Zadonella-Steig, um dann über den Rotwand-Steig
wieder hinunter zu steigen. Doch unweit der Bertihütte, nahe
beim Einstieg, überrascht mich ein frühes Gewitter. Nächster
Tag: Bis zur Rudihütte lässt es sich gut schweben. Danach setzt
fröhliches Wetter ein. 1000 Meter sind kein Pappenstiel, doch
die Schwierigkeiten halten sich auch in Grenzen. Unterhaltsam
führt der Weg über die Rotwandköpfe. An vielen Stellen wirkt
der Steig wie ein Freilichtmuseum des 1. Weltkiegs; hat der
Krieg doch hier mächtig gewütet. An einer bevorzugten Stelle
habe ich einen informativen Blick auf den Alpinisteig. Ein "Wegbereiter"
schaufelt den Steig wegen der anstehenden Saison vom Schnee
frei. Erst am Gipfelaufbau gewinnt der Rotwand-Steig an Schärfe;
die aber durch Sicherungsseile gut entspannend wirkt. Auf dem
kleinen Gipfelplateau wird es rasch eng. Nach Entschlackung
der Futtertasche mache ich dann bereitwillig Platz für die Nachzügler.
Den Alpinisteig, Roghelsteig und Cenga Gabriella hatte ich mir
im Zuge des Höhenwegs 5 ausgesucht. Der erste Teil des Alpinisteiges
bis zur Elferscharte ist leichter zu gehen, als es aus Sicht
der Zsigmondy scheint. Zwar immer schön ausgesetzt doch auf
gut gangbarem Weg. Das dunkle Loch, dem Busento, betrachte ich
dann auch nur als willkommende Abwechslung. An der Elferscharte
wird es dann gleich schärfer. Steinschlag hallt durch den wenig
erhellten großen Kessel. Tief ausgetretene Spuren im Altschnee
führen zwangsläufig in Richtung Sentinellascharte. Einige Stellen
quere ich dann auch mit viel Respekt vor der Tiefe. Der Steig
ist nicht ganz unbelebt und gibt so der Einsamkeit keine Chance.
Das düstere Wetter setzt in der Scharte noch einen drauf, indem
es im scharfen Wind ein paar Schneeflocken aufwirbeln lässt.
Und so richtig warm wird mir in der etwas schmucklosen Bertihütte
auch nicht. Der umgebende Bergraum wirkt ernst.
Nebel am nächsten Morgen. Verflixt, wo ist nur der Anstieg zum
Roghel-Steig? Doch dann klart es ein wenig auf und finde den
Weg zur Einstiegsleiter. Mit dieser habe ich dann so meine Schwierigkeiten.
Ein großer, schwerer Rucksack auf dem Rücken, eine Kameratasche
vor dem Bauch und dann auch noch eine abdrängende Leiter? Irgendwie
schaffe ich die 30 Meter dann doch, wenn auch mit vereinter
Armkraft. Hochalpin geht es zwar weiter, doch in erträglichem
Maße. Das dunkle Wetter lässt den Steig etwas bedrohlich erscheinen,
und in der Stallatascharte kommt noch ein scharfer und kalter,
stürmischer Wind hinzu. In der Südwand des Monte Giralba findet
sich die Fortsetzung in Form des Gabriella-Steiges. Dünne, rostige
und aufgesplissene Stahlseilchen lassen zunächst den Mut sinken,
als der Steig über abdrängende Felsen seinen Lauf nimmt. Immer
schön ausgesetzt geht es weiter. Und als das Dach der Carduccihütte
sichtbar wird, mag ich bereits glauben, bald im Warmen zu sitzen.
Weit gefehlt. Leider eine Täuschung. Vorher kommt noch ein strammer,
ausgesetzter Abstieg sowie eine weitläufige, schneegefüllte
Rinne, ehe dann wieder langsam an Hüttenaufstieg zu denken ist.
Doch vorher hat bereits ein recht kühler Gewitterregen eingesetzt.
Ein langer anstrengender Tag neigt sich in der Hütte bei ansteigender
Wärme dem Ende. Der Sturm fegt den Himmel blank und alle Felsen
leuchten im warmen Abendlicht. Der Hüttenwirt (zu der Zeit
ein Südtiroler) widmet sich in selten erlebter Freundlichkeit
seinen Gästen.
Anmerkung:
Auch die Sextener Steige gehören durchweg der schärferen Art
an. Doch irgendwie mögen sie mich wohl nicht so richtig. Meist
wenn ich dort verweile hat das Wetter schlechte Laune.
Rosengarten/Schlern/Latemar
Der Schlern
war Auftakt eines selbstgeplanten Höhenwegs über Rosengarten,
Latemar, Lagorai und Palagruppe. Der Maximilian-Steig über
die Rosszähne drängte sich so geradezu auf. Es sind die letzten
Stunden des Juni, der Himmel wolkenlos und letzte Schneefelder
auf dem Schlernplateau gleißen in der Sonne. Und die Sonne
verspricht, den Tag heiß werden zu lassen. Der Gang über den
Maximiliansteig ist ein Himmelstanz. Immer schön über den
schmalen Gratrücken. Links grüßt die Seiseralm und dahinter
die Geisler, von rechts grüßt der Rosengarten herüber. Nein,
schwierig ist er nicht, nur etwas luftig, der Maximilian.
Schon lange leuchtet das rote Dach der Tierser Alpl Hütte.
Dort hin führt dann zum Schluß eine 200 Meter tiefe, etwas
holprige Schlucht. Eine Maß löscht den Durst, und ein beginnendes
Brennen signalisiert für die kommenden Tage einen leuchtenden
Sonnenbrand. Der Kesselkogel lag am Weg und sollte am nächsten
Tag bestiegen werden. Doch dann hatte ich keine Lust mehr
darauf. (dabei blieb es bis heute)
An einem schönen Tag im Oktober stand der Santnerpaß-Steig
dann endlich auf dem Programm. Die Nacht vorher war es recht
knackig bezüglich der Minusgrade. Dafür war der Himmel
nun knackig Blau. Meine Frau war mit; sie sollte auch mal
in den Genuss des Extremwanderns kommen. Das Klettern hianauf
auf dem Santner ist unterhaltsam, die Schwierigkeiten eher
minimal und am Paß belohnt die großartige Sicht. Meine Frau
war recht stolz als Debütantin. Der anschließende Weg
wurde aber noch schöner: Vajolettürme, Vajoletthütte und über
das Tschajerjoch zurück. Prächtig!
Der Klettersteig über Masarespitzen und Rotwand ist sicherlich
kein Spitzenerlebnis, doch unterhaltsam in der Wegführung
ist er allemal. Beim Einstieg unweit der Rotwandhütte hat
man genügend Beobachter. So versucht man auch möglichst elegant
über die Einstiegsseile zu kommen. Mal links mal rechts, mal
hoch mal tief und mal mehr mal weniger ausgesetzt erreicht
man bald das etwas luftige Ende. Die Fortsetzung ist der Weg
hinauf zur Rotwandspitze. Der Ostanstieg ist recht einfach.
Hinunter zur westlichen Aufstiegsscharte verunziert ein durchgehendes
Drahtseil unnötigerweise den Berg. Was das soll, weiß ich
nicht. Auf jeden Fall nehme ich die Beine in die Hand, als
plötzlich ein Gewitter andröhnt. Nur weg vom Eisen.
Den Scaletteweg sollte man nicht als Klettersteig bezeichnen
wollen. Es sind lediglich ein paar Sicherungsseile an den
wenigen etwas ausgesetzten Stellen angebracht. Nichtsdestotrotz
sollte der Weg gemacht werden. Leitet er doch hinauf zu einem
wunderschönen Flecken des Rosengartens. Würden hier die Gärten
König Laurins angelegt sein, wäre zu dessen Wahl zu gratulieren.
Im weitläufigen Gelände der Larsecgruppe fühle ich mich ungemein
wohl, inmitten einer friedlichen Stille, an einem wundervollen
Septembersonntag.
Der Laurenzi-Steig war derzeit eher noch ein Geheimtipp. Deshalb
reizte er mich schon, weil hochgelobt, kennen zu lernen. Vom
Fassatal ausgehend stieg ich über einen einsamen Weg, der
mich Richtung Antermoiahütte bringen sollte an. In den östlichen
Larsecabstürzen hatte tags zuvor ein riesiger Wandausbruch
stattgefunden. Doch in Unkenntnis dessen war ich nun in seiner
direkten Falllinie geraten. Immer wieder donnerten mit unheimlichem
Getöse, verbunden mit riesigen Staublawinen, Massen von Felsbrocken
aus der Wand. Es gab nur einen Weg und der führte mitten durch
das Gewusel aus Felsbrocken. Ich spurtete während einer Ausbruchspause
durch das 200 Meter breite Chaos. Und ich schaffte es - ehe
es dahinter schon wieder kräftig donnerte. Der Krach der Ausbrüche
war auch während der Nacht in der Antermoiahütte weiter zu
hören.
Doch nun der Einstieg in den Laurenzisteig über den Molignon.
Das heißt zunächst: nimm alle Kraft zusammen die du hast und
hangele dich, fast trittlos, an einem Steilaufschwung hoch.
Nachdem hier die erste Auslese getroffen wird, läuft es sich
danach aber schon wieder besser. Ich bin alleine hier droben
und die Sonne meint es wieder gut. Aussichtsreich geht es
weiter bis zum schärferen Teil des Steiges. Nun heißt es,
mal links mal rechts das Gleichgewicht und auch die Seele
ausloten lassen. Die Almwiesen im tiefen Grund leuchten im
schönsten Sommergrün und geben dem Steig so ein entspannendes
Ambiente. Teils hat der Weg etwas vom Charakter des "Olivieri"
an der Punta Anna über Cortina. (dazu später mehr).
Es wird nicht langweilig. Immer wieder ist die Lust zum Schauen
da. Solche Wege mag ich und nicht jene, die ein stures Klettern
erfordern. Später, in der Tierser Alpl Hütte, bin ich schon
recht zufrieden mit dem, was der zurückliegende Morgen an
kleinem Glück auf dem Laurenzi-Steig hinterlassen hat.
Zu erwähnen sei aber noch der Campanili del Latemar. Um dieses
nicht sehr stark frequentierte Gebirge kennen zu lernen, erschließt
man es sich durch eine Rundtour über die weite Fläche der
Latemar-Hochebene. Aus welcher Richtung man den Steig beginnt,
spielt keine Rolle. Er ist eher wenig schwierig. Und wo es
etwas luftig wird, ist er gut gesichert. So steige ich durch
die Felsen, die sich unten aus dem Sichtfenster der Touristen-Busse
ach so malerisch im Karersee spiegeln. Am Ende, im Biv. Rigatti,
mache ich es mir dann zwangsläufig einige Stunden unter Decken
bequem, weil das Gewitter, das derweil hereingebrochen ist
sehr ausgiebig seine Kraft austobt. So wird aus dem Tag noch
ein recht ausgefüllter.
Die Sellatürme glühen kurz vor Tagesende
noch einaml auf.
Am linken Rand zieht der Pößnecker Klettersteig hoch.
Sella/Plattkofel-Steige
Der
sanfte Bruder des Langkofels ist der Plattkofel. Allerdings
hat er auch eine raue Seite, und dort hinein hat man den Oskar
Schuster-Steig gebaut. Ich quere die weite Arena des Langkofelmassivs,
dessen Inneres sich mit einer fast heiligen Stille umgibt.
Vor dem Einstieg ein Altschneefeld, wo sich eine kleine italienische
Gruppe recht lautstark über die Möglichkeiten des Aufstieges
auslässt. Dessen ungeachtet komme ich recht gut voran. Der
Steig bietet recht kurzweilige Abwechslung und ist weitgehend
Naturbelassen. Hier und da schon mal recht luftig, doch nirgendwo
braucht man zu resignieren. Das Gipfelkreuz teile ich dann
mit der zahlreichen Schar derer, die über die sanfte Seite
hoch kommen. Die Seiseralm liegt in voller Größe und Pracht
zu meinen Füßen.
Der Pößnecker Steig, unweit des Sellajochs, ist bereits uralt.
Doch hier wird das Alter noch geehrt, denn wie sonst ließe
sich der rege Besuch erklären. Es ist Sonntagmorgen, bin spät
aufgestanden, und nun bereits 9.00 Uhr - und überlege noch.
Gestern am Abend war ich in den Dolomiten angekommen und hatte
schon so einige Touren im Kopf, die ich unbedingt machen wollte.
Während ich noch unschlüssig die umgebenden Wände anschaue,
füllt sich das Sellajoch mit beängstigender Schnelle. Dann
gebe ich mir einen Ruck und strebe dorthin, wo so viele hinwollen.
Es knubbelt sich bereits am Einstieg. Schreie, Juchzer und
wilde Flüche begrüßen die Hinzukommenden. Da wird überholt,
man verfängt sich in den Selbstsicherungen und einige Karabiner
wissen selbst nicht mehr, wo sie hingehören. Warum nur am
späteren Sonntagmorgen hier rein, stelle ich mir die Frage?
Manche lassen einem mit freundlicher Mine den Überholvorgang
vollenden. Andere verteidigen mit verbissener Willkür ihr
Territorium. Doch irgendwann schaffe ich es doch, in der etwa
50-köpfigen Schar unter den ersten 10 zu sein. Mit lustig
ist es nun auch aus - der Pößnecker zeigt seine scharfe Seite.
Ich strebe von Stahlseil zu Stahlseil höher, und irgendwann
steht man plötzlich sehr, sehr luftig in der freien Wand.
Ich weiß nicht wie - der falsche Fuß war wohl schuld - habe
ich das Gefühl, zu kippen. Das war mir bisher noch nicht passiert.
Sofort schießen die Gedanken durch den Kopf: wird mich die
Eigensicherung halten…? Nun, um diesen Test kam ich herum,
weil im letzten Moment der Körper den Schwerpunkt wieder ausloten
konnte. Da pocht es schon gewaltig in der Brust. Alle Schwierigkeiten
wurden gemeistert bis zum ersten Plateau. Dort schien die
Sonne dann mit der Stimmung erhellender Intensität. Der weitere
Weg wurde dann eher beschaulich. Ohne große Probleme wandere
ich den Steig zu Ende.
Welch ein Erlebnis dann auf der gegenüberliegenden Seite,
beim Pisciadu-Steig. Er wird vielleicht noch mehr bestiegen,
als sein altehrwürdiger Bruder. Am Vorabend ergoss sich ein
Riesengewitter über die Sella; doch nun am frühen Morgen bietet
sich ein Traumbild dem früherwachenden Bergsteiger. Corvara
liegt versteckt unter einem Nebelmeer. Darüber nimmt die Sonne
ihren Lauf, beginnend mit rosarotem Geblende. Raureif auf
den Wiesen, Eiszapfen an den Felsen, der Himmel klar. Mit
klammen Fingern hinauf über die Klammerreihe des ersten Aufschwungs.
Dann die Wanderung zum Wasserfall. Dort Einstieg in den kalten
Fels. Es ist erst kurz nach 7.00 Uhr früh, und was Wunder,
ich bin absolut alleine auf diesem Klettersteig. Luftig die
Wegführung, wärmend die Morgensonne. Doch immer bleibt ausreichende
Muße zum Schauen und Fotografieren. Der Motive gibt es genügend,
als die Sonne nun den Nebel nach und nach zwischen dem dunklem
Nadelgehölz auflöst und ergreifend schöne Naturzenarien
darbietet. Noch mal volle Konzentration am letzten und schwierigsten
Stück, dem Externturm. Die Hängebrücke glitzert mit Eisdiamanten
besetzt und führt endgültig hinaus in die Sonnenlandschaft
des Sellaplateaus. Eine himmlische Ruhe umgibt den Eissee.
Einzig in der leeren Pisciaduhütte werkelt der Wirt in Erwartung
der kommenden Unruhe. Diese erscheint bereits auf dem Plan,
dort zu Beginn der Sicherungsseile des Normalweges aus dem
Val Setus. Die Horde der Aufsteigenden wird immer größer und
an einem geregelten Abstieg ist nicht zu denken. Ich versuche
auszuweichen, gehe etwas abseits der glattpolierten Aufstiegsfelsen.
Doch wie sagt Volkes Mund: die meisten Unfälle passieren beim
Abstieg. Eine kleingriffige 4-Meter Abstufung wird mir dann
zum schmerzenden Andenken. Ich rutsche ab - Aufschlag genau
auf den Teil, den man Steiß nennt. Nun wusste ich was Höllenqualen
sind. Und diese musste ich noch gut 900 km aushalten, denn
der Heimweg war geplant, nur eben nicht unter diesen Umständen.
Es dauerte Wochen, bis die hinteren Verfärbungen wieder natürlich
aussahen.
Anmerkung: Die Sella bietet vielerlei Abwechslung, die
Klettersteige gehören einfach dazu; zwar eher recht schwierig,
doch auch schön abenteuerlich.
Im Reich der Tofane und im Fanesgebiet
Lange
hatte ich mich nicht so recht rangetraut, hatte die Tofane
auf Höhenwegen und von den Passstraßen aus bewundert. Doch
nun schien mir die Zeit reif. Als Auftakt hierzu und quasi
als Eingehroute hatte ich mir einen eher unscheinbaren Berg
ausgesucht, der in der Wucht der Tofane fast untergeht. Col
Rosa ist sein Name und der Steig zu dessen höchste Spitze
heißt Ferrata Bovero. Nur zu, sage ich mir, der Urlaub hat
gerade erst begonnen und der Kräfte sind noch genug vorhanden.
Und es geht steil an. Luftig wird es, manchmal sogar sehr
luftig, doch die Sicherungen schaffen Vertrauen. Flache Stellen
zum Ausruhen sind eher rar, dafür ist der Steig nicht sehr
lang. Ein letzter Aufschwung noch und ich stehe am Gipfelkreuz.
Kurzer Schwatz mit einem Italiener, der auf die Schnelle etwas
für seine Gesundheit tun wolle, gibt er mir zu verstehen -
und schon entschwand er über den Steig wieder nach unten.
Ich war wieder alleine mit meinen Gedanken, träumte etwas
vor mich hin in der warmen Sonne, die den Fels erwärmte. Beim
Abstieg auf
dem Normalweg war
keine Menschenseele auszumachen. So genoss ich die Natur an
diesem abgeschiedenen Ort in vollen Zügen.
Tofana di Rozes heißt die mächtige Felsbastion, die sich so
grandios über der Falzarego-Passstraße erhebt. Ein Rudel Gämsen
kreuzt den Weg, als ich kurz nach Sonnenaufgang Richtung Einstiegsloch
strebe. Ja der Lipella-Steig beginnt mit äußerster Dunkelheit.
500 Meter ist der ehemalige Kriegstollen lang. Und schaurig
hallen die einzigen Schritte, nämlich meine, von den Wandungen
wider. So gelange ich zum schattigen Teil der Tofana di Rozzes.
Eis steht auf den Pfützen vom Gewitterregen der letzten Nacht.
Kraft kostet es, den steilen Fels bis zur jeweils nächsten
Stufung zu überwinden. Ausruhen gilt nicht, ich möchte zur
Sonne. Doch das dauert. Als ich dann den Gipfelaufbau erreiche
und die Hände nicht mehr zum Steigen benötigt werden, atme
ich erst mal kräftig durch und finde nun endlich die Muße,
das prächtige Panorama zu genießen. Der letzte Aufschwung
ist noch gut von Schnee bedeckt und suche so etwas mühsam
nach einer Spur durch den schotterigen Fels zum Gipfel. Das
Gipfelglück halte ich kurz. Ein kalter Wind treibt Wolken
vor die Sonne. Adieu Tofana.
Schwatzende italienische Geselligkeit dann später auf der
Giussanihütte. Von dort ist bereits die Punta Anna gut einzusehen.
Dorthin zieht der Olivieri-Steig empor. Nun
am folgenden Morgen befinde ich mich bereits im Anstieg dorthin.
Knackig wäre die treffende Bezeichnung für das Steigen über
die sehr luftigen Grate. Stramme Stahlseile geben mir aber
das nötige Vertrauen, nicht zu zweifeln. Ausruhen gilt hier
auch nicht, denn ich weiß um die Länge des Gesamtweges. Bin
ich auch richtig, stehe ich fragend an einer Stelle, wo der
Steig scheinbar in die freie Luft hinausführt. Niemand unterwegs,
der mir diese Frage beantworten könnte. Etwas tiefer bemerke
ich ein Stahlseil. Und als ich vorsichtig um die Kante lauere,
finde ich mich bestätigt, dass ich die schaurigste Stelle
des Klettersteiges erreicht habe. Blutleer greifen bzw. umklammern
meine Finger das Sicherungsseil. Das Atmen vergesse ich beinahe
beim Übersteigen dieses Querganges. Danach fühle ich mich
leicht - sehr, sehr leicht. Was soll jetzt noch Schlimmes
kommen und gebe mir selber den Befehl, umgehend weiter zu
Steigen. Im dunkelsten Winkel der Tofana di Mezzo nun steil
weiter über den altschneebedeckten Gipfelaufbau. Dabei gilt
es so manches verrostete Schneegatter zu überwinden, die man
zum Schutz vor Lawinen nicht gerade umweltschön hier anlegte.
Eine Stufe folgt der nächsten, und endlich stehe ich auf dem
Gipfel. 3243 Meter, so die amtliche Höhenangabe. Nur wenige
Gäste gaffen aus dem im Nebel eingetauchten Gipfel. Nach der
Mittagspause besteige ich die Seilbahn und werde sogar kostenlos
bis zur Mittelstation abgefahren. Auf einem holperigen Felsweg
erreiche ich irgendwann wieder die Dibonahütte.
Etwas versteckt hinter den Tofane recken sich die Fanistürme
hoch in den blauen Himmel des fortgeschrittenen Septembers.
Auf dessen südlichsten führt der Tomaselli-Steig. Als Paradesteig
ist er ja gerne verschrien; und eben deshalb gehörte es zur
Pflicht, ihn machen zu müssen. Viel Gedanken über den Aufstieg
mache ich mir nicht, ist doch all mein Handeln auf die Schlüsselstelle
am Beginn des Einstieges gerichtet. Nun - ich bin enttäuscht!
Zwar sind die Tritte abgewetzt, und die Zehen krallen sich
um etwas, was nicht vorhanden ist - doch die Passage ist kurz
und nicht so sehr der Rede wert. Es folgt das übliche Übersteigen
von Felsmasse, jedoch alles in gemäßigtem Rahmen. Doch dann
stehe ich vor dem eigentlichen Turm. Und dann wird es nur
noch schwierig. Dabei haben die Arme die meiste Arbeit zu
verrichten. Nachlassen gilt nicht - scharf und sehr luftig
stetig immer höher. In punkto Kraftanstrengung ist dieser
möglicherweise mein schwierigster Steig gewesen. Wozu brauche
ich hier eine Kamera? Zum Fotografieren und zum Genießen der
Landschaft fehlt es hier wahrlich an allen Ecken und Kanten
(der Ausgesetztheit wegen); obwohl die Umgebung reichliches
zum Schauen anböte. Ein letztes Abdrücken der Füße am Fels,
dann bin ich entlassen auf einem winzigen Plateau oberhalb
aller Luftigkeit. Selbst der Abstieg wird zur Tortur. Auch
dieser zeigt sich wenig gastfreundlich.
Anmerkung: wer sich auf diese Berge einlässt, muss wissen,
dass es recht schwierig werden kann. Doch zum Schauen und
Genießen in dieser großartigen Landschaft bleibt eigentlich
immer noch Zeit und Muße. Den "Tomaselli" schließe ich aber
davon aus. Er hat mir nicht gefallen. Wie schon mal gesagt,
ich gehe nicht aus sportlichen Gründen in die Berge, sondern
betrachte Klettersteige als abenteuerliche Einlage innerhalb
von Wanderwegen.
Die Steige des Cristallo-Massivs
Jenseits
über dem Boitefluß hinweg im Osten, erhebt sich ein nicht minder
schönes Gebirge, das Cristallo-Massiv. Davor erstreckt sich
noch der Pomagagnonzug. Der Westpfeiler trägt den Namen Punta
Fiames. Dort hinauf geht es zum Beispiel über den M.-Strobel-Steig.
Es ist noch allerfrühster Morgen, als ich über eine ehemalige
Bahntrasse zum Einstieg strebe. Erst gestern hatte ich den Col
Rosa als Einstieg in den Urlaub gewählt, heute sollte es dann
schon etwas würziger werden. Auch hier am Strobel-Steig geht
es recht senkrecht an. Viele Klammern, viele Seile, doch es
macht Spaß an diesem terrassenartigen Fels hoch zu steigen.
Langweilig wird es nicht und übermäßig schwierig auch nicht.
Das Schwitzen hält sich im Rahmen dessen, was eine schattige
Wand so abverlangt. So luge ich auch schon recht bald über den
Rand des Gipfelaufbaus. Fast gleichzeitig mit den Köpfen zweier
Kletterer, die aus der südseitigen Wand hochgestiegen kommen.
Auf einem kleinen Vorbau genieße ich nun mehrere Stunden lang
die Sonne, die nach und nach Cortina ausleuchtet, welches in
voller Ausdehnung zu meinen Füßen liegt. Zahlreiche Bergdohlen
freuen sich auf den Inhalt meines Rucksacks.
Die Spitzen
des Cristallo-Massivs leuchten aus dem Oktoberhimmel
Zu
den Gipfeln des Cristallo führen mehrer Wege. Die einfachste
Fahrt wäre jene mit der Seilbahn vom Süden aus. Ich habe es
nicht eilig und nehme so den beschwerlichen Anstieg aus dem
Norden. Vom Gasthof in Ospitale steige ich durch den zunächst
noch dichten, dann aber immer sonniger werdenden Bergwald an,
bis dann der eigentliche Klettersteig beginnt. Klettersteig
ist dabei eigentlich zu viel gesagt, es ist ein ehemaliger Stellungsweg.
Die Sicherungen sind durchweg in Ordnung und geben so das gewisse
Gefühl an Sicherheit, welches man zur psychischen Balance braucht.
Dieser Weg wirkt aber im Ganzen gesehen düster; und er belastet
auch irgendwie. In Gedanken versuche ich nachzuvollziehen, wie
es damals, fast zu Beginn des Jahrhunderts, hier zugegangen
sein mag. Und eigentlich bin ich dann auch recht froh, aus den
einsamen, dunklen Schluchten hinaus zum Licht steigen dürfen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich die Einsamkeit geradezu
anziehe. Auch hier, schon weit oberhalb des Klettersteiges,
begegne ich erstmals 2
Wanderern. Dabei bleibt es dann auch bis zum Cristallo. Dort
hingegen, wenn auch noch sehr weit weg, kann ich bereits das
ameisenhafte Völkchen sehen, welches die berühmte Hängebrücke
quert. Es wird heiß, es wird strapaziös auf dem langen Anstiegsfeld.
Später sogar sehr kräftezehrend durch Altschneefelder und Geröll.
Es ist noch recht früh am Nachmittag, als ich die Lorenzihütte
erreiche. Die Hüttenterrasse ist der einzige ebene Platz hier
droben. Und was tun Italiener am liebsten auf ebenen Plätzen?
Richtig, die Nase geradeaus in die Sonne halten. Irgendwie schaffe
ich es dann doch noch, eine Lücke aufzuspüren. Und als die Seilbahn
dann endlich die letzten Tagesgäste aufgeschaufelt hat, wird
es sehr schön hier oben. Die wenig verbliebenen Gäste wollen
hier übernachten. Eine fast feierliche Stille legt sich über
diesen wunderbaren Ort.
Als die Sonne sich dann bereits weit im Westen befindet, lege
ich meine Selbstsicherung an und steige über den Bianchi-Steig
Richtung Mittelgipfel. Der Fels leuchtet in vielen satten Rot-
und braunschattierungen. Und fast vergesse ich vor lauter Schauen,
dass der Steig auch seine Schwierigkeiten hat. Einige sehr luftige
Stellen fordern schon die Konzentration. Eine letzte Mutprobe
noch, dann liegt die Gipfelebene vor mir. Der Monte Popena leuchtet
verschwenderisch in der Abendsonne. Und die vielen anderen Gipfel
werden bereits von langen Schatten überzogen. Zwischen den Felsen
bilden sich skurrile Figuren heraus, hervorgerufen durch die
wechselnde Beleuchtung. So müssen wohl einst Sagen entstanden
sein. Endlich löse ich mich und erreiche nun schon in der Dämmerung
die Schutzhütte.
Am Morgen stehe ich schon früh auf der hölzernen Hüttenterrasse.
Die beginnende Ausleuchtung der Berge ist schon recht betörend
von diesem Hort der Stille. Doch nun befinde ich mich bereits
auf dem Dibona-Steig. In einem langen Marsch wird mich dieser
Weg wieder nach Ospitale zurückführen. Der Weg zur Hängebrücke
über den Abgrund gehört mir nun bei Tagesbeginn noch ganz alleine.
Alte Kommandostände des Gebirgskrieges säumen zunächst die schmalen
Felswege. Im seltsam geformten, schräg aufgesteilten Fels wird
es dann richtig interessant. Und irgendwie schafft der Steig
es immer sich durch diese Formationen durchzuwurschteln. Fast
möchte man vergessen, dass auch dieser Weg ein Klettersteig
ist, mit teils luftigen Stellen. Es gibt einfach zu viel zum
Schauen, die Natur ist großartig. Weitere Stellungen, die an
ehemalige Kampfhandlungen erinnern, folgen. Der Frühe wegen
bleibe ich auch auf dem weiteren Weg alleine. Erst viel später
wird die Landschaft bescheidener in ihrer Ausstrahlung. Doch
da bin ich bereits fast in Ospitale.
Anmerkung: Die Steige des Cristallogebietes sind nicht das
Schärfste, was Klettersteige bieten können; eher etwas zum Schauen,
zum Wohlfühlen und nicht zuletzt, zum Nachdenken.
Ausruhen an den ehemaligen Kommandoständen
des 1. Weltkrieges an der Ferr. A. Dibona
Civetta/Moiazza-Gruppe
Es
ist noch fast dunkel, als ich vom Parkplatz unterhalb der Coldaihütte
Richtung Civetta ansteige. Über dem Monte Pelmo putzt sich der
Himmel in den schönsten Farben heraus. Bald wird die Sonne erscheinen.
Den frühen Zeitpunkt habe ich gewählt, weil der Allghesi-Steig
recht beliebt sein soll. Tatsächlich vernehme ich aus der Coldaihütte
allgemeine Aufbruchstimmung. Zum Einstieg ist es noch ein gutes
Stück zu marschieren. Im Steilfels des ersten Aufschwungs, zwischen
Klammern und Stiften hängend, eine 3-köpfige italienische Gruppe.
Lautstark fachsimpeln sie darüber, wie sie es wohl am besten
angehen, dieses schwierige Stück zu überwinden - so glaube ich
die Situation zu verstehen. Und das dauert. Weitere Aspiranten
erscheinen auf der Fläche und sind in Erwartung darauf, einsteigen
zu dürfen. Es hilft alles nichts, der Kampf um die Klammern
und Stifte beginnt. Also über Füße steigen, unter Selbstsicherungen
hindurch, um dann endlich freien Anstieg zu erheischen. Der
weitere Aufstieg verläuft ziemlich direkt und ist nicht so überaus
sehr abwechslungsreich. Zwar ist der Weg recht stramm, doch
als schwierig empfinde ich ihn nicht. Am Übergang zur Nordseite
fällt der Blick erstmals in das Riesenbollwerk der Nordwand.
Ich bin schon etwas ergriffen von der Mächtigkeit dieses Berges.
An dieser vortrefflichen Aussichtsstellung mache ich dann ausgiebig
Frühstückspause. Ich brauche nicht unbedingt erster Gipfelgast
des Tages zu sein, das überlasse ich der nun nachfolgenden Gruppe.
Im abwechslungsreichen Gipfelfels erreiche ich dann bald den
Hauptgipfel auf 3220 Metern Höhe. Ein Klettersteig führt ja
nicht alle Tage auf einen 3000er - und das will ich genießen.
Der Blick ist frei auf alle großen Gestalten der Dolomiten.
Der Himmel zieht sich nun etwas zu und denke deshalb bald an
Aufbruch. Der Normalweg ist recht lang und strapaziös - auch
im Abstieg. Teils ist er sogar ein wenig klettersteigartig angelegt.
Später am Wandsockel wird das Wetter dann doch wieder angenehm
und habe sodann genügend Muße, über einen großartigen Tag nachzudenken.
Den Moiazzabergen dort im Süden der Civetta wird immer wieder
nachgesagt, dass sie eine Klettersteiganlage der besonders harten
Sorte beheimate, nämlich die Ferrata Costantini! Es hat denn
auch einige Jahre gedauert, ehe ich meinte, nun wäre ich aber
endlich reif dafür, dieses Wagnis einzugehen. Mittlerweile wusste
ich aber auch, dass eine Berg-Gazette von der anderen abschreibt;
und deshalb sollte man dem ganzen Rummel nicht so viel Wichtigkeit
zukommen lassen. So stieg ich dann an einem eher diesigen Morgen
vom Passo Duran kommend zum Rif. Carestiato an. Auf dem Vorplatz
der Hütte machte sich soeben eine siebenköpfige italienische
Gruppe steigbereit. Soll ich es wagen - als ich fragend in die
nun etwas düster wirkende Moiazza hochschaue? Ich wage es! Schon
bald hinter der Hütte dann die ersten Prüfungen. Sehr ausgesetzt
im Quergang führt der Steig zur berühmtesten Stelle des gesamten
Weges. Der Übergang jener Schlüsselstelle ist mittlerweile so
glatt, dass ich glauben mag, die Falten des Felsens sind als
Sorgenfalten in die Gesichter der Klettersteigaspiranten übergegangen.
So schlimm wurde es dann aber doch nicht. Zunächst musste jedoch
die Gruppe der Siebenköpfigen hinüber; und das dauerte. Alles
wurde nämlich zusätzlich mit einer großen Videokamera genaustens
dokumentiert. Dann war auch ich an der Reihe. Da der Felsen
so glatt war hatte ich meine Füße mangels der wenigen Aufsetzpunkte
fast schon auf Seilhöhe auf Gegendruck gesetzt. Elegant sah
es vielleicht nicht aus - doch ich war hinüber. Die eigentlichen
Schwierigkeiten folgten nach meinem Empfinden erst danach. Klammern
leiten höher durch steilen Fels, wo ich mich so manchmal recht
verwinde. Das war eigentlich meine persönliche Schlüsselstelle.
Es folgt eine ebener Platz, wo man sich erstmals ausruhen darf.
Das Wetter hat sich derweil noch mehr zugezogen und Nebel setzt
ein. Im Glauben, das hinter mir ja noch die Gruppe der Siebenköpfigen
kommt, setze ich den Weg fort. Recht stramm werde ich durch
die Aufschwünge weitergeleitet. Sehen tue ich ohnehin nicht
viel. Und da der Weg recht lang ist, gönne ich mir auch keine
weiteren Pausen. Ab und an kann ich aber doch einen Blick auf
die weite Fläche Richtung Civetta werfen. Fernsicht gibt immer
Auftrieb. Der Höhepunkt folgt dann an der Cenga Angelini, dem
"Engelsband". Das Wetter klart hier nun auf, und der Blick folgt
dem Fels hinunter in die scheinbar unergründlichen Tiefen. Hier
wünsche ich mir dann die Flügel eines Engels. Durch eine riesige
Felseinbuchtung leitet der dürftig schmale Pfad horizontal hinaus
in gangbares Gelände. Ein gutes Stück tiefer und weiter dann
die Rast am Biv. Ghedini. Der Abstieg ist dann noch mal 800
Meter weiter runter. Sehr strapaziös alles, und die Kniegelenke
freuen sich kein bisschen. Zur Hütte zurück noch ein längerer
Querweg. Dann endlich freut sich ein großes Bier darauf, getrunken
zu werden. Was mich irritiert: die Italiener sind schon da?
Ich werde dann aufgeklärt, dass sie schon bald nach der Schlüsselstelle
wieder umgekehrt sind. Also war ich doch die ganze Zeit alleine
auf dem Costantini unterwegs.
Anmerkung: Da wegen des recht trüben Wetters eine Einschränkung in meiner objektiven Beurteilung liegt, kann ich auch nicht
behaupten, dass der "Costantini" der Größte sei. Vielleicht
ist er es ja doch! Irgendwann (vielleicht) - bei schönerem Wetter,
werde ich ihn noch Mal besuchen. Und da es in der Civettagruppe
noch zwei weitere Steige gibt, die recht interessant sein sollen,
wäre schon ein guter Grund vorhanden, noch mal wiederzukommen.
Geschafft! Das Ende des Costantinisteiges
ist da.
Nur noch der lange Abstieg liegt vor mir
Hier
und dort habe ich noch ein paar Steige gemacht, die eigentlich
so gar keine echten Klettersteige waren; oder es waren welche
und habe nur den Versuch unternommen einzusteigen, um dann
wieder abzubrechen. Spielt auch keine Rolle. Wichtig ist
für mich nur der Weg. Wenn dieser in mir Harmonie schuf,
war es stets der richtige Weg.
Für meinen
Sohn
T h o r s t e n
Thorsten
London
*
19. Febr.1968
† 11. Sept.1995
2003 © Günter London
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