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(Stuttgarter Zeitung 11/95)


Das Leben, eine Rumkugel

MTV-Phantasie - Mattis Manzels Roman "Peinlich"

Über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, und Humor bleibt, wenn man trotzdem lacht: "Zwischen Finger und Nasenloch spannte ein Aulefaden, der einem Quarterpounder von Popel anhaftete, welcher sich amöboid über die Kuppe von Rudis Zeigefinger schmiegte." Haben Sie angesichts dieser launigen kleinen Szene und ob der sprachlichen Äquilibristik geschmunzelt, gegrinst, ja gar gelacht? Dann sind Sie genau der Leser, die Leserin, für die dieses Buch gemacht ist, dann finden Sie vielleicht Gefallen an dieser Art von literarischer Comedy. Oder finden Sie den Ausschnitt eher "peinlich"? Dann haben Sie zumindest gleich den Titel des Buchs erraten, um das es hier geht.
Ganz so konsequent hat der Berliner Autor Mattis Manzel (Jahrgang 1960) allerdings nicht durchgezogen, was auch ein Programm sein könnte: die vorsätzliche, haarscharf kalkulierte Geschmacksverirrung. Peinlich, das ist vor allem der Name des Helden, der von der Romanmitte an kurzerhand in Hermann umbenannt wird - was nichts weiter ändert. Wer aber ist Peinlich/Hermann? Wie sieht er aus? Würde der Roman verfilmt, obwohl zweifelsohne in die Kategorie "unverfilmbar" gehörend, dann wäre Wigald Boning, der ,,Samstag-Nacht"-Comedian die Traumbesetzung. Dem würde man in seinen kunterbunten Anzügen genauso wenig glauben, wie man Peinlich glaubt, wenn der sagt: "Ich bin einer von vielen." - "Ich bin normal."
Was aber macht Peinlich? Peinlich löffelt Joghurt; er schält Kartoffeln: er arbeitet in einem Museum als Aufpasser und macht sich, wenn er nicht Besucher anbrüllt, selber zum Kunstwerk. Peinlich hat Margit geschwängert und denkt über sein Leben nach. Was denkt Peinlich über sein Leben? "Peinlich hätte lieber einen amorphen Klops darin gesehen. Das hätte besser gepasst als diese royalistisch-dekadente Unterteilung in Abschnitte, die beim Emporheben der Rumkugel Leben vom silbernen Tablett des Daseins so etepetete den kleinen Finger abspreizte." Und was macht Peinlich Spaß? "Die kandierte Endzeitstimmung, der weitläufige Gedanke an Fernsehansagerinnen, die dahinzuckelnde Kamelkarawane, der Nieselregen, der nunmehr ansetzte, in seinen Nacken hinabzusickern."
Diese Karawane hat sich am Ende des Romans übrigens auf die Berliner Karl-Marx-Allee verirrt. Hier treibt die Phantasie des Autors nicht nur eine bunte, sondern auch eine gar poetische Blüte inmitten eines lebhaften Nonsens, von dem man nicht weiß, ob es nicht ganz banaler oder doch höherer ist.
Manzel, der im vergangenen Jahr Stipendiat auf Schloß Solitude war, hetzt wie ein MTV-Surrealist von der einen Idee zum nächsten Gag. Daraus mit "Bedeutungskleister" und "UHU-Sinn" mehr als eine "Loseblattsammlung" zu basteln, das würde der Autor wohl auch nicht wollen. Dennoch: die Masche produziert Beliebigkeit und bringt den Roman damit um die Chance, tiefere und charmante Wahrheiten aus dem Gestrüpp des Alltags hervorzuholen.
Wenn Peinlich mit Korkkrümeln experimentiert, die vor seinen Augen auf dem Couchtisch die Geschichte der Menschheit als Militärgeschichte und Abfolge von Kriegen nachexerzieren, wäre dies plötzlich ein doppelwertiger Moment, drollig und ernst, skurril und melancholisch. Ansonsten aber bügelt die gnadenlose Slapstickmaschine über viele Nuancen hinweg und macht die "Denkbilder", von denen, der Klappentext spricht, im wahrsten Sinne des Wortes platt. Vielleicht ist diese Kritik aber auch schon zu beckmesserisch. Der Kreis schließt sich: Wir sind wieder beim Geschmack. Stefan Sprang

Mattis Manzel. Peinlich. Roman. Amman Verlag, Zürich. 236 Seiten. 38 Mark


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