Zunächst war K. froh, dem Gedränge der
Mägde und Gehilfen in dem warmen Zimmer entgangen zu sein. Auch fror es ein wenig, der
Schnee war fester, das Gehen leichter. Nur fing es freilich schon zu dunkeln an, und er
beschleunigte die Schritte.
Das Schloss, dessen Umrisse sich schon aufzulösen begannen, lag still wie immer,
niemals noch hatte K. dort das geringste Zeichen von Leben gesehen, vielleicht war es gar
nicht möglich, aus dieser Ferne etwas zu erkennen, und doch verlangten es die Augen und
wollten die Stille nicht dulden. Wenn K. das Schloss ansah, so war es ihm manchmal, als
beobachtete er jemanden, der ruhig dasitze und vor sich hinsehe, nicht etwa in Gedanken
verloren und dadurch gegen alles abgeschlossen, sondern frei und unbekümmert, so, als sei
er allein und niemand beobachte ihn, und doch musste er merken, dass er beobachtet wurde,
aber es rührte nicht im Geringsten an seiner Ruhe, und wirklich man wusste nicht,
war es Ursache oder Folge , die Blicke des Beobachters konnten sich nicht fest
halten und glitten ab. Dieser Eindruck wurde heute noch verstärkt durch das frühe
Dunkel; je länger er hinsah, desto weniger erkannte er, desto tiefer sank alles in
Dämmerung.
Gerade als K. zu dem noch unbeleuchteten Herrenhof kam, öffnete sich ein Fenster im
ersten Stock, ein junger, dicker, glattrasierter Herr im Pelzrock beugte sich heraus und
blieb dann im Fenster. K.s Gruß schien er auch nicht mit dem leichtesten Kopfnicken zu
beantworten. Weder im Flur noch im Ausschank traf K. jemanden, der Geruch von
abgestandenem Bier war noch schlimmer als letzthin, etwas Derartiges kam wohl im Wirtshaus
»Zur Brücke« nicht vor. K. ging sofort zu der Tür, durch die er letzthin Klamm
beobachtet hatte, drückte vorsichtig die Klinke nieder, aber die Tür war versperrt; dann
suchte er die Stelle zu ertasten, wo das Guckloch war, aber der Verschluss war
wahrscheinlich so gut eingepasst, dass er die Stelle auf diese Weise nicht finden konnte,
er zündete deshalb ein Streichholz an. Da wurde er durch einen Schrei erschreckt. In dem
Winkel zwischen Tür und Kredenztisch, nahe beim Ofen, saß zusammengeduckt ein junges
Mädchen und starrte ihn in dem Aufleuchten des Streichholzes mit mühsam geöffneten,
schlaftrunkenen Augen an. Es war offenbar die Nachfolgerin Friedas. Sie fasste sich bald,
drehte das elektrische Licht an, der Ausdruck ihres Gesichtes war noch böse, da erkannte
sie K. »Ah, der Herr Landvermesser«, sagte sie lächelnd, reichte ihm die Hand und
stellte sich vor: »Ich heiße Pepi.« Sie war klein, rot, gesund, das üppige, rötlich
blonde Haar war in einen starken Zopf geflochten, außerdem krauste es sich rund um das
Gesicht, sie hatte ein ihr sehr wenig passendes, glatt niederfallendes Kleid aus
grauglänzendem Stoff, unten war es kindlich ungeschickt von einem in eine Masche
endigenden Seidenband zusammengezogen, sodass es sie beengte. Sie erkundigte sich nach
Frieda, und ob sie nicht bald zurückkommen werde. Das war eine Frage, die nahe an
Boshaftigkeit grenzte. »Ich bin«, sagte sie dann, »gleich nach Friedas Weggang in Eile
hierher berufen worden, weil man doch nicht eine Beliebige hier verwenden kann, ich war
bis jetzt Zimmermädchen, aber es ist kein guter Tausch, den ich gemacht habe. Viel Abend-
und Nachtarbeit ist hier, das ist sehr ermüdend, ich werde es kaum ertragen, ich wundere
mich nicht, dass Frieda es aufgegeben hat.« »Frieda war hier sehr zufrieden«,
sagte K., um Pepi endlich auf den Unterschied aufmerksam zu machen, der zwischen ihr und
Frieda bestand und den sie vernachlässigte. »Glauben Sie ihr nicht«, sagte Pepi.
»Frieda kann sich beherrschen wie nicht leicht jemand. Was sie nicht gestehen will,
gesteht sie nicht, und dabei merkt man gar nicht, dass sie etwas zu gestehen hätte. Ich
diene doch jetzt hier schon einige Jahre mit ihr, immer haben wir zusammen in einem Bett
geschlafen, aber vertraut bin ich mit ihr nicht, gewiss denkt sie heute schon nicht mehr
an mich. Ihre einzige Freundin vielleicht ist die alte Wirtin aus dem Brückengasthaus,
und das ist doch auch bezeichnend.« »Frieda ist meine Braut«, sagte K. und
suchte nebenbei die Gucklochstelle in der Tür. »Ich weiß«, sagte Pepi, »deshalb
erzähle ich es ja. Sonst hätte es doch für Sie keine Bedeutung.« »Ich
verstehe«, sagte K. »Sie meinen, dass ich stolz darauf sein kann, ein so verschlossenes
Mädchen für mich gewonnen zu haben.« »Ja«, sagte sie und lachte zufrieden, so,
als habe sie K. zu einem geheimen Einverständnis hinsichtlich Friedas gewonnen.
Aber es waren nicht eigentlich ihre Worte, die K. beschäftigten und ein wenig vom
Suchen ablenkten, sondern ihre Erscheinung war es und ihr Vorhandensein an dieser Stelle.
Freilich, sie war viel jünger als Frieda, fast kindlich noch, und ihre Kleidung war
lächerlich, sie hatte sich offenbar angezogen entsprechend den übertriebenen
Vorstellungen, die sie von der Bedeutung eines Ausschankmädchens hatte. Und diese
Vorstellungen hatte sie gar noch in ihrer Art mit Recht, denn die Stellung, für die sie
noch gar nicht passte, war wohl unverhofft und unverdient und nur vorläufig ihr zuteil
geworden, nicht einmal das Ledertäschchen, das Frieda immer im Gürtel getragen hatte,
hatte man ihr anvertraut. Und ihre angebliche Unzufriedenheit mit der Stellung war nichts
als Überhebung. Und doch, trotz ihrem kindlichen Unverstand hatte auch sie wahrscheinlich
Beziehungen zum Schloss; sie war ja, wenn sie nicht log, Zimmermädchen gewesen; ohne von
ihrem Besitz zu wissen, verschlief sie hier die Tage, aber eine Umarmung dieses kleinen,
dicken, ein wenig rundrückigen Körpers konnte ihr zwar den Besitz nicht entreißen,
konnte aber an ihn rühren und aufmuntern für den schweren Weg. Dann war es vielleicht
nicht anders als bei Frieda? O doch, es war anders. Man musste nur an Friedas Blick
denken, um das zu verstehen. Niemals hätte K. Pepi angerührt. Aber doch musste er jetzt
für ein Weilchen seine Augen bedecken, so gierig sah er sie an.
»Es muss ja nicht angezündet sein«, sagte Pepi und drehte das Licht wieder aus,
»ich habe nur angezündet, weil Sie mich so sehr erschreckt haben. Was wollen Sie denn
hier? Hat Frieda etwas vergessen?« »Ja«, sagte K. und zeigte auf die Tür,
»hier im Zimmer nebenan eine Tischdecke, eine weiße, gestrickte.« »Ja, ihre
Tischdecke«, sagte Pepi, »ich erinnere mich, eine schöne Arbeit, ich habe ihr dabei
geholfen, aber in diesem Zimmer ist sie wohl kaum.« »Frieda glaubt es. Wer wohnt
denn hier?« fragte K. »Niemand«, sagte Pepi. »Es ist das Herrenzimmer, hier trinken
und essen die Herren, das heißt, es ist dafür bestimmt, aber die meisten bleiben oben in
ihren Zimmern.« »Wenn ich wüsste«, sagte K., »dass jetzt nebenan niemand ist,
würde ich sehr gerne hineingehen und die Decke suchen. Aber es ist eben unsicher; Klamm,
zum Beispiel, pflegt oft dort zu sitzen.« »Klamm ist jetzt gewiss nicht dort«,
sagte Pepi, »er fährt ja gleich weg, der Schlitten wartet schon im Hof.«
Sofort, ohne ein Wort der Erklärung, verließ K. den Ausschank, wandte sich im Flur
anstatt zum Ausgang gegen das Innere des Hauses und hatte nach wenigen Schritten den Hof
erreicht. Wie still und schön es hier war! Ein viereckiger Hof, auf drei Seiten vom
Hause, gegen die Straße zu eine Nebenstraße, die K. nicht kannte von einer
hohen, weißen Mauer mit einem großen, schweren, jetzt offenen Tor begrenzt. Hier, auf
der Hofseite, schien das Haus höher als auf der Vorderseite, wenigstens war der erste
Stock vollständig ausgebaut und hatte ein größeres Ansehen, denn er war von einer
hölzernen, bis auf einen kleinen Spalt in Augenhöhe geschlossenen Galerie umlaufen. K.
schief gegenüber, noch im Mitteltrakt, aber schon im Winkel, wo sich der
gegenüberliegende Seitenflügel anschloss, war ein Eingang ins Haus, offen, ohne Tür.
Davor stand ein dunkler, geschlossener, mit zwei Pferden bespannter Schlitten. Bis auf den
Kutscher, den K. auf die Entfernung hin jetzt in der Dämmerung mehr vermutete als
erkannte, war niemand zu sehen.
Die Hände in den Taschen, vorsichtig sich umschauend, nahe an der Mauer, umging K.
zwei Seiten des Hofes, bis er beim Schlitten war. Der Kutscher, einer jener Bauern, die
letzthin im Ausschank gewesen waren, hatte ihn, im Pelz versunken, teilnahmslos
herankommen sehen, so wie man etwa den Weg einer Katze verfolgt. Auch als K. schon bei ihm
stand, grüßte, und sogar die Pferde ein wenig unruhig wurden wegen des aus dem Dunkel
auftauchenden Mannes, blieb er gänzlich unbekümmert. Das war K. sehr willkommen.
Angelehnt an die Mauer, packte er sein Essen aus, gedachte dankbar Friedas, die ihn so gut
versorgt hatte, und spähte dabei in das Innere des Hauses. Eine rechtwinklig gebrochene
Treppe führte herab und war unten von einem niedrigen, aber scheinbar tiefen Gang
gekreuzt; alles war rein, weiß getüncht, scharf und gerade abgegrenzt.
Das Warten dauerte länger, als K. gedacht hatte. Längst schon war er mit dem Essen
fertig, die Kälte war empfindlich, aus der Dämmerung war schon völlige Finsternis
geworden, und Klamm kam immer noch nicht. »Das kann noch sehr lange dauern«, sagte
plötzlich eine raue Stimme so nahe bei K., dass er zusammenfuhr. Es war der Kutscher,
der, wie aufgewacht, sich streckte und laut gähnte. »Was kann denn lange dauern?«
fragte K., nicht undankbar wegen der Störung, denn die fortwährende Stille und Spannung
war schon lästig gewesen. »Ehe Sie weggehen werden«, sagte der Kutscher. K. verstand
ihn nicht, fragte aber nicht weiter, er glaubte auf diese Weise den Hochmütigen am besten
zum Reden zu bringen. Ein Nichtantworten hier in der Finsternis war fast aufreizend. Und
tatsächlich fragte der Kutscher nach einem Weilchen: »Wollen Sie Kognak?«
»Ja«, sagte K. unüberlegt, durch das Angebot allzu sehr verlockt, denn ihn fröstelte.
»Dann machen Sie den Schlitten auf«, sagte der Kutscher, »in der Seitentasche sind
einige Flaschen, nehmen Sie eine, trinken Sie und reichen Sie sie mir dann. Mir ist es
wegen des Pelzes zu beschwerlich hinunterzusteigen.« Es verdross K., solche
Handreichungen zu machen, aber da er sich nun mit dem Kutscher schon eingelassen hatte,
gehorchte er, selbst auf die Gefahr hin, beim Schlitten etwa von Klamm überrascht zu
werden. Er öffnete die breite Tür und hätte gleich aus der Tasche, welche auf der
Innenseite der Tür angebracht war, die Flasche herausziehen können, aber da nun die Tür
offen war, trieb es ihn so sehr in das Innere des Schlittens, dass er nicht widerstehen
konnte, nur einen Augenblick lang wollte er darin sitzen. Er huschte hinein.
Außerordentlich war die Wärme im Schlitten, und sie blieb so, obwohl die Tür, die K.
nicht zu schließen wagte, weit offen war. Man wusste gar nicht, ob man auf einer Bank
saß, sosehr lag man in Decken, Polstern und Pelzen; nach allen Seiten konnte man sich
drehen und strecken, immer versank man weich und warm. Die Arme ausgebreitet, den Kopf
durch Polster gestützt, die immer bereit waren, blickte K. aus dem Schlitten in das
dunkle Haus. Warum dauerte es so lange, ehe Klamm herunterkam? Wie betäubt von der Wärme
nach dem langen Stehen im Schnee, wünschte K., dass Klamm endlich komme. Der Gedanke,
dass er in seiner jetzigen Lage von Klamm lieber nicht gesehen werden sollte, kam ihm nur
undeutlich, als leise Störung, zu Bewusstsein. Unterstützt in dieser Vergesslichkeit
wurde er durch das Verhalten des Kutschers, der doch wissen musste, dass er im Schlitten
war, und ihn dort ließ, sogar ohne den Kognak von ihm zu fordern. Das war
rücksichtsvoll, aber K. wollte ihn ja bedienen. Schwerfällig, ohne seine Lage zu
verändern, langte er nach der Seitentasche, aber nicht in der offenen Tür, die zu weit
entfernt war, sondern hinter sich in die geschlossene, nun, es war gleichgültig, auch in
dieser waren Flaschen. Er holte eine hervor, schraubte den Verschluss auf und roch dazu,
unwillkürlich musste er lächeln, der Geruch war so süß, so schmeichelnd, so wie man
von jemand, den man sehr lieb hat, Lob und gute Worte hört und gar nicht genau weiß,
worum es sich handelt, und es gar nicht wissen will und nur glücklich ist in dem
Bewusstsein, dass er es ist, der so spricht. »Sollte das Kognak sein?« fragte sich K.
zweifelnd und kostete aus Neugier. Doch, es war Kognak, merkwürdigerweise, und brannte
und wärmte. Wie es sich beim Trinken verwandelte, aus etwas, das fast nur Träger süßen
Duftes war, in ein kutschermäßiges Getränk! »Ist es möglich?« fragte sich K., wie
vorwurfsvoll gegen sich selbst, und trank noch einmal.
Da K. war gerade in einem langen Schluck befangen wurde es hell, das
elektrische Licht brannte, innen auf der Treppe, im Gange, im Flur, außen über dem
Eingang. Man hörte Schritte die Treppe herabkommen, die Flasche entfiel K.s Hand, der
Kognak ergoss sich über einen Pelz, K. sprang aus dem Schlitten, gerade hatte er noch die
Tür zuschlagen können, was einen dröhnenden Lärm gab, als kurz darauf ein Herr langsam
aus dem Hause trat. Das einzig Tröstliche schien, dass es nicht Klamm war, oder war
gerade dieses zu bedauern? Es war der Herr, den K. schon im Fenster des ersten Stockes
gesehen hatte. Ein junger Herr, äußerst wohlaussehend, weiß und rot, aber sehr ernst.
Auch K. sah ihn düster an, aber er meinte sich selbst mit diesem Blick. Hätte er doch
lieber seine Gehilfen hergeschickt; sich so zu benehmen, wie er es getan hatte, hätten
auch sie verstanden. Ihm gegenüber der Herr schwieg noch, so, als hätte er für das zu
Sagende nicht genug Atem in seiner überbreiten Brust. »Das ist ja entsetzlich«, sagte
er dann und schob seinen Hut ein wenig aus der Stirn. Wie? Der Herr wusste doch
wahrscheinlich nichts von K.s Aufenthalt im Schlitten und fand schon irgendetwas
entsetzlich? Etwa dass K. bis in den Hofgedrungen war? »Wie kommen Sie denn hierher?«
fragte der Herr schon leiser, schon ausatmend, sich ergebend in das Unabänderliche. Was
für Fragen! Was für Antworten! Sollte etwa K. noch ausdrücklich selbst dem Herrn
bestätigen, dass sein mit so viel Hoffnungen begonnener Weg vergebens gewesen war? Statt
zu antworten, wandte sich K. zum Schlitten, öffnete ihn und holte seine Mütze, die er
darin vergessen hatte. Mit Unbehagen merkte er, wie der Kognak auf das Trittbrett tropfte.
Dann wandte er sich wieder dem Herrn zu; ihm zu zeigen, dass er im Schlitten gewesen
war, hatte er nun keine Bedenken mehr, es war auch nicht das schlimmste; wenn er gefragt
würde, allerdings nur dann, wollte er nicht verschweigen, dass ihn der Kutscher selbst
zumindest zum Öffnen des Schlittens veranlasst hatte. Das eigentlich Schlimme aber war
ja, dass ihn der Herr überrascht hatte, dass nicht genug Zeit mehr gewesen war, sich vor
ihm zu verstecken, um dann ungestört auf Klamm warten zu können, oder dass er nicht
genug Geistesgegenwart gehabt hatte, im Schlitten zu bleiben, die Tür zu schließen und
dort auf den Pelzen Klamm zu erwarten oder dort wenigstens zu bleiben, solange dieser Herr
in der Nähe war. Freilich, er hatte ja nicht wissen können, ob nicht vielleicht doch
schon jetzt Klamm selbst komme, in welchem Fall es natürlich viel besser gewesen wäre,
ihn außerhalb des Schlittens zu empfangen. Ja, es war mancherlei hier zu bedenken
gewesen, jetzt aber gar nichts mehr, denn es war zu Ende.
»Kommen Sie mit mir«, sagte der Herr, nicht eigentlich befehlend, aber der Befehl lag
nicht in den Worten, sondern in einem sie begleitenden kurzen, absichtlich gleichgültigen
Schwenken der Hand. »Ich warte hier auf jemanden«, sagte K., nicht mehr in Hoffnung auf
irgendeinen Erfolg, sondern nur grundsätzlich. »Kommen Sie«, sagte der Herr nochmals
ganz unbeirrt, so, als wolle er zeigen, dass er niemals daran gezweifelt habe, dass K. auf
jemanden warte. »Aber ich verfehle dann den, auf den ich warte«, sagte K. mit einem
Zucken des Körpers. Trotz allem, was geschehen war, hatte er das Gefühl, dass das, was
er bisher erreicht hatte, eine Art Besitz war, den er zwar nur noch scheinbar fest hielt,
aber doch nicht auf einen beliebigen Befehl hin ausliefern musste. »Sie verfehlen ihn auf
jeden Fall, ob Sie warten oder gehen«, sagte der Herr, zwar schroff in seiner Meinung,
aber auffallend nachgiebig für K.s Gedankengang. »Dann will ich ihn lieber beim Warten
verfehlen«, sagte K. trotzig, durch bloße Worte dieses jungen Herrn würde er sich
gewiss nicht von hier vertreiben lassen. Darauf schloss der Herr mit einem überlegenen
Ausdruck des zurückgelehnten Gesichtes für ein Weilchen die Augen, so, als wolle er von
K.s Unverständigkeit wieder zu seiner eigenen Vernunft zurückkehren, umlief mit der
Zungenspitze die Lippen des ein wenig geöffneten Mundes und sagte dann zum Kutscher:
»Spannen Sie die Pferde aus.«
Der Kutscher, ergeben dem Herrn, aber mit einem bösen Seitenblick auf K., musste nun
doch im Pelz heruntersteigen und begann, sehr zögernd, so, als erwarte er nicht vom Herrn
einen Gegenbefehl, aber von K. eine Sinnesänderung, die Pferde mit dem Schlitten
rückwärts näher zum Seitenflügel zurückzuführen, in welchem offenbar hinter einem
großen Tor der Stall mit dem Wagenschuppen untergebracht war. K. sah sich allein
zurückbleiben; auf der einen Seite entfernte sich der Schlitten, auf der anderen, auf dem
Weg, den K. gekommen war, der junge Herr, beide allerdings sehr langsam, so, als wollten
sie K. zeigen, dass es noch in seiner Macht gelegen sei, sie zurückzuholen.
Vielleicht hatte er diese Macht, aber sie hätte ihm nichts nützen können; den
Schlitten zurückzuholen bedeutete sich selbst zu vertreiben. So blieb er still als
einziger, der den Platz behauptete, aber es war ein Sieg, der keine Freude machte.
Abwechselnd sah er dem Herrn und dem Kutscher nach. Der Herr hatte schon die Tür
erreicht, durch die K. zuerst den Hof betreten hatte, noch einmal blickte er zurück, K.
glaubte ihn den Kopf schütteln zu sehen über so viel Hartnäckigkeit, dann wandte er
sich mit einer entschlossenen, kurzen, endgültigen Bewegung um und betrat den Flur, in
dem er gleich verschwand. Der Kutscher blieb länger auf dem Hof, er hatte viel Arbeit mit
dem Schlitten, er musste das schwere Stalltor aufmachen, durch Rückwärtsfahren den
Schlitten an seinen Ort bringen, die Pferde ausspannen, zu ihrer Krippe führen, das alles
machte er ernst, ganz in sich gekehrt, ohne jede Hoffnung auf eine baldige Fahrt; dieses
schweigende Hantieren ohne jeden Seitenblick auf K. schien diesem ein viel härterer
Vorwurf zu sein als das Verhalten des Herrn. Und als nun, nach Beendigung der Arbeit im
Stall, der Kutscher quer über den Hof ging, in seinem langsamen, schaukelnden Gang, das
große Tor zumachte, dann zurückkam, alles langsam und förmlich nur in Betrachtung
seiner eigenen Spur im Schnee, dann sich im Stall einschloss und nun auch alles
elektrische Licht verlöschte wem hätte es leuchten sollen? und nur noch
oben der Spalt in der Holzgalerie hell blieb und den irrenden Blick ein wenig fest hielt,
da schien es K., als habe man nun alle Verbindung mit ihm abgebrochen und als sei er nun
freilich freier als jemals und könne hier auf dem ihm sonst verbotenen Ort warten,
solange er wolle, und habe sich diese Freiheit erkämpft, wie kaum ein anderer es könnte,
und niemand dürfe ihn anrühren oder vertreiben, ja kaum ansprechen; aber diese
Überzeugung war zumindest ebenso stark als gäbe es gleichzeitig nichts
Sinnloseres, nichts Verzweifelteres als diese Freiheit, dieses Warten, diese
Unverletzlichkeit.
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