»Urteile selbst«, sagte Olga, »übrigens
klingt es sehr einfach, man versteht nicht gleich, wie es eine große Bedeutung haben
kann. Es gibt einen großen Beamten im Schloss, der heißt Sortini.« »Ich habe
schon von ihm gehört«, sagte K., »er war an meiner Berufung beteiligt.« »Das
glaube ich nicht«, sagte Olga, »Sortini tritt in der Öffentlichkeit kaum auf. Irrst du
dich nicht mit Sordini, mit d geschrieben?« »du hast recht«, sagte
K. »Sordini war es.« »Ja«, sagte Olga, »Sordini ist sehr bekannt, einer der
fleißigsten Beamten, von dem viel gesprochen wird; Sortini dagegen ist sehr
zurückgezogen und den meisten fremd. Vor mehr als drei Jahren sah ich ihn zum Ersten und
letzten Male. Es war am dritten Juli bei einem Fest des Feuerwehrvereins, das Schloss
hatte sich auch beteiligt und eine neue Feuerspritze gespendet. Sortini, der sich zum Teil
mit Feuerwehrangelegenheiten beschäftigen soll (vielleicht war er aber auch nur in
Vertretung da meistens vertreten einander die Beamten gegenseitig, und es ist
deshalb schwer, die Zuständigkeit dieses oder jenes Beamten zu erkennen), nahm an der
Übergabe der Spritze teil; es waren natürlich auch noch andere aus dem Schloss gekommen,
Beamte und Dienerschaft, und Sortini war, wie es seinem Charakter entspricht, ganz im
Hintergrunde. Es ist ein kleiner, schwacher, nachdenklicher Herr; etwas, was allen, die
ihn überhaupt bemerkten, auffiel, war die Art, wie sich bei ihm die Stirn in Falten
legte, alle Falten und es war eine Menge, obwohl er gewiss nicht mehr als vierzig
ist zogen sich nämlich geradewegs fächerartig über die Stirn zur Nasenwurzel
hin, ich habe etwas Derartiges nie gesehen. Nun, das war also jenes Fest. Wir, Amalia und
ich, hatten uns schon seit Wochen darauf gefreut, die Sonntagskleider waren zum Teil neu
zurechtgemacht, besonders das Kleid Amalias war schön, die weiße Bluse vorn hoch
aufgebauscht, eine Spitzenreihe über der anderen, die Mutter hatte alle ihre Spitzen dazu
geborgt, ich war damals neidisch und weinte vor dem Fest die halbe Nacht durch. Erst als
am Morgen die Brückenhofwirtin uns zu besichtigen kam ...« »Die
Brückenhofwirtin?« fragte K. »Ja«, sagte Olga, »sie war sehr mit uns befreundet, sie
kam also, musste zugeben, dass Amalia im Vorteil war, und borgte mir deshalb, um mich zu
beruhigen, ihr eigenes Halsband aus böhmischen Granaten. Als wir dann aber ausgehfertig
waren, Amalia vor mir stand, wir sie alle bewunderten und der Vater sagte: Heute,
denkt an mich, bekommt Amalia einen Bräutigam, da, ich weiß nicht warum, nahm ich
mir das Halsband, meinen Stolz, ab, und hing es Amalia um, gar nicht neidisch mehr. Ich
beugte mich eben vor ihrem Sieg, und ich glaubte, jeder müsse sich vor ihr beugen,
vielleicht überraschte uns damals, dass sie anders aussah als sonst, denn eigentlich
schön war sie ja nicht, aber ihr düsterer Blick, den sie in dieser Art seitdem behalten
hat, ging hoch über uns hinweg, und man beugte sich fast tatsächlich und unwillkürlich
vor ihr. Alle bemerkten es, auch Lasemann und seine Frau, die uns abholen kamen.«
»Lasemann?« fragte K. »Ja, Lasemann«, sagte Olga. »Wir waren doch sehr angesehen, und
das Fest hätte zum Beispiel nicht gut ohne uns anfangen können, denn der Vater war
dritter Übungsleiter der Feuerwehr.« »So rüstig war der Vater noch?« fragte K.
»Der Vater?« fragte Olga, als verstehe sie nicht ganz. »Vor drei Jahren war er noch
gewissermaßen ein junger Mann; er hat zum Beispiel bei einem Brand im Herrenhof einen
Beamten, den schweren Galater, im Laufschritt auf dem Rücken hinausgetragen. Ich bin
selbst dabei gewesen, es war zwar keine Feuergefahr, nur das trockene Holz neben einem
Ofen fing zu rauchen an, aber Galater bekam Angst, rief aus dem Fenster um Hilfe, die
Feuerwehr kam, und mein Vater musste ihn hinaustragen, obwohl schon das Feuer gelöscht
war. Nun, Galater ist ein schwer beweglicher Mann und muss in solchen Fällen vorsichtig
sein. Ich erzähle es nur des Vaters wegen, viel mehr als drei Jahre sind seitdem nicht
vergangen, und nun sieh, wie er dort sitzt.« Erst jetzt sah K., dass Amalia schon wieder
in der Stube war, aber sie war weit entfernt beim Tisch der Eltern, sie fütterte dort die
Mutter, welche die rheumatischen Arme nicht bewegen konnte, und sprach dabei dem Vater zu,
er möge sich wegen des Essens noch ein wenig gedulden, gleich werde sie auch zu ihm
kommen, um ihn zu füttern. Doch hatte sie mit ihrer Mahnung keinen Erfolg, denn der
Vater, sehr gierig, schon zu seiner Suppe zu kommen, überwand seine Körperschwäche und
suchte, die Suppe bald vom Löffel zu schlürfen, bald gleich vom Teller aufzutrinken, und
brummte böse, als ihm weder das eine noch das andere gelang, der Löffel längst leer
war, ehe er zum Munde kam, und niemals der Mund, nur immer der herabhängende Schnauzbart
in die Suppe tauchte und es nach allen Seiten, nur in seinen Mund nicht, tropfte und
sprühte. »Das haben drei Jahre aus ihm gemacht?« fragte K., aber noch immer hatte er
für die Alten und für die ganze Ecke des Familientisches dort kein Mitleid, nur
Widerwillen. »Drei Jahre«, sagte Olga langsam, »oder, genauer, ein paar Stunden eines
Festes. Das Fest war auf einer Wiese vor dem Dorf am Bach, es war schon ein großes
Gedränge, als wir ankamen, auch aus den Nachbardörfern war viel Volk gekommen, man war
ganz verwirrt von dem Lärm. Zuerst wurden wir natürlich vom Vater zur Feuerspritze
geführt, er lachte vor Freude, als er sie sah, eine neue Spritze machte ihn glücklich,
er fing an, sie zu betasten und uns zu erklären, er duldete keinen Widerspruch und keine
Zurückhaltung der anderen; war etwas unter der Spritze zu besichtigen, mussten wir uns
alle bücken und fast unter die Spritze kriechen; Barnabas, der sich damals wehrte, bekam
deshalb Prügel. Nur Amalia kümmerte sich um die Spritze nicht, stand aufrecht dabei in
ihrem schönen Kleid, und niemand wagte, ihr etwas zu sagen, ich lief manchmal zu ihr und
fasste ihren Arm unter, aber sie schwieg. Ich kann es mir noch heute nicht erklären, wie
es kam, dass wir so lange vor der Spritze standen und erst, als sich der Vater von ihr
losmachte, Sortini bemerkten, der offenbar schon die ganze Zeit über hinter der Spritze
an einem Spritzenhebel gelehnt hatte. Es war freilich ein entsetzlicher Lärm damals,
nicht nur wie es sonst bei Festen ist. Das Schloss hatte nämlich der Feuerwehr auch noch
einige Trompeten geschenkt, besondere Instrumente, auf denen man mit der kleinsten
Kraftanstrengung, ein Kind konnte das, die wildesten Töne hervorbringen konnte; wenn man
das hörte, glaubte man, die Türken seien schon da, und man konnte sich nicht daran
gewöhnen, bei jedem neuen Blasen fuhr man wieder zusammen. Und weil es neue Trompeten
waren, wollte sie jeder versuchen, und weil es doch ein Volksfest war, erlaubte man es.
Gerade um uns, vielleicht hatte sie Amalia angelockt, waren einige solcher Bläser; es war
schwer, die Sinne dabei zusammenzuhalten, und wenn man nun auch noch, nach dem Gebot des
Vaters, Aufmerksamkeit für die Spritze haben sollte, so war das das Äußerste, was man
leisten konnte, und so entging uns Sortini, den wir ja vorher auch gar nicht gekannt
hatten, so ungewöhnlich lange. Dort ist Sortini, flüsterte endlich
ich stand dabei Lasemann dem Vater zu. Der Vater verbeugte sich tief und gab auch
uns aufgeregt ein Zeichen, uns zu verbeugen. Ohne ihn bisher zu kennen, hatte der Vater
seit jeher Sortini als einen Fachmann in Feuerwehrangelegenheiten verehrt und öfters zu
Hause von ihm gesprochen, es war uns daher auch sehr überraschend und bedeutungsvoll,
jetzt Sortini in Wirklichkeit zu sehen. Sortini aber kümmerte sich um uns nicht es
war das keine Eigenheit Sortinis, die meisten Beamten scheinen in der Öffentlichkeit
teilnahmslos , auch war er müde, nur seine Amtspflicht hielt ihn hier unten; es
sind nicht die schlechtesten Beamten, welche gerade solche Repräsentationspflichten als
besonders drückend empfinden; andere Beamten und Diener mischten sich, da sie nun schon
einmal da waren, unter das Volk; er aber blieb bei der Spritze, und jeden, der sich ihm
mit irgendeiner Bitte oder Schmeichelei zu nähern suchte, vertrieb er durch sein
Schweigen. So kam es, dass er uns noch später bemerkte als wir ihn. Erst als wir uns
ehrfurchtsvoll verbeugten und der Vater uns zu entschuldigen suchte, blickte er nach uns
hin, blickte der Reihe nach von einem zum andern, müde; es war, als seufzte er darüber,
dass neben dem einen immer wieder noch ein zweiter sei, bis er dann bei Amalia Halt
machte, zu der er aufschauen musste, denn sie war viel größer als er. Da stutzte er,
sprang über die Deichsel, um Amalia näher zu sein, wir missverstanden es zuerst und
wollten uns alle unter Anführung des Vaters ihm nähern, aber er hielt uns ab mit
erhobener Hand und winkte uns dann zu gehen. Das war alles. Wir neckten dann Amalia viel
damit, dass sie nun wirklich einen Bräutigam gefunden habe, in unserem Unverstand waren
wir den ganzen Nachmittag über sehr fröhlich; Amalia aber war schweigsamer als jemals.
Sie hat sich ja toll und voll in Sortini verliebt, sagte Brunswick, der immer
ein wenig grob ist und für Naturen wie Amalia kein Verständnis hat; aber diesmal schien
uns seine Bemerkung fast richtig; wir waren überhaupt närrisch an dem Tag und alle, bis
auf Amalia, von dem süßen Schlosswein wie betäubt, als wir nach Mitternacht nach Hause
kamen.« »Und Sortini?« fragte K. »Ja, Sortini«, sagte Olga, »Sortini sah ich
während des Festes im Vorübergehen noch öfters, er saß auf der Deichsel, hatte die
Arme über der Brust gekreuzt und blieb so, bis der Schlosswagen kam, um ihn abzuholen.
Nicht einmal zu den Feuerwehrübungen ging er, bei denen der Vater damals, gerade in der
Hoffnung, dass Sortini zusehe, vor allen Männern seines Alters sich auszeichnete.«
»Und habt ihr nicht mehr von ihm gehört?« fragte K. »du scheinst ja für
Sortini große Verehrung zu haben.« »Ja, Verehrung«, sagte Olga. »Ja, und gehört
haben wir auch noch von ihm. Am nächsten Morgen wurden wir aus unserem Weinschlaf durch
einen Schrei Amalias geweckt; die anderen fielen gleich wieder in die Betten zurück, ich
war aber gänzlich wach und lief zu Amalia. Sie stand beim Fenster und hielt einen Brief
in der Hand, den ihr eben ein Mann durch das Fenster gereicht hatte, der Mann wartete noch
auf Antwort. Amalia hatte den Brief er war kurz schon gelesen und hielt ihn
in der schlaff hinabhängenden Hand; wie liebte ich sie, immer wenn sie so müde war. Ich
kniete neben ihr nieder und las so den Brief. Kaum war ich fertig, nahm ihn Amalia, nach
einem kurzen Blick auf mich, wieder auf, brachte es aber nicht mehr über sich, ihn zu
lesen, zerriss ihn, warf die Fetzen dem Mann draußen ins Gesicht und schloss das Fenster.
Das war jener entscheidende Morgen. Ich nenne ihn entscheidend, aber jeder Augenblick des
vorhergehenden Nachmittags ist ebenso entscheidend gewesen.« »Und was stand in
dem Brief?« fragte K. »Ja, das habe ich noch nicht erzählt«, sagte Olga. »Der Brief
war von Sortini, adressiert war er an das Mädchen mit dem Granatenhalsband. Den Inhalt
kann ich nicht wiedergeben. Es war eine Aufforderung, zu ihm in den Herrenhof zu kommen,
und zwar sollte Amalia sofort kommen, denn in einer halben Stunde musste Sortini
wegfahren. Der Brief war in den gemeinsten Ausdrücken gehalten, die ich noch nie gehört
hatte und nur aus dem Zusammenhang halb erriet. Wer Amalia nicht kannte und nur diesen
Brief gelesen hatte, musste das Mädchen, an das jemand so zu schreiben gewagt hatte, für
entehrt halten, auch wenn es gar nicht berührt worden sein sollte. Und es war kein
Liebesbrief, kein Schmeichelwort war darin, Sortini war vielmehr offenbar böse, dass der
Anblick Amalias ihn ergriffen, ihn von seinen Geschäften abgehalten hatte. Wir legten es
uns später so zurecht, dass Sortini wahrscheinlich gleich abends hatte ins Schloss fahren
wollen, nur Amalias wegen im Dorf geblieben war und am Morgen, voll Zorn darüber, dass es
ihm auch in der Nacht nicht gelungen war, Amalia zu vergessen, den Brief geschrieben
hatte. Man musste dem Brief gegenüber zuerst empört sein, auch die Kaltblütigste, dann
aber hätte bei einer anderen als Amalia wahrscheinlich vor dem bösen, drohenden Ton die
Angst überwogen, bei Amalia blieb es bei der Empörung, Angst kennt sie nicht, nicht für
sich, nicht für andere. Und während ich mich dann wieder ins Bett verkroch und mir den
abgebrochenen Schlusssatz wiederholte: Dass du also gleich kommst, oder
! blieb Amalia auf der Fensterbank und sah hinaus, als erwarte sie noch
weitere Boten und sei bereit, jeden so zu behandeln wie den ersten.« »Das sind
also die Beamten«, sagte K. zögernd, »solche Exemplare findet man unter ihnen. Was hat
dein Vater gemacht? Ich hoffe, er hat sich kräftig an zuständiger Stelle über Sortini
beschwert, wenn er nicht den Kürzeren und sicheren Weg in den Herrenhof vorgezogen hat.
Das allerhässlichste an der Geschichte ist ja nicht die Beleidigung Amalias, die konnte
leicht gutgemacht werden, ich weiß nicht, warum du so übermäßig großes Gewicht gerade
darauf legst; warum sollte Sortini mit einem solchen Brief Amalia für immer bloßgestellt
haben, nach deiner Erzählung könnte man das glauben, gerade das ist aber doch nicht
möglich, eine Genugtuung war Amalia leicht zu verschaffen, und in ein paar Tagen war der
Vorfall vergessen; Sortini hat nicht Amalia bloßgestellt, sondern sich selbst. Vor
Sortini also schrecke ich zurück, vor der Möglichkeit, dass es einen solchen Missbrauch
der Macht gibt. Was in diesem Fall misslang, weil es klipp und klar gesagt und völlig
durchsichtig war und an Amalia einen überlegenen Gegner fand, kann in tausend anderen
Fällen, bei nur ein wenig ungünstigeren Fällen, völlig gelingen und kann sich jedem
Blick entziehen, auch dem Blick des Missbrauchten.«
»Still«, sagte Olga, »Amalia sieht herüber.« Amalia hatte die Fütterung der
Eltern beendet und war jetzt daran, die Mutter auszuziehen; sie hatte ihr gerade den Rock
losgebunden, hing sich die Arme der Mutter um den Hals, hob sie so ein wenig, streifte ihr
den Rock ab und setzte sie dann sanft wieder nieder. Der Vater, immer unzufrieden damit,
dass die Mutter zuerst bedient wurde was aber offenbar nur deshalb geschah, weil
die Mutter noch hilfloser war als er , versuchte, vielleicht auch, um die Tochter
für ihre vermeintliche Langsamkeit zu strafen, sich selbst zu entkleiden, aber obwohl er
bei dem Unnötigsten und Leichtesten anfing, den übergroßen Pantoffeln, in welchen seine
Füße nur lose staken, wollte es ihm auf keine Weise gelingen, sie abzustreifen; er
musste es unter heiserem Röcheln bald aufgeben und lehnte wieder steif in seinem Stuhl.
»Das Entscheidende erkennst du nicht«, sagte Olga, »du magst ja recht haben mit
allem, aber das Entscheidende war, dass Amalia nicht in den Herrenhof ging; wie sie den
Boten behandelt hatte, das mochte an sich noch hingehen, das hätte sich vertuschen
lassen; damit aber, dass sie nicht hinging, war der Fluch über unsere Familie
ausgesprochen, und nun war allerdings auch die Behandlung des Boten etwas Unverzeihliches,
ja, es wurde sogar für die Öffentlichkeit in den Vordergrund geschoben.«
»Wie!« rief K. und dämpfte sofort die Stimme, da Olga bittend die Hände hob. »du, die
Schwester, sagst doch nicht etwa, dass Amalia Sortini hätte folgen und in den Herrenhof
hätte laufen sollen?« »Nein«, sagte Olga, »möge ich beschützt werden vor derartigem
Verdacht; wie kannst du das glauben? Ich kenne niemanden, der so fest im Recht wäre wie
Amalia bei allem, was sie tut. Wäre sie in den Herrenhof gegangen, hätte ich ihr
freilich ebenso Recht gegeben; dass sie aber nicht gegangen ist, war heldenhaft. Was mich
betrifft, ich gestehe es dir offen, wenn ich einen solchen Brief bekommen hätte, ich
wäre gegangen. Ich hätte die Furcht vor dem Kommenden nicht ertragen, das konnte nur
Amalia. Es gab ja manche Auswege, eine andere hätte sich zum Beispiel Recht schön
geschmückt, und es wäre ein Weilchen darüber vergangen, und dann wäre sie in den
Herrenhof gekommen und hätte erfahren, dass Sortini schon fort, vielleicht, dass er
gleich nach Entsendung des Boten weggefahren sei, etwas, was sogar sehr wahrscheinlich
ist, denn die Launen der Herren sind flüchtig. Aber Amalia tat das nicht und nichts
Ähnliches, sie war zu tief beleidigt und antwortete ohne Vorbehalt. Hätte sie nur
irgendwie zum Schein gefolgt, nur die Schwelle des Herrenhofes zurzeit gerade
überschritten, das Verhängnis hätte sich abwenden lassen, wir haben hier sehr kluge
Advokaten, die aus einem Nichts alles, was man nur will, zu machen verstehen, aber in
diesem Fall war nicht einmal das günstige Nichts vorhanden; im Gegenteil, es war noch die
Entwürdigung des Sortinischen Briefes da und die Beleidigung des Boten.« »Aber
was für ein Verhängnis denn«, sagte K., »was für Advokaten; man konnte doch wegen der
verbrecherischen Handlungsweise Sortinis nicht Amalia anklagen oder gar bestrafen?«
»Doch«, sagte Olga, »das konnte man; freilich nicht nach einem regelrechten
Prozess, und man bestrafte sie auch nicht unmittelbar, wohl aber bestrafte man sie auf
andere Weise, sie und unsere ganze Familie, und wie schwer diese Strafe ist, das fängst
du wohl an zu erkennen. Dir scheint das ungerecht und ungeheuerlich, das ist eine im Dorf
völlig vereinzelte Meinung, sie ist uns sehr günstig und sollte uns trösten, und so
wäre es auch, wenn sie nicht sichtlich auf Irrtümer zurückginge. Ich kann dir das
leicht beweisen, verzeih, wenn ich dabei von Frieda spreche, aber zwischen Frieda und
Klamm ist abgesehen davon, wie es sich schließlich gestaltet hat etwas ganz
Ähnliches vorgegangen wie zwischen Amalia und Sortini, und doch findest du das, wenn du
auch anfangs erschrocken sein magst, jetzt schon richtig. Und das ist nicht Gewöhnung, so
abstumpfen kann man durch Gewöhnung nicht, wenn es sich um einfache Beurteilung handelt,
das ist bloß Ablegen von Irrtümern.« »Nein, Olga«, sagte K., »ich weiß
nicht, warum du Frieda in die Sache hineinziehst, der Fall wäre doch gänzlich anders,
misch nicht so Grundverschiedenes durcheinander und erzähle weiter.« »Bitte«,
sagte Olga, »nimm es mir nicht übel, wenn ich auf dem Vergleich bestehe, es ist ein Rest
von Irrtümern, auch hinsichtlich Friedas noch, wenn du sie gegen einen Vergleich
verteidigen zu müssen glaubst. Sie ist gar nicht zu verteidigen, sondern nur zu loben.
Wenn ich die Fälle vergleiche, so sage ich ja nicht, dass sie gleich sind; sie verhalten
sich zueinander wie Weiß und Schwarz, und Weiß ist Frieda. Schlimmstenfalls kann man
über Frieda lachen, wie ich es unartigerweise ich habe es später sehr bereut
im Ausschank getan habe, aber selbst wer hier lacht, ist schon boshaft oder
neidisch, immerhin, man kann lachen. Amalia aber kann man, wenn man nicht durch Blut mit
ihr verbunden ist, nur verachten. Deshalb sind es zwar grundverschiedene Fälle, wie du
sagst, aber doch auch ähnliche.« »Sie sind auch nicht ähnlich«, sagte K. und
schüttelte unwillig den Kopf, »lass Frieda beiseite, Frieda hat keinen solchen sauberen
Brief wie Amalia von Sortini bekommen, und Frieda hat Klamm wirklich geliebt, und wer es
bezweifelt, kann sie fragen, sie liebt ihn noch heute.« »Sind das aber große
Unterschiede?« fragte Olga. »Glaubst du, Klamm hätte Frieda nicht ebenso schreiben
können? Wenn die Herren vom Schreibtisch aufstehen, sind sie so, sie finden sich in der
Welt nicht zurecht, sie sagen dann in der Zerstreutheit das Allergröbste, nicht alle,
aber viele. Der Brief an Amalia kann ja in Gedanken, in völliger Nichtachtung des
wirklich Geschriebenen auf das Papier geworfen worden sein. Was wissen wir von den
Gedanken der Herren? Hast du nicht selbst gehört oder es erzählen hören, in welchem Ton
Klamm mit Frieda verkehrt hat? Von Klamm ist es bekannt, dass er sehr grob ist; er spricht
angeblich stundenlang nicht, und dann sagt er plötzlich eine derartige Grobheit, dass es
einen schaudert. Von Sortini ist das nicht bekannt, wie er ja überhaupt sehr unbekannt
ist. Eigentlich weiß man von ihm nur, dass sein Name dem Sordinis ähnlich ist; wäre
nicht diese Namensähnlichkeit, würde man ihn wahrscheinlich gar nicht kennen. Auch als
Feuerwehrfachmann verwechselt man ihn wahrscheinlich mit Sordini, welcher der eigentliche
Fachmann ist und die Namensähnlichkeit ausnützt, um besonders die
Repräsentationspflichten auf Sortini abzuwälzen und so in seiner Arbeit ungestört zu
bleiben. Wenn nun ein solcher weltungewandter Mann wie Sortini plötzlich von Liebe zu
einem Dorfmädchen ergriffen wird, so nimmt das natürlich andere Formen an, als wenn der
Tischlergehilfe von nebenan sich verliebt. Auch muss man bedenken, dass zwischen einem
Beamten und einer Schusterstochter doch ein großer Abstand besteht, der irgendwie
überbrückt werden muss, Sortini versuchte es auf diese Art, ein anderer mag's anders
machen. Zwar heißt es, dass wir alle zum Schloss gehören und gar kein Abstand besteht
und nichts zu überbrücken ist, und das stimmt auch vielleicht für gewöhnlich, aber wir
haben leider Gelegenheit gehabt zu sehen, dass es, gerade, wenn es darauf ankommt, gar
nicht stimmt. Jedenfalls wird dir nach dem allem die Handlungsweise Sortinis
verständlicher, weniger ungeheuerlich geworden sein, und sie ist tatsächlich, mit jener
Klamms verglichen, viel verständlicher und, selbst wenn man ganz nah beteiligt ist, viel
erträglicher. Wenn Klamm einen zarten Brief schreibt, ist es peinlicher als der gröbste
Brief Sortinis. Verstehe mich dabei recht, ich wage nicht, über Klamm zu urteilen, ich
vergleiche nur, weil du dich gegen den Vergleich wehrst. Klamm ist doch wie ein Kommandant
über den Frauen, befiehlt bald dieser, bald jener, zu ihm zu kommen, duldet keine lange,
und so, wie er zu kommen befiehlt, befiehlt er auch zu gehen. Ach, Klamm würde sich gar
nicht die Mühe geben, erst einen Brief zu schreiben. Und ist es nun im Vergleich damit
noch immer ungeheuerlich, wenn der ganz zurückgezogen lebende Sortini, dessen Beziehungen
zu Frauen zumindest unbekannt sind, einmal sich niedersetzt und in seiner schönen
Beamtenschrift einen allerdings abscheulichen Brief schreibt? Und wenn sich also hier kein
Unterschied zu Klamms Gunsten ergibt, sondern das Gegenteil, so sollte ihn Friedas Liebe
bewirken? Das Verhältnis der Frauen zu den Beamten ist, glaube mir, sehr schwer oder
vielmehr immer sehr leicht zu beurteilen. Hier fehlt es an Liebe nie. Unglückliche
Beamtenliebe gibt es nicht. Es ist in dieser Hinsicht kein Lob, wenn man von einem
Mädchen sagt ich rede hier bei weitem nicht nur von Frieda , dass sie sich
dem Beamten nur deshalb hingegeben hat, weil sie ihn liebte. Sie liebte ihn und hat sich
ihm hingegeben, so war es, aber zu loben ist dabei nichts. Amalia aber hat Sortini nicht
geliebt, wendest du ein. Nun ja, sie hat ihn nicht geliebt, aber vielleicht hat sie ihn
doch geliebt, wer kann das entscheiden? Nicht einmal sie selbst. Wie kann sie glauben, ihn
nicht geliebt zu haben, wenn sie ihn so kräftig abgewiesen hat, wie wahrscheinlich noch
niemals ein Beamter abgewiesen worden ist? Barnabas sagt, dass sie noch jetzt manchmal
zittert von der Bewegung, mit der sie vor drei Jahren das Fenster zugeschlagen hat. Das
ist auch wahr, und deshalb darf man sie nicht fragen; sie hat mit Sortini abgeschlossen
und weiß nichts mehr als das; ob sie ihn liebt oder nicht, weiß sie nicht. Wir aber
wissen, dass Frauen nicht anders können, als Beamte lieben, wenn sich diese ihnen einmal
zuwenden; ja, sie lieben die Beamten schon vorher, sosehr sie es leugnen wollen, und
Sortini hat sich Amalia ja nicht nur zugewendet, sondern ist über die Deichsel
gesprungen, als er Amalia sah, mit den von der Schreibtischarbeit steifen Beinen ist er
über die Deichsel gesprungen. Aber Amalia ist ja eine Ausnahme, wirst du sagen. Ja, das
ist sie, das hat sie bewiesen, als sie sich weigerte, zu Sortini zu gehen, das ist der
Ausnahme genug; dass sie nun aber außerdem Sortini auch nicht geliebt haben sollte, das
wäre nun schon der Ausnahme fast zu viel, das wäre gar nicht mehr zu fassen. Wir waren
ja gewiss an jenem Nachmittag mit Blindheit beschlagen, aber dass wir damals durch allen
Nebel etwas von Amalias Verliebtheit zu bemerken glaubten, zeigte doch wohl noch etwas
Besinnung. Wenn man aber das alles zusammenhält, was bleibt dann für ein Unterschied
zwischen Frieda und Amalia? Einzig der, dass Frieda tat, was Amalia verweigert hat.«
»Mag sein«, sagte K., »für mich aber ist der Hauptunterschied der, dass Frieda
meine Braut ist, Amalia aber mich im Grunde nur so weit bekümmert, als sie die Schwester
des Barnabas, des Schlossboten, ist und ihr Schicksal in den Dienst des Barnabas
vielleicht mit verflochten ist. Hätte ihr ein Beamter ein derart schreiendes Unrecht
getan, wie es nach deiner Erzählung anfangs mir schien, hätte mich das sehr
beschäftigt, aber auch dies viel mehr als öffentliche Angelegenheit denn als
persönliches Leid Amalias. Nun ändert sich aber nach deiner Erzählung das Bild in einer
mir zwar nicht ganz verständlichen, aber, da du es bist, die erzählt, in einer genügend
glaubwürdigen Weise, und ich will diese Sache deshalb sehr gern völlig vernachlässigen,
ich bin kein Feuerwehrmann, was kümmert mich Sortini. Wohl aber kümmert mich Frieda, und
da ist es mir sonderbar, wie du, der ich völlig vertraute und gerne immer vertrauen will,
Frieda auf dem Umweg über Amalia immerfort anzugreifen und mir verdächtig zu machen
suchst. Ich nehme nicht an, dass du das mit Absicht oder gar mit böser Absicht tust;
sonst hätte ich doch schon längst fortgehen müssen. Du tust es nicht mit Absicht, die
Umstände verleiten dich dazu; aus Liebe zu Amalia willst du sie hoch erhaben über alle
Frauen hinstellen, und da du in Amalia selbst zu diesem Zwecke nicht genug Rühmenswertes
findest, hilfst du dir damit, dass du andere Frauen verkleinerst. Amalias Tat ist
merkwürdig, aber je mehr du von dieser Tat erzählst, desto weniger lässt es sich
entscheiden, ob sie groß oder klein, klug oder töricht, heldenhaft oder feig gewesen
ist, ihre Beweggründe hält Amalia in ihrer Brust verschlossen, niemand wird sie ihr
entreißen. Frieda dagegen hat gar nichts Merkwürdiges getan, sondern ist nur ihrem
Herzen gefolgt, für jeden, der sich gutwillig damit befasst, ist das klar, jeder kann es
nachprüfen, für Klatsch ist kein Raum. Ich aber will weder Amalia heruntersetzen noch
Frieda verteidigen, sondern dir nur klar machen, wie ich mich zu Frieda verhalte und wie
jeder Angriff gegen Frieda gleichzeitig ein Angriff gegen meine Existenz ist. Ich bin aus
eigenem Willen hierher gekommen, und aus eigenem Willen habe ich mich hier festgehakt,
aber alles, was seither geschehen ist, und vor allem meine Zukunftsaussichten so
trübe sie auch sein mögen, immerhin, sie bestehen , alles dies verdanke ich
Frieda, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Ich war hier zwar als Landvermesser
aufgenommen, aber das war nur scheinbar, man spielte mit mir, man trieb mich aus jedem
Haus, man spielt auch heute mit mir, aber wie viel umständlicher ist das, ich habe
gewissermaßen an Umfang gewonnen, und das bedeutet schon etwas, ich habe, so geringfügig
das alles ist, doch scheint ein Heim, eine Stellung und wirkliche Arbeit, ich habe eine
Braut, die, wenn ich andere Geschäfte habe, mir die Berufsarbeit abnimmt, ich werde sie
heiraten und Gemeindemitglied werden, ich habe außer den amtlichen auch noch eine, bisher
freilich unausnützbare, persönliche Beziehung zu Klamm. Das ist doch wohl nicht wenig?
Und wenn ich zu euch komme, wen begrüßt ihr? Wem vertraust du die Geschichte euerer
Familie an? Von wem erhoffst du die Möglichkeit, sei es auch nur die winzige,
unwahrscheinliche Möglichkeit irgendeiner Hilfe? Doch wohl nicht von mir, dem
Landvermesser, den zum Beispiel noch vor einer Woche Lasemann und Brunswick mit Gewalt aus
ihrem Haus gedrängt haben, sondern du erhoffst das von dem Mann, der schon irgendwelche
Machtmittel hat, diese Machtmittel aber verdanke ich Frieda, Frieda, die so bescheiden
ist, dass sie, wenn du sie nach etwas Derartigem zu fragen versuchen wirst, gewiss nicht
das Geringste davon wird wissen wollen. Und doch scheint es nach dem allem, dass Frieda in
ihrer Unschuld mehr getan hat als Amalia in allem ihrem Hochmut; denn sieh, ich habe den
Eindruck, dass du Hilfe für Amalia suchst. Und von wem? Doch eigentlich von keinem
anderen als von Frieda?« »Habe ich wirklich so hässlich von Frieda gesprochen?«
sagte Olga. »Ich wollte es gewiss nicht und glaube es auch nicht getan zu haben, aber
möglich ist es, unsere Lage ist derart, dass wir mit aller Welt zerfallen sind, und
fangen wir zu klagen an, reißt es uns fort, wir wissen nicht, wohin. Du hast auch recht,
es ist ein großer Unterschied jetzt zwischen uns und Frieda, und es ist gut, ihn einmal
zu betonen. Vor drei Jahren waren wir Bürgermädchen und Frieda, die Waise, Magd im
Brückenhof, wir gingen an ihr vorüber, ohne sie mit dem Blick zu streifen; wir waren
gewiss zu hochmütig, aber wir waren so erzogen worden. An dem Abend im Herrenhof magst du
aber den jetzigen Stand erkannt haben: Frieda mit der Peitsche in der Hand und ich in dem
Haufen der Knechte. Aber es ist ja noch schlimmer. Frieda mag uns verachten, es entspricht
ihrer Stellung, die tatsächlichen Verhältnisse erzwingen es. Aber wer verachtet uns
nicht alles! Wer sich entschließt, uns zu verachten, kommt gleich in die allergrößte
Gesellschaft. Kennst du die Nachfolgerin Friedas? Pepi heißt sie. Ich habe sie erst
vorgestern Abend kennen gelernt; bisher war sie Zimmermädchen. Sie übertrifft gewiss
Frieda an Verachtung für mich. Sie sah mich aus dem Fenster, wie ich Bier holen kam, lief
zur Tür und versperrte sie, ich musste lange bitten und ihr das Band versprechen, das ich
im Haare trug, ehe sie mir aufmachte. Als ich es ihr aber dann gab, warf sie es in den
Winkel. Nun, sie mag mich verachten, zum Teil bin ich ja auf ihr Wohlwollen angewiesen,
und sie ist Ausschankmädchen im Herrenhof; freilich, sie ist es nur vorläufig und hat
gewiss nicht die Eigenschaften, die nötig sind, um dort dauernd angestellt zu werden. Man
mag nur zuhören, wie der Wirt mit Pepi spricht, und mag es damit vergleichen, wie er mit
Frieda sprach. Aber das hindert Pepi nicht, auch Amalia zu verachten, Amalia, deren Blick
allein genügen würde, die ganze kleine Pepi mit allen ihren Zöpfen und Maschen so
schnell aus dem Zimmer zu schaffen, wie sie es, nur auf ihre eigenen dicken Beinchen
angewiesen, niemals zu Stande brächte. Was für ein empörendes Geschwätz musste ich
gestern wieder von ihr über Amalia anhören, bis sich dann schließlich die Gäste meiner
annahmen, in der Art freilich, wie du es schon einmal gesehen hast.« »Wie
verängstigt du bist«, sagte K., »ich habe ja nur Frieda auf den ihr gebührenden Platz
gestellt, aber nicht euch herabsetzen wollen, wie du es jetzt auffasst. Irgendetwas
Besonderes hat euere Familie auch für mich, das habe ich nicht verschwiegen; wie dieses
Besondere aber Anlass zur Verachtung geben könnte, das verstehe ich nicht.«
»Ach, K.«, sagte Olga, »auch du wirst es noch verstehen, fürchte ich; dass Amalias
Verhalten gegenüber Sortini der erste Anlass dieser Verachtung war, kannst du das auf
keine Weise verstehen?« »Das wäre doch zu sonderbar«, sagte K., »bewundern
oder verurteilen könnte man Amalia deshalb, aber verachten? Und wenn man, aus mir
unverständlichem Gefühl, wirklich Amalia verachtet, warum dehnt man die Verachtung auf
euch aus, auf die unschuldige Familie? Dass zum Beispiel Pepi dich verachtet, ist ein
starkes Stück, und ich will, wenn ich wieder einmal in den Herrenhof komme, es ihr
heimzahlen.« »Wolltest du, K.«, sagte Olga, »alle unsere Verräter umstimmen,
das wäre eine harte Arbeit, denn alles geht vom Schloss aus. Ich erinnere mich noch genau
an den Vormittag, der jenem Morgen folgte. Brunswick, der damals unser Gehilfe war, war
gekommen wie jeden Tag, der Vater hatte ihm Arbeit zugeteilt und ihn nach Hause geschickt,
wir saßen dann beim Frühstück, alle, bis auf Amalia und mich, waren sehr lebhaft, der
Vater erzählte immerfort von dem Fest, er hatte hinsichtlich der Feuerwehr verschiedene
Pläne, im Schloss ist nämlich eine eigene Feuerwehr, die zu dem Fest auch eine Abordnung
geschickt hatte, mit der manches besprochen worden war, die anwesenden Herren aus dem
Schloss hatten die Leistungen unserer Feuerwehr gesehen, sich sehr günstig über sie
ausgesprochen, die Leistungen der Schlossfeuerwehr damit verglichen, das Ergebnis war uns
günstig, man hatte von der Notwendigkeit einer Neuorganisation der Schlossfeuerwehr
gesprochen, dazu waren Instruktoren aus dem Dorf nötig, es kamen zwar einige dafür in
Betracht, aber der Vater hatte doch Hoffnung, dass die Wahl auf ihn fallen werde. Davon
sprach er nun, und wie es so seine liebe Art war, sich bei Tisch recht auszubreiten, saß
er da, mit den Armen den halben Tisch umfassend, und wie er aus dem offenen Fenster zum
Himmel aufsah, war sein Gesicht so jung und hoffnungsfreudig; niemals mehr sollte ich ihn
so sehen. Da sagte Amalia mit einer Überlegenheit, die wir an ihr nicht kannten, solchen
Reden der Herren müsse man nicht sehr vertrauen, die Herren pflegen bei derartigen
Gelegenheiten gern etwas Gefälliges zu sagen, aber Bedeutung habe das wenig oder gar
nicht, kaum gesprochen, sei es schon für immer vergessen, freilich bei der nächsten
Gelegenheit gehe man ihnen wieder auf den Leim. Die Mutter verwies ihr solche Reden, der
Vater lachte nur über ihre Altklugheit und Vielerfahrenheit, dann aber stutzte er, schien
etwas zu suchen, dessen Fehlen er erst jetzt merkte, aber es fehlte doch nichts, und
sagte: Brunswick habe etwas von einem Boten und einem zerrissenen Brief erzählt, und er
fragte, ob wir etwas davon wussten, wen es betreffe und wie es sich damit verhalte. Wir
schwiegen, Barnabas, damals noch jung wie ein Lämmchen, sagte irgendetwas besonders
Dummes oder Keckes, man sprach von anderem, und die Sache kam in Vergessenheit.«
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