Wahrscheinlich wäre er ebenso
gleichgültig an Erlangers Zimmer vorübergegangen, wenn Erlanger nicht in der offenen
Türe gestanden wäre und ihm zugewinkt hätte. Ein kurzer, einmaliger Wink mit dem
Zeigefinger. Erlanger war zum Weggehen schon völlig bereit, er trug einen schwarzen
Pelzmantel mit knappem, hochgeknöpftem Kragen. Ein Diener reichte ihm gerade die
Handschuhe und hielt noch eine Pelzmütze. »Sie hätten schon längst kommen sollen«,
sagte Erlanger. K. wollte sich entschuldigen. Erlanger zeigte durch ein müdes Schließen
der Augen, dass er darauf verzichte. »Es handelt sich um folgendes«, sagte er. »Im
Ausschank war früher eine gewisse Frieda bedienstet; ich kenne nur ihren Namen, sie
selbst kenne ich nicht, sie bekümmert mich nicht. Diese Frieda hat manchmal Klamm das
Bier serviert. Jetzt scheint dort ein anderes Mädchen zu sein. Nun ist diese Veränderung
natürlich belanglos, wahrscheinlich für jeden, und für Klamm ganz gewiss. Je größer
aber eine Arbeit ist, und Klamms Arbeit ist freilich die größte, desto weniger Kraft
bleibt, sich gegen die Außenwelt zu wehren, infolgedessen kann dann jede belanglose
Veränderung der belanglosesten Dinge ernstlich stören. Die kleinste Veränderung auf dem
Schreibtisch, die Beseitigung eines dort seit jeher vorhanden gewesenen Schmutzflecks, das
alles kann stören und ebenso ein neues Serviermädchen. Nun stört freilich das alles,
selbst wenn es jeden anderen und bei jeder beliebigen Arbeit störte, Klamm nicht; davon
kann gar keine Rede sein. Trotzdem sind wir verpflichtet, über Klamms Behagen derart zu
wachen, dass wir selbst Störungen, die für ihn keine sind und wahrscheinlich gibt
es für ihn überhaupt keine , beseitigen, wenn sie uns als mögliche Störungen
auffallen. Nicht seinetwegen, nicht seiner Arbeit wegen beseitigen wir diese Störungen,
sondern unseretwegen, unseres Gewissens und unserer Ruhe wegen. Deshalb muss jene Frieda
sofort wieder in den Ausschank zurückkehren, vielleicht wird sie gerade dadurch, dass sie
zurückkehrt, stören; nun, dann werden wir sie wieder wegschicken, vorläufig aber muss
sie zurückkehren. Sie leben mit ihr, wie man mir gesagt hat, veranlassen Sie daher sofort
ihre Rückkehr. Auf persönliche Gefühle kann dabei keine Rücksicht genommen werden, das
ist ja selbstverständlich, daher lasse ich mich auch nicht in die geringste weitere
Erörterung der Sache ein. Ich tue schon viel mehr, als nötig ist, wenn ich erwähne,
dass Ihnen, wenn Sie sich in dieser Kleinigkeit bewähren, dies in Ihrem Fortkommen
gelegentlich nützlich sein kann. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe.« Er nickte
K. zum Abschied zu, setzte sich die von dem Diener gereichte Pelzmütze auf und ging, vom
Diener gefolgt, schnell, aber ein wenig hinkend, den Gang hinab.
Manchmal wurden hier Befehle gegeben, die sehr leicht zu erfüllen waren, aber diese
Leichtigkeit freute K. nicht. Nicht nur, weil der Befehl Frieda betraf, und zwar als
Befehl gemeint war, aber K. wie ein Verlachen klang, sondern vor allem deshalb, weil aus
ihm für K. die Nutzlosigkeit aller seiner Bestrebungen entgegensah. Über ihn hinweg
gingen die Befehle, die ungünstigen und die günstigen, und auch die günstigen hatten
wohl einen letzten ungünstigen Kern, jedenfalls aber gingen alle über ihn hinweg, und er
war viel zu tief gestellt, um in sie einzugreifen oder gar sie verstummen zu machen und
für seine Stimme Gehör zu bekommen. Wenn dir Erlanger abwinkt, was willst du tun; und
wenn er nicht abwinkte, was könntest du ihm sagen? Zwar blieb sich K. dessen bewusst,
dass seine Müdigkeit ihm heute mehr geschadet hatte als alle Ungunst der Verhältnisse,
aber warum konnte er, der geglaubt hatte, sich auf seinen Körper verlassen zu können,
und der ohne diese Überzeugung sich gar nicht auf den Weg gemacht hätte, warum konnte er
einige schlechte und eine schlaflose Nacht nicht ertragen, warum wurde er gerade hier so
unbeherrschbar müde, wo niemand müde war, oder wo vielmehr jeder, und immerfort, müde
war, ohne dass dies die Arbeit schädigte; ja, es schien sie vielmehr zu fördern. Daraus
war zu schließen, dass es in ihrer Art eine ganz andere Müdigkeit war als jene K.s. Hier
war es wohl die Müdigkeit inmitten glücklicher Arbeit; etwas, was nach außen hin wie
Müdigkeit aussah und eigentlich unzerstörbare Ruhe, unzerstörbarer Frieden war. Wenn
man mittags ein wenig müde ist, so gehört das zum glücklichen natürlichen Verlauf des
Tages. Die Herren hier haben immerfort Mittag, sagte sich K. Und es stimmte sehr damit
überein, dass es jetzt um fünf Uhr schon überall zu Seiten des Ganges lebendig wurde.
Dieses Stimmengewirr in den Zimmern hatte etwas äußerst Fröhliches. Einmal klang es wie
der Jubel von Kindern, die sich zu einem Ausflug bereitmachen, ein andermal wie der
Aufbruch im Hühnerstall, wie die Freude, in völliger Übereinstimmung mit dem
erwachenden Tag zu sein, irgendwo ahmte sogar ein Herr den Ruf eines Hahnes nach. Der Gang
selbst war zwar noch leer, aber die Türen waren schon in Bewegung, immer wieder wurde
eine ein wenig geöffnet und schnell wieder geschlossen, es schwirrte im Gang von solchem
Türöffnen und -schließen, hie und da sah K. auch schon oben im Spalt der nicht bis zur
Decke reichenden Wände morgendlich zerraufte Köpfe erscheinen und gleich verschwinden.
Aus der Ferne kam langsam ein kleines, von einem Diener geführtes Wägelchen, welches
Akten enthielt. Ein zweiter Diener ging daneben, hatte ein Verzeichnis in der Hand und
verglich danach offenbar die Nummern der Türen mit jenen der Akten. Vor den meisten der
Türen blieb das Wägelchen stehen, gewöhnlich öffnete sich dann auch die Tür, und die
zugehörigen Akten, manchmal auch nur ein Blättchen in solchen Fällen entspann
sich ein kleines Gespräch vom Zimmer zum Gang, wahrscheinlich wurden dem Diener Vorwürfe
gemacht , wurden ins Zimmer hineingereicht. Blieb die Tür geschlossen, wurden die
Akten sorgfältig auf der Türschwelle aufgehäuft. In solchen Fallen schien es K., als ob
die Bewegung der Türen in der Umgebung nicht nachließe, obwohl auch dort schon die Akten
verteilt worden waren, sondern eher sich verstärke. Vielleicht lugten die anderen
begehrlich nach den auf der Türschwelle unbegreiflicherweise noch unbehoben liegenden
Akten, sie konnten nicht verstehen, wie jemand nur die Tür zu öffnen brauche, um in den
Besitz seiner Akten zu kommen, und es doch nicht tue; vielleicht war es sogar möglich,
dass endgültig unbehobene Akten später unter die anderen Herren verteilt würden, welche
schon jetzt durch häufiges Nachschauen sich überzeugen wollten, ob die Akten noch immer
auf der Schwelle lägen und ob also noch immer für sie Hoffnung vorhanden sei. Übrigens
waren diese liegen gebliebenen Akten meistens besonders große Bündel; und K. nahm an,
dass sie aus einer gewissen Prahlerei oder Bosheit oder auch aus berechtigtem, die
Kollegen aufmunterndem Stolz vorläufig liegen gelassen worden waren. In dieser Annahme
bestärkte ihn, dass manchmal, immer wenn er gerade nicht hinsah, der Sack, nachdem er
lange genug zur Schau gestellt gewesen war, plötzlich und eiligst ins Zimmer
hineingezogen wurde und die Tür dann wieder unbeweglich wie früher blieb, auch die
Türen in der Umgebung beruhigten sich dann, enttäuscht oder auch zufrieden damit, dass
dieser Gegenstand fortwährender Reizung endlich beseitigt war, doch kamen sie dann
allmählich wieder in Bewegung.
K. betrachtete das alles nicht nur mit Neugier, sondern auch mit Teilnahme. Er fühlte
sich fast wohl inmitten des Getriebes, sah hierhin und dorthin und folgte wenn auch
in entsprechender Entfernung den Dienern, die sich freilich schon öfters mit
strengem Blick, gesenktem Kopf, aufgeworfenen Lippen nach ihm umgewandt hatten, und sah
ihrer Verteilungsarbeit zu. Sie ging, je weiter sie fortschritt, immer weniger glatt
vonstatten, entweder stimmte das Verzeichnis nicht ganz oder waren die Akten für den
Diener nicht immer gut unterscheidbar oder erhoben die Herren aus anderen Gründen
Einwände; jedenfalls kam es vor, dass manche Verteilungen rückgängig gemacht werden
mussten, dann fuhr das Wägelchen zurück, und es wurde durch den Türspalt wegen der
Rückgabe der Akten verhandelt. Die Verhandlungen machten schon an sich große
Schwierigkeiten, es kam aber häufig genug vor, dass, wenn es sich um die Rückgabe
handelte, gerade Türen, die früher in der lebhaftesten Bewegung gewesen waren, jetzt
unerbittlich geschlossen blieben, wie wenn sie von der Sache gar nichts mehr wissen
wollten. Dann begannen erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Derjenige, welcher Anspruch
auf die Akten zu haben glaubte, war äußerst ungeduldig, machte in seinem Zimmer großen
Lärm, klatschte in die Hände, stampfte mit den Füßen, rief durch den Türspalt immer
wieder eine bestimmte Aktennummer in den Gang hinaus. Dann blieb das Wägelchen oft ganz
verlassen. Der eine Diener war damit beschäftigt, den Ungeduldigen zu besänftigen, der
andere kämpfte vor der geschlossenen Tür um die Rückgabe. Beide hatten es schwer. Der
Ungeduldige wurde durch die Besänftigungsversuche oft noch ungeduldiger, er konnte die
leeren Worte des Dieners gar nicht mehr anhören, er wollte nicht Trost, er wollte Akten;
ein solcher Herr goss einmal oben durch den Spalt ein ganzes Waschbecken auf den Diener
aus. Der andere Diener, offenbar der im Rang höhere, hatte es aber noch viel schwerer.
Ließ sich der betreffende Herr auf Verhandlungen überhaupt ein, gab es sachliche
Besprechungen, bei welchen sich der Diener auf sein Verzeichnis, der Herr auf seine
Vormerkungen und gerade auf die Akten berief, die er zurückgeben sollte, die er aber
vorläufig fest in der Hand hielt, sodass kaum ein Eckchen von ihnen für die begehrlichen
Augen des Dieners sichtbar blieb. Auch musste dann der Diener wegen neuer Beweise zu dem
Wägelchen zurücklaufen, das auf dem ein wenig sich senkenden Gang immer von selbst ein
Stück weitergerollt war, oder er musste zu dem die Akten beanspruchenden Herrn gehen und
dort die Einwände des bisherigen Besitzers für neue Gegeneinwände austauschen. Solche
Verhandlungen dauerten sehr lange, bisweilen einigte man sich, der Herr gab etwa einen
Teil der Akten heraus oder bekam als Entschädigung andere Akten, da nur eine Verwechslung
vorgelegen hatte; es kam aber auch vor, dass jemand auf alle verlangten Akten ohne
weiteres verzichten musste, sei es, dass er durch die Beweise des Dieners in die Enge
getrieben war, sei es, dass er des fortwährenden Handelns müde war, dann aber gab er die
Akten nicht dem Diener, sondern warf sie mit plötzlichem Entschluss weit in den Gang
hinaus, dass sich die Bindfäden lösten und die Blätter flogen und die Diener viel Mühe
hatten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber alles war noch verhältnismäßig
einfacher, als wenn der Diener auf seine Bitten um Rückgabe überhaupt keine Antwort
bekam, dann stand er vor der verschlossenen Tür, bat, beschwor, zitierte sein
Verzeichnis, berief sich auf seine Vorschriften, alles vergeblich, aus dem Zimmer kam kein
Laut und, ohne Erlaubnis einzutreten, hatte der Diener offenbar kein Recht. Dann verließ
auch diesen vorzüglichen Diener manchmal die Selbstbeherrschung, er ging zu seinem
Wägelchen, setzte sich auf die Akten, wischte sich den Schweiß von der Stirn und
unternahm ein Weilchen lang gar nichts, als hilflos mit den Füßen zu schlenkern. Das
Interesse an der Sache war ringsherum sehr groß, überall wisperte es, kaum eine Tür war
ruhig, und oben an der Wandbrüstung verfolgten merkwürdigerweise mit Tüchern fast
gänzlich vermummte Gesichter, die überdies kein Weilchen lang ruhig an ihrer Stelle
blieben, alle Vorgänge. Inmitten dieser Unruhe war es K. auffällig, dass Bürgels Tür
die ganze Zeit über geschlossen blieb und dass die Diener diesen Teil des Ganges schon
passiert hatten, Bürgel aber keine Akten zugeteilt worden waren. Vielleicht schlief er
noch, was allerdings in diesem Lärm einen sehr gesunden Schlaf bedeutet hätte, warum
aber hatte er keine Akten bekommen? Nur sehr wenige Zimmer, und überdies wahrscheinlich
unbewohnte, waren in dieser Weise übergangen worden. Dagegen war in dem Zimmer Erlangers
schon ein neuer und besonders unruhiger Gast, Erlanger musste von ihm in der Nacht
förmlich ausgetrieben worden sein, das passte wenig zu Erlangers kühlem, weitläufigem
Wesen, aber dass er K. an der Türschwelle hatte erwarten müssen, deutete doch darauf
hin.
Von allen abseitigen Beobachtungen kehrte dann K. immer bald wieder zu dem Diener
zurück; für diesen Diener traf das wahrlich nicht zu, was man K. sonst von den Dienern
im allgemeinen, von ihrer Untätigkeit, ihrem bequemen Leben, ihrem Hochmut erzählt
hatte, es gab wohl auch Ausnahmen unter den Dienern oder, was wahrscheinlicher war,
verschiedene Gruppen unter ihnen, denn hier waren, wie K. merkte, viele Abgrenzungen, von
denen er bisher kaum eine Andeutung zu sehen bekommen hatte. Besonders die
Unnachgiebigkeit dieses Dieners gefiel ihm sehr. Im Kampf mit diesen kleinen,
hartnäckigen Zimmern K. schien es oft ein Kampf mit den Zimmern, da er die
Bewohner kaum zu sehen bekam ließ der Diener nicht nach. Er ermattete zwar
wer wäre nicht ermattet? , aber bald hatte er sich wieder erholt, glitt vom
Wägelchen herunter und ging aufrecht mit zusammengebissenen Zähnen wieder gegen die zu
erobernde Tür los. Und es geschah, dass er zweimal und dreimal zurückgeschlagen wurde,
auf sehr einfache Weise allerdings, nur durch das verteufelte Schweigen, und dennoch gar
nicht besiegt war. Da er sah, dass er durch offenen Angriff nichts erreichen konnte,
versuchte er es auf andere Weise, zum Beispiel, soweit es K. richtig verstand, durch List.
Er ließ dann scheinbar von der Tür ab, ließ sie gewissermaßen ihre Schweigsamkeit
erschöpfen, wandte sich anderen Türen zu, nach einer Weile kehrte er wieder zurück,
rief den anderen Diener, alles auffallend und laut, und begann auf der Schwelle der
verschlossenen Tür Akten aufzuhäufen, so, als habe er seine Meinung geändert, und dem
Herrn sei rechtmäßigerweise nichts wegzunehmen, sondern vielmehr zuzuteilen. Dann ging
er weiter, behielt aber die Tür immer im Auge, und wenn dann der Herr, wie es gewöhnlich
geschah, bald vorsichtig die Tür öffnete, um die Akten zu sich hineinzuziehen, war der
Diener mit ein paar Sprüngen dort, schob den Fuß zwischen Tür und Pfosten und zwang so
den Herrn, wenigstens von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu verhandeln, was dann
gewöhnlich doch zu einem halbwegs befriedigenden Ergebnis führte. Und gelang es nicht so
oder schien ihm bei einer Tür dies nicht die richtige Art, versuchte er es anders. Er
verlegte sich dann zum Beispiel auf den Herrn, welcher die Akten beanspruchte. Dann schob
er den anderen, immer nur mechanisch arbeitenden Diener, eine recht wertlose Hilfskraft,
beiseite und begann selbst auf den Herrn einzureden, flüsternd, heimlich, den Kopf tief
ins Zimmer steckend, wahrscheinlich machte er ihm Versprechungen und sicherte ihm auch
für die nächste Verteilung eine entsprechende Bestrafung des anderen Herrn zu,
wenigstens zeigte er öfters nach der Tür des Gegners und lachte, soweit es seine
Müdigkeit erlaubte. Dann aber gab es Fälle, ein oder zwei, wo er freilich alle Versuche
aufgab, aber auch hier glaubte K., dass es nur ein scheinbares Aufgeben oder zumindest ein
Aufgeben aus berechtigten Gründen sei, denn ruhig ging er weiter, duldete, ohne sich
umzusehen, den Lärm des benachteiligten Herrn, nur ein zeitweises, länger dauerndes
Schließen der Augen zeigte, dass er unter dem Lärm litt. Doch beruhigte sich dann auch
allmählich der Herr, wie ununterbrochenes Kinderweinen allmählich in immer
vereinzelteres Schluchzen übergeht, war es auch mit seinem Geschrei; aber auch, nachdem
es schon ganz still geworden war, gab es doch wieder noch manchmal einen vereinzelten
Schrei oder ein flüchtiges Öffnen und Zuschlagen jener Tür. Jedenfalls zeigte es sich,
dass auch hier der Diener wahrscheinlich völlig richtig vorgegangen war. Nur ein Herr
blieb schließlich, der sich nicht beruhigen wollte, lange schwieg er, aber nur, um sich
zu erholen, dann fuhr er wieder los, nicht schwächer als früher. Es war nicht ganz klar,
warum er so schrie und klagte, vielleicht war es gar nicht wegen der Aktenverteilung.
Inzwischen hatte der Diener seine Arbeit beendigt; nur ein einziger Akt, eigentlich nur
ein Papierchen, ein Zettel von einem Notizblock, war durch Verschulden der Hilfskraft im
Wägelchen zurückgeblieben, und nun wusste man nicht, wem ihn zuzuteilen. Das könnte
recht gut mein Akt sein, ging es K. durch den Kopf. Der Gemeindevorsteher hatte ja immer
von diesem allerkleinsten Fall gesprochen. Und K. suchte, so willkürlich und lächerlich
er selbst im Grunde seine Annahme fand, sich dem Diener, der den Zettel nachdenklich
durchsah, zu nähern; das war nicht ganz leicht, denn der Diener vergalt K.s Zuneigung
schlecht, auch inmitten der härtesten Arbeit hatte er immer noch Zeit gefunden, um böse
oder ungeduldig mit nervösem Kopfrücken nach K. hinzusehen. Erst jetzt, nach beendigter
Verteilung, schien er K. ein wenig vergessen zu haben, wie er auch sonst gleichgültiger
geworden war, seine große Erschöpfung machte das begreiflich, auch mit dem Zettel gab er
sich nicht viel Mühe, er las ihn vielleicht gar nicht durch, er tat nur so, und obwohl er
hier auf dem Gang wahrscheinlich jedem Zimmerherrn mit der Zuteilung des Zettels eine
Freude gemacht hätte, entschloss er sich anders, er war des Verteilens schon satt, mit
dem Zeigefinger an den Lippen, gab er seinem Begleiter ein Zeichen zu schweigen, zerriss
K. war noch lange nicht bei ihm den Zettel in kleine Stücke und steckte sie
in die Tasche. Es war wohl die erste Unregelmäßigkeit, die K. hier im Bürobetriebe
gesehen hatte, allerdings war es möglich, dass er auch sie unrichtig verstand. Und selbst
wenn es eine Unregelmäßigkeit war, war sie zu verzeihen; bei den Verhältnissen, die
hier herrschten, konnte der Diener nicht fehlerlos arbeiten, einmal musste der
angesammelte Ärger, die angesammelte Unruhe ausbrechen, und äußerte sie sich nur im
Zerreißen eines kleinen Zettels, war es noch unschuldig genug. Noch immer gellte ja die
Stimme des durch nichts zu beruhigenden Herrn durch den Gang, und die Kollegen, die in
anderer Hinsicht sich nicht sehr freundschaftlich zueinander verhielten, schienen
hinsichtlich des Lärms völlig einer Meinung zu sein; es war allmählich, als habe der
Herr die Aufgabe übernommen, Lärm für alle zu machen, die ihn nur durch Zurufe und
Kopfnicken aufmunterten, bei der Sache zu bleiben. Aber nun kümmerte sich der Diener gar
nicht mehr darum, er war mit seiner Arbeit fertig, zeigte auf den Handgriff des
Wägelchens, dass ihn der andere Diener fasse, und so zogen sie wieder weg, wie sie
gekommen waren, nur zufriedener und so schnell, dass das Wägelchen vor ihnen hüpfte. Nur
einmal zuckten sie noch zusammen und blickten zurück, als der immerfort schreiende Herr,
vor dessen Tür sich K. jetzt herumtrieb, weil er gern verstanden hätte, was der Herr
eigentlich wollte, mit dem Schreien offenbar nicht mehr das Auskommen fand, wahrscheinlich
den Knopf einer elektrischen Glocke entdeckt hatte und, wohl entzückt darüber, so
entlastet zu sein, statt des Schreiens jetzt ununterbrochen zu läuten anfing. Daraufhin
begann ein großes Gemurmel in den anderen Zimmern, es schien Zustimmung zu bedeuten, der
Herr schien etwas zu tun, was alle gern schon längst getan hätten und nur aus
unbekanntem Grunde hatten unterlassen müssen. War es vielleicht die Bedienung, vielleicht
Frieda, die der Herr herbeiläuten wollte? Da mochte er lange läuten. Frieda war ja damit
beschäftigt, Jeremias in nasse Tücher zu wickeln, und selbst, wenn er schon gesund sein
sollte, hatte sie keine Zeit, denn dann lag sie in seinen Armen. Aber das Läuten hatte
doch sofort eine Wirkung. Schon eilte aus der Ferne der Herrenhofwirt selbst herbei,
schwarz gekleidet und zugeknöpft wie immer; aber es war, als vergesse er seine Würde, so
lief er; die Arme hatte er halb ausgebreitet, so, als sei er wegen eines großen Unglücks
gerufen und komme, um es zu fassen und an seiner Brust gleich zu ersticken, und unter
jeder kleinen Unregelmäßigkeit des Läutens schien er kurz hochzuspringen und sich noch
mehr zu beeilen. Ein großes Stück hinter ihm erschien nun auch noch seine Frau, auch sie
lief mit ausgebreiteten Armen, aber ihre Schritte waren kurz und geziert, und K. dachte,
sie werde zu spät kommen, der Wirt werde inzwischen alles Nötige getan haben. Und um dem
Wirt für seinen Lauf Platz zu machen, stellte sich K. eng an die Wand. Aber der Wirt
blieb gerade bei K. stehen, als sei dieser sein Ziel, und gleich war auch die Wirtin da,
und beide überhäuften ihn mit Vorwürfen, die er in der Eile und Überraschung nicht
verstand, besonders, da sich auch die Glocke des Herrn einmischte und sogar andere Glocken
zu arbeiten begannen, jetzt nicht mehr aus Not, sondern nur zum Spiel und im Überfluss
der Freude. K. war, weil ihm viel daran lag, seine Schuld genau zu verstehen, sehr damit
einverstanden, dass ihn der Wirt unter den Arm nahm und mit ihm aus diesem Lärm fortging,
der sich immerfort noch steigerte, denn hinter ihnen K. drehte sich gar nicht um,
weil der Wirt und noch mehr, von der anderen Seite her, die Wirtin auf ihn einredeten
öffneten sich nun die Türen ganz, der Gang belebte sich, ein Verkehr schien sich
dort zu entwickeln, wie in einem lebhaften, engen Gässchen, die Türen vor ihnen warteten
offenbar ungeduldig darauf, dass K. endlich vorüber komme, damit sie die Herren entlassen
könnten, und in das alles hinein läuteten, immer wieder angeschlagen, die Glocken, wie
um einen Sieg zu feiern. Nun endlich sie waren schon wieder in dem stillen, weißen
Hof, wo einige Schlitten warteten erfuhr K. allmählich, worum es sich handelte.
Weder der Wirt noch die Wirtin konnten begreifen, dass K. etwas Derartiges zu tun hatte
wagen können. »Aber was hatte er denn getan?« Immer wieder fragte es K., konnte es aber
lange nicht erfragen, weil die Schuld den beiden allzu selbstverständlich war und sie
daher an seinen guten Glauben nicht im Entferntesten dachten. Nur sehr langsam erkannte K.
alles. Er war zu Unrecht in dem Gang gewesen, ihm war im Allgemeinen höchstens, und dies
nur gnadenweise und gegen jeden Widerruf, der Ausschank zugänglich. War er von einem
Herrn vorgeladen, musste er natürlich am Ort der Vorladung erscheinen, sich aber immer
dessen bewusst bleiben er hatte doch wohl wenigstens den üblichen
Menschenverstand? , dass er irgendwo war, wo er eigentlich nicht hingehörte, wohin
ihn nur ein Herr, höchst widerwillig, nur, weil es eine amtliche Angelegenheit verlangte
und entschuldigte, gerufen hatte. Er hatte daher schnell zu erscheinen, sich dem Verhör
zu unterziehen, dann aber womöglich noch schneller zu verschwinden. Hatte er denn dort
auf dem Gang gar nicht das Gefühl der schweren Ungehörigkeit gehabt? Aber wenn er es
gehabt hätte, wie hätte er sich dort herumtreiben können wie ein Tier auf der Weide?
Sei er nicht zu einem Nachtverhör vorgeladen gewesen, und wisse er nicht, warum die
Nachtverhöre eingeführt sind? Die Nachtverhöre und hier bekam K. eine neue
Erklärung ihres Sinnes hätten doch nur den Zweck, Parteien, deren Anblick den
Herren bei Tag unerträglich wäre, abzuhören, schnell, in der Nacht, bei künstlichem
Licht, mit der Möglichkeit gleich nach dem Verhör alle Hässlichkeit im Schlaf zu
vergessen. Das Benehmen K.s aber habe aller Vorsichtsmaßregeln gespottet. Selbst
Gespenster verschwinden gegen Morgen, aber K. sei dort geblieben, die Hände in den
Taschen, so, als erwarte er, dass, da er sich nicht entfernte, der ganze Gang mit allen
Zimmern und Herren sich entfernen werde. Und dies wäre auch dessen könne er auch
sicher sein ganz gewiss geschehen, wenn es nur irgendwie möglich wäre, denn das
Zartgefühl der Herren sei grenzenlos. Keiner werde K. etwa forttreiben oder auch nur das
allerdings Selbstverständliche sagen, dass er endlich fortgehen solle; keiner werde das
tun, obwohl sie während K.s Anwesenheit vor Aufregung wahrscheinlich zittern und der
Morgen, ihre liebste Zeit, ihnen vergällt wird. Statt gegen K. vorzugehen, ziehen sie es
vor, zu leiden, wobei allerdings wohl die Hoffnung mitspielt, dass K. doch endlich das in
die Augen Schlagende auch werde allmählich erkennen müssen und, entsprechend dem Leid
der Herren, selbst auch darunter bis zur Unerträglichkeit werde leiden müssen, so
entsetzlich unpassend, allen sichtbar, hier auf dem Gang am Morgen zu stehen. Vergebliche
Hoffnung. Sie wissen nicht oder wollen es in ihrer Freundlichkeit und Herablassung nicht
wissen, dass es auch unempfindliche, harte, durch keine Ehrfurcht zu erweichende Herzen
gibt. Sucht nicht selbst die Nachtmotte, das arme Tier, wenn der Tag kommt, einen stillen
Winkel auf, macht sich platt, möchte am liebsten verschwinden und ist unglücklich
darüber, dass sie es nicht kann? K. dagegen stellt sich dorthin, wo er am sichtbarsten
ist, und könnte er dadurch das Heraufkommen des Tages verhindern, würde er es tun. Er
kann es nicht verhindern, aber verzögern, erschweren kann er es leider. Hat er nicht die
Verteilung der Akten mit angesehen? Etwas, was niemand mit ansehen dürfe, außer die
nächsten Beteiligten. Etwas, was weder Wirt noch Wirtin in ihrem eigenen Hause haben
sehen dürfen. Wovon sie nur andeutungsweise haben erzählen hören, wie zum Beispiel
heute von den Dienern. Habe er denn nicht bemerkt, unter welchen Schwierigkeiten die
Aktenverteilung vor sich gegangen sei, etwas an sich Unbegreifliches, da doch jeder der
Herren nur der Sache dient, niemals an seinen Einzelvorteil denkt und daher mit allen
Kräften darauf hinarbeiten müsste, dass die Aktenverteilung, diese wichtige,
grundlegende Arbeit, schnell und leicht und fehlerlos erfolge? Und sei denn K. wirklich
auch nicht von der Ferne die Ahnung aufgetaucht, dass die Hauptursache aller
Schwierigkeiten die sei, dass die Verteilung bei fast geschlossenen Türen durchgeführt
werden müsse, ohne die Möglichkeit unmittelbaren Verkehrs zwischen den Herren, die sich
miteinander natürlich im Nu verständigen könnten, während die Vermittlung durch die
Diener fast stundenlang dauern müsse, niemals klaglos geschehen kann, eine dauernde Qual
für Herren und Diener ist und wahrscheinlich noch bei der späteren Arbeit schädliche
Folgen haben wird. Und warum konnten die Herren nicht miteinander verkehren? Ja, verstehe
es denn K. noch immer nicht? Etwas Ähnliches sei der Wirtin und der Wirt
bestätigte es auch für seine Person noch nicht vorgekommen, und sie hätten doch
schon mit mancherlei widerspenstigen Leuten zu tun gehabt. Dinge, die man sonst nicht
auszusprechen wage, müsse man ihm offen sagen, denn sonst verstehe er das
Allernotwendigste nicht. Nun also, da es gesagt werden müsse: Seinetwegen, nur und
ausschließlich seinetwegen, haben die Herren aus ihren Zimmern nicht hervorkommen
können, da sie am Morgen, kurz nach dem Schlaf, zu schamhaft, zu verletzlich sind, um
sich fremden Blicken aussetzen zu können; sie fühlen sich förmlich, mögen sie auch
noch so vollständig angezogen sein, zu sehr entblößt, um sich zu zeigen. Es ist ja
schwer zu sagen, weshalb sie sich schämen, vielleicht schämen sie sich, diese ewigen
Arbeiter, nur deshalb, weil sie geschlafen haben. Aber vielleicht noch mehr, als sich zu
zeigen, schämen sie sich, fremde Leute zu sehen; was sie glücklich mit Hilfe der
Nachtverhöre überwunden haben, den Anblick der ihnen so schwer erträglichen Parteien,
wollen sie nicht jetzt am Morgen plötzlich unvermittelt in aller Naturwahrheit von neuem
auf sich eindringen lassen. Dem sind sie eben nicht gewachsen. Was für ein Mensch muss
das sein, der das nicht respektiert! Nun, es muss ein Mensch wie K. sein. Einer, der sich
über alles, über das Gesetz sowie über die allergewöhnlichste menschliche
Rücksichtnahme, mit dieser stumpfen Gleichgültigkeit und Verschlafenheit hinwegsetzt,
dem nichts daran liegt, dass er die Aktenverteilung fast unmöglich macht und den Ruf des
Hauses schädigt, und der das noch nie Geschehene zu Stande bringt, dass sich die zur
Verzweiflung gebrachten Herren selbst zu wehren anfangen, nach einer für gewöhnliche
Menschen unausdenkbaren Selbstüberwindung zur Glocke greifen und Hilfe herbeirufen, um
den auf andere Weise nicht zu erschütternden K. zu vertreiben! Sie, die Herren, rufen um
Hilfe! Wären denn nicht längst Wirt und Wirtin und ihr ganzes Personal herbeigelaufen,
wenn sie es nur gewagt hätten, ungerufen, am Morgen, vor den Herren zu erscheinen, sei es
auch nur, um Hilfe zu bringen und dann gleich zu verschwinden. Zitternd vor Empörung
über K., trostlos wegen ihrer Ohnmacht, hätten sie hier am Beginn des Ganges gewartet,
und das eigentlich nie erwartete Läuten sei für sie eine Erlösung gewesen. Nun, das
Schlimmste sei vorüber! Könnten sie doch nur einen Blick hineintun in das fröhliche
Treiben der endlich von K. befreiten Herren! Für K. sei es freilich nicht vorüber; er
werde sich für das, was er hier angerichtet habe, gewiss zu verantworten haben.
Sie waren inzwischen bis in den Ausschank gekommen; warum der Wirt trotz all seinem
Zorn K. doch noch hierher geführt hatte, war nicht ganz klar, vielleicht hatte er doch
erkannt, dass K.s Müdigkeit es ihm zunächst unmöglich machte, das Haus zu verlassen.
Ohne eine Aufforderung, sich zu setzen, abzuwarten, sank K. gleich auf einem der Fässer
förmlich zusammen. Dort im Finstern war ihm wohl. In dem großen Raum brannte jetzt nur
eine schwache elektrische Lampe über den Bierhähnen. Auch draußen war noch tiefe
Finsternis, es schien Schneetreiben zu sein. War man hier in der Wärme, musste man
dankbar sein und Vorsorge treffen, dass man nicht vertrieben werde. Der Wirt und die
Wirtin standen noch immer vor ihm, als bedeute er immerhin noch eine gewisse Gefahr, als
sei es bei seiner völligen Unzuverlässigkeit gar nicht ausgeschlossen, dass er sich
plötzlich aufmache und versuche, wieder in den Gang einzudringen. Auch waren sie selbst
müde von dem nächtlichen Schrecken und dem vorzeitigen Aufstehen, besonders die Wirtin,
die ein seidenartig knisterndes, breitröckiges, braunes, ein wenig unordentlich
geknöpftes und gebundenes Kleid anhatte wo hatte sie es in der Eile hervorgeholt?
, den Kopf wie geknickt an die Schulter ihres Mannes gelehnt hielt, mit einem feinen
Tüchelchen die Augen betupfte und dazwischen kindlich böse Blicke auf K. richtete. Um
das Ehepaar zu beruhigen, sagte K., dass alles, was sie ihm jetzt erzählt hätten, ihm
völlig neu sei, dass er aber trotz der Unkenntnis dessen doch nicht so lange im Gang
geblieben wäre, wo er wirklich nichts zu tun hatte und gewiss niemanden hätte quälen
wollen, sondern das alles nur aus übergroßer Müdigkeit geschehen sei. Er danke ihnen
dafür, dass sie der peinlichen Szene ein Ende gemacht hätten, sollte er zur
Verantwortung gezogen werden, werde ihm das sehr willkommen sein, denn nur so könne er
eine allgemeine Missdeutung seines Benehmens verhindern. Nur die Müdigkeit und nichts
anderes sei daran schuld gewesen. Diese Müdigkeit aber stamme daher, dass er die
Anstrengung der Verhöre noch nicht gewöhnt sei. Er sei ja noch nicht lange hier. Werde
er darin einige Erfahrung haben, werde etwas Ähnliches nicht wieder vorkommen können.
Vielleicht nehme er die Verhöre zu ernst, aber das sei doch wohl an sich kein Nachteil.
Er habe zwei Verhöre, kurz nacheinander, durchzumachen gehabt, eines bei Bürgel und das
zweite bei Erlanger, besonders das erste habe ihn sehr erschöpft, das zweite allerdings
habe nicht lange gedauert. Erlanger habe ihn nur um eine Gefälligkeit gebeten, aber beide
zusammen seien mehr, als er auf einmal ertragen könne, vielleicht wäre etwas Derartiges
auch für einen anderen, etwa den Herrn Wirt, zu viel. Aus dem zweiten Verhör sei er
eigentlich nur schon fortgetaumelt. Es sei fast eine Art Trunkenheit gewesen; er habe ja
die zwei Herren zum ersten Mal gesehen und gehört und ihnen doch auch antworten müssen.
Alles sei, soviel er wisse, recht gut ausgefallen, dann aber sei jenes Unglück geschehen,
das man ihm aber nach dem Vorhergegangenen wohl kaum zur Schuld anrechnen könne. Leider
hätten nur Erlanger und Bürgel seinen Zustand erkannt, und sicher hätten sie sich
seiner angenommen und alles Weitere verhütet, aber Erlanger habe nach dem Verhör gleich
weggehen müssen, offenbar um ins Schloss zu fahren, und Bürgel sei, wahrscheinlich von
jenem Verhör ermüdet wie hätte es also K. ungeschwächt überdauern sollen?
, eingeschlafen und habe sogar die ganze Aktenverteilung verschlafen. Hätte K. eine
ähnliche Möglichkeit gehabt, er hätte sie mit Freuden benützt und gern auf alle
verbotenen Einblicke verzichtet, dies umso leichter, als er ja in Wirklichkeit gar nichts
zu sehen im Stande gewesen sei und deshalb auch die empfindlichsten Herren sich ungescheut
vor ihm hätten zeigen können.
Die Erwähnung der beiden Verhöre gar jenes mit Erlanger und der
Respekt, mit welchem K. von den Herren sprach, stimmten ihm den Wirt günstig. Er schien
schon K.s Bitte, ein Brett auf die Fässer legen und dort wenigstens bis zur
Morgendämmerung schlafen zu dürfen, erfüllen zu wollen, die Wirtin war aber deutlich
dagegen, an ihrem Kleid, dessen Unordnung ihr erst jetzt zu Bewusstsein gekommen war, hier
und dort nutzlos rückend, schüttelte sie immer wieder den Kopf; ein offenbar alter
Streit, die Reinlichkeit des Hauses betreffend, war wieder daran, auszubrechen. Für K. in
seiner Müdigkeit nahm das Gespräch des Ehepaares übergroße Bedeutung an. Von hier
weggetrieben zu werden schien ihm ein alles bisher Erlebte übersteigendes Unglück zu
sein. Das durfte nicht geschehen, selbst wenn Wirt und Wirtin sich gegen ihn einigen
sollten. Lauernd sah er, zusammengekrümmt auf dem Fass, die beiden an, bis die Wirtin in
ihrer ungewöhnlichen Empfindlichkeit, die K. längst aufgefallen war, plötzlich beiseite
trat und wahrscheinlich hatte sie mit dem Wirt schon von anderen Dingen gesprochen
ausrief: »Wie er mich ansieht! Schick ihn doch endlich fort!« K. aber, die
Gelegenheit ergreifend, und nun völlig, fast bis zur Gleichgültigkeit davon überzeugt,
dass er bleiben werde, sagte: »Ich sehe dich nicht an, nur dein Kleid.« »Warum
mein Kleid?« fragte die Wirtin erregt. K. zuckte die Achseln.
»Komm!« sagte die Wirtin zum Wirt. »Er ist ja betrunken, der Lümmel. Lass ihn hier
seinen Rausch ausschlafen!« Und sie befahl noch Pepi, die auf ihren Ruf hin aus dem
Dunkel auftauchte, zerrauft, müde, einen Besen lässig in der Hand, K. irgendein Kissen
hinzuwerfen.
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