STIMMEN
zu THEODOR KIRCHNER
"Dass Herr Theodor Kirchner ein höchst talentvoller und kenntnisreicher
Musiker ist,
dass er sich durch seine Fähigkeiten und Leistungen ebenso sehr wie
durch seinen
Eifer und sein Streben auszeichnet, dass die eigenen Compositionen, die
er theilweise
schon veröffentlicht hat, sowohl von seiner Erfindungsgabe wie von
seinen Kennt-
nissen das gründlichste Zeugniss ablegen, dass er zugleich ein sehr
tüchtiger Clavier-
und Orgelspieler ist, der die classischen Werke für beide Instrumente
genau kennt
und in gelungener Ausführung wiederzugeben versteht, dass ich ihn
also für voll-
kommen befähigt halte, einer Organisten- oder Musikdirectorstelle
mit Ehren und
Nutzen für die Kunst vorzustehen, bescheinige ich durch meine Namensunterschrift
Leipzig den 26. July 1843. Felix Mendelssohn-Bartholdy".
"Es war Kirchner, der besonderste Schüler Robert Schumanns, der nach
der Art, wie
er sich völlig in des Meisters tiefste Innerlichkeit hineingelebt
hat, nun eine Reihe von
dessen seltener gehörten Clavierstücken vortrug, dass in der
That jener schönste Ge-
nuss, der der Seele zu Theil werden kann, dass sie in das Allerinnerste
hineinschaut,
die unsere Kunst für geistesartige, ja fast gedankenhafte Dinge in
der That besitzt".
(Ludwig Nohl, 1876)
"Mit dem Hellerschen verglichen ist Kirchners Klaviersatz weniger
grossflächig und
einfach, ungleich intimer und die Kleinarbeit, das musikalische Goldfiligran
auf
engstem Raum liebend, ... und ungleich reflektierter, grüblerischer
und innerlicher
wie Heller. Die figurative Ausgestaltung erreicht bei ihm die äusserste
Verfeinerung;
alles nur entfernt ans 'Brillante' Erinnernde, alles Passagenwesen verschwindet,
die häufige
Anwendung von graziösen weiten Staccato-Sprüngen tritt dafür
als stilistisches Merk-
mal an desen Stelle ... Er bleibt Schumannianer von musikalisch originaler,
ja stellen-
weise genialer Bedeutung sein Leben lang".
(Walter Niemann, 1910)
"Es ist wieder so eine köstliche Gabe, wie nur Sie sie geben können:
voll Reiz, voll Poesie
und tief bey aller Einfachheit ... Ihre Werke sind mir ungemein lieb. Sie
geben mir wahre
Erquickung. Das ist alles so ächt, so edel, durch und durch interessant,
wie ein schönes
Buch, das man immer wieder durchblättert, darüber nachdenkt,
und sich im Stillen an
diesem und jenem Gedanken erfreut. Sprechen Sie nicht von 'Kleinen Sachen'.
Sie sind
nicht lang, viele sehr kurz; aber sie sind reich, vollwichtig, voll Geist
und Grazie. Dicke
Bände namhafter Komponisten werden vergessen sein, wenn Ihre Kleinen
Sachen fort-
blühen werden".
(Stephen Heller, 1880)
"Schade ist's, dass er sich nicht an Grösseres macht. Ich habe
ihm immer wieder zugeredet -
ich kann gar nicht gut zusehen, wenn solch eine musikalische Natur so untergeht
im Dämmern...
Es ist schade um ihn, es wird nichts Ordentliches aus ihm bei aller sonstigen
Begabung...
Kirchner ist das Beispiel eines in Träumerei fast untergegangenen
Menschen, nicht nur des
Künstlers, denn in seiner ganzen Persönlichkeit ist kein Halt".
(Clara Schumann, 1857)
"Kirchner ist mit seiner musikalischen Erfindung niemals über die
Grenzen eines empfindsamen
Liedes ohne und mit Worten, eines graziösen Albumblattes, einer leichten
Sonatine hinausgekom-
men; in diesem kleinen Genre aber verdient er ein grosser Meister genannt
zu werden.Mehr Aqua-
rellist als Öl- oder al fresco-Maler bringt er durch sein zartes,
in tausenden von feinen Übergängen
und Nuancen sich ergebendes Kolorit Wirkungen hervor, die anderen versagt
sind... Seine Haupt-
force besteht in der auch von Schumann öfters angewandten Kunst, den
ganzen Charakter eines
Musikstückes am Schlusse nochmals in ein paar Akkorde zusammenzufassen,
und ihn als ein kon-
zentriertes Bild, wie in einem magischen Spiegel, uns zum letztenmale vorzuführen.
Von dieser
Kunst, die er nur noch mehr erweiterte und vertiefte, hat Brahms profitiert.
Das Überraschende
und dabei zugleich Aufschliessende, Erklärende und Befriedigende,
was manche Coda seiner
Sonatensätze enthält, deutet noch mehr auf Kirchner, als auf
Schumann und Beethoven zurück".
(Max
Kalbeck, 1912)
"Von Schumann trennt ihn das Unliterarische, Nur-Musikalische der Arbeitsweise,
von Mendels-
sohn die ungleich bedeutendere harmonische und rhythmische Differenziertheit,
von Brahms die
ganz anders geartete Architektur seiner Miniaturen. Er ist ihnen sicher
an Atem und Kraft der
Aussage unterlegen; ... aber auf seinem eigenen Feld, der Miniatur, ist
er selber ein Meister und
hat es nach allen Richtungen mit Inspiration, grossem Können und technischem
Raffinement be-
arbeitet".
(Gerhard Puchelt, 1969)
"In Kirchner allein find' ich eine warme Musikerseele - der ist nun
aber zu jung noch, dem man nicht
so viel sagen darf als einem Aelteren; es würde ihm mehr schaden als
nützen... Das Conservatorium
beschäftigt uns jetzt alle... Kirchner hat sich auch als Zögling
aufnehmen lassen. Er ist jedenfalls
das bedeutendste productive Talent von allen. Den 1sten Satz eines neuen
Quartetts hat mir Men-
delssohn sehr gelobt".
(Robert Schumann, 1843)
"Im Mittelpunkt dieser Bestrebungen stand Theodor Kirchner. Als Klavierspieler
gehörte er zu den
wenigen Erlesenen, welche besonders die tief poetische Romantik Schumann's
zu unübertrefflicher
Geltung zu bringen wussten. Wir verkehrten viel mit ihm, denn während
sonst die Musiker sich meist
durch grosse Einseitigkeit bemerklich machen, war er ein Mann von freierem
Blick und von viel-
seitiger Bildung. Namentlich aber war ihm ein Humor eigen, der in seiner
Trockenheit und Prägnanz
unwiderstehlich wirkte...".
(Wilhelm
Lübke, 1893)
"Kirchner hat höchst anmutige und so hübsch, ich meine so
wirklich vierhändige Klavierstückchen
geschrieben, natürlich wieder ein Schock. Er ist einmal darin wie
die Kaninchen, und es kommen
auch immer nur so kleine wuzliche Künigelhaserln zum Vorschein; aber
Grazie und so wundervoll
musikalisch ist doch alles, was er macht, dass es einem wohltut, neben
all' dem dilettantischen
Schund".
(Elisabeth von Herzogenberg, 1881)
"Kirchner will nicht flüchtig betrachtet sein, seine Werke verlangen
bis ins Detail liebevolles Eingehen
auf den poetischen Gehalt. Mögen nun Vortragsstücke, Studien,
Lieder und andere Werke in Betracht
kommen, in allen diesen Gattungen tritt uns der mit äusserstem Feingefühl
ausgestattete Tonpoet in
der ihm eigenen Grösse entgegen. Seine Klaviermusik, die so gar nichts
Äusserliches hat, aber trotz-
dem eine eigene Technik erfordert, verlangt vor allem innerliches Erfassen,
wenn Wirkungen erzielt
werden sollen".
(Goby Eberhardt, 1926)
"Kein zweiter hat die Lieblingsform dieser Epoche so ausschliesslich
gepflegt wie Kirchner, und nur
wenige so glücklich wie er. Die Geschichte der musikalischen Miniaturen
wird den Namen Theodor
Kirchners jederzeit in grossen Lettern fortführen müssen... Kirchner
hat sich innerhalb der engen
Grenzen, in denen er sich festsetzte, eine Kürze angewöhnt, eine
Knappheit und Sicherheit des Aus-
drucks, die fast epigrammatisch wirkt; er hat dem kleinen Genrestück
Fragen und Mitteilungen an-
vertraut, denen man es von Haus aus für nicht gewachsen halten sollte".
(Hermann
Kretzschmar, 1910)
"Bestrebungen
Jüngerer zu folgen, ist mir immer eine grosse Freude. So, wenn Sie
vielleicht etwas
von ihm kennen sollten, denen von Th. Kirchner, den ich schon als achtjährigen
Burschen kannte
und der viel verhiess. Er hat vor kurzem zwei Hefte Klavierstücke
(auch viele Lieder) erscheinen
lassen, die mir zu den genialsten der jüngeren Komponisten zu gehören
scheinen".
(Robert Schumann, 1853)
"Es ist schon
darauf hingewiesen worden, dass Kirchner sich in seinem motivischen Material
die
äusserste Beschränkung auferlegt, dass oft ein einziger Gedanke
für ihn hinreicht, um einen Kunst-
bau von reichster Gliederung und klassischer Schönheit vor uns erstehen
zu lassen. Kirchner zeigt
sich in dieser Beziehung seinem mehr in Sequenzen sich gefallenden Vorbild
Schumann überlegen
und als ein würdiger Vorläufer von Johannes Brahms, in dessen
Stücken op.118 und 119 diese Rich-
tung wohl ihre höchste Vollendung und Vertiefung erreicht hat, wenn
auch Brahms an immer neu
quellender, blühender Erfindung seinen Vorgänger vielleicht nicht
ganz erreicht".
(Otto Klauwell, 1909)
"[Kirchners
Hefte op.11-23 blättern wir durch]... ohne befürchten zu müssen
(wie in der meisten
heutigen Claviermusik mit wenigen ehrenwerten Ausnahmen), auf Schritt und
Tritt etwas Abstossen-
dem, Trivialem und höchst Widerwärtigem zu begegnen. Alles ist
aus innerster Seele heraus em-
pfunden, tief gefühlt; es sind wahre Stimmungsbilder und jedem ächt
künstlerischen Bedürfniss
wird darin in umfassender Weise Genüge geleistet".
(Johann
Carl Eschmann, 1876)
"Umso bewunderungswürdiger
erscheint der Erfindungsreichtum, die quellende Frische und Origina-
lität, welche die Tondichtungen unseres Künstlers kennzeichnen.
Von Wiederholungen, stereotypen
Ausdrucksformen, wie sie nicht blos den meisten Neueren, sondern selbst
manchen unserer Classiker
anhaften, findet man bei Kirchner so gut wie nichts. Aehnlich wie Chopin
ist er immer neu, uner-
schöpflich an geistreichen Wendungen, an Motiven voll bestrickenden
Gesanges, an Grazie und
Humor... Dabei zeigt er ein ausserordentliches Feingefühl und eine
seltene Erfindungskraft für
harmonische Combinationen; scheinbar entlegenste Klänge bringt er
auf geniale Weise mit ein-
ander in Beziehung und erreicht dadurch oft zauberische Wirkungen. In der
Kunst der Farben-
mischung, des stimmungsvollen Helldunkels übertrifft ihn keiner, selbst
Chopin nicht, dessen
Meisterschaft auf diesem Gebiet längst unbestritten ist... ".
(Arnold
Niggli, 1888)
Obige Zitate sind meist den in der Literaturübersicht
genannten Titeln entnommen.