Sandras Story

wie sich das Leben einer Hochbegabten entwickeln kann

meine Geschichte

Ich habe beschlossen, meine Geschichte zu erzählen. Wenn du Lust hast, kannst du dir ja die Zeit nehmen und die Erzählung lesen. Ich würde mich sehr freuen. Nebenbei: Ich war die erste, die einen Erfahrungsbericht zum Thema Hochbegabung online gestellt hat. Wenn du den Ursprungstext lesen möchtest, kannst du dich per E-Mail bei mir melden.

Schon kurz nach meiner Geburt meinten die Ärzte, dass mit mir etwas nicht stimmt. Sie konnten es zwar nicht genau definieren, gingen aber davon aus, dass ich möglicherweise geistig behindert sei. Diese Ansicht blieb auch sehr lange erhalten. Ich konnte zwar schon sehr früh sprechen, aber selbst mit zwei Jahren noch nicht laufen. Meinen besten Freund hatte ich eigentlich immer in meinem großen Bruder, wir gingen gemeinsam durch dick und dünn und hielten immer zusammen. Ich ging schon, als ich etwas älter als ein Jahr war, in den Spielkreis; mit 2 Jahren durfte ich sogar schon in den Kindergarten, obwohl damals die feste Regel bestand: „frühestens ab drei“. Ich war etwas besonderes... ich war bei allen für meinen Einfallsreichtum, meine Hilfsbereitschaft und meine Ideen beliebt. Für viele war ich einfach das absolute Traumkind.

Mit 6 Jahren kam ich dann in die Schule. Ich freute mich fürchterlich, durfte ich doch nun endlich genau wie mein großer Bruder Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Da wusste ich noch nicht, dass ich mit dem Einstieg in die Schule meine schönste Zeit im Leben, die Kindergartenzeit, beenden würde. Die Grundschulzeit war eigentlich noch ganz nett. Ich war meist schon um Viertel nach sieben in der Schule, ging dann mit meiner Lehrerin durchs Haus und bereitete den Unterricht vor. Im Unterricht war ich immer schneller als alle anderen... während sie in Mathe z.B. noch an der ersten Aufgabe saßen, war ich schon längst fertig und bekam von meiner Lehrerin neue Aufgaben. Tja, schon da hieß es immer, dass das Kind, was einst als geistig behindert eingeschätzt wurde, hochintelligent sei. Mir hat das dort nie jemand gesagt. Aber alle sprachen sie eben von dem hochbegabten Mädchen. An einige Sachen kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich sehe mich heute noch manchmal an der Mauer auf dem Pausenhof stehen und den anderen Kindern beim Spielen zuschauen. Meine Eltern glaubten mir das nie, und dann habe ich es schließlich aufgegeben, ihnen davon zu erzählen. Im Großen und Ganzen verlief meine Grundschulzeit aber doch recht harmlos. Ich hatte zwar nicht wirklich viele Freunde, aber ich hatte meinen großen Bruder und einen sehr guten Kumpel, der bei mir um die Ecke wohnt(e). In der Schule bekam ich halt Extraaufgaben, meinen Matheunterricht durfte ich in der vierten Klasse komplett selbst mit Stoff aus der fünften Klasse gestalten. Das sind die einzig schönen Schultage, an die ich mich erinnern kann.

Dann kam schließlich der Schulwechsel. Ich sollte auf die nahegelegene Orientierungsstufe wechseln, was ich dann auch tat. Ich freute mich sehr, endlich neue Leute kennen lernen zu können, vor allem weil meine Mutter immer gesagt hatte, dass es in der Schule auch schwieriger und anspruchsvoller würde. Die ersten Wochen waren auch sehr schön. Ich schloss sehr viele neue Bekanntschaften. Besonders gut verstand ich mich mit einem Mädchen aus meiner alten Klasse und noch einer anderen. Ich wurde krank und war deshalb dann eine Woche lang nicht in der Schule. Als ich dann an einem Montag wieder kam, brach für mich eine halbe Welt zusammen. Die eine, die ich schon aus meiner alten Klassen kannte, empfingen mich mit den Worten, dass sie nun einen Dreierclub aufgemacht hätten und ich da auf gar keinen Fall mehr hinein könnte. So kam es dann, dass ich in den Pausen wieder allein dastand. In der Klasse verbreitete sich die allgemeine Meinung, dass ich ein Streber sei und zu Hause nur lernen würde. So wurden immer wieder kleinere Aktionen gegen mich gestartet, so dass ich mich nicht mehr richtig wohl fühlte.

In der sechsten Klasse dann schien alles erst einmal eine Wende zu nehmen. Leute, die vorher kaum ein Wort mit mir wechseln wollten, kamen plötzlich an und meinten, dass sie sich in mir getäuscht hätten und ich doch eigentlich sehr nett sei. Ich kann mich noch genau erinnern, wie sehr ich mich da gefreut hatte... aber es war alles nur ein falsches Spiel, schon nach wenigen Tagen fingen sie wieder an, auf mir herumzuhacken. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich bald auf ein Gymnasium wechseln würde und sie so nicht mehr sehen müsste. An diesem Gedanken klammerte ich mich fest, und das war auch gut so. Auch meine Eltern sagten mir immer wieder, dass auf dem Gymnasium alles besser würde. Der Neid würde nicht mehr so groß sein, da die Schüler alles besser wären.

So freute ich mich riesig, als endlich der Tag meiner Einschulung war. Den größten Schock bekam ich schon nach ein paar Minuten, ich war fast nur mit Leuten in der Klasse, die ich schon aus Grundschule und Orientierungsstufe kannte. Da es aber auch noch genug andere waren, hielt ich mich mit dem Gedanken nicht länger auf. Ich war damals nicht ich selbst. Ich hatte Angst, dass die anderen, wenn sie mehr über mich erfahren würden, mich nicht leiden könnten. So spielte ich ein wenig, dass ich einfach „normaler“ war. Es klappte auch erst ganz gut, die ersten Wochen waren echt prima. Auch die Landheimfahrt war klasse. Das war direkt vor den Herbstferien 1998. In den Herbstferien nahm das Ganze dann aber schon eine Wende. Die Anderen riefen bei mir zu Hause an und rissen Witze... ich nahm das Ganze nicht so ernst und lachte mit.

So richtig krass kam es dann erst später. Wir schrieben die ersten Arbeiten und bekamen Noten. Immer hieß es, dass Sandra die beste sei. Es war also eigentlich kein Wunder, dass die anderen mich als Streber bezeichneten. Der Neid wurde immer größer und es wurden heftige Schikanen gegen mich gestartet. Meine Klassen“kameraden“ gingen sogar zu den Lehrern und sagten ihnen, was ich angeblich alles gemacht hätte. Sie tuschelten die ganze Zeit, nahmen sich meine Hausaufgaben zum Abschreiben aus meinem Ranzen und ich ließ alles mit mir machen. Da ging meine Mutter das erste Mal zu meinem Klassenlehrer. Der versprach ihr, etwas dagegen zu unternehmen und an dem Montag danach sollten alle Mädchen nach dem Unterricht noch da bleiben. Wir setzen uns in einen Kreis und „redeten“ allgemein über Sozialverhalten. Hinterher gingen noch einige zu meinem Lehrer und meinten, dass es bestimmt um mich ginge und dass das alles gar nicht stimmen würde, sondern ich selbst der Unruhestifter sei. Ob mein Lehrer das damals geglaubt hat, weiß ich nicht... ich möchte es auch gar nicht wissen. Auf jeden Fall waren die nächsten Wochen danach wieder ganz erträglich, größere Schikanen blieben aus. Aber das war eben nur ein paar Wochen so. Danach ging es dann richtig zur Sache. Ich wurde ins Kino eingeladen, bloß dass ich dann plötzlich allein da stand... ich wurde auf Geburtstagsfeiern eingeladen, die es gar nicht gab. Wenn ich einen Tag mal nicht in der Schule war, bekam ich gesagt, dass wir zur ersten Stunde hätten, in Wirklichkeit hatten wir aber erst zur Dritten. Ich hatte in einer Arbeit „nur“ eine zwei geschrieben und meine Mutter bekam einen Anruf, was denn mit ihrer Tochter los sei und dass das doch peinlich für sie wäre. So ging es immer weiter, und eigentlich wurde es auch immer schlimmer.

Kurz vor Weihnachten freundete ich mich mit einem Mädchen an. Ich dachte wirklich, dass wir beste Freundinnen waren. In Geschichtsarbeiten diktierte ich ihr ganze Passagen (das muss man sich mal vorstellen!!!), und in Wirklichkeit hatte sie mich die ganze Zeit nur ausgenutzt. So hörte ich z.B. einmal, wie sie sagte, dass sie in der Musikarbeit nur eine eins hätte, weil sie von der Streberin abgeschrieben hätte. Ich tat so, als ob ich es nicht gehört hätte, denn ich wollte es nicht wahrhaben. Zu meinem Geburtstag wurde es dann erst richtig schlimm. Ich feierte mit ihr zusammen, aber nicht, weil ich es wirklich wollte, sondern weil ich es versprochen hatte. Unser Verhältnis war immer schlechter geworden, besonders an dem Tag wurde mir das klar. Das wurde in den nächsten Wochen dann auch noch immer schlimmer. Nun waren es nicht mehr 24, die über mich herzogen, sondern 25. So konnte ich damals meine Mutter endlich überreden, dass ich einen Hund bekomme. Die aus meiner Klasse und besonders meine „beste Freundin“ fingen dann an, über das Tier, was gerade mal eine Woche alt war, herzuziehen. Sie erzählten, dass die Rasse schrecklich sei, das Vieh grauenvoll aussehen würde und bei mir verdorben werden würde. Nun zogen sie also nicht nur über mich, sondern auch über das, was mir wirklich Lebensmut gab, her. Ich wurde krank, bekam starke Rückenprobleme, die mit der Zeit immer schlimmer wurden. Auch darüber machten alle Witze. An dem Geburtstag meiner „besten Freundin“ war dann schließlich alles in dieser Beziehung kaputt. Sie lief nur noch mit meinen größten „Feindinnen“ herum und erzählte davon, dass sie mit ihnen im Landheim nächstes Jahr in ein Zimmer wollte. Sie wusste, wie sehr mich das verletzen würde. Sie erzählte alles, was ich ihr je erzählt hatte, weiter, so dass ich im Prinzip keinen Privatsphäre mehr in der Klasse hatte. Alle kannten meine größten Geheimnisse. Ich glaube, dass genau das die Phase war, wo ich mich endgültig zurückgezogen habe.

Ich traute mich nicht mehr unter Leute. Um so glücklicher war ich dann, als die Sommerferien begannen. Ich musste sechs Wochen all diese Leute nicht sehen, traumhaft. In den Ferien bekam ich dann auch meinen Hund. Ich war so glücklich, ein Traum ging für mich in Erfüllung. Gleich nach den Ferien jedoch fuhren wir ins Landheim. Das sind Tage, die ich nie vergessen werde. Ich habe fast die ganze Zeit total fertig in meinem Bett gelegen, ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Der schlimmste Satz, der gefallen ist und den ich nie mehr vergessen werde, war, dass ich keine Freunde bräuchte, weil ich doch meine Mathebücher hätte und mit denen alles machen würde. In dieser Woche schwor ich mir auch, nie wieder in ein Landheim zu fahren. Denn das, was ich dort erlebt habe, kann man nicht einfach vergessen. In der Schule wurde es eigentlich auch nur noch schlimmer. Lehrer bezeichneten mich vor der ganzen Klasse als ihre Lieblingsschülerin. Wir alle wollten an Jugend-Forscht mit einer Gruppenarbeit teilnehmen, ich hing mich ganz tief in diese Arbeit herein, meine Lehrer waren natürlich begeistert und so machte ich die Arbeit für 26. Das störte mich da aber nicht, denn es lenkte ab. Ich durfte im Unterricht allein in den Computerraum gehen und arbeiten, ich hatte soviel zu tun, dass ich gar keine Zeit hatte nachzudenken. Dazu kam dann ja immer noch, dass ich einen kleinen Welpen zu Hause hatte, der auch versorgt werden musste und wirklich sehr viel Zuneigung brauchte. So saß ich ganz häufig mit Hund auf dem Schoß vorm PC. Heute muss ich meinem Lehrer von damals eigentlich dankbar sein, weil ich mich sonst nie an die Computerarbeit gewagt hätte. Schon nach einigen Wochen war ich der absolute Profi, gestaltete Präsentationen und erklärte es den anderen. Leider wurde das eigentlich nie richtig honoriert, und meine Klasse sah es nur als Strebertum an, dass ich soviel machte. Die Attacken von ihnen wurden auch nicht weniger, im Gegenteil. Sie schwärzten mich bei den Lehrern an und taten alles mögliche, um mich fertig zu machen. Es wurde immer schlimmer. Eigentlich war es kaum noch auszuhalten. Ich heulte nur noch zu Hause, ging nicht mehr raus, und war immer froh, wenn ein Tag zu Ende war, und ich mich ins Bett legen konnte. Geschlafen haben ich zwar meist nicht sehr gut, ich hatte schlimme Alpträume... und eigentlich hoffte ich auch immer, dass ich am nächsten Tag einfach nicht mehr aufwachen würde.

Irgendwann war das 8. Schuljahr dann vorbei... die Sommerferien begannen und wieder hoffte ich, dass es nach den Ferien besser würde. So kam es jedoch nicht. Auch nach den Ferien war es unerträglich. Mit meinen Eltern hatte ich schon lange nicht mehr darüber geredet, wozu auch, sie konnten ja nichts machen.

Eines Nachmittags konnte ich dann aber einfach nicht mehr und brach vor den Augen meiner Mutter in Tränen aus. Meine Mutter meinte, dass es jetzt reichen und ich die Schule wechseln würde. Sie meldete mich auf einem Internat für Hochbegabte in Braunschweig an. Sie brachte es damals aber doch nicht fertig, mich in das Internat wegzugeben wegzugeben, so dass sie für sich selbst entschied, mich auf eine anderen Schule, nicht weit von meiner alten entfernt, zu schicken. Okay, sie meinte zwar, dass ich es entscheiden könne, jedoch stand es spätestens dann fest, als meine Klasse davon wusste, ohne dass ich je etwas gesagt hatte. Aus den Probetagen wurde ein Weg ohne zurück und ich musste mich in der neuen Klassen zurechtfinden, ob ich wollte oder nicht. Zuerst schien ja auch alles prima zu sein. Die Leute waren supernett und ich fühlte mich wohl.

Aber schon am zweiten Tag kamen mir die ersten Zweifel. Jedoch hatte ich damals soviel zu tun, um den Stoff nachzuholen, dass ich keine Zeit hatte, groß nachzudenken. Eigentlich war diese Zeit sehr schön. Die Leute in meiner Klasse interessierten sich für mich, alle waren einfach nur freundlich. Das war eigentlich auch noch bis zum Anfang des nächsten Jahres so. Langsam fing ich an immer mehr zu zweifeln. Konnte ich vor meiner Vergangenheit davonlaufen? Sie vergessen? Nein, das ging nicht. Und in dieser Gewissheit ging es mir plötzlich sehr schlecht. Ich fand keine Freude mehr.

Schließlich lernte ich neue Leute kennen. Ja, ich gewann richtige Freunde. Zwei, um genau zu sein. Die Beiden bedeuten mir sehr viel. Ohne sie hätte ich die letzten Monate auch kaum überstanden. Sie waren diejenigen, die mir Mut machten. Und ich erfuhr zum ersten Mal, was es überhaupt heißt, Freunde zu haben. Und mit der Zeit ging es mir besser. Eigentlich hatte sich in meinem Leben aber nichts geändert. Aber ich habe nachgedacht, positiv nachgedacht, und festgestellt, dass ich sehr viel Glück hatte. Mir wurde klar, was ich in den letzten Monaten und Jahren geleistet hatte. Dass ich gekämpft habe und es dadurch geschafft habe weiterzukommen und ein völlig anderer Mensch zu werden. Ich war nicht mehr das verklemmte Mädchen, dass Angst vor anderen Menschen bekommen hatte, weil es so viel erfahren hatte. Nein, ich bin offen, selbstbewusst und hilfsbereit - eigentlich so, wie ich es vor meiner Schulzeit war und dazu noch um viele Erfahrungen reicher.

Mittlerweile kann ich sagen, dass ich manchmal sogar froh bin, hochbegabt zu sein. Ich habe so viele Möglichkeiten, die andere nie bekommen werden. Und nicht nur die Hochbegabung ist mir gegeben - ich habe eine tolle Familie, die mir eigentlich bei allen Problemen zur Seite steht. Ich habe eine Klasse, in der ich zwar keine richtigen Freunde habe, aber sehr hoch angesehen bin. Ich habe Lehrer, in deren Unterricht ich zwar meist unterfordert bin, aber die dennoch meine Leistungen schätzen.

Ich habe Ziele in meinem Leben gefunden und ich weiß, dass ich alle Wege offen habe, um diese zu verwirklichen. Und ich freue mich schon, dies eines Tages auch wirklich zu schaffen.

Wenn du mir zu der Erzählung noch etwas schreiben möchtest, dann kannst du dich gerne bei pearl_of_hope@yahoo.de melden. Ich freue mich!

Viele Liebe Grüße,

„Sandra“