Selbstmord

Schwarze
Rose in der Nacht,
tief
im Innern kein Glück mehr erwacht,
wächst
sie still an diesem Ort,
wo
meist fällt kein fröhlich Wort,
Leise
weht der Wind durchs Gras,
nimmt
die Blätter mit,
die
die Rose fallen liess.
Traurig
reckt sie sich empor,
dem
fahlen Lichte entgegen,
warum
hast du sie auserkor’n,
sie
an diesen Ort zu legen?
Doch
sie wählte diesen Weg,
sie
konnte einfach nicht mehr,
im
Wasser ein verlotterter Steg,
ein
Ziel ohne Wiederkehr.
Und
hier wir nun stehn,
vor
dem kalten Stein,
nur
die schwarze Rose wir sehn,
als
Zeichen für dein einmal Sein,
denken
in Liebe an dich,
obwohl
der Abschied ein enormer Stich,
den
Druck hast du nicht ausgehalten,
liessest
die Angst und Trauer walten,
so
weit sind wir nun schon,
in
dieser Welt voller Hohn,
Tränken
die Rose mit unseren Tränen,
warum
liessest du dir dein Leben nehmen?
Schwarze
Rose in der Nacht,
wächst
still hier im Schatten,
wartest
bist die Sonne erwacht,
und
wir wieder Besuch erstatten,
nährst
dich von unseren Tränen,
die
dich fast erdrücken,
kein
geben nur ständiges nehmen,
und
ständig neue Lücken.
Schwarze
Rose in der Nacht,
Sie
steht für ihr Leben,
ihre
zerbrechliche Seele, ihre Schönheit,
und
welkt die Rose an ihrem Grab,
so
wissen wir,
dass
es sie wieder gibt,
irgend
wo....
---------------------------
Rotes
Blut,
im
weißen Schnee,
ziert
die Erd.
-----------------------------
Es
war ein kühler Oktoberabend. Der Wind fuhr durch die Baumkronen und
ließ das trockene Laub auf dem Boden knistern. Am Horizont konnte man
noch das
letzte Abendrot sehen. Isabelle ging langsam den dunklen Flur entlang
und
machte die Balkontür auf. Sie stellte einen der beiden Stühle auf den
Tisch,
kletterte herauf und zog sich mit einem gekonnten Armzug auf das
Flachdach. So
oft wie sie diese Bewegung schon gemacht hatte, war sie ihr bereits in
Fleisch
und Blut übergegangen. Dort oben schweben viel Erinnerungen. Es hatten
schon
viele Saufpartys hier stattgefunden, aber hier war auch immer ihr
Zufluchtsort
gewesen, denn nirgendwo hatte man so gut allein sein können. Das Dach
war ca. 6
mal 6 Meter groß und in der Mitte ragte ein Schornstein heraus. Letzten
Monat
hatten die Jungs ein paar Stühle mit hinauf genommen, nachdem sie diese
weis-lila gefleckt angemalt hatten. Es war Michaels Idee gewesen und
alle
hatten mit einem Lachen im Gesicht zugestimmt. Ob Tim die Farbe aus
seinem
Adidas Pulli wieder herausbekommen hatte?
Auf
einem der Stühle stand noch eine leere Smirnoff Ice Flasche. Beate
hatte
sie wohl vergessen als sie sich knutschend mit Tim ins Gästezimmer
verzogen
hatte. Sie warf die Flasche auf den Boden und sah wie sie klirrend in
Tausende
von Scherben zersprang. Ja, der Abend war schön gewesen, auch wenn sich
die
anschließende Nacht eher mit einem Albtraum vergleichen ließ. Sie hatte
noch
rasch duschen gehen wollen ehe sie sich ins Bett legte. Gerade als sie
sich unter
das kühle Nass gestellt hatte, ging die Tür auf und Michael kam herein.
Er trug
nur eine Boxershorts und war mit einem Schritt in der Dusche. Seine
Muskeln
glänzten unter dem Wasserstrahl. Der gellende Schrei, der kurz darauf
durchs
Haus hallte, war nicht bis aufs Dach zu hören. Alles wehren hatte
nichts
geholfen, sie war seinen kräftigen Oberarmen einfach nicht gewachsen
gewesen.
Diese
Nacht hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Sie hatte Michael immer
gemocht. Er war derjenige gewesen der immer für sie da gewesen war und
dann
hatte er sie auf einen Schlag so bitter enttäuscht.
Der
Kies unten auf dem Hof knirschte; ein Auto fuhr vor. Ihre Eltern waren
wieder da. Morgens um 7 Uhr waren sie losgefahren und kamen wie immer
Abends um
ca. 11 Uhr von irgendwelchen geschäftlichen Terminen wieder. Ihnen war
es egal
was Isabelle in dieser Zeit tat. Vermutlich hätte sie ein Jahr als
Austauschschülerin in Amerika leben können und sie hätten es nicht
einmal
bemerkt. Sie hatten ja auch nicht bemerkt, dass Marcel, Isabelles
12-jähriger
Bruder, sich eine Waffe aus dem Waffenschrank geholt hatte. Bis sich an
einem
Nachmittag ein Schuss löste der seinen Kopf durchbohrte. Er war sofort
Tot
gewesen. Während ihre Eltern sich nur noch mehr in ihre Arbeit als
Anwälte
gestürzt hatten, war Isabelle nie mit dem Verlust fertig geworden. Tag
für Tag
sah sie ihn, wie er blutend auf dem Parkettboden lag, die Augen vor
Schreck
noch weit aufgerissen und die Arme von sich gestreckt. Ob sie ihn wohl
im
Himmel wieder sehen würde? Diese Frage hatte sie sich schon so oft
gestellt und
doch war sie der Antwort nie näher gewesen als an diesem Abend. Vor ihr
auf dem
Boden lag ein silberner Schlagring. Er gehörte Tim. Sie hob ihn auf und
betrachtete ihn näher. Er hatte die Form eines Totenkopfes und man
konnte ohne
weiteres erkennen, dass er schon einige Schlägereien hinter sich hatte.
Sie
glaubte sich zu erinnern ihn auch bei der Schlägerei vor ein paar
Wochen an
seinem Finger gesehen zu haben. Ein paar Typen hatten angefangen
Caitlin und
Beate zu bedrängen und in solchen Situationen kannten die Jungs kein
erbarmen.
Sie nahm den Ring und legte ihn neben sich auf einen Stuhl damit die
Clique ihn
leichter finden konnte. Langsam wurde sie unruhig. Eine große dunkle
Wolke
schob sich vor den Mond so dass es noch finsterer wurde und irgendwo in
der
Ferne jaulte ein Hund. Sie stand wieder auf und ging zu einem
Holzbrett, das an
den Schornstein angelehnt war. Es war das Heiligtum der Freunde. Jeder
hatte
irgendwann seine geheimsten Gedanken in einem Spruch oder einem Gedicht
in das
Holz verewigt. Sie begann zu lesen. Ihr stiegen die Tränen in die Augen
und sie
schluchzte laut auf als all die schönen aber auch schmerzhaften
Erinnerungen
ihren Körper durchfluteten. Dann griff sie zu dem Taschenmesser welches
an das
Brett gebunden war und ritze die Worte: „Manchmal ist Schweigen der
lauteste
Schrei!“, zu den Gedanken hinzu. Ihre Eltern würden nicht an sie
denken,
vielleicht war sie so zumindest in den Herzen ihrer Freunde
unvergessen. Dann
ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Dachte daran wie Michael sie die
ganze
Woche verfolgt und beobachtet hatte, ihr gedroht hatte, dass sie auch
ja den
Mund halten solle. Wie viel Angst sie gehabt hatte das er es wieder
versuchen
würde und sie genauso hilflos war. Dachte an Caitlin, die sie getröstet
und
immer wieder nachgefragt hatte warum sie weinen würde. Doch sie hatte
es ihr
verschwiegen, hatte mit niemandem darüber geredet. Vermutlich war es
auch
besser so, denn obwohl er sie so tief verletzt hatte wollte sie nicht
das er in
aller Öffentlichkeit bloßgestellt wurde. Seine baldigen Selbstvorwürfe
waren
eine größere und bessere Strafe.
Die
Wolke war weiter gezogen und der Mond schien wieder hell vom Himmel
herab.
Sie blickte hinab in den Garten. Früher hatte sie dort oft mit ihrem
Bruder
verstecken oder Fußball gespielt. Einmal war er über eine Wurzel
gestolpert und
hatte sich den Arm gebrochen. Sie hatte ihn in den Arm genommen,
getröstet, und
den Krankenwagen gerufen. Sie war mit ihm ins Krankenhaus gefahren und
hatte ihn
die ganze Zeit an der Hand gehalten damit er nicht alleine war. Von dem
Tag an
war es keine Geschwisterliebe mehr die die beiden verband, es war eine
Freundschaft geworden. Die beiden wussten nun dass sie sich
aufeinander
verlassen konnten und das gab ihnen ein Gefühl der Sicherheit, dass sie
vorher
lange vermisst hatten. Als Marcel dann vor einem Jahr gestorben war,
hatte er
dieses Gefühl mit sich genommen. Isabelle hatte sich seid dem oft
allein
gefühlt. Wenn es ihr schlecht ging hatte sie niemanden an sich heran
gelassen,
wollte allein mit den Problemen fertig werden. Da hatten auch ihre
neuen
Freunde nichts dran ändern können, denn so wie alle anderen glaubten
sie nur
Isabelle richtig zu kennen. Sehr oft hatte sie hier abends auf dem Dach
gesessen und hatte zugesehen wie die Sonne langsam am Horizont
untergegangen
war. Danach hatte sie gewartet bis auch der letzte helle Strahl vom
Himmel
verschwunden war und war dann langsam über den Balkon wieder ins Haus
geklettert.
Eine
schwarze Katze schlich durch das taunasse Gras. Ihre Augen leuchteten
in
der Dunkelheit. Sie wurde durch ein rascheln im Gebüsch aufgeschreckt
und
ergriff in schnellen Sprüngen die Flucht. Isabelle schreckte hoch. Sie
war mit
Gedanken ganz woanders gewesen und schloss nun ihre Augen. Nun stellte
sie sich
den Garten im Sommer vor. Die bunten Blumen die sie Jahr für Jahr in
das kleine
Beet neben der Haustür pflanzte, den Kirschbaum in der Einfahrt und wie
er sich
mit seinen vielen Blättern, Blüten und Früchten im Wind wiegte und den
Haselnussbaum,
in dem früher ein Baumhaus gewesen war. Sie hatte es zusammen mit
Marcel gebaut
und nach einem Mädchen in seiner Klasse benannt. Er hatte mit seinem
Taschenmesser den Namen „Tamara“ in ein Holzbrett geritzt und sie hatte
es an
das Haus gehämmert. Doch auch diese Erinnerung an Marcel war ihr nicht
geblieben. Als ein schlimmer Sturm die Gegend heimgesucht hatte war das
Baumhaus zerstört worden. Nur das Brett mit dem Namen hatte sie finden
können
und hatte es fest in den Baum geschlagen. Eine kühle Briese ließ sie
frösteln.
Sie sah hinauf in den Himmel. Die Sterne leuchteten nicht mehr so stark
wie vor
ein paar Stunden und der Mond war abermals von einer Wolke verborgen.
Ein
Tropfen fiel auf ihrer Lippen und zerlief. Langsam begann es zu regnen.
Plötzlich
spürte sie wie sie von der Einsamkeit überwältigt wurde, wie sie allein
auf dem
Dach saß, frierend und bis auf die Haut durchnässt. Ihr schossen viele
Gedanken
durch den Kopf und die Erinnerungen stachen wie Pfeilspitzen in ihr
Herz. Sie
sah ihre Arme und fing an sich zu hassen. Für die Narben. Für die
Hilferufe
nach Aufmerksamkeit. Für die tiefen Schnitte. Dafür, dass sie den
körperlichen
Schmerz besser ertragen hatte können als den seelischen und dafür, dass
sie
versucht hatte sich die Schmerzen aus dem Leib zu schneiden. Sie hatte
auf dem
Bett gesessen am Tag nach dem Michael sie unter der Dusche überrascht
hatte.
Der Schmerz verging nicht, er wurde immer stärker. Sie hielt es nicht
mehr aus.
Tief bohrte sich die Klinge in den Unterarm. Das Blut lief den Arm
entlang und
tropfte langsam auf das Bettlaken. Immer öfter ritze sich die Klinge in
ihre
Arme. Nicht nur an dem Tag. Sie erinnerte sich an viele der Momente als
wenn
sie gerade erst vergangen wären. Nun hasste Isabelle sich für die
Narben.
Schämte sich das sie so tief gesunken war.
Bis
jetzt hatte niemand die hellen Striche auf ihren braun gebrannten Armen
bemerkt und es würde auch keiner mehr die Gelegenheit dazu bekommen.
Langsam
stand Isabelle auf und ging an den Rand des Daches, die Grenze zwischen
Leben und Tod. Sie sah noch einmal hoch. Blickte auf die dunklen
Schatten der
am Wald liegenden Wiesen, den Nebel, der wie ein Schleier auf ihnen
lag, die
leuchtenden Sterne am Himmel und die kleine dunkle Wolke über ihr,
welche noch
immer ihren Regen über sie ergoss. Ihre nassen blonden Haare flogen in
ihr
Gesicht und ihre Kleider klebten an ihrem Körper, während sie Schritt
für
Schritt an der Dachkante entlang balancierte.
Ein
leiser Zweifel kam in ihr auf. Sollte sie es wirklich wagen? Würde sie
jemanden
der ihr viel bedeutete Schuldgefühle hinterlassen? Nein, das war nicht
möglich.
Außer Michael, dem die Schuld ruhig an den Knochen nagen durfte, kam
niemand in
Frage. Jedoch wollte sie ihre Freunde nicht ganz im ungewissen lassen.
Sie zog
einen Briefumschlag aus der Tasche, auf welchem die Namen der
Cliquenmitglieder
standen. Dann ging sie zurück zu den Stühlen und legte den Brief unter
einen
von ihnen, damit er durch den Regen nicht unlesbar wurde. Es hatte sie
bis
jetzt nie jemand richtig gekannt. Niemand hatte gewusst was sie gefühlt
und
gedacht hatte. Vermutlich war es Zeit das zumindest jetzt zu ändern.
Der Brief
enthielt zwei Blätter, aber auf keinem war ein Wort von Michaels Tat zu
lesen.
Sie wollte das er sich quälte, sein Leben lang mit der Schuld leben
musste und
mit der Last das niemand außer ihm von dem Vorfall wusste. Auf der
ersten Seite
hatte sie beschrieben wie sehr sie sich gequält und es einfach nicht
mehr
ausgehalten hatte, das es aber nicht die Schuld ihrer Freunde gewesen
war und das
sie einfach nur in guter Erinnerung behalten sollten. Auf der zweiten
Seite
stand, dass sie mitten im Grünen bestattet werden wollte... mitten in
der
Natur, die sie so sehr liebt
Vorsichtig
nahm sie ihr Seidentuch vom Hals ab und legte es um die Fernsehantenne,
sodass es vom Wind herumgewirbelt wurde.
Dann
drehte sie sich langsam in Richtung Dachkante um, atmete noch einmal
tief
durch und begann dann zu rennen. Immer weiter, immer weiter geradeaus
bis sie
den Boden unter ihren Füßen verloren hatte und ihre Füße nur noch in
der Luft
strampelten.
In
dem Moment wo Isabelles Körper hart auf den Asphalt aufschlug, löste
sich
das Seidentuch von der Antenne und glitt sanft durch die Luft davon...