Am 27.09.1981 hab ich mich mit zwei Wochen Verspätung dann endlich auf diese Welt gewagt. War es eine Vorahnung, dass ich aus der Geborgenheit da im Bauch gar nicht raus wollte?
Bis ich zwei Jahre alt war war ich wohl einfach ein kleines Kind, das die Welt erkundete... doch dann änderte sich von heute auf morgen vieles, denn auf einmal sah ich aus als wäre ich gerade in eine Brennnesselkolonie gefallen: Neurodermitis. Von da an wurde ich anders, ich war das reinste Nervenbündel, überall juckte es und tat weh, und das Baden wurde zu einer Höllenqual. Ich war immer nervös, dieses ständige Jucken bestimmte meinen Tagesablauf. Irgendwann kam dann der Kindergarten, ich wollte da nicht hin... ich schrie wenn ich dort abgeliefert wurde, und dann wartete ich bis ich mittags wieder abgeholt wurde. Andere Kinder hielten sich von mir fern, würdigten mich abfälliger Blicke und blieben lieber von mir fern. Mit vier lag ich im Krankenhaus, wegen meiner Haut. Dann nahm das Leben seinen Lauf... ich wurde aggressiv gegen andere, nachts bekam ich Handschuhe an welche ich am nächsten Morgen durchgekratzt hatte. Ich war immer dürr, Essen wollte ich nicht. Irgendwann kam ich dann in die Schule, was mir anfangs auch nicht gefiel. Und schon damals fand ich mich mit meinen 21 kg zu dick. Wie kommt ein Kind zu solchem Denken? Meine Schwester war dick, seit ich mich erinnern kann, und wurde es mit zunehmendem Alter noch mehr... und ich habe von klein auf diese Beschimpfungen und Hänseleien der anderen mitbekommen, die Anspielungen auf ihre Figur, So wollte ich niemals werden, das machte mir Angst, ich wollte diese Angriffsfläche für Verletzungen nicht bieten. Meine Neurodermitis verbesserte sich, die Schule ging voran, ich war in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend und schüchtern, hatte wenig Selbstvertrauen. Zu Hause kam ich schnell in Rage und wurde immer noch schnell aggressiv gegen andere. Doch ich erinnere mich... mit sechs Jahren... ich fühlte mich alleine, ich wollte, dass sich jemand um mich kümmert, und schnitt mir mit einem stumpfen Messer ins Knie... ich wollte behaupten ich sei hingefallen, ließ es letzten Endes aber doch keinen merken.
Das Leben ging weiter, und schon in der vierten Klasse war ich dabei, Diäten auszuprobieren, denn so langsam wurde ich pummelig. In der siebten Klasse hatte ich den Spitznamen „Seekuh“. Nach außen ließ ich mir nichts anmerken, aber innerlich machte es mich fertig, ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde und immer dicker werden würde, und alle würden mich verletzen. Ich nahm 10 kg ab, fand mich jedoch immer fett. In der 10. Klasse freundete ich mich mit einem Mädchen an, und wir unterstützten uns in unseren Diäten... ich war fest entschlossen, abzunehmen... ließ die Süßigkeiten weg, dann das Abendessen, dann das Frühstück und irgendwann auch den Rest, und innerhalb eines Monats war im am Hungern. Das ging ein halbes Jahr, ich nahm radikal ab, alle sahen, dass ich magersüchtig war, und ich war so stolz auf mich... bis irgendwann die Fressanfälle kamen, wofür ich mich bestrafte indem ich mir weh tat.
Doch dann: Hirnhautentzündung, gerade so dem Tod entkommen... ich wollte mein Leben ändern, doch das war vergessen, als ich zunahm. Fressen und Hungern wechselten sich ab, Kotzen ging nicht, doch ich ich quälte mich... bis es ging. Dann nahm alles seinen Lauf... Bulimie, Depressionen, SVV, in der Schule ging es bergab. Der Entschluss... Suizid... doch an diesem Tag kam ich mit meiner großen Liebe zusammen, und für kurze Zeit war alles perfekt, bis der Fall kam. Nun war mein Leben vorbei, ich brachte mich nur meiner Familie zu Liebe nicht um. Ich fraß und kotze ständig und konnte nichts mehr anderes tun, denn war ich weg besiegte mich die Fressgier und ich musste weg, ich fraß und kotze überall, in Wäldern, auf Feldwegen...aus Glasscherben wurden Ladyshaver, aus denen wurden richtige Rasierklingen...
Erste Therapie... vergeblich.
Zweite Therapie... diese Frau hatte Ahnung. Aber trotzdem machte ich weiter, bis mein Körper wieder streikte... zittern, Schmerzen, Blut in der Kotze... erst gefiel es mir, denn ich wollte mich fettes Ding zerstören, doch auf einmal stand ich nach einer Kotzorgie vor dem Spiegel, konnte mich kaum noch auf den Beinen halten und sah meinem Ende ins Gesicht... und da wollte ich leben. Ich wollte doch eigentlich nie sterben, ich wollte doch nur endlich leben können! Momentan vegetierte ich, eine Existenz zwischen Zigaretten, Fressen und Kotzen und sich zu verstümmeln und schrecklichen Zornanfällen und zu allem Überfluss Angstzustände im Dunkeln.
Mein 19. Geburtstag... und keine Möglichkeit zum Kotzen... es vergingen 3 Wochen ohne Kotzen, und plötzlich packte mich meine Sturheit, ich werde es nicht mehr tun! Einen Monat später... ich wollte mich beweisen und hörte auf zu rauchen... ich gab alles auf... aber nicht mein SVV, denn das war meine letzte Rettung... und doch versprach ich es einige Zeit später einer Freundin, es zu lassen, denn ich konnte einfach nicht mehr.
Es folgte eine Zeit mit Fressanfällen ohne Kotzen, ich nahm zu und der Selbsthass wurde kaum weniger, wenn sich auch die Angstzustände verbesserten und kaum noch vorhanden waren... und ich beschloss, stationär zu gehen. In der Schule raffte ich mich im letzten Halbjahr auf, schaffte mein Abi und eine Woche später war ich weg, in der Klinik. ES wurde eine super schöne Zeit, ich hätte nie gedacht, dass noch so vieles getan werden musste. Oft führte es mich an meine Grenzen, ich konnte nicht mehr, aber es war immer jemand da zum Reden, ich war nicht mehr alleine. Ich lernte zu vertrauen. Und ich lernte, mich zu mögen, Ich aß normal und lernte, Konflikte zu lösen- ohne Rasierklinge. Mir ging es super... doch irgendwann kam ich nach Hause. Ich vermisste meine neuen Freunde... ich war alleine, fühlte mich unverstanden: Man erwartete, dass ich jetzt gesund war, dachte ich zumindest. Andere hielten mich für Irre, da sie wussten wo ich die letzten Monate war. Ich fiel und fiel, und gab auf, dagegen zu kämpfen... ich wollte keine Therapie mehr, wollte nur zurück. Zurück in die Klinik, zurück zu meinen lieben Menschen die dort waren... und denen ging es genauso.
Ich fing an zu studieren... Bio und Englisch. Es war gut, aber alles andere war schrecklich. Ich fraß wieder, und mein Pflanzenpräparierwerkzeug von Bio hinterließ tiefe Fleischwunden. Wissen durfte es keiner, denn ich sollte ja gesund sein. Weihnachten kam... schrecklich, ich war so alleine. Das Wetter war trüb und grau... das erste Semester verging mit guten Noten... und irgendwann Im zweiten wurde es Frühling...
Ich sehe die Natur wieder, so vieles, was ich jahrelang nicht mehr gesehen habe... Ich kämpfe gegen die Depressionen, und werde sie besiegen. Ich habe schreckliche Narben, aber das ist die Vergangenheit. Ich kann diese innere Angespanntheit anders lösen, habe keine Zornanfälle mehr, und momentan esse ich und fresse nicht mehr. Ich bin ich... wenn es auch lange genug gedauert hat, das zu merken. Ich will mein Leben zurück, und werde das auch schaffen.
Der kleine Vogel breitet seine Flügel
aus und fliegt...
Ich weiß, dass ich ohne diese Symptome nie überlebt hätte, ich Hungerte für Liebe und Anerkennung, ich wollte perfekt sein, dass mich nie mehr jemand verletzen kann, wie es fast immer der Fall war, ob wegen der Haut oder meiner Figur. Aus Angst... und diese Angst hätte mich fast mein Leben gekostet.
Ich weiß, dass mich das alles auch stark gemacht hat; dass ich aber immer aufpassen muss, auf mich hören muss... denn meine emotional-instabile Persönlichkeit wird bleiben, das bin ich. Aber ich bin mir sicher, dass ich irgendwann perfekt gelernt haben werde, mit mir umzugehen, denn ich bin dabei. Ich weiß, dass immer wieder dunkle Zeiten kommen können, aber
....... ich lebe......
und das will ich nicht mehr her geben.