Persönlicher Engel gesucht Teil 2
Teil: 2/3 +Epilog
Noch an diesem Nachmittag ging ich los, um Geld von der Bank abzuheben. Mein Portemonnaie war strapaziert worden durch den Kauf von Weihnachtsgeschenken und wenn ich heute Abend etwas zu essen haben wollte, musste ich dringend zur Bank. Ich schüttelte den Schnee aus meiner Jacke, als ich das sterile Gebäude betrat und mich am Schalter anstellte, während ich in meiner Tasche nach meinen Kontodaten kramte, die ich mir nie auswendig merken konnte. Immer noch suchend ging ich Richtung des Schalters, der im Moment leer war. "Einen Moment. Ich bin gleich soweit", murmelte ich und fischte in eben dieser Sekunde den Zettel mit meinen Kontodaten hervor. Zufrieden lächelnd hob ich meinen Blick. Doch was ich da sah, ließ mich einfach nur entrüstet die Luft ausstoßen. "Sie?" "Guten Tag, der Herr", antwortete mir der unfreundliche Typ, dem ich nun schon zum dritten Mal begegnete. "Was kann ich für Sie tun?", fragte er höflich, doch mit ärgerlich zusammengezogenen Augenbrauen, meinen überraschten Ausruf komplett übergehend. Nun gut. Er nahm sich heute also mal zusammen. Wahrscheinlich aber nur, weil dies hier seine Arbeitsstelle war. Darauf brauchte ich mir also nichts einbilden. Immer noch etwas verdutzt meinte ich dann: "Ja, also, ich wollte etwas Geld abheben." "Sie haben von unserer Weihnachtssonderaktion gehört?", fragte er mich weiter, immer noch recht griesgrämig. Ich lupfte eine Augenbraue. "Ähm, nein." Erschien da nicht ein hämisches Grinsen auf seinen feingeschwungenen Lippen? "Die Girobank hat sich dieses Jahr etwas Besonderes für die Vorweihnachtszeit einfallen lassen. Jeder Kunde, der unseren Weihnachtsjingle, den Sie sicher schon öfter im Radio gehört haben, an einem unserer Schalter vorsingt, bekommt ein kleines Präsent, das Sie sich nicht entgehen lassen sollten", erzählte er mir. "Bis jetzt hat jeder Kunde gesungen, weil sie alle unser Präsent haben wollten, das es nur limitiert gibt." Ich dachte, ich spinne, als ich das hörte. Ich sollte singen? Nun gut. Ich kannte den Jingle und singen konnte ich auch. Und die Blöße, als einziger nicht zu singen, wollte ich mir vor diesem Lackaffen nun auch wieder nicht geben. Also begann ich: "Wenn Weihnachten naht und du hast brav gespart, dann komm zur Girobank, denn wir geben dir ein Geschenk zum Dank!" Zufrieden grinsend ob meiner Leistung blickte ich den Typen herausfordernd an. "Sehr schön", grinste er hinterlistig zurück, was mich dann doch etwas stutzig machte, "hier ist dann also Ihr Präsent." Und mit diesen Worten überreichte er mir eine Schneekugel, in der die Girobank als Miniatur zu sehen war. "Das wird später ganz sicher noch beträchtlich an Wert gewinnen", meinte er hämisch. Als ich das sah, wäre ich fast in die Luft gegangen. Eine Schneekugel der Girobank? Und dafür hatte ich mich eben zum Klops gemacht? Als ich an den Schalter rechts neben mir blickte sah ich einen alten Mann, der gerade von der Angestellten die Sonderaktion erklärt bekam. "Es reicht uns auch vollkommen, wenn Sie nur summen", hörte ich die Frau sagen. "Sie haben wohl einen Knall?", wetterte der Alte böse. "Ich sing Ihnen hier doch nicht irgendeine komische Weihnachtsschingel oder was auch immer vor! Alles, was ich will, ist etwas Geld einzahlen!" So? Es reichte also auch, wenn man es nur summte? Und wie war das, von wegen bisher haben alle Kunden mitgemacht? Wütend wie ich war, blaffte ich mein Gegenüber an: "Wissen Sie was, so langsam habe ich echt genug von diesen Spielchen!" Und damit rauschte ich ab. "Einen schönen Tag noch!", rief er mir zuckersüß hinterher. In meiner Rage hatte ich völlig vergessen, Geld abzuheben. Seufzend und mich immer noch über diesen unverschämten Typen ärgernd, ging ich an den Geldautomaten im Vorraum. Natürlich hätte ich das gleich machen können, aber ich mochte diese Automaten einfach nicht, weswegen ich immer an den Schalter ging. Doch von nun an würde ich mich hüten, einen Fuß weiter als bis in diesen Vorraum zu setzen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Der Feind lauerte scheinbar überall. ~*+*~*+*~*+*~*+*~*+*~ Mit einem Schmunzeln lief ich ein paar Nachmittage später durch den größten Spielwarenladen unserer Kleinstadt. Wirklich alle Kinder schienen verrückt nach diesem Tiney zu sein. Es war eine allgemeine Hysterie, die wohl jedes Wesen im Alter von zwei bis neun erfasst hatte. Da brauchte ich allein an meine kleine Cousine Sandy oder auch an Danny denken, der mir mittlerweile schon richtig ans Herz gewachsen war, obwohl ich ihn natürlich den anderen Kindern nicht bevorzugt behandeln durfte, was mir manchmal schon recht schwer fiel. Mein Blick wanderte über Tiney-Videos, Tiney-Bettwäsche, Tiney-Socken und noch ganz andere Artikel dieser Dinosaurier-Maus-Mischung, die für mich mehr Ähnlichkeit mit einem gelben Kanguruh-Krokodil-Verschnitt hatte als mit einem Dino oder einer Maus. Mein Gott! Was es doch alles gab! Fasziniert blieb ich vor einer Spieluhr mit einem sich lustig drehenden Tiney und einer schrecklich aufdringlichen Melodie stehen, die meine Nerven beinahe überstrapazierte. Kopf schüttelnd setzte ich meinen Weg durch die Regale fort. Schließlich war es nicht das, was ich meiner Cousine versprochen hatte. Ein paar Schritte weiter erblickte ich dann endlich an der nächsten Ecke das Richtige: einen sprechenden Plüsch-Tiney, der in einem schicken Karton verpackt war. Oh, und wie es schien, war dies der letzte, den sie hatten. Schnell war ich dort und griff zu, als aus der anderen Reihe ebenso eine Hand danach fasste. Als ich aufschaute, blickte ich in zwei blaue Augen und ein markantes Gesicht, das von schwarzen Haaren umrahmt war. "Sie schon wieder!", tönte es mir entgegen."Sie verfolgen mich wohl, oder was soll das hier?!" ";;Dasselbe könnte ich von Ihnen auch behaupten", warf ich ihm nicht minder lautstark an den Kopf. "Nur zu Ihrer Information: Ich brauche dieses Plüschtier ganz dringend und ob es Ihnen nun passt oder nicht - ich werde es jetzt auch kaufen", meinte ich patzig und wollte Tiney zu mir ziehen, doch der grimmige Typ ließ einfach nicht los. "Jetzt hören Sie mir mal zu. Ich brauche dieses Plüschtier noch viel nötiger als Sie. Und nachdem Sie mir bereits einen Becher Kaffee über meine guten Sachen gekippt und mich eingeparkt haben, obwohl ich es beide Male eilig hatte, steht es mir nun aber wirklich zu", wurde ich angeblafft. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Der wollte mir meinen Tiney, den Tiney für meine kleine Sandy streitig machen! Aber den würde ich nicht kampflos hergeben, nie im Leben! Schon rein aus Prinzip nicht! "Und jetzt hören Sie mir mal zu. Das mit dem Kaffee tut mir wirklich leid; das war keine Absicht. Aber das hätte jedem passieren können. Deswegen hätten Sie mich aber auch nicht gleich so anschnauzen müssen. Noch dazu habe ich mich wegen Ihnen zum Plebs gemacht in der Bank! Und was das mit dem Parkplatz angeht - das war MEIN Parkplatz! Ich hab den zuerst gesehen und geblinkt, dass ich da reinfahren möchte. Und Sie haben ihn mir einfach weggeschnappt! Das war auch nicht gerade von feinen Eltern! Deswegen bekomme ich Tiney", sprach ich, überzeugt von meinen Worten nickend. "Das ist ja wohl die Höhe! Jetzt muss ich mir von Ihnen noch Beschuldigungen anhören! Ich hatte es EILIG! Wie oft denn nur noch?!? Und von wegen, Sie waren eher da!", spie mir der attraktive aber schrecklich arrogante Fatzke entgegen. "Und nun geben Sie schon endlich Tiney her!" So langsam hatte ich nun aber wirklich die Faxen dicke! Der Typ schaffte es immer wieder, mich zur Weißglut zu treiben und mich auf die Palme zu bringen! Dabei konnte ich ansonsten immer von mir behaupten, ein ruhiger und ausgeglichener Bursche zu sein! "Ach wissen Sie was? Ich habe genug von diesen Kindereien hier! Da", meinte ich und drückte den Plüsch-Tiney energisch in die Hand des blöden Kerls, "da haben Sie ihn! Werd ich mir eben woanders noch einen besorgen! Viel Spaß damit! Sie haben ja sicherlich keine anderen Freunde, mit denen Sie 'spielen' könnten!" Meine Worte troffen nur so vor Ironie. Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehte ich um und ging, als mir mit nicht weniger Ironie noch hinterher schwebte: "Viel Spaß auch beim Suchen! Denn alle Tineys sind restlos ausverkauft!" Schnaubend verließ ich den Laden. Ausverkauft! Das glaubte der ja wohl mal selbst nicht! Ich würde dieses dämliche Plüschtier schon noch irgendwo auftreiben können! Zweieinhalb Stunden und so einige andere Spielzeugläden später wusste ich, dass er recht hatte. Kein Plüsch-Tiney weit und breit! Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Was sollte ich denn nun machen? Ich hatte Sandy doch versprochen, ihr einen zu Weihnachten zu schenken! Total geknickt und mit hängendem Kopf machte ich mich auf den Weg nachhause. Dort angekommen entledigte ich mich gleich meiner Jacke, dem Schal und den Schuhen und lümmelte mich auf mein Sofa. Was sollte ich jetzt nur machen? Plötzlich hatte ich einen Lichtblitz. Ja! Das war es! Euphorisch sprang ich auf und rannte in mein Schlafzimmer. Irgendwo hier... Ah! Da war er ja! Grinsend zerrte ich ein zerknülltes gelbes T-Shirt aus meinem Kleiderschrank und holte mir mein Nähzeug aus der Schublade, dass ich von meiner vorausplanenden Mutter zum Auszug geschenkt bekommen hatte. Damit beladen ging ich zurück in die Stube und setzte mich wieder aufs Sofa. Ich rieb meine Hände. So, dann konnte es ja losgehen! Wie heißt es so schön? Not macht eben erfinderisch! ~*+*~*+*~*+*~*+*~*+*~ Weihnachten rückte immer näher und meine Finger wurden von immer mehr Pflastern geziert. Bunten Pflastern, versteht sich, da diese eigentlich nur für die Kinder gedacht waren. Aber so langsam machte ich Fortschritte. Es wäre kein Original, aber insgeheim fand ich, dass meiner besser aussah. Ich hatte im Nähzubehörladen bereits Augen, sowie eine Kordel, die zum Schwanz werden würde, gekauft. In dem Geschäft hatte ich auch viele Ideen für meine Kindergartengruppe gefunden und ordentlich zugeschlagen. Und so hatte ich an einem Tag alle Kinder mit dem Basteln von kleinen Engeln beschäftigt, die ein echtes Stoffkleidchen bekamen, das die Kinder mit Bändern, Knöpfen und anderem Nähzubehör schmücken konnte. "Na, für wen machst du deinen Engel?", wollte ich von Danny wissen, der wieder mal seinem Faible für Glitzer fröhnte. "Für dich!", strahlte er mich an. "Ja? Oh, das ist lieb von dir. Aber... willst du ihn nicht deinem Bruder schenken? Immerhin wollen wir ihn glücklich machen." Danny grübelte und schwang mit den Füßen. "Ich glaube, er will keinen gebastelten Engel." "Wieso das denn nicht? Er ist wunderschön." Danny schüttelte den Kopf. "Er braucht einen echten!" Das war schwer. Ich seufzte: "Weißt du, manche Menschen glauben, dass auch Menschen Engel sein können. Und ich bin mir sicher, du bist einer. Du machst deinen Bruder doch schon glücklich." Nun sah Danny traurig aus. "Kannst du nicht Richards Engel sein?" Ich war überrascht von der Frage und räusperte mich verlegen. "Ich kenne ihn doch gar nicht...", wurde ich leicht rot. "Du willst nicht...", schniefte er. "Nein! So war das nicht gemeint..." "Niemand will meinen Bruder...." "Wer sagt denn sowas?" "Das hat er selbst gesagt." "Das stimmt aber nicht. Wenn er einen kleinen Bruder wie dich hat, muss er ein ganz toller Kerl sein", war ich der festen Überzeugung. ~*+*~*+*~*+*~*+*~*+*~ Ich bezweifelte, dass Danny mir das geglaubt hatte. Ich machte mir immer mehr Sorgen um ihn. Ihn belastete die Sache mit seinem großen Bruder und ich nahm mir vor, mit dem jungen Mann zu reden, wenn er kam. Insgeheim überlegte ich ob er wohl gut aussah, aber das sollte ich mir aus dem Kopf schlagen. Ja, auch ICH war alleine und suchte einen Freund. An Weihnachten wurde einem das immer erst so richtig bewusst. Aber die Wahrscheinlichkeit war einfach zu gering. Ich hatte aber schließlich eine Idee ausgeklügelt. Ich setzte mich neben Danny, der gerade fleißig Plätzchen ausstanzte. "Hör mal, Kleiner. Morgen ist ja unsere Weihnachtsfeier. Wir brauchen noch jemanden, der ein wenig beim Aufbauen hilft", immerhin war eine kleine Vorführung für die Eltern geplant, "wie wäre es, wenn du deinen großen Bruder fragst?" Er nickte sofort und ich lächelte. Dann würde ich ihn also doch mal kennenlernen. Die Kinder sahen allesamt aus wie in eine Mehlschüssel gefallen und nur die wenigsten hatten ihre Schürzen mitgebracht. Das würde wieder Ärger mit einigen der Eltern geben. Ein wenig flau wurde mir, wenn ich an den morgigen Tag dachte. Würden alle Kinder die kleinen Geschenke mögen, die wir für sie vorbereitet hatten? Würde die kleine Gesangsaufführung klappen? Würden die Plätzchen den Eltern schmecken? Und vor allem machte mir mein Outfit Angst. Die Erzieherinnen hatten beschlossen komplett im Engels-Outfit zu erscheinen. An mich hatten sie dabei wohl nicht gedacht. Ich war der einzige männliche Angestellte. Aber den Kindern den Spaß verderben wollte ich auf keinen Fall und für die war Engelchen gleich Engelchen, weswegen die Flügel und der Heiligenschein auch in meinem Fach bereitlagen. ~*+*~*+*~*+*~*+*~*+*~ |
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